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Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"
Sozialgerichtliches Verfahren - Einhaltung der Revisionsfrist - Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Revision an eine Behörde gegen Empfangsbekenntnis - Asylbewerberleistung - Aufhebung eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung - Neubestimmung der unabweisbar gebotenen Leistung - Anspruchseinschränkung - Folgeantragstellung - selbst zu vertretende Nichtvollziehbarkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen - Beachtlichkeit ausländerrechtlicher Entscheidungen - Verzicht auf Abschiebung
1. Das fortgesetzt rechtsmissbräuchliche Verhalten eines Leistungsempfängers nach dem Asylbewerberleistungsgesetz stellt keine wesentliche Änderung der rechtlichen Verhältnisse dar, die zu einer Neubestimmung des im Einzelfall "unabweisbar Gebotenen" berechtigt.
2. Entscheidungen über das Vorliegen oder Nichtvorliegen eines Abschiebungshindernisses, die im Verhältnis zu den für den Vollzug der Ausreise zuständigen Behörden bindend sind, sind auch bei der Prüfung der notwendigen Kausalität eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens für die Absenkung der Leistung beachtlich.
3. An der notwendigen Kausalität fehlt es, wenn die für den Vollzug der Ausreise zuständige Behörde im Einzelfall zu erkennen gibt, dass sie trotz vollziehbarer Ausreisepflicht auf Maßnahmen der Abschiebung verzichtet.
4. Die Zustellung gegen Empfangsbekenntnis an Behörden ist bewirkt, wenn der hierfür zuständige Bedienstete von dem Zugang des Schriftstücks Kenntnis erhält und den Empfang bestätigt; die Auswahl dieses Bediensteten steht allein der Behörde zu.
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 8. Dezember 2016 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Kläger für das Revisionsverfahren zu erstatten.
Im Streit ist im Revisionsverfahren noch die Höhe von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) im Zeitraum vom 1.9.2006 bis zum 31.12.2007.
Die Kläger sind miteinander verheiratet und leben mit ihren 1997 und 2000 geborenen Söhnen, den früheren Klägern zu 3 und 4, seit 2003 im Bundesgebiet. Sie sind aserbaidschanische Staatsangehörige und wurden im Oktober 2004 der Samtgemeinde D. im Zuständigkeitsbereich des Beklagten zugewiesen; im streitigen Zeitraum waren sie Inhaber von Duldungen (vgl § 60a Abs 2 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet - Aufenthaltsgesetz
Ihre Anträge auf Asyl lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (als Rechtsvorgänger des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge
Seit Oktober 2004 erhielten die Kläger und ihre Söhne Leistungen nach dem AsylbLG. Unter anderem für die Zeit ab dem 1.1.2006 bewilligte die Samtgemeinde D. nur eingeschränkte Leistungen nach § 1a Nr 2 AsylbLG in der bis zum 28.2.2015 geltenden Fassung (im Folgenden: alte Fassung
Das Sozialgericht (SG) Hildesheim hat den Beklagten auf die auf höhere Leistungen für die Zeit von September 2006 bis Oktober 2008 gerichteten Klagen verurteilt, an den Kläger 1357,26 Euro (Bekleidungspauschale sowie ab 13.11.2006 - Zeitpunkt des Antrags nach § 60 Abs 7 AufenthG - Barbetrag) und an die Klägerin 398,84 Euro (Bekleidungspauschale) zu zahlen und die Klagen der Klägerin und der Kinder wegen der Absenkung der Leistungen um den Barbetrag abgewiesen (Urteil vom 23.10.2012). Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen hat auf die Berufung des Beklagten das Urteil des SG geändert, die Verurteilung zu weiteren Leistungen an den Kläger teilweise - soweit sie auf die Zeit der Inhaftierung entfiel - aufgehoben und die Berufung im Übrigen zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ua ausgeführt, die Nichtvollziehbarkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen beruhe nicht auf (allein) vom Kläger zu vertretenden Gründen. Es fehle an der für § 1a Nr 2 AsylbLG aF erforderlichen konkreten Kausalität, weil der Kläger zur Überzeugung des Gerichts ohnehin wegen seines Gesundheitszustands nicht habe ausreisen können. Dieser Schutz bestehe wegen Art 6 Abs 1 Grundgesetz (GG) auch zugunsten der Klägerin. Dabei sei nicht der Zeitpunkt entscheidend, zu dem das Abschiebungsverbot nach § 60 Abs 7 AufenthG behördlich oder durch das VG anerkannt worden sei, weil eine Tatbestandswirkung aufenthaltsrechtlicher Entscheidung nur wegen der aufenthaltsrechtlichen Tatbestände bestehe, an die die Leistungsberechtigung nach § 1 AsylbLG geknüpft sei.
