Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 12.05.2021, Az. 1 BvR 2682/17

1. Senat 3. Kammer | REWIS RS 2021, 5930

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: § 1a Nr 2 AsylbLG aF (Anspruchseinschränkung bei vom Anspruchsberechtigten zu vertretender Nichtvollziehbarkeit der Ausreisepflicht) mit Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums noch vereinbar - Rspr des BSG (BSGE 123, 157 ) mit verfassungsrechtlichen Anforderungen noch in Einklang


Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

I.

1

Die Verfassungsbeschwerde wendet sich gegen eine Entscheidung des [X.] zu Leistungseinschränkungen gegenüber ausreisepflichtigen Asylbewerberinnen und Asylbewerbern auf der Grundlage von § 1a Nr. 2 Asylbewerberleistungsgesetz ([X.]) in der vom 1. September 1998 bis zum 28. Februar 2015 geltenden Fassung. Der Beschwerdeführer rügt im Wesentlichen die Verletzung seines Grundrechts auf Gewährleistung einer menschenwürdigen Existenz aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 GG.

2

1. Die streitentscheidende Norm wurde zum 1. September 1998 eingeführt ([X.]) und seit März 2015 mehrfach geändert ([X.] 2014 S. 2187; [X.] 2015 S. 1722; [X.] 2016 S. 1939; [X.] 2019 S. 1290; [X.] 2019 S. 1294). In der damals geltenden und hier allein streitigen Fassung lautete § 1a [X.]:

Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 und 5 und ihre Familienangehörigen nach § 1 Abs. 1 Nr. 6,

1. die sich in den Geltungsbereich dieses Gesetzes begeben haben, um Leistungen nach diesem Gesetz zu erlangen, oder

2. bei denen aus von ihnen zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können,

erhalten Leistungen nach diesem Gesetz nur, soweit dies im Einzelfall nach den Umständen unabweisbar geboten ist.

3

2. Die Regelung erfasst geduldete Leistungsberechtigte (§ 1 Abs. 1 Nr. 4, [X.]), vollziehbar Ausreisepflichtige (§ 1 Abs. 1 Nr. 5 [X.]) und Familienangehörige (§ 1 Abs. 1 Nr. 6 [X.]), sofern sie nach [X.] eingereist waren. Sie ist - auch nach Auffassung des [X.] - anspruchseinschränkend, nicht anspruchsausschließend zu verstehen (so auch [X.], Beschluss vom 28. September 2007 - [X.] -, juris; [X.], in: [X.]., Gemeinschaftskommentar zum [X.], Mai 2016, § 1a Rn. 32 ff.; Oktober 2018, § 1a Rn. [X.], in: [X.]/Zink, Handbuch der Grundsicherung und Sozialhilfe, Teil II: [X.], Mai 2017, § 1a [X.], Rn. 12 ff.; [X.], in: [X.]/[X.]/[X.], [X.], 9. Aufl. 2012, § 1a [X.] Rn. 5). Leistungen dürfen demnach nicht vollständig versagt werden (vgl. [X.], in: Grube/[X.], [X.], 5. Aufl. 2014, § 1a [X.] Rn. 33); im konkreten Einzelfall ist immer zu prüfen, ob insbesondere auch Leistungen für soziokulturelle Bedarfe wie Mobilität oder Kommunikation erbracht werden müssen (ausdrücklich auch [X.], 157 <169 Rn. 35>).

II.

4

1. In dem der Verfassungsbeschwerde zugrundeliegenden Fall reiste der Beschwerdeführer im Jahr 2002 in das [X.] ein und beantragte Asyl. Er gab an, kamerunischer Staatsangehöriger zu sein; einen Pass oder Passersatz legte er nicht vor. Ausweislich des Urteils des [X.] wurde sein Asylantrag abgelehnt und er aufgefordert, die Bundesrepublik [X.] zu verlassen; sollte er dem nicht nachkommen, werde er nach [X.] abgeschoben.

