Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.09.2005, Az. XII ZR 312/02

XII. Zivilsenat | REWIS RS 2005, 1744

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[X.]IM NAMEN DES VOLKES [X.] [X.]/02 Verkündet am: 21. September 2005 Küpferle, Justizamtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk: ja [X.]: ja [X.]R: ja

BGB §§ 566 a.F., 305 b, 307 Bb, [X.]; [X.] §§ 4, 9 Bb, [X.] Nachträgliche mündliche [X.] haben auch vor Schriftform-klauseln in [X.] über langfristige [X.] Vorrang. [X.], Versäumnisurteil vom 21. September 2005 - [X.]/02 - [X.]

- 2 - Der [X.]. Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 21. September 2005 durch [X.], [X.], [X.], Dr. Ahlt und Dose für Recht erkannt: Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 3. Zivilsenats des [X.] vom 2. Dezember 2002 insoweit
aufgehoben, als darin - über den durch Anerkenntnisteilurteil vom 3. August 2001 ausgeurteilten Betrag hinaus - zum Nachteil des Beklagten entschieden worden ist. Der Rechtsstreit wird im Umfang der Aufhebung zur erneuten [X.] und Entscheidung - auch über die Kosten des [X.] - an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Von Rechts wegen

Tatbestand: Der Kläger macht rückständige Miete geltend. Er vermietete mit schriftlichem Vertrag vom 7. Oktober 1999 Geschäfts-räume zu einem monatlichen Mietzins von 2.900 DM zuzüglich [X.] an den Beklagten. § 21 Nr. 4 Satz 1 des [X.] lautet: - 3 - "Nachträgliche Änderungen und Ergänzungen dieses Vertrages gelten nur bei schriftlicher Vereinbarung." In den Jahren 2000 und 2001 zahlte der Beklagte lediglich eine [X.] Miete mit der Begründung, die Parteien hätten sich nachträglich auf eine mo-natliche Miete von 2.000 DM netto geeinigt. Das [X.] hat den Beklagten zur Zahlung der aufgelaufenen Rückstände in Höhe von 14.040 DM nebst Zinsen verurteilt. Die Berufung des Beklagten ist mit Ausnahme eines geringfügigen Zinsbetrages ohne Erfolg ge-blieben. Dagegen wendet sich der Beklagte mit der vom [X.] zu-gelassenen Revision.

