Bundesgerichtshof, Urteil vom 21.03.2012, Az. 1 StR 43/12

1. Strafsenat | REWIS RS 2012, 7969

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Hauptverhandlung in Strafsachen: Einführung einer richterlichen Zeugenvernehmung eines das Zeugnis verweigernden Angehörigen durch Vorhalt


Tenor

Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des [X.] i.d.OPf. vom 6. Oktober 2011 wird verworfen.

Die Angeklagte hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das [X.] hat die Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sie sich mit ihrer Revision. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg. Die auf die allgemeine Sachrüge vorgenommene Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben. [X.] Erörterung bedarf allein die im Ergebnis nicht durchdringende Verfahrensrüge, das [X.] habe die §§ 261, 252, 52 [X.] verletzt.

2

1. Nach den landgerichtlichen Feststellungen begann die nicht berufstätige Angeklagte am 14. Februar 2011 in der gemeinsamen Wohnung einen Streit mit ihrem Ehemann [X.], einem Sergeant der [X.], weil dieser entgegen seiner Zusicherung nach der Rückkehr von seinem Dienst die Wohnung nicht gereinigt hatte. Im Verlauf der Auseinandersetzung schrie die „erheblich gereizte“ Angeklagte [X.] an und versetzte ihm eine Ohrfeige („[X.]“). Dieser versuchte erfolglos, sie durch Rütteln an ihren Schultern zu beruhigen. Stattdessen begab sich die Angeklagte in die Küche und ergriff aus dem dortigen Messerblock ein spitz zulaufendes, einseitig geschliffenes Küchenmesser mit einer Gesamtlänge von 18,5 Zentimetern und einer Klingenlänge von acht Zentimetern.

3

Nach einem kurzen Gerangel, in dessen Verlauf [X.]vergeblich versucht hatte, seiner Frau das Messer wegzunehmen, standen sich beide „von Angesicht zu Angesicht gegenüber“. In dieser Situation versetzte die Angeklagte ihrem Ehemann - ohne Tötungsvorsatz - einen wuchtigen Stich mit dem Küchenmesser in den linken Halsbereich. Der drei Zentimeter breite Einstich führte zu einem acht Zentimeter tiefen Stichkanal, womit die Angeklagte gerechnet hatte. Wäre die nur wenige Millimeter daneben verlaufende große Halsvene getroffen worden, wäre [X.]infolge des dann hohen Blutverlustes mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit noch vor dem Eintreffen des Notarztes verstorben. So musste die Wunde zwar in einer [X.] behandelt werden; der Geschädigte konnte aber noch gemeinsam mit der Angeklagten die in der Küche befindlichen Blutspuren wegwischen. Er hat vor, die Ehe fortzusetzen.

4

2. Der Verfahrensrüge, das [X.] habe gegen die §§ 261, 252, 52 [X.] verstoßen, liegt folgendes Prozessgeschehen zugrunde:

5

Der geschädigte Ehemann der Angeklagten hat in der Hauptverhandlung als Zeuge lediglich bekundet, er habe „seiner Ehefrau absolut verziehen“, und sich im Übrigen auf sein Zeugnisverweigerungsrecht berufen (§ 52 Abs. 1 Nr. 2 [X.]). Das [X.] hat daher den Ermittlungsrichter zeugenschaftlich dazu gehört, was [X.]ihm gegenüber im Rahmen der am Tag nach der Tat durchgeführten Vernehmung - als mit der Angeklagten verheirateter Zeuge ordnungsgemäß belehrt - angegeben hat. Dieser hat zwar ausgesagt, keine genaueren Erinnerungen an den ihm berichteten Geschehensablauf mehr zu haben. Neben den äußeren Umständen der Vernehmung konnte er aber noch das [X.]geschehen schildern, nämlich dass es sich um eine eheliche Auseinandersetzung gehandelt habe, in deren Verlauf die Angeklagte ein Messer geholt und ihr Ehemann ihr dies wegzunehmen versucht habe. Nach der Darstellung [X.] „seien beide gestanden, als es zu dem Stich gekommen sei“ ([X.], 26). Im Übrigen habe er nur das protokolliert, was der Zeuge ausgesagt hat. Das Protokoll der ermittlungsrichterlichen Vernehmung [X.] war dem Ermittlungsrichter in der Hauptverhandlung vorgehalten, aber nicht verlesen worden. Dennoch hat das [X.] die Ansicht vertreten, dass in einer Konstellation wie der vorliegenden - Ermittlungsrichter erinnert sich an das [X.]geschehen und gibt an, dass das [X.] auch so ausgesagt wurde - eine ergänzende Verwertung der protokollierten Aussage (zumindest teilweise [[X.]]) zulässig sei ([X.]). Es hat sich insbesondere aufgrund „der über den Ermittlungsrichter eingeführten Aussage des Zeugen [X.]“ von der festgestellten Tat der Angeklagten überzeugt ([X.] 33).

