Bundesgerichtshof, Beschluss vom 12.02.2014, Az. XII ZB 607/12

12. Zivilsenat | REWIS RS 2014, 7955

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Gegenstand

Verwirkung des Anspruchs auf Elternunterhalt: Schwere Verfehlung des Berechtigten bei jahrzehntelangem Kontaktabbruch


Leitsatz

1. Eine schwere Verfehlung gemäß § 1611 Abs. 1 Satz 1 Alt. 3 BGB kann regelmäßig nur bei einer tiefgreifenden Beeinträchtigung schutzwürdiger wirtschaftlicher Interessen oder persönlicher Belange des Pflichtigen angenommen werden (im Anschluss an Senatsurteil vom 19. Mai 2004, XII ZR 304/02, FamRZ 2004, 1559).

2. Ein vom unterhaltsberechtigten Elternteil ausgehender Kontaktabbruch stellt regelmäßig eine Verfehlung dar. Sie führt indes nur ausnahmsweise bei Vorliegen weiterer Umstände, die das Verhalten des Unterhaltsberechtigten auch als schwere Verfehlung i.S.d. § 1611 Abs. 1 Satz 1 Alt. 3 BGB erscheinen lassen, zur Verwirkung des Elternunterhalts.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des 14. Zivilsenats - 5. [X.] - des [X.] vom 25. Oktober 2012 aufgehoben.

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - [X.] vom 27. März 2012 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Antragsgegner auferlegt.

Von Rechts wegen

Gründe

I.

1

Die Antragstellerin verlangt von dem Antragsgegner aus übergegangenem Recht Elternunterhalt.

2

Die Eltern des 1953 geborenen [X.] trennten sich 1971; ihre Ehe wurde noch im [X.] geschieden. Der Antragsgegner verblieb im Haushalt seiner Mutter und hatte anfangs noch einen losen Kontakt zu seinem Vater. Nach Erreichen des Abiturs im [X.] brach der Kontakt zu seinem 1923 geborenen Vater ab. Dieser bestritt seinen Lebensunterhalt als Rentner aus den Erträgen einer Lebensversicherung sowie einer geringen Altersrente. 1998 errichtete er ein notarielles Testament, in dem er seine Bekannte zur Erbin einsetzte. Zudem bestimmte er, dass der Antragsgegner nur den "strengsten Pflichtteil" erhalten solle. [X.] führte der Vater in dem Testament aus, dass zu seinem [X.] seit rund 27 Jahren kein Kontakt mehr bestehe. Im April 2008 verzog der Vater in eine Heimeinrichtung; er starb im Februar 2012.

3

Die Antragstellerin nimmt den - als Beamten tätigen - Antragsgegner wegen der seinem Vater in der [X.] von Februar 2009 bis einschließlich Januar 2012 nach dem Sozialgesetzbuch erbrachten Leistungen auf Zahlung eines Gesamtbetrages von 9.022,75 € in Anspruch.

4

Das Amtsgericht hat dem Antrag stattgegeben. Auf die Beschwerde des [X.] hat das Beschwerdegericht den Antrag zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde.

II.

5

Die Rechtsbeschwerde ist begründet.

6

1. Das Beschwerdegericht hat seine in [X.], 1051 veröffentlichte Entscheidung wie folgt begründet:

7

Zwar bestehe ein unterhaltsrechtlich relevanter Bedarf in der von der Antragstellerin vorgetragenen Höhe. Ebenso habe der Antragsgegner seine Leistungsfähigkeit nicht in Frage gestellt. Er könne sich gegenüber dem geltend gemachten Anspruch jedoch auf Verwirkung wegen einer schweren Verfehlung i.S.d. § 1611 Abs. 1 Satz 1 BGB berufen.

8

Diese müsse sich nicht in einzelnen, schwerwiegenden Übergriffen gegen den Unterhaltspflichtigen oder dessen nahe Angehörige ausdrücken. Sie könne unter Berücksichtigung der Intention des Gesetzgebers auch in einem Verhalten gesehen werden, das in seiner Gesamtschau einen groben Mangel an verwandtschaftlicher Gesinnung erkennen lasse und infolgedessen den Unterhaltspflichtigen als Person herabwürdige, zurücksetze oder kränke. Bei der Unterhaltspflicht von Kindern gegenüber ihren Eltern sei insbesondere zu berücksichtigen, dass selbst scheinbar nur geringfügige Kränkungen und Verletzungen im Kindes- und Jugendalter in besonderer Weise traumatisierend wirken könnten und dann das Kind ein Leben lang belasteten.