5

a) Die Klage gegen die Ablehnung des Asylantrags wurde vom Verwaltungsgericht abgewiesen. Der Beschwerdeführer ist seitdem im Besitz einer Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG. [X.] wurde seine Abschiebung und im [X.] seine Ausweisung aus dem [X.] verfügt. Zwischen Juni 2004 und April 2013 forderte die Ausländerbehörde den Kläger [X.] auf, bei der Beschaffung eines Passes oder Passersatzes mitzuwirken. Die Behörde führte ihn hierzu in den Jahren 2008 und 2010 der Botschaft vor, wo er schwieg.

6

Seit November 2005 bewilligte der im Ausgangsverfahren beklagte, für die existenzsichernden Leistungen zuständige Landkreis dem Beschwerdeführer auf etwa die Hälfte eingeschränkte Leistungen nach § 1a [X.] a.[X.]; sie wurden in Form von Wertgutscheinen erbracht. Die Behörde berücksichtigte einen notwendigen Bedarf nach dem damaligen § 3 Abs. 1 Satz 1 [X.] a.[X.]; der Beschwerdeführer erhielt keinen Barbetrag nach § 3 Abs. 1 Satz 4 [X.] in der damals geltenden Fassung.

7

b) Der Wi[X.]pruch und die Klage vor dem Sozialgericht auf ungeminderte Leistungsgewährung ab Januar 2013 bis einschließlich Februar 2015 waren erfolglos. Die tatbestandlichen Voraussetzungen nach § 1a Nr. 2 [X.] a.[X.] lägen vor; die Anspruchseinschränkung nach § 1a Nr. 2 [X.] a.[X.] verstoße nicht gegen das Grundgesetz. Der Beschwerdeführer habe es selbst in der Hand, durch seine Mitwirkung am Asylverfahren uneingeschränkt Geldleistungen zu erhalten. Auch die Höhe der bewilligten Leistungen sei nicht zu beanstanden.

8

c) Gegenstand des Revisionsverfahrens vor dem [X.] war nach Abschluss eines sogenannten Überprüfungsvergleichs nur noch die Bewilligung für den Monat Januar 2013. Neben der Verfassungswidrigkeit von § 1a [X.] a.[X.] wandte sich der Beschwerdeführer auch hier gegen eine pauschale Kürzung des soziokulturellen Existenzminimums ohne Einzelfallprüfung. Er hatte damit keinen Erfolg. Nach Auffassung des [X.] habe der Landkreis zutreffend nur eingeschränkte Ansprüche nach § 1a Nr. 2 [X.] a.[X.] in Verbindung mit § 3 Abs. 2 [X.] a.[X.] anerkannt. Der von der Behörde mehrfach belehrte Beschwerdeführer habe den Tatbestand der Norm durch selbst zu [X.], [X.] und für den [X.] der Abschiebung [X.] Verhalten erfüllt (vgl. [X.], 157 <160 f. Rn. 15 ff.>). Inhalt und Umfang des dann zu leistenden "unabweisbar Gebotenen" seien durch den zuständigen Leistungsträger anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls "allein bedarfsorientiert" festzulegen. Eine Generalisierung sei von vornherein unzulässig ([X.], a.a.[X.], S. 162 f. Rn. 21 f. und [X.] Rn. 32) und auch ein soziokulturelles Existenzminimum sei nicht von vornherein unverzichtbar, aber im Einzelfall zu prüfen, ob weitere Leistungen zu gewähren sind. [X.] Bedarfe, die der Beschwerdeführer nicht habe decken können, habe das Sozialgericht für den hier streitbefangenen Monat nicht festgestellt und wurden vom Kläger auch nicht behauptet ([X.], a.a.[X.], S. 163 f. Rn. 24). Die Regelung des § 1a Nr. 2 [X.] a.[X.] verstoße damit auch nicht gegen Verfassungsrecht.

9

d) Anhörungsrüge und Gegenvorstellung blieben erfolglos.

2. Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer im Wesentlichen die Verletzung von Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs.1 GG. Das [X.] habe insbesondere wesentliche Prinzipien des Grundrechts auf Gewährleistung einer menschenwürdigen Existenz außer [X.] gelassen. Die Menschenwürde sei nicht relativierbar. Die Verknüpfung von Migrationsrecht und Sozialrecht sei systemfremd und unzulässig. Die Absenkung von Leistungen sei dem Leistungsträger überlassen, weshalb sich die Hilfebedürftigen nicht auf die konkrete Rechtsfolge einstellen könnten. Es werde pauschal gemindert und die Absenkung sei nicht zeitlich beschränkt. Vom Beschwerdeführer dürfe nicht verlangt werden, seinen Bedarf nachzuweisen, denn dieser entstehe, weil er Mensch sei. Schließlich gebe es ein Rechtsschutzbedürfnis, obwohl § 1a Nr. 2 [X.] a.[X.] nicht mehr in [X.] sei. Der Tatbestand gelte fort und die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Regelung müsse auf die Neuregelung durchschlagen.

III.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen (§ 93a Abs. 2 [X.]). Die verfassungsrechtlichen Maßgaben sind durch den Senat in den Entscheidungen vom 9. Februar 2010 ([X.] 125, 175), vom 18. Juli 2012 ([X.] 132, 134), vom 27. Juli 2016 ([X.] 142, 353) und im Urteil zu sozialrechtlichen Sanktionen vom 5. November 2019 ([X.] 152, 68) grundsätzlich geklärt. Danach ist die Verfassungsbeschwerde, soweit sie zulässig ist, nicht begründet, was gemäß § 93b Satz 1 Alt. 1 [X.] von der Kammer entschieden werden kann.

1. Die Verfassungsbeschwerde ist nur teilweise zulässig. Soweit eine Verletzung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG gerügt wird, genügt das Vorbringen nicht den aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 [X.] folgenden Begründungsanforderungen. Es stellt sich keine Frage rechtlichen Gehörs, wenn ein Gericht einen Sachverhalt rechtlich an[X.] würdigt als der Beschwerdeführer. So berücksichtigt das [X.] die angegriffene Einbehaltung eines Betrages für Winterkleidung sowohl im Tatbestand als auch in den Entscheidungsgründen, wertet diese aber an[X.]. Desgleichen folgt aus dem Umstand, dass Gegenstand des Revisionsverfahrens lediglich der durch die Beteiligten geschlossene Überprüfungsvergleich zu Leistungen für den Monat Januar 2013 war, nicht, dass das [X.] die langjährige Absenkung von Leistungen übersehen hätte; vielmehr setzt es sich damit ausdrücklich auseinander. Eine Verletzung rechtlichen Gehörs ist daher auch insoweit nicht erkennbar.

2. Mit der Rüge einer Verletzung von Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG ist die Verfassungsbeschwerde zwar zulässig, aber nicht begründet.

a) Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Sie setzt sich mit den Gründen der Entscheidung des [X.] auseinander und geht auf die damals allein maßgeblichen Entscheidungen des [X.] vom 9. Februar 2010 ([X.] 125, 175) und vom 18. Juli 2012 ([X.] 132, 134) ein. Zudem ist das Rechtsschutzbedürfnis gegeben. Tatsächlich kann dieses zwar fehlen, wenn die streitentscheidende Norm geändert wurde. Das ist jedoch nur der Fall, wenn sich damit auch die hier erhobenen [X.] als hinfällig erweisen. Vorliegend ist das nicht erkennbar. Die angegriffene Entscheidung betrifft den Leistungszeitraum eines Monats im Jahr 2013 und beruht auf der angegriffenen Norm.

b) Die angegriffene Entscheidung des [X.] und die ihr zugrundeliegende Norm stehen in der dort vorgenommenen Auslegung mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen noch in Einklang.

aa) [X.] begründet Art. 1 Abs. 1 GG einen Anspruch auf Gewährleistung einer menschenwürdigen Existenz; mit Art. 20 Abs. 1 GG erhält der Gesetzgeber den Auftrag, ein menschenwürdiges Existenzminimum tatsächlich zu sichern. Ihm steht dabei ein Gestaltungsspielraum zu und er hat auch völkerrechtliche Verpflichtungen zu berücksichtigen (vgl. [X.] 125, 175 <222>; 132, 134 <159 Rn. 62>; 142, 353 <369 f. Rn. 36>; 152, 68 <112 f. Rn. 118>).