6

3. a) Die Revision hält dies vor allem deswegen für rechtsfehlerhaft, weil der Inhalt des ermittlungsrichterlichen Protokolls nur vorgehalten, jedoch „zu keinem Zeitpunkt formell in Gänze in das Verfahren eingeführt wurde“. Es reiche im Übrigen nicht aus, wenn der [X.] bekunde, dass die damalige Aussage richtig aufgenommen worden sei.

7

b) Auch der [X.] sieht die Verfahrensrüge als begründet an. Denn das Geschehen direkt nach der Tat, während dessen [X.]seine Frau zu Boden ringen konnte, so dass diese sich in gebückter Haltung vor ihm befand und sich Blut auf ihren Kopf- und Brustbereich ergoss, habe das [X.] bei der bestehenden Beweislage nur aufgrund der protokollierten Angaben des Geschädigten beim Ermittlungsrichter feststellen können.

8

4. Die Verfahrensrüge ist zwar zulässig erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 [X.]; vgl. [X.], Beschluss vom 4. April 2001 - 5 [X.], [X.], 386), aber im Ergebnis unbegründet. Denn das Urteil beruht auf dem geltend gemachten Verfahrensfehler jedenfalls nicht (§ 337 Abs. 1 [X.]).

9

a) Allerdings trifft es zu, dass frühere Vernehmungen eines die Aussage gemäß § 52 [X.] verweigernden Zeugen grundsätzlich nicht verwertet werden dürfen. Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] darf dann nur das herangezogen werden, was ein vernehmender [X.] über die vor ihm gemachten Angaben des über sein Zeugnisverweigerungsrecht ordnungsgemäß belehrten Zeugen aus seiner Erinnerung bekundet. Hierzu darf ihm sein Vernehmungsprotokoll - notfalls durch Verlesen - vorgehalten werden. Dies darf allerdings nicht dazu führen, den Inhalt der Niederschrift selbst für die Beweiswürdigung heranzuziehen. [X.] ist vielmehr nur das, was auf den Vorhalt hin in die Erinnerung des [X.]s zurückkehrt, und es genügt nicht, wenn er lediglich erklärt, er habe die Aussage richtig aufgenommen ([X.], Urteil vom 2. April 1958 - 2 [X.], [X.]St 11, 338, 341; [X.], Urteil vom 7. Oktober 1966 - 1 [X.], [X.]St 21, 149, 150; [X.], Urteil vom 30. März 1994 - 2 [X.], [X.] 1994, 413; [X.], Beschluss vom 4. April 2001 - 5 [X.], [X.], 386).

b) Nach diesen Grundsätzen hat das [X.] bei seiner Beweiswürdigung ohne Rechtsfehler berücksichtigt, woran sich der Ermittlungsrichter bei seiner eigenen Zeugenvernehmung erinnern konnte. Hierzu gehörten insbesondere wesentliche Teile des [X.]geschehens, nämlich dass die Angeklagte im Rahmen einer ehelichen Auseinandersetzung ein Messer geholt habe und sie sowie ihr Ehemann sich gegenüber gestanden hätten, als es zu dem Messerstich kam.

c) Soweit das [X.] für die vorliegende Fallgestaltung eine diese Erinnerung ergänzende Verwertung der protokollierten Aussage als (zumindest teilweise) zulässig angesehen hat, steht diese Auffassung mit der dargestellten Rechtsprechung des [X.] zwar nicht im Einklang. Der [X.] kann aber ausschließen, dass sich dies auf das gefällte Urteil ausgewirkt hat. Denn das [X.] hat allenfalls die Darstellung [X.], nach dem Stich habe er seine Frau zu Boden gerungen und diese habe sich dann in gebückter Haltung vor ihm befunden ([X.] 12; oben 3. b), und somit einen für die Gesamtwürdigung der Beweise wenig bedeutsamen Umstand dem ermittlungsrichterlichen Vernehmungsprotokoll entnommen.