9

Gemessen hieran sei dem Vater des [X.] auf der Grundlage des in seinen Grundzügen unstreitigen Sachverhalts sowie des vom Antragsgegner in der persönlichen Anhörung gewonnenen Eindrucks eine schwere Verfehlung vorzuwerfen; er habe mit seinem jede Beziehung vermeidenden Verhalten seinen [X.] in einer nicht mehr zu akzeptierenden Weise nachhaltig belastet. Unmittelbar vor der Trennung der Eltern sei es am 1. Mai 1971 zu einer tätlichen Auseinandersetzung gekommen, in deren Verlauf der Vater die Mutter massiv beschimpft und beleidigt habe. Dieser von dem Antragsgegner miterlebte Vorfall sei - wie die Ausführungen im Scheidungsurteil zeigten - symptomatisch für die Beziehung innerhalb der Familie gewesen. Nach der daraufhin vollzogenen Trennung habe sich der Vater von der Familie abgewandt. In der Folgezeit habe es nur noch einige [X.] aus dem Urlaub gegeben. Zwar habe der Antragsgegner seinen Vater noch gelegentlich besucht. Diese sporadischen Kontakte seien aber bereits nach etwa einem Jahr endgültig zum Erliegen gekommen. Wie der Antragsgegner in seiner Anhörung geschildert habe, habe er nach dem Scheitern der Ehe seiner Eltern mehrfach von sich aus den Kontakt zu seinem Vater gesucht, um wieder eine Vater-[X.]-Beziehung herzustellen. Wenn der Vater dann auf die Mitteilung von dem bestandenen Abitur nur mit einem Achselzucken reagiert habe, habe er deutlich zum Ausdruck gebracht, dass ihn jedenfalls ab 1972 die Person seines inzwischen fast erwachsenen [X.]es und dessen Zukunft nicht mehr berührt hätten. Dieser Eindruck habe sich in der Reaktion auf die Mitteilung von der beabsichtigten Verlobung bestätigt, die der Vater nur mit den Worten "Du bist ja verrückt" quittiert habe. Er habe offensichtlich kein Interesse an seiner Schwiegertochter und den Zukunftsplänen des Paares gezeigt. Dass dieses nach außen getragene Desinteresse noch immer nachwirke und den Antragsgegner bis heute belaste, sei ihm bei der Schilderung der Vorfälle deutlich anzumerken gewesen. Wenn der Antragsgegner nach diesen Erfahrungen von sich aus keine weiteren Kontakte mehr zu seinem Vater gesucht habe, sei dies nachvollziehbar und könne nicht als einfache Kontaktlosigkeit bagatellisiert werden. Nicht einmal das Zusammentreffen auf der Beerdigung des Großvaters habe dazu geführt, dass noch persönliche Worte zwischen beiden gewechselt worden seien. In seinem notariellen Testament aus dem [X.] habe der Vater bestätigt, zu seinem [X.] seit etwa 27 Jahren keinen Kontakt mehr zu haben. Mit der gewählten laienhaften Formulierung, sein [X.] solle nur den "strengsten Pflichtteil" erhalten, spiegele er seine innere Einstellung und dokumentiere nachdrücklich den bereits früher vollzogenen Bruch mit seinem Kind. Er habe ihn damit ersichtlich von allen Zuwendungen ausschließen wollen, soweit ihm das Recht einen Gestaltungsspielraum gelassen habe.

Der dem Vater anzulastende Bruch der [X.] werde nicht durch die langjährigen Ehekonflikte relativiert. Diese hätten unmittelbar nur die Eheleute betroffen und den Vater nicht dazu berechtigt, sich auch gegenüber seinem damals noch minderjährigen [X.] zurückzuziehen. Unabhängig von der Frage der elterlichen Sorge sei er nicht von der jedem [X.] immanenten Pflicht zu wechselseitigem Beistand und Rücksichtnahme, und damit über die Schulzeit hinaus Kontakt zu seinem [X.] zu halten, entbunden gewesen. Wenn der Vater gleichwohl die Bemühungen seines bereits durch die Ehekonflikte erheblich belasteten [X.]es um eine Aufrechterhaltung verwandtschaftlicher Bindungen zurückgewiesen habe und es zu einem endgültigen Bruch habe kommen lassen, habe er einen groben Mangel an elterlicher Verantwortung und menschlicher Rücksichtnahme offenbart, so dass die Voraussetzungen für eine schwere Verfehlung gegeben seien. Da die Folgen seines Handelns für den Vater erkennbar gewesen seien und er diese bewusst in Kauf genommen habe, sei an einem Vorsatz nicht zu zweifeln.