Der Leistungsanspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums erstreckt sich auf die unbedingt erforderlichen Mittel als Gewährleistung zur Sicherung sowohl der physischen Existenz als auch zur Sicherung eines Mindestmaßes an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben (vgl. [X.] 125, 175 <223>). Die Gewährleistung lässt sich nicht in einen "Kernbereich" der physischen und einen "Randbereich" der [X.] Existenz aufspalten, denn die physische und soziokulturelle Existenz werden durch Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG einheitlich geschützt (vgl. [X.] 137, 34 <91 Rn. 117 f.>; 152, 68 <113 f. Rn. 119>). Die Verpflichtung zur Sicherung des Existenzminimums ist zudem auch zur Erreichung anderweitiger - wie migrationspolitischer (vgl. [X.] 132, 134 <173 Rn. 95>) - Ziele nicht zu relativieren (vgl. [X.] 152, 68 <114 Rn. 120>).

Der Gesetzgeber verfügt bei den Regeln zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums aber über einen Gestaltungsspielraum hinsichtlich der Art und Höhe der Leistungen. Entscheidend ist, dass im Ergebnis die Untergrenze eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht unterschritten wird, die Höhe der Leistungen insgesamt tragfähig begründbar ist und die Ausgestaltung der Leistungen auch im Übrigen verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt (vgl. [X.] 125, 175 <225 f.>; 137, 34 <74 f. Rn. 80>; 142, 353 <370 f. Rn. 38>; 152, 68 <115 Rn. 122>).

bb) Mit diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen ist die angegriffene Norm in der vom [X.] in der angegriffenen Entscheidung vorgenommenen Auslegung noch vereinbar.

(1) Der hier streitentscheidende § 1a [X.] a.[X.] entzieht keine Leistungen, sondern ermöglicht in der Auslegung des [X.] in bestimmten Fällen eine "Beschränkung" des Anspruchs auf existenzsichernde Leistungen auf das "unabweisbar Gebotene". Was dann weiterhin zu leisten ist, hat der zuständige Träger nach der hier streitentscheidenden Fassung der Norm in der Auslegung durch das [X.] anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls allein bedarfsorientiert festzulegen; eine generalisierende Einschränkung ist dagegen von vornherein unzulässig (vgl. [X.], 157 <162 Rn. 21; 164 Rn. 24>). Der Leistungsträger hat insofern von Amts wegen zu prüfen, welche konkreten Bedarfe zur Sicherung der menschenwürdigen Existenz zu decken sind.

(2) Der Gesetzgeber wird den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Sicherung der menschenwürdigen Existenz mit der Norm in dieser Fassung insoweit gerecht, als er Leistungen für notwendige existenzsichernde Bedarfe durch [X.] sichert (vgl. [X.] 132, 134 <173 Rn. 96>). Er kann dazu Generalklauseln nutzen, Ermessen einräumen und unbestimmte Rechtsbegriffe verwenden (vgl. [X.] 152, 68 <133 Rn. 173>). Eine Regelung, die Behörden dazu verpflichtet, das "unabweisbar Gebotene" zu leisten, stößt daher nicht von vorn herein auf durchgreifende Bedenken. Das gilt auch im Vergleich mit der Vorschrift des § 31a Abs. 3 Satz 1 SGB II, denn diese sicherte nicht, dass Zweifel an der Eignung einer Sanktionsregel entfielen; es fehlten insofern erforderliche nähere Vorgaben (vgl. [X.] 152, 68 <143 Rn. 197>). Demgegenüber ist der zuständige Leistungsträger nach § 1a [X.] a.[X.] klar und gerichtlich voll überprüfbar verpflichtet, das unabweisbar Gebotene zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz bedarfsorientiert zu leisten.