Entscheidungsgründe: Gegen den im Verhandlungstermin nicht erschienenen Kläger ist durch Versäumnisurteil zu entscheiden. Dieses beruht jedoch inhaltlich nicht auf der Säumnis; es berücksichtigt den gesamten Sach- und Streitstand (vgl. [X.] 37, 79, 81 ff.). Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Ur-teils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. 1. Das [X.], dessen Entscheidung in [X.] 2003, 78 veröffentlicht ist, hat ausgeführt, die vom Beklagten behauptete einvernehm-liche Senkung der monatlichen Miete sei unwirksam, weil die Parteien hierbei die in § 21 Nr. 4 Satz 1 des [X.] vereinbarte Schriftform nicht beachtet hätten. Diese gewillkürte Schriftform habe nicht lediglich Beweisfunktion, [X.] 4 - dern sei [X.] für die Änderung des [X.]. Der Wortlaut "gelten nur bei schriftlicher Vereinbarung" sei eindeutig und lasse [X.] andere Auslegung zu. Die im Mietvertrag der Parteien enthaltene vorformulierte Schriftform-klausel sei nicht unwirksam im Sinne des § 9 [X.] (nunmehr: § 307 BGB). [X.] seien nicht generell unangemessen, ihre Wirksamkeit hän-ge vielmehr von der Ausgestaltung und dem Anwendungsbereich der konkreten Klausel ab. [X.] könne die Klausel sein, wenn sie dazu diene, nach Vertragsschluss getroffene individualvertragliche Vereinbarungen zu unterlau-fen, indem sie bei dem anderen Vertragsteil den Eindruck erwecke, eine münd-liche Abrede sei entgegen den allgemeinen Grundsätzen unwirksam. Auch könne die Schriftformklausel nicht den Vorrang der [X.] abdin-gen; demgemäß könnten die Vertragsparteien sie dadurch außer [X.] setzen, dass sie deutlich den Willen zum Ausdruck brächten, ihre mündliche Abma-chung solle ungeachtet der Schriftformklausel gelten. Unter Beachtung dieses Grundsatzes sei bei der langfristigen Vermie-tung gewerblich genutzter Immobilien, die in den Anwendungsbereich des § 566 BGB a.F. (§ 550 BGB) falle, eine Schriftformklausel wirksam und benachteilige den Vertragspartner des Verwenders nicht unangemessen. Von dem gesetzlichen Leitbild entferne sie sich nicht wesentlich, denn § 566 Satz 1 BGB a.F. schreibe ohnehin die Schriftform bei Vertragsänderungen und -ergän-zungen vor. Nur hinsichtlich der Folgen des Formverstoßes unterschieden sich die gesetzliche und die in einem vorformulierten Mietvertrag ausbedungene Schriftform. Wegen der erheblichen wirtschaftlichen Tragweite einer langfristi-gen Immobilienvermietung sei der Schutz vor einer übereilten, nicht hinreichend bedachten Vertragsänderung, etwa einer Erhöhung oder Herabsetzung der Miete, in die Überlegung, inwieweit die Schriftformklausel den Gegner des [X.] benachteilige, einzubeziehen. Auch bei einem Gewerberaummietver-trag sei nicht ersichtlich, dass die Schriftformklausel einseitig die Interessen des Verwenders bezwecke. Wegen der langen Dauer gewerblicher Mietverträge, auch wegen des nicht seltenen Wechsels einer Partei, sei schließlich das Be-dürfnis beider Seiten anzuerkennen, als Vertragsinhalt nur gelten zu lassen, was schriftlich dokumentiert sei. Überschnitten sich die gesetzlich vorgeschriebene und die in einem Ver-tragsvordruck für eine Vertragsänderung ausbedungene Schriftform, so könne nicht unterstellt werden, dass die Vertragsparteien gleichwohl die Wirksamkeit des mündlich Vereinbarten wollten und die in dem Vertrag enthaltene [X.] als überholt betrachteten. Den Verlust der beiderseits gewollten langfristigen Bindung, der regelmäßig den Interessen zumindest einer Partei, wenn nicht gar beider Parteien widerspreche, wolle keine Partei in Kauf [X.], zumal sie im Zeitpunkt der Vertragsänderung nicht abschätzen könne, wem die ordentliche Kündbarkeit des Mietverhältnisses nützen oder schaden werde. Letztlich sprächen gewichtige Argumente für die Wirksamkeit der Schriftformklausel, die beide Parteien vor der ungewollten Folge eines Form-verstoßes bei einer mündlichen Vertragsänderung schütze. 