Der Beklagte rügt mit seiner Revision eine Verletzung von § 1a AsylbLG aF. Zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse iS des § 60 Abs 7 AufenthG seien von den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit nicht zu überprüfen. Diese Kompetenz stehe vielmehr ausschließlich den Ausländerbehörden und den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit zu. Deren bestandskräftigen Entscheidungen komme Bindungswirkung zu. Der Barbetrag und die Bekleidungspauschale gehörten auch nicht zu dem unabweisbar Gebotenen.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 8. Dezember 2016 und das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 23. Oktober 2012 zu ändern und die Klagen insgesamt abzuweisen.
Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Sie sind der Auffassung, dass die Revisionseinlegung nicht rechtzeitig erfolgt sei, und halten die Entscheidung des LSG in der Sache für zutreffend.
Die Revision des Beklagten ist zulässig. Sie ist mit dem (im Übrigen formgerechten) Schriftsatz am 6.11.2017 (einem Montag) insbesondere fristgerecht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Revision durch den Senat (vom 21.9.2017) eingelegt worden (vgl § 164 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz
Bei Zustellung gegen Empfangsbekenntnis an Behörden nach § 63 Abs 2 Satz 1 SGG iVm § 174 ZPO ist die Zustellung nicht bereits mit dem Zugang des Schriftstücks in der Behörde bewirkt (vgl nur BSG vom 10.11.1993 - 11 RAr 47/93 - juris 21 mwN; insoweit in BSGE 73, 195 = SozR 3-4100 § 249e Nr 3 nicht abgedruckt). Erforderlich ist vielmehr, dass der hierfür zuständige Bedienstete der Behörde von dem Zugang des Schriftstücks Kenntnis erhält und den Empfang bestätigt (Bundesverwaltungsgericht
Zuständig für die Entgegennahme des Beschlusses nach § 160a SGG und die Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses war nach den vom Beklagten im Einzelnen aufgezeigten organisatorischen Entscheidungen die Verwaltungsangestellte W.. Das von ihr unterzeichnete Empfangsbekenntnis, das auf den 29.9.2017 datiert ist, erbringt als öffentliche Urkunde iS von § 418 ZPO vollen Beweis nicht nur für die Entgegennahme des darin bezeichneten Schriftstücks als zugestellt, sondern auch dafür, dass der genannte Zustellungszeitpunkt der Wirklichkeit entspricht. Die Richtigkeit des aus dem Empfangsbekenntnis ersichtlichen Zustellungsdatums ist hier aber widerlegt. Die Verwaltungsangestellte W. war am 29.9.2017 nicht im Büro anwesend; vielmehr ist nachgewiesen, dass sie am 29.9. (Freitag) und am 2.10.2017 (Montag) Erholungsurlaub in Anspruch genommen hat und für diese beiden Tage ihre Vertretung nicht geregelt war. Unerheblich ist damit, dass sie nach Rückkehr an ihren Arbeitsplatz am 4.10.2017 bei Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses unzutreffend davon ausgegangen ist, das Datum des Posteingangs am 29.9.2017 sei maßgeblich für den Empfang gewesen. Die Verzögerung von lediglich zwei Arbeitstagen zwischen Eingang und Empfang durch die zuständige Person ist schließlich nicht als verschuldet anzusehen; an sog Brückentagen (wie hier am Freitag und am Montag vor einem Feiertag am Dienstag) ist eine Behörde jedenfalls nicht verpflichtet entsprechende Vorkehrungen für die Zustellung zu treffen.