Dem Urteil liegt eine insgesamt sorgfältige und umfassende Beweiswürdigung zugrunde. Das [X.] hat alle wesentlichen Gesichtspunkte gegeneinander abgewogen. Dabei ist es zutreffend von der Einlassung der Angeklagten ausgegangen. Diese hat in ihren Vernehmungen bei der Polizei, beim Ermittlungsrichter und in der Hauptverhandlung sowie gegenüber der Sachverständigen stets eingeräumt, ihren Ehemann mit einem Messerstich verletzt zu haben. Auch das von der [X.] festgestellte „Geschehen vor der Tat“ hat sie dabei in den wesentlichen Punkten konstant geschildert ([X.] 15 ff.).

Die Angeklagte hat allerdings jeweils angegeben, [X.] habe sich hinter ihr befunden, als sie den Stich ausgeführt habe. In der Hauptverhandlung hat sie insofern - anders als zuvor - nicht mehr behauptet, sie habe zu diesem Zeitpunkt am Boden gekniet. Im [X.] hat sie sich damit aber stets auf eine rechtfertigende oder zumindest die Schuld mindernde Lage berufen. Das [X.] hat dies erkannt und seine Prüfung daher auf die Frage konzentriert, in welcher Situation sich die beiden an der Auseinandersetzung Beteiligten unmittelbar vor dem Messerstich befanden. Es hat letztlich der - rechtsfehlerfrei in die Hauptverhandlung eingeführten (oben b) - Darstellung [X.]´ geglaubt, er und seine Frau hätten sich gegenüber gestanden. Dabei hat das [X.] plausibel darauf abgestellt, dass der Geschädigte der Angeklagten verziehen hat und an deren Strafverfolgung vom Beginn der Ermittlungen an keinerlei Interesse hatte ([X.] 23, 33). Vor allem hat es die mehrfach erfolgte Schilderung der Angeklagten, sie habe bei der Tatbegehung gekniet, überzeugend als widerlegt angesehen. Denn wie die Beweisaufnahme durch entsprechenden [X.] erbracht hat, konnte weder die vom Geschädigten erlittene Verletzung, d.h. der konkrete Stichkanal, noch das entstandene [X.] durch einen in dieser Position nach hinten geführten Stich verursacht worden sein ([X.] 5, 28 ff.).

Angesichts dieser klaren Beweislage besorgt der [X.] nicht, dass sich das [X.] maßgeblich auf die landgerichtliche Überzeugungsbildung ausgewirkt hat. Es kommt deshalb nicht darauf an, dass das [X.] in diesem Zusammenhang zudem festgestellt hat, [X.]habe wenige Minuten nach der Tat gegenüber der zu Hilfe gekommenen Nachbarin [X.]u.a. geäußert, er habe die Angeklagte nach dem Messerstich „zu Boden gedrückt“ ([X.] 13).

Ergänzend bemerkt der [X.]: Ein zeugnisverweigerungsberechtigter Zeuge wird regelmäßig deshalb durch den Ermittlungsrichter vernommen, weil bei einer späteren - aus welchen Gründen auch immer erfolgten - Zeugnisverweigerung nur die Aussage des Ermittlungsrichters über die Angaben des Zeugen verwertbar ist. In derartigen Fällen, erfahrungsgemäß oft Gewalt- und/oder Sexualdelikte zum Nachteil von Frauen oder Kindern, hat der Ermittlungsrichter daher die Pflicht, sich schon während der von ihm durchgeführten Vernehmung intensiv darum zu bemühen, sich den Aussageinhalt einzuprägen. Ausfluss dieser Pflicht des Ermittlungsrichters ist es auch, dann, wenn seine Vernehmung als Zeuge ansteht, die [X.] einzusehen, um sich erforderlichenfalls die Einzelheiten ins Gedächtnis zurückzurufen (vgl. hierzu zusammenfassend [X.], [X.], 54. Aufl., § 69 Rn. 8 mwN).

Nack                               Wahl                                  Elf

                    Jäger                             [X.]

Meta

1 StR 43/12

21.03.2012

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Weiden, 6. Oktober 2011, Az: 1 Ks 21 Js 1047/11

§ 52 StPO, § 69 StPO, § 252 StPO, § 261 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 21.03.2012, Az. 1 StR 43/12 (REWIS RS 2012, 7969)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 7969

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

1 StR 43/12 (Bundesgerichtshof)


4 StR 30/12 (Bundesgerichtshof)


4 StR 357/12 (Bundesgerichtshof)

Strafverfahren wegen Körperverletzung mit Todesfolge: Ablehnung von Beweisanträgen wegen Wahrunterstellung und Beurteilung einer Beweisbehauptung als …


1 StR 493/06 (Bundesgerichtshof)


1 StR 73/07 (Bundesgerichtshof)


Referenzen
Wird zitiert von

4 StR 376/15

1 ARs 21/14

3 StR 156/21

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.