Bei dieser Ausgangslage sei eine Inanspruchnahme des Unterhaltspflichtigen grob unbillig, so dass die Verwirkung nicht zu einer Kürzung, sondern zum Wegfall des Anspruchs führe. Wer sich bewusst und dauerhaft von jeglichen Beziehungen persönlicher und wirtschaftlicher Art zu seinen Kindern ablöse, stelle sich außerhalb des familiären [X.]. [X.] dies zudem noch in einer Weise, die für das nunmehr unterhaltspflichtige Kind traumatisierend gewirkt habe, müsse diesem die Auferlegung einer Zahlungspflicht in besonderer Weise als unbillig erscheinen - und zwar unabhängig von dem zuvor im Rahmen des Familienverbandes erhaltenen Unterhalt.

2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

a) Gemäß § 1611 Abs. 1 Satz 1 Alt. 3 BGB braucht der Verpflichtete nur einen Beitrag zum Unterhalt in der Höhe zu leisten, die der Billigkeit entspricht, wenn sich der Unterhaltsberechtigte vorsätzlich einer schweren Verfehlung gegen den Unterhaltspflichtigen schuldig gemacht hat. Die Unterhaltspflicht entfällt vollständig, wenn die Inanspruchnahme des Verpflichteten im Hinblick darauf grob unbillig wäre, § 1611 Abs. 1 Satz 2 BGB.

aa) Eine schwere Verfehlung gemäß § 1611 Abs. 1 Satz 1 Alt. 3 BGB kann regelmäßig nur bei einer tiefgreifenden Beeinträchtigung schutzwürdiger wirtschaftlicher Interessen oder persönlicher Belange des Pflichtigen angenommen werden. Als Begehungsformen kommen [X.] und Unterlassen in Betracht, letzteres allerdings nur, wenn der Berechtigte dadurch eine Rechtspflicht zum Handeln verletzt. Daher kann sich auch eine - durch Unterlassen herbeigeführte - Verletzung elterlicher Pflichten, wie etwa der Pflicht zu Beistand und Rücksicht im Sinne von § 1618 a BGB, der auch auf das Verhältnis zwischen Eltern und ihren volljährigen Kindern Anwendung findet ([X.]/[X.]. § 1618 a Rn. 1), als Verfehlung gegen das Kind darstellen (Senatsurteile vom 15. September 2010 - [X.]/09 - FamRZ 2010, 1888 Rn. 32 und vom 19. Mai 2004 - [X.] - FamRZ 2004, 1559, 1560).

Eine "schwere Verfehlung" im vorgenannten Sinn ist nicht auf einzelne, schwerwiegende Übergriffe gegen den Unterhaltspflichtigen oder dessen nahe Angehörige beschränkt. Bereits in den Motiven zum Bürgerlichen Gesetzbuch wurde eingeräumt, dass erhebliche Gründe dafür sprechen, die Unterhaltspflicht in Fällen, in denen der Bedürftige durch unwürdiges Verhalten das Familienband zerrissen hat, nicht nur zu beschränken, sondern ganz wegfallen zu lassen (BT-Drucks. V/2370 S. 41). Ein solches Verhalten kann sich zum einen in einzelnen besonders schwerwiegenden Verfehlungen zeigen; eine schwere Verfehlung im Sinne des § 1611 Abs. 1 Satz 1 Alt. 3 BGB kann sich zum anderen aber auch aus einer Gesamtschau des Verhaltens des Unterhaltsberechtigten ergeben. Selbst wenn die einzelnen Verfehlungen dabei nicht besonders schwer wiegen, kommt es maßgeblich darauf an, ob sie zusammengenommen zeigen, dass sich der Unterhaltsberechtigte in besonders vorzuwerfender Weise aus der familiären Solidarität gelöst und damit letztlich bezogen auf seine familiären Verpflichtungen eine schwere Verfehlung begangen hat.

bb) Eine vom Unterhaltsberechtigten ausgehende Kontaktverweigerung kann, wenn nicht weitere Umstände hinzutreten, nur in ganz besonders gelagerten Ausnahmefällen eine Verwirkung des Unterhalts gemäß § 1611 Abs. 1 BGB begründen.

