Bundesgerichtshof, Urteil vom 12.07.2011, Az. II ZR 28/10

2. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 4886

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Internationale Zuständigkeit: Rückgriff auf die Gründungstheorie zur Bestimmung des Sitzes einer Gesellschaft in einem Mitgliedstaat der EU


Leitsatz

Wo sich der für die ausschließliche internationale Zuständigkeit nach Art. 22 Nr. 2 EuGVVO maßgebliche Sitz der Gesellschaft in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union befindet, bestimmt sich bei Klagen nach dieser Vorschrift nach der Gründungstheorie und damit grundsätzlich nach dem Satzungssitz im Herkunftsstaat .

Tenor

Die Revision des [X.] gegen das Urteil des 21. Zivilsenats des [X.] vom 3. Februar 2010 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Beklagte ist eine am 22. Januar 2007 nach dem Recht des [X.] gegründete [X.] ([X.]) mit eingetragenem Sitz in [X.]       , [X.]. Sie ist die persönlich haftende Gesellschafterin der [X.]. & Co. KG, die ihren Sitz in [X.], [X.], hat und dort ein Sportstudio betreibt. Hierauf beschränkt sich die Geschäftstätigkeit der [X.].

2

In Nr. 31 (A) des Gesellschaftsvertrags der [X.] heißt es:

Alle Streitigkeiten zwischen Gesellschaftern sowie der Gesellschafter mit der Gesellschaft oder ihren Organen werden den Gerichten der Bundesrepublik [X.] zugewiesen, sofern die Gesellschaft ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in der Bundesrepublik [X.] unterhält. Örtlich zuständig in der Bundesrepublik [X.] ist dann das Gericht am Verwaltungssitz der Gesellschaft.

3

Der Kläger ist mit 90 von 200 Geschäftsanteilen neben [X.]    Gesellschafter der [X.]. Am 27. März 2008 beschloss die Gesellschafterversammlung in Abwesenheit des [X.], dass er als Director der [X.] ausscheidet und [X.]  alleiniger Director bleibt. Außerdem wurde der Beschluss gefasst, mit [X.]einen Dienstvertrag über seine Unternehmensführungstätigkeit zu schließen.

4

Mit seiner Klage begehrt der Kläger, die Beschlüsse für nichtig zu erklären, da die Gesellschafterversammlung der [X.], die ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in [X.]habe, nicht ordnungsgemäß einberufen worden und nicht beschlussfähig gewesen sei. Das [X.] hat der Klage stattgegeben, das Berufungsgericht hat sie als unzulässig abgewiesen. Dagegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision des [X.].

Entscheidungsgründe

5

Die Revision hat keinen Erfolg.

6

I. Über die Revision des [X.] ist, obwohl die [X.] im Verhandlungstermin vor dem Senat nicht vertreten war, durch streitiges Endurteil (unechtes Versäumnisurteil), nicht durch Versäumnisurteil, zu entscheiden, da sich die Revision auf der Grundlage des von dem Berufungsgericht festgestellten Sachverhalts als unbegründet erweist (vgl. [X.], Urteil vom 10. Februar 1993 - [X.], NJW 1993, 1788; Urteil vom 13. März 1997 - [X.], NJW 1998, 156, 157; Musielak/Ball, ZPO, 8. Aufl., § 555 Rn. 6).

7

II. Das Berufungsgericht ([X.], [X.], 800) hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

8

Die Klage sei unzulässig, weil die [X.] Gerichte international nicht zuständig seien. Ausschließlich zuständig seien gemäß Art. 22 Nr. 2 der Verordnung ([X.]) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. [X.] 2001 Nr. L 12/01 S. 1; EuGVVO = [X.] I-VO) die Gerichte des Mitgliedstaates, in dem die Gesellschaft ihren Sitz habe. Bei Anwendung dieser Vorschrift sei der Sitz der Gesellschaft nach der Gründungstheorie zu bestimmen. Ausschlaggebend sei danach, in welchem Land, das heißt nach welchem Recht die Gesellschaft gegründet worden sei. Da sich der Gründungssitz der [X.]n in B.       /England befinde, seien für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits ausschließlich die [X.] Gerichte zuständig. Die im Gesellschaftsvertrag enthaltene Gerichtsstandsvereinbarung sei unwirksam.

9

III. [X.] hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung stand. Das Berufungsgericht hat die internationale Zuständigkeit der [X.] Gerichte zu Recht verneint.

1. Zutreffend hält das Berufungsgericht Art. 22 Nr. 2 EuGVVO für anwendbar. Diese