Die Revision des Beklagten ist aber unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Im Ergebnis zutreffend haben die Vorinstanzen unter Aufhebung der streitbefangenen Bescheide (dazu gleich) entschieden, dass den Klägern in den noch streitigen Zeiträumen höhere Leistungen zustanden, als sie der Beklagte bewilligt hat.
Gegenstand des Rechtsstreits sind (noch) die Bescheide des Beklagten vom 10.8.2006, vom 16.10.2006, vom 29.1.2007, vom 27.2.2007 und vom 19.3.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.3.2007 (§ 95 SGG). Den Streitgegenstand haben die Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem SG zunächst auf höhere Leistungen für die Zeit vom 1.9.2006 bis 31.10.2008 begrenzt; im Revisionsverfahren ist durch den Abschluss eines sog Unterwerfungsvergleichs eine weitergehende Einschränkung auf die Zeit bis zum 31.12.2007 erfolgt. Über die Rechtmäßigkeit der im laufenden Klageverfahren ergangenen Bescheide vom 29.1.2008 und vom 1.7.2008, die ausschließlich Leistungszeiträume ab dem 1.1.2008 regeln, ist damit eine Entscheidung im Revisionsverfahren nicht zu treffen, unabhängig davon, ob sie ursprünglich Gegenstand des Verfahrens (vgl § 96 Abs 1 SGG) geworden waren. Damit erfasst der Streitgegenstand höhere Leistungen des Klägers für die Zeit vom 1.9.2006 bis zum 18.3.2007 der Höhe nach begrenzt auf insgesamt 264,33 Euro (Bekleidungspauschale für den gesamten Zeitraum und für die Zeit ab dem 13.11.2006 zudem den Barbetrag) und für die Zeit vom 4.12.2007 bis zum 31.12.2007 der Höhe nach begrenzt auf 52,49 Euro (anteilige Bekleidungspauschale und anteiliger Barbetrag) sowie Ansprüche der Klägerin für den Zeitraum vom 1.9.2006 bis zum 31.12.2007 der Höhe nach begrenzt auf 245,44 Euro (Bekleidungspauschale für den gesamten Zeitraum). Nachdem nur der Beklagte gegen das Urteil des SG Berufung eingelegt hat, sind Ansprüche der Kinder nicht mehr streitbefangen und Ansprüche des Klägers und der Klägerin der Höhe nach auf die vom SG zugesprochenen Geldbeträge beschränkt. Da die Berufung wegen Leistungen für die Zeit der Inhaftierung des Klägers Erfolg hatte und das LSG (klarstellend) zur Zahlung von Leistungen an den Kläger nur für die übrigen Zeiträume verurteilt hat, sind schließlich dessen Ansprüche im Revisionsverfahren auf diese Zeiträume und die entsprechenden Geldbeträge beschränkt; denn er hat sich gegen das Urteil des LSG nicht mit einer Revision gewandt.
Die als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklagen (§ 54 Abs 1 und 4, § 56 SGG) erhobenen Klagen sind zulässig. Ihr Klageziel, höhere Leistungen zu erlangen als mit Bescheid vom 15.12.2005 zeitlich unbefristet bewilligt (das auch die Klägerin ursprünglich verfolgt hat), war nicht allein mit der Anfechtung der ab dem 10.8.2006 ergangenen Bescheide zu erreichen. Da mit diesen Bescheiden eine eigenständige und vollständige Überprüfung der Höhe der Leistungen für die Zeit ab 1.9.2006 vorgenommen worden ist (die sich an § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz -
Die Bescheide des Beklagten sind, soweit sie noch streitbefangen sind, rechtswidrig und verletzen die Kläger in ihren Rechten. Die Kläger haben gegen den Beklagten als sachlich und örtlich zuständigen Leistungsträger zunächst einen Anspruch auf Leistungen in der mit Bescheid vom 15.12.2005 festgesetzten Höhe. Der Beklagte war mangels Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse nicht auf Grundlage von § 48 SGB X berechtigt, zu Lasten der Kläger eine (weitere) Minderung der Leistungen um den in den ausgegebenen Wertgutscheinen enthaltenen Betrag für Kleidung ab dem 1.9.2006 (in Höhe von 15,34 Euro monatlich) zu verfügen. Für die Zeit ab dem 13.11.2006 (Wiederaufnahmeantrag des Klägers beim BAMF, gestützt auf die Hepatitis C-Erkrankung) hat der Kläger aufgrund einer zu seinen Gunsten eingetretenen Änderung der Verhältnisse darüber hinaus einen Anspruch auf höhere (ungeminderte) Leistungen nach dem AsylbLG. Die Klägerin selbst kann keine weiteren Leistungen (ggf in Höhe des Barbetrags bzw - während der Inhaftierung ihres Ehemanns - auf Grundleistungen als Haushaltsvorstand) beanspruchen. Sie hat gegen das Urteil des SG kein Rechtsmittel eingelegt.
Die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide misst sich ausschließlich an § 48 Abs 1 SGB X. Nach § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Er soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse ua aufgehoben werden, soweit die Voraussetzungen des Abs 1 Satz 2 vorliegen.
Die Samtgemeinde D. hatte vor Erlass der streitgegenständlichen Bescheide bereits mit Bescheid vom 15.12.2005 ab dem 1.1.2006 die auf das im Einzelfall unabweisbar Gebotene abgesenkten Leistungen auf Grundlage von § 1a Nr 2 AsylbLG aF (hier in der Fassung, die die Norm mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung des AsylbLG vom 25.8.1998
An einer von § 48 SGB X vorausgesetzten Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen zu Lasten der Kläger, die dem bindend gewordenen Bescheid der Samtgemeinde D. vom 15.12.2005 über die Bewilligung von (nur um den Barbetrag abgesenkten) Leistungen zugrunde lagen, fehlt es aber. Der Beklagte durfte das unabweisbar Gebotene nicht neu bestimmen und die Leistungen nach dem AsylbLG zusätzlich in Höhe der Bekleidungspauschale mindern. Es kann deshalb offenbleiben, ob der Beklagte für die teilweise Aufhebung der Entscheidung der mit der Satzung vom 7.7.1994 zur Durchführung des AsylbLG herangezogenen Samtgemeinde D. sachlich überhaupt zuständig war, weil die "Satzung über die Heranziehung der Städte, Gemeinden und Samtgemeinden (einschließlich Stadt H.) zur Durchführung des Asylbewerberleistungsgesetzes" vom 7.7.1994 erst mit Satzung vom 24.11.2008 mit Wirkung vom 1.1.2009 aufgehoben worden ist (§§ 1 und 2 Satzung über die Aufhebung der Satzung zur Heranziehung der Städte, Gemeinden und Samtgemeinden
Der von dem Beklagten in den angefochtenen Entscheidungen und bei der Anhörung angeführte Grund eines fortgesetzt rechtsmissbräuchlichen Verhaltens stellt keine Änderung iS von § 48 SGB X dar. Die Bestimmung von Inhalt und Umfang des zur Existenzsicherung "unabweisbar Gebotenen" erfolgt anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls allein bedarfsorientiert (vgl bereits BSG vom 12.5.2017 - B 7 AY 1/16 R - BSGE 123, 157 = SozR 4-3520 § 1a Nr 2, RdNr 21). Die Bedarfe bestehen dabei unabhängig von der Art und der Dauer des fortgesetzt rechtsmissbräuchlichen Verhaltens. Nur die Änderung der Bedarfslage ist bezogen auf die Höhe der Leistungen relevant; dagegen ändert sich das "unabweisbar Gebotene" nicht schon dadurch, dass die Kläger ihre Abschiebung fortgesetzt über Jahre verhindert haben. Veränderungen auf der Bedarfsseite zu Lasten der Kläger gegenüber der bestandskräftigen Bewilligung vom 15.12.2005 sind indes nicht ersichtlich und vom Beklagten nicht einmal behauptet worden. Damit haben die Kläger weiterhin Anspruch auf Leistungen in der mit Bescheid vom 15.12.2005 festgesetzten Höhe.
Für den Kläger besteht vom 13.11.2006 bis zum 18.3.2007 und (nach seiner Entlassung aus der Haft) ab dem 5.12.2007 zudem Anspruch auf einen höheren als den im Bescheid vom 15.12.2005 festgesetzten Betrag, wie die Vorinstanzen im Ergebnis zutreffend entschieden haben. Seine Ansprüche waren ab Stellung des erneuten Antrags auf Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs 7 AufenthG am 13.11.2006 nicht auf Grundlage von § 1a Nr 2 AsylbLG aF (in der Fassung, die die Norm mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung des AsylbLG vom 25.8.1998
Das SG hat insoweit zu Recht den Beklagten und nicht die Samtgemeinde D. zur Erbringung von höheren Leistungen verurteilt. Die sachliche Zuständigkeit des beklagten Landkreises ergibt sich aus § 10 Satz 1 AsylbLG iVm § 2 Abs 1 des Gesetzes zur Aufnahme von ausländischen Flüchtlingen und zur Durchführung des AsylbLG (Aufnahmegesetz
Dem Kläger standen - wovon auch das SG im Ergebnis ausgegangen ist - ab 13.11.2006 Leistungen auf Grundlage von § 3 Abs 2 Satz 1 und Satz 2 Nr 1 und 3 AsylbLG aF in voller Höhe zu. Er war als Inhaber einer Duldung nach § 60a Abs 2 AufenthG leistungsberechtigt nach § 1 Abs 1 Nr 4 AsylbLG (insoweit unverändert in der Fassung des Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern
Nach § 1a Nr 2 AsylbLG aF erhalten ua Leistungsberechtigte nach § 1 Abs 1 Nr 4 AsylbLG, also Personen mit einer Duldung, bei denen aus von ihnen zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können, Leistungen nach diesem Gesetz nur, soweit dies im Einzelfall nach den Umständen unabweisbar geboten ist. Die Anwendung dieser Norm scheidet - anders als das SG meint - für den streitigen Zeitraum nicht schon deshalb aus, weil sich die klägerische Leistungsberechtigung ab Stellung des erneuten Antrags beim BAMF am 13.11.2006 aus § 1 Abs 1 Nr 7 AsylbLG ergeben hätte. Nach Wortlaut und Sinn und Zweck des § 1 Abs 1 Nr 7 AsylbLG folgt nur aus Folgeanträgen iS des § 71 Abs 1 iVm § 13 AsylG eine gegenüber § 1 Abs 1 Nr 4 und 5 AsylbLG eigenständige Anspruchsberechtigung; denn die mit der Einfügung von § 1 Abs 1 Nr 7 AsylbLG durch das Zuwanderungsgesetz bezweckte Gleichstellung mit Asylerstantragstellern (dazu BT-Drucks 15/420, 120) setzt eine (erneute) Prüfung von Asylgründen durch das BAMF voraus. Damit muss es sich bei den in § 1 Abs 1 Nr 7 AsylbLG in Bezug genommenen Anträgen um solche handeln, die sich inhaltlich auf die in §§ 3 und 4 AsylG aufgeführten verfassungs- bzw unionsrechtlichen Schutzkonzepte beziehen. Der Kläger hat am 13.11.2006 aber lediglich einen isolierten Antrag auf Wiederaufgreifen der Entscheidung über ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs 7 AufenthG iVm § 51 Abs 1 Nr 1 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) gestellt. Ein solcher Antrag (sog Folgeschutzantrag; vgl nur Verwaltungsgerichtshof
Auf Grundlage der Feststellungen des LSG lag wegen der Verletzung der Mitwirkungspflichten bei der Beschaffung eines Passes oder Passersatzes ein vom Kläger zu vertretendes Verhalten iS des § 1a Nr 2 AsylbLG aF vor, aufgrund dessen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden konnten (im Einzelnen BSG vom 12.5.2017 - B 7 AY 1/16 R - BSGE 123, 157 = SozR 4-3520 § 1a Nr 2, RdNr 15). Dieses Verhalten war bis zum 13.11.2006 auch allein kausal für den Nichtvollzug der Abschiebung (zur erforderlichen Kausalität zwischen vorwerfbarem Verhalten und dem Nichtvollzug der Abschiebung bereits BSG vom 12.5.2017 - B 7 AY 1/16 R - BSGE 123, 157 = SozR 4-3520 § 1a Nr 2, RdNr 18 und BSG vom 30.10.2013 - B 7 AY 2/12 R - BSGE 114, 302 = SozR 4-3520 § 1a Nr 1, RdNr 25). Dabei waren der Beklagte und die Sozialgerichte an einer eigenständigen Prüfung eines etwaigen Abschiebungshindernisses wegen der Erkrankung des Klägers als weitere Ursache für den Nichtvollzug der Abschiebung gehindert, weil die Entscheidung des BAMF vom 7.3.2005 und das Urteil des VG Osnabrück vom 12.9.2005 dem im streitigen Zeitraum entgegenstanden.
Die Frage nach einem Fehlverhalten des Leistungsberechtigten als (alleinige) Ursache für die Nichtvollziehbarkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen ist (entgegen der Auffassung des LSG) mit bereits vorliegenden ausländerrechtlichen Entscheidungen zwingend verknüpft, soweit deren "Tatbestandswirkung" reicht. Die Tatbestandswirkung in dem so verstandenen Sinne - oder auch die "Beachtlichkeit" eines Verwaltungsakts (vgl Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl 2014, § 43 RdNr 140 und 154 mwN; zu den verschiedenen Begrifflichkeiten auch Kopp/Ramsauer, VwVfG, 14. Aufl 2013, § 43 RdNr 17) - hat zum Inhalt, dass die durch den Verwaltungsakt für einen bestimmten Rechtsbereich getroffene Regelung als gegeben hingenommen werden muss, mithin dass der Bescheid mit dem von ihm in Anspruch genommenen Inhalt von allen rechtsanwendenden Stellen zu beachten und eigenen Entscheidungen zugrunde zu legen ist (stRspr; vgl etwa BVerwG vom 10.10.2006 - 8 C 23/05 - Buchholz 428 § 1 Abs 2 VermG Nr 35 = juris RdNr 22 mwN). Wenn wegen eines bestimmten Sachverhalts (hier der Krankheit des Klägers und deren Behandelbarkeit in Aserbaidschan) durch das BAMF eine negative Feststellung bezogen auf ein daraus resultierendes Abschiebungshindernis getroffen worden ist, die im Verhältnis zu den für den Vollzug der Ausreise zuständigen Behörden bindend ist (vgl § 42 Satz 1 AsylG), darf dies bei Prüfung der Kausalität im Rahmen des § 1a AsylbLG aF nicht unbeachtet bleiben. Soweit sich der Leistungsempfänger auf die Gefahr für Leib und Leben im Falle seiner Abschiebung in den Zielstaat beruft, ist bei der Prüfung der Kausalität nämlich mitentscheidend, ob ein solches (behauptetes) Abschiebungshindernis im Verhältnis zu den Behörden, denen die Durchführung der Abschiebung obliegt, tatsächlich durchgreifen kann. So liegt der Fall hier. Das BAMF (Bescheid vom 7.3.2005) und ihm folgend das VG Osnabrück (Urteil vom 12.9.2005) haben das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses wegen der Hepatitis C-Erkrankung rechtskräftig verneint. Die Bestandskraft der vorangegangenen Entscheidung des BAMF über das Nichtvorliegen eines Abschiebungshindernisses wegen dieser Erkrankung war mit Stellung des Folgeschutzantrags am 13.11.2006 (noch) nicht beseitigt und deshalb vom Beklagten bei seiner Entscheidung nach § 1a AsylbLG zu beachten.
Die Verletzung der Mitwirkungspflichten bei der Beschaffung eines Passes oder Passersatzes war seit Stellung des Folgeschutzantrags aber nicht mehr kausal für die Nichtdurchführung aufenthaltsbeendender Maßnahmen. Im Anwendungsbereich des § 1a Nr 2 AsylbLG aF ist das Erfordernis der Kausalität nur erfüllt, wenn keine außerhalb des Verantwortungsbereichs des Leistungsberechtigten liegenden Sachverhalte mitursächlich für den Nichtvollzug der Abschiebung sind (vgl Oppermann in jurisPK-SGB XII, § 1a AsylbLG RdNr 68, Stand 11.2.2019). Nur in den Fällen eines Fehlverhaltens des Leistungsberechtigten, das monokausal für seine Nichtabschiebung ist, ist die Gewährung von auf das unabweisbar Gebotene beschränkter Leistungen verfassungsgemäß und verstößt die damit verbundene Einschränkung im Einzelfall insbesondere nicht gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip (dazu bereits BSG vom 12.5.2017 - B 7 AY 1/16 R - BSGE 123, 157 = SozR 4-3520 § 1a Nr 2, RdNr 37). Hier hat die Ausländerbehörde des Beklagten in Ansehung des erneuten Folgeschutzantrags Abschiebungsmaßnahmen aber faktisch ausgesetzt. Dies lässt die Kausalität des Verhaltens des Klägers für die Nichtdurchführung aufenthaltsbeendender Maßnahmen unabhängig vom Ausgang des anschließenden verwaltungsgerichtlichen Verfahrens über den Folgeschutzantrag entfallen.
Bei der Beurteilung der Kausalität ist die Bedeutung von (bestands- bzw rechtskräftigen) Entscheidungen der für die Durchführung des AsylG und AufenthG zuständigen Stellen von der Kompetenz des Trägers der Leistungen nach dem AsylbLG, einen bestimmten Sachverhalt im Rahmen der leistungsrechtlichen Vorschriften eigenständig zu überprüfen, zu unterscheiden. Die "Tatbestandswirkung" oder auch die "Beachtlichkeit" des Verwaltungsakts des BAMF vom 7.3.2005 erstreckt sich ausschließlich auf die Beurteilung der klägerischen Erkrankung als Abschiebungshindernis. Andere Sachverhalte, die neben das Fehlverhalten des Leistungsberechtigten als Ursache für den Nichtvollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen treten und die die notwendige Kausalität entfallen lassen, sind dagegen unabhängig von der Tatbestandswirkung bzw Beachtlichkeit des Bescheids vom 7.3.2005 von den Trägern der Leistungen nach dem AsylbLG und den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit eigenständig zu überprüfen und setzen nicht voraus, dass das BAMF oder die Gerichte (in Abkehr einer früheren bestandskräftigen Entscheidung) das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs 7 AufenthG zunächst positiv feststellen.
Der Tatbestand des § 1a AsylbLG verlangt weder zugunsten noch zulasten des Leistungsberechtigten, dass über relevante Vorfragen aus dem Asyl- und Ausländerrecht eine Entscheidung von den Asyl- oder Ausländerbehörden getroffen worden ist. Im Gegensatz zur Leistungsberechtigung, die das Gesetz auf der Tatbestandsseite ua an den Besitz bestimmter aufenthaltsrechtlicher Titel nach dem AufenthG knüpft (dazu BSG vom 2.12.2014 - B 14 AS 8/13 R - BSGE 117, 297 = SozR 4-4200 § 7 Nr 41), ist bei der Frage nach der Kausalität im Tatbestand des § 1a AsylbLG aF ein Verwaltungsakt der zuständigen Behörde über das Bestehen eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs 7 AufenthG deshalb nicht Voraussetzung (Tatbestandsmerkmal) für das Absehen von einer Beschränkung von Ansprüchen. Die Frage nach der alleinigen Kausalität eines Fehlverhaltens kann und muss von den Trägern des AsylbLG und den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit also auch dann beantwortet werden, wenn Entscheidungen der für die Durchführung des AsylG und des AufenthG zuständigen Behörden in Würdigung eines bestimmten (ggf hinzugetretenen) Sachverhalts (noch) nicht vorliegen.
Ein Sachverhalt, bei dem die (zunächst bestehende) Kausalität des missbilligten Verhaltens des Leistungsberechtigten für die Nichtvollziehbarkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen entfällt, liegt hier vor; denn nach den vom LSG geschilderten Gesamtumständen hat die Ausländerbehörde nach Stellung des Folgeschutzantrags an der Durchführung aufenthaltsbeendender Maßnahmen für die Dauer des Verfahrens nicht mehr festgehalten. Hierzu war sie zwar nicht auf Grundlage eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens vom VG verpflichtet worden. Auch bei faktischer Aussetzung der Abschiebung - etwa weil ein Bescheid über das Nichtbestehen eines zielstaatsbezogenen Hindernisses angefochten ist oder auch während der Verbüßung einer Strafhaft im Inland - kommt es für die Kausalität iS des § 1a AsylbLG aF auf die Tatbestandswirkung eines negativen Bescheids über ein Abschiebungshindernis nicht mehr entscheidend an. Das Ziel der Absenkung von Leistungen auf Grundlage von § 1a Nr 2 AsylbLG aF beschränkt sich auf die rechtsmissbräuchliche Inanspruchnahme von Leistungen im Einzelfall; dem Gesetz ist dagegen nicht die Wertung zu entnehmen, für die gesamte Personengruppe der "nur" geduldeten Ausländer komme per se nur eine abgesenkte Leistung in Betracht (vgl BSG vom 12.5.2017 - B 7 AY 1/16 R - BSGE 123, 157 = SozR 4-3520 § 1a Nr 2, RdNr 32 f). Deshalb setzt die Absenkung wegen Verletzung der Mitwirkungspflichten bei der Beschaffung eines Passes oder Passersatzes ein ernsthaftes Bestreben der Ausländerbehörde voraus, den Leistungsberechtigten in sein Heimatland zurückzuführen (vgl zu § 1a Abs 3 Satz 1 AsylbLG nF Oppermann, aaO, § 1a AsylbLG RdNr 76). Gibt die Ausländerbehörde aber ihrerseits im Einzelfall zu erkennen, dass sie trotz vollziehbarer Ausreisepflicht in Erwartung einer (erneuten) gerichtlichen Klärung von Abschiebungshindernissen auf solche Maßnahmen verzichtet, fehlt es an der notwendigen Kausalität für die Leistungsabsenkung.
Meta
27.02.2019
Urteil
Sachgebiet: AY
vorgehend SG Hildesheim, 23. Oktober 2012, Az: S 42 AY 48/07, Urteil
§ 164 Abs 1 S 1 SGG, § 63 Abs 2 S 1 SGG, § 174 Abs 1 S 1 ZPO, § 174 Abs 4 S 1 ZPO, § 418 ZPO, § 48 Abs 1 S 1 SGB 10, § 48 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB 10, § 1 Abs 1 Nr 4 AsylbLG, § 1 Abs 1 Nr 7 AsylbLG, § 1a Nr 2 AsylbLG vom 25.08.1998, § 60 Abs 7 AufenthG 2004
Zitiervorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 27.02.2019, Az. B 7 AY 1/17 R (REWIS RS 2019, 9858)
Papierfundstellen: REWIS RS 2019, 9858
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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.
Ablehnung von Analogleistung wegen Missbrauchs
B 7 AY 1/16 R (Bundessozialgericht)
(Asylbewerberleistung - Grundleistung - Anspruchseinschränkung nach § 1a Nr 2 AsylbLG aF - Nichtvollziehbarkeit aufenthaltsbeendender …
B 7 AY 4/20 R (Bundessozialgericht)
Asylbewerberleistungen - Analogleistungen - rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Aufenthaltsdauer - offenes Kirchenasyl
B 7 AY 7/12 R (Bundessozialgericht)
(Asylbewerberleistung - Anspruchseinschränkung nach § 1a Nr 2 AsylbLG - Verschulden an der Nichtvollziehbarkeit aufenthaltsbeendender …
L 8 AY 27/22 B ER (LSG München)
Anspruchseinschränkung, Asylbewerberleistungen, Duldung für Personen mit ungeklärter Identität, Fehlende Mitwirkung bei der Passbeschaffung, fortgesetzte Anspruchseinschränkung, …