Beim Kindesunterhalt vermag allerdings die Ablehnung jeder persönlichen Kontaktaufnahme zu dem unterhaltspflichtigen Elternteil durch das (volljährige) Kind allein oder auch in Verbindung mit unhöflichen und unangemessenen Äußerungen diesem gegenüber eine Herabsetzung oder den Ausschluss des Unterhalts nach § 1611 Abs. 1 BGB nicht zu rechtfertigen (Senatsurteil vom 25. Januar 1995 - [X.] - FamRZ 1995, 475, 476). Beim Elternunterhalt kann eine Verwirkung demgegenüber dann gerechtfertigt sein, wenn der Elternteil sein Kind, das er später auf Elternunterhalt in Anspruch nimmt, schon im Kleinkindalter bei den Großeltern zurückgelassen und sich in der Folgezeit nicht mehr in nennenswertem Umfang um es gekümmert hat. Dann offenbart das Unterlassen des Elternteils einen so groben Mangel an elterlicher Verantwortung und menschlicher Rücksichtnahme, dass nach Abwägung aller Umstände von einer schweren Verfehlung ausgegangen werden kann (Senatsurteil vom 19. Mai 2004 - [X.] - FamRZ 2004, 1559, 1560).

b) Gemessen an den vorstehenden Anforderungen hält die Beschwerdeentscheidung den Angriffen der Rechtsbeschwerde nicht stand.

Zwar stellt der vom Tatrichter festgestellte, vom Vater des [X.] ausgegangene Kontaktabbruch eine Verfehlung i.S.v. § 1611 Abs. 1 Satz 1 Alt. 3 BGB dar. Entgegen der Auffassung des [X.] handelt es sich indes nicht um eine schwere Verfehlung im Sinne dieser Vorschrift.

aa) Indem der Vater des [X.] eine Beziehung zu seinem [X.] vermieden und dadurch den Antragsgegner nach den Feststellungen des [X.] nachhaltig belastet hat, hat der Vater gegen seine Verpflichtung verstoßen, seinem [X.] beizustehen und auf seine Belange Rücksicht zu nehmen. Diese Verpflichtung hat der Gesetzgeber mit Wirkung vom 1. Januar 1980 mit § 1618 a auch im Verhältnis zu volljährigen Kindern in das Bürgerliche Gesetzbuch aufgenommen (Art. 1 Nr. 1 des [X.] vom 18. Juli 1979, [X.] I 1061). Auch wenn diese Norm zu dem [X.]punkt, als der Vater den Kontakt zum Antragsgegner im [X.] abgebrochen hatte, noch nicht galt, begründete sie jedenfalls für die [X.] ab 1980 das [X.] prägende Rechtspflichten, deren künftige Verletzung unter den Voraussetzungen des § 1611 Abs. 1 Satz 1 3. Alt. BGB Bedeutung zukommt (vgl. Senatsurteil vom 19. Mai 2004 - [X.] - FamRZ 2004, 1559, 1560).

Die in Form der Kontaktverweigerung begangene Verfehlung hat der Vater nach den Feststellungen des [X.] noch dadurch dokumentiert, dass er seinen [X.] im [X.] enterbt hat. Die Errichtung dieses Testaments selbst stellt allerdings keine Verfehlung dar. Vielmehr hat der Vater lediglich von seinem Recht auf Testierfreiheit Gebrauch gemacht (vgl. §§ 2064 ff., 2303 Abs. 1 Satz 1 BGB).

Zu Recht hat das Beschwerdegericht darauf hingewiesen, dass dieses Verhalten des [X.] seinem [X.] gegenüber nicht durch die seinerzeit langjährig bestehenden Ehekonflikte relativiert wurde. Denn die persönlichen Konflikte haben unmittelbar nur die Eheleute betroffen und den Vater nicht dazu berechtigt, sich auch gegenüber seinem [X.] zurückzuziehen.

bb) Entgegen der Ansicht des [X.] handelt es sich jedoch nicht um eine schwere Verfehlung i.S.d. § 1611 Abs. 1 Satz 1 Alt. 3 BGB.