[X.]) Dem Gesetzgeber war es auch nicht verwehrt, in § 1a Nr. 2 [X.] a.[X.] eine Umstellung existenzsichernder Leistungen von einer pauschalen Gewährleistung auf eine im Einzelnen festzustellende Bedarfsdeckung vorzusehen. Die Ausgestaltung existenzsichernder Leistungen liegt in seinem Aufgaben- und Verantwortungsbereich. Aus dem Grundgesetz ergibt sich kein Anspruch auf ein pauschal berechnetes Budget. Der Gesetzgeber darf sich zwar für eine Regelleistung als Festbetrag entscheiden (vgl. [X.] 125, 175 <252 f.>), muss dies aber nicht. Entscheidend bleibt, dass der gesetzliche Leistungsanspruch so gefasst ist, dass der gesamte existenznotwendige Bedarf im Ergebnis stets gedeckt wird. Doch kann der Gesetzgeber entscheiden, wie er den Bedarf berechnet und wie er ihn deckt - in Gutscheinen, Sachmitteln oder durch Barmittel, pauschal oder in Orientierung an einem Warenkorb, oder eben nach einzeln nachzuweisenden Bedarfen (grundlegend [X.] 125, 175 <222 ff.>). Daher ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn der gesamte existenzsichernde Bedarf weiterhin zu decken ist, aber nun von der bedarfsorientierten Prüfung im Einzelfall abhängig gemacht wird (vgl. [X.], 157 <162 Rn. 21, 164 Rn. 24>). Vorliegend durfte das [X.] daher darauf abstellen, dass das Sozialgericht solche Bedarfslagen im konkreten Fall nicht festgestellt hat, noch wurden sie behauptet (vgl. [X.], 157 <164 Rn. 24 am Ende>).

(4) Der Gesetzgeber trägt mit § 1a [X.] a.[X.] in der Auslegung durch das [X.] auch dem verfassungsrechtlichen Gebot Rechnung, im Ergebnis für jeden Menschen stets den gesamten existenznotwendigen Bedarf realistisch zu sichern (vgl. [X.] 125, 175 <224>). Mit § 1a [X.] a.[X.] wird die Höhe der Leistungen insbesondere nicht generell-abstrakt oder pauschal gemindert und die Leistungen werden, wie das [X.] betont, auch nicht aus migrationspolitischen Gründen generell abgesenkt (vgl. [X.], 157 <167 Rn. 32>; dazu [X.] 132, 134 <173 Rn. 95>) oder anderweitig (vgl. [X.] 152, 68 <114 Rn. 120>) relativiert. Entscheidend bleibt vielmehr, dass im konkreten Fall nach dem persönlichen Bedarf und entsprechend objektiver Prüfung aller Umstände alle existenznotwendigen Bedarfe gedeckt werden. Die Leistung des "unabweisbar Gebotenen" kann zwar im Ergebnis auch zu einer Absenkung der Leistungen führen; zwingend ist dies aber nicht. Sie ist rein bedarfsorientiert zu ermitteln.

(5) Das [X.] trennt zwar in seiner Betrachtung zwischen Leistungen zur Sicherung der physischen und der soziokulturellen Existenz (vgl. [X.], 157 <163 f. Rn. 23 f., 169 Rn. 35>). Das stößt auf verfassungs-rechtliche Bedenken, denn die grundrechtliche Gewährleistung ist zwingend einheitlich zu verstehen (vgl. [X.] 137, 34 <91 Rn. 117>). Doch betont das [X.] auch, dass Leistungen zur Deckung des soziokulturellen Existenzminimums gerade nicht von vornherein ausgeschlossen sind (vgl. [X.], 157 <169 Rn. 35>). Eine vom Beschwerdeführer beschriebene Praxis, wonach soziokulturelle Bedarfe allgemein als entbehrlich angesehen würden, ist damit und wäre auch mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht vereinbar. Weder Leistungen für physische noch solche für soziokulturelle Bedarfe sind frei verfügbar; sie können nicht beliebig gekürzt oder gestrichen werden (vgl. [X.] 152, 68 <113 f. Rn. 119>). Das hat auch das [X.] hier im Ergebnis nicht verkannt.

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.] abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 2682/17

12.05.2021

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 3. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend BSG, 12. Mai 2017, Az: B 7 AY 1/16 R, Urteil

Art 1 Abs 1 GG, Art 20 Abs 1 GG, § 1a Nr 2 AsylbLG vom 25.08.1998

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 12.05.2021, Az. 1 BvR 2682/17 (REWIS RS 2021, 5930)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 5930

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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