2. Die Entscheidung des Berufungsgerichts hält einer rechtlichen Nach-prüfung nicht stand. Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass die Klausel, wo-nach Änderungen und Ergänzungen der Schriftform bedürfen, von dem Grund-satz abweicht, dass [X.] vorgehen und die Klausel [X.] gegen das gesetzliche Leitbild verstößt. Diese Frage ist in der Rechtspre-chung des [X.] geklärt ([X.], Urteil vom 15. Februar 1995 - [X.] - NJW 1995, 1488, 1489). Ob in den Fällen der gesetzlichen - 6 - Schriftform (§ 566 BGB a.F., § 550 BGB) etwas anderes zu gelten hat, wie das Berufungsgericht meint, ist höchstrichterlich bisher nicht entschieden. Das [X.] kann sich für seine Auffassung auf [X.]/[X.]/[X.], Handbuch des gewerblichen Miet-, Pacht- und Leasingrechts 9. Aufl. [X.]. 142; [X.]/[X.] Gewerbliches Miet- und Pachtrecht 5. Aufl. [X.]. 80; [X.]/[X.] BGB 11. Aufl. § 305 b [X.]. 11 (einschränkend [X.] Mietrecht 2. Aufl. [X.]. 48) und eine Entscheidung des [X.] ([X.], 1241) stützen (ande-rer Ansicht Schmidt-Futterer/[X.] Mietrecht 8. Aufl. § 550 [X.]. 68; [X.]Tonner § 550 [X.]. 17; Bub in Bub/[X.], Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 3. Aufl. [X.] II 564 und Heile daselbst [X.] II 776; [X.] Mietrecht 3. Aufl. [X.] [X.]; [X.] in [X.], Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, [X.] [X.]. 23). a) Die Frage bedarf hier keiner Klärung, weil sie für die Entscheidung des Falles nicht erheblich ist. Ist die Klausel unwirksam, dann konnten die Parteien ohne weiteres nach Abschluss des [X.] durch mündliche Absprache den schriftlichen Mietvertrag ändern. Aber auch dann, wenn die Klausel als wirksam angesehen wird, waren die Parteien nicht gehindert, nach Abschluss des [X.] die Klausel zu ändern. Der Vorrang der [X.] (§ 4 [X.] = § 305 b BGB) greift auch gegenüber einer nach [X.] angemes-senen Schriftformklausel ([X.] in [X.]/[X.]/Hensen [X.] 9. Aufl. § 4 [X.]. 33; [X.] in [X.]/[X.] [X.] 4. Aufl. § 4 [X.]. 33). Im Ausgangspunkt richtig geht auch das Berufungsgericht vom Vorrang einer Individualvereinbarung (§ 4 [X.], nunmehr § 305 b BGB) aus. Soweit es aber meint, es könne nicht unterstellt werden, dass die Vertragsparteien - wenn sie die Schriftform für Vertragsänderungen vereinbart haben, um die beidersei-tige langfristige Bindung nicht zu gefährden - gleichwohl die Wirksamkeit des mündlich Vereinbarten wollen und die [X.] als überholt betrach-- 7 - ten, so kann ihm nicht gefolgt werden. Vereinbaren die Parteien nach dem [X.] eines Formularvertrages eine Änderung mittels [X.], so hat diese Änderung Vorrang vor kollidierenden Allgemeinen Geschäftsbedin-gungen. Es kommt nicht darauf an, ob die Parteien eine Änderung der [X.] beabsichtigt haben oder sich der Kollision mit den Allgemeinen Geschäftsbedingungen bewusst geworden sind ([X.], Beschluß vom 20. Oktober 1994 - [X.]/94 - NJW-RR 1995, 179, 180; vgl. auch [X.] 71, 162, 164). Ebenso wenig stellt § 4 [X.] darauf ab, ob die In-dividualvereinbarung ausdrücklich oder stillschweigend getroffen worden ist ([X.], Urteil vom 6. März 1986 - [X.] - NJW 1986, 1807; Münch-Komm/[X.] BGB 4. Aufl. § 4 [X.] [X.]. 5). Den Vorrang gegenüber [X.] Geschäftsbedingungen haben individuelle Vertragsabreden ohne Rücksicht auf die Form, in der sie getroffen worden sind, somit auch dann, wenn sie auf mündlichen Erklärungen beruhen. Das gilt auch dann, wenn durch eine [X.] bestimmt wird, dass mündliche Abreden unwirk-sam sind ([X.], Beschluß vom 20. Oktober 1994 aaO; MünchKomm/[X.] aaO § 4 [X.] [X.]. 11). Der Vorrang der Individualvereinbarung muß auch dann gewahrt bleiben, wenn man mit dem Berufungsgericht ein Interesse des Verwenders anerkennt, einem langfristigen Mietvertrag nicht durch nachträgliche mündliche Abreden die Schriftform zu nehmen und deshalb eine solche Klausel ausnahmsweise als wirksam ansieht. Das gebieten Sinn und Zweck dieser Regelung. Der in § 4 [X.] niedergelegte Grundsatz besagt, dass vertragliche Vereinbarungen, die die Parteien für den Einzelfall getroffen haben, nicht durch davon abweichende Allgemeine Geschäftsbedingungen durchkreuzt, ausgehöhlt oder ganz oder teilweise zunichte gemacht werden können. Er beruht auf der Überlegung, dass Allgemeine Geschäftsbedingungen als generelle Richtlinien für eine Vielzahl von Verträgen abstrakt vorformuliert und daher von vornherein auf Ergänzung - 8 - durch die individuelle Einigung der Parteien ausgelegt sind. Sie können und sollen nur insoweit Geltung beanspruchen, als die von den Parteien getroffene Individualabrede dafür Raum lässt (MünchKomm/[X.] aaO [X.]. 1). Wollen die Parteien ernsthaft - wenn auch nur mündlich - etwas anderes, so kommt dem der Vorrang zu. Das Interesse des Klauselverwenders oder gar beider Vertragsparteien, nicht durch nachträgliche mündliche Absprachen die langfristige beiderseitige Bindung zu gefährden, muss gegenüber dem von den Parteien später überein-stimmend Gewollten zurücktreten. Es kommt auch nicht darauf an, ob die [X.] bei ihrer mündlichen Absprache an die entgegenstehende Klausel ge-dacht haben und sich bewusst über sie hinwegsetzen wollten (so aber [X.]/[X.]/[X.] aaO [X.]. 143). Ein bewusstes Abweichen von einer Schrift-formklausel hat der [X.] lediglich gefordert, wenn von einer so genannten qualifizierten Schriftformklausel, die individuell vereinbart war, ab-gewichen wurde, weil in solchen Fällen der Vorrang der Individualvereinbarung nach § 4 [X.] keine Anwendung findet, sondern die individuell vereinbarte qualifizierte Schriftformklausel erst abgeändert werden muß ([X.] 66, 378, 381 f.). Allerdings obliegt der Beweis einer solchen mündlichen Abrede demjeni-gen, der sich auf sie beruft. Er muss die Vermutung widerlegen, dass keine von den Allgemeinen Geschäftsbedingungen abweichenden Absprachen getroffen worden sind (MünchKomm/[X.] aaO § 4 [X.] [X.]. 8). b) Danach kann die Entscheidung des Berufungsgerichts keinen Bestand haben. Das [X.] ist davon ausgegangen, dass der Beklagte seine Be-hauptung, die Parteien hätten nachträglich die Miete auf 2.000 DM monatlich reduziert, nicht nachgewiesen habe. Der Beklagte hat die Beweiswürdigung mit - 9 - der Berufung angegriffen und für seine Behauptung einer nachträglichen Redu-zierung der Miete einen weiteren Zeugen angeboten. Mit seiner Auffassung, es könne nicht unterstellt werden, dass die Parteien das mündlich Vereinbarte ge-wollt haben, weil keine Partei den Verlust der langfristigen Bindung in Kauf nehmen wolle, unterstellt das Berufungsgericht seinerseits einen Parteiwillen, ohne die vom Beklagten angebotenen Beweise zu erheben und zu würdigen. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kommt es nicht darauf an, was die Parteien gewollt hätten, falls sie die rechtlichen Folgen einer mündlichen Absprache gekannt hätten, sondern was sie tatsächlich gewollt haben. Wollten die Parteien ernsthaft eine Reduzierung der Miete, dann ist diese Vereinbarung auch dann wirksam, wenn mit der Vereinbarung die langfristige Bindung verlo-ren geht. Das Berufungsgericht wird deshalb gegebenenfalls auch den angebo-tenen Zeugen vernehmen und eine Beweiswürdigung vornehmen müssen, ob die behauptete Absprache erfolgt ist. [X.] [X.] [X.] Ahlt Dose

Meta

XII ZR 312/02

21.09.2005

Bundesgerichtshof XII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.09.2005, Az. XII ZR 312/02 (REWIS RS 2005, 1744)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2005, 1744

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