Zwar mag der Vater durch sein Verhalten das familiäre Band zu seinem [X.] aufgekündigt haben. Sein Verhalten offenbart jedoch nicht einen so groben Mangel an elterlicher Verantwortung und menschlicher Rücksichtnahme, dass von einer schweren Verfehlung ausgegangen werden könnte (vgl. dazu Senatsurteil vom 19. Mai 2004 - [X.] - FamRZ 2004, 1559, 1560 [X.]). Denn bis zur Trennung der Eltern im Jahr 1971 und mithin in den ersten 18 Lebensjahren des [X.] war der Vater Teil des [X.] und hat sich um den Antragsgegner gekümmert. Der Vater hat daher gerade in den regelmäßig eine besonders intensive elterliche Fürsorge erfordernden Lebensphasen seines [X.]es bis zum Erreichen der Volljährigkeit im Wesentlichen den aus seiner Elternstellung folgenden Rechtspflichten genügt. Als es im [X.] zum Kontaktabbruch kam, war der damals fast 19-jährige Antragsgegner zwar nach damaliger Rechtslage noch nicht volljährig, hatte jedoch bereits erfolgreich das Abitur abgelegt und damit eine gewisse Selbständigkeit erlangt. Das in die [X.] ab dem 19. Lebensjahr des [X.] fallende Verhalten des [X.] stellt sich im Hinblick darauf nicht als eine schwere Verfehlung i.S.d. § 1611 Abs. 1 Satz 1 Alt. 3 BGB dar. Insoweit unterscheidet sich dieser Fall maßgeblich von der vom [X.] entschiedenen Konstellation, in der die (unterhaltsberechtigte) Mutter ihr Kind im Kleinkindalter verlassen hatte (Senatsurteil vom 19. Mai 2004 - [X.] - FamRZ 2004, 1559).

3. Danach ist der Beschluss des [X.] aufzuheben, § 74 Abs. 5 FamFG. Der Senat kann in der Sache abschließend entscheiden, § 74 Abs. 6 Satz 1 FamFG.

a) Der von der Antragstellerin geltend gemachte Unterhaltsanspruch aus übergegangenem Recht ist zwischen den Beteiligten dem Grunde und der Höhe nach unstreitig. Danach hat der Antragsgegner den vom Amtsgericht festgesetzten Betrag von 9.022,76 € zu zahlen.

b) Nach den weiteren, von Rechts wegen nicht zu beanstandenden und von dem Antragsgegner auch nicht angegriffenen Ausführungen des [X.] liegen die Voraussetzungen der übrigen Alternativen des § 1611 Abs. 1 Satz 1 BGB für eine Verwirkung des Unterhalts hier nicht vor. Der Vater des [X.] ist mithin weder durch eigenes Verschulden bedürftig geworden, noch hat er seine Unterhaltspflicht gegenüber dem Antragsgegner gröblich verletzt.

c) Ebenso wenig steht § 94 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII einem Anspruchsübergang auf die Antragstellerin entgegen.

Nach § 94 Abs. 1 Satz 1 SGB XII geht der zivilrechtliche Unterhaltsanspruch eines Sozialhilfeberechtigten bis zur Höhe der geleisteten Aufwendungen mit dem unterhaltsrechtlichen Auskunftsanspruch auf den Träger der Sozialhilfe über. Gemäß § 94 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII geht der Anspruch nicht über, soweit dies eine unbillige Härte bedeuten würde.

Die Voraussetzungen für einen Ausschluss des Übergangs des Unterhaltsanspruchs (s. hierzu Senatsurteil vom 15. September 2010 - [X.]/09 - FamRZ 2010, 1888 Rn. 44 ff. [X.]) liegen ersichtlich nicht vor.

Soweit es die vom Antragsgegner geltend gemachte Verfehlung anbelangt, werden die entsprechenden Umstände abschließend von § 1611 BGB erfasst. Nach dem unstreitigen Sachverhalt sind auch keine [X.] Belange ersichtlich, die einen Übergang des Anspruchs nach öffentlich-rechtlichen Kriterien ausschließen könnten, wie sich nicht zuletzt auch aus dem Beschluss des Amtsgerichts ergibt. Weder hat der Antragsgegner seinen Vater betreut oder gepflegt, noch erscheint die Inanspruchnahme des [X.] angesichts der festgestellten Einkommensverhältnisse unzumutbar, zumal die Unterhaltspflicht ohnehin zeitlich begrenzt ist. Schließlich sind auch keine Belange der Familie zu erkennen, die eine Heranziehung zum Unterhalt in Frage stellen könnten.

Dose                               Weber-Monecke                           Schilling

           Nedden-Boeger                                    [X.]

Meta

XII ZB 607/12

12.02.2014

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG Oldenburg (Oldenburg), 25. Oktober 2012, Az: 14 UF 80/12, Beschluss

§ 1611 Abs 1 S 1 Alt 3 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 12.02.2014, Az. XII ZB 607/12 (REWIS RS 2014, 7955)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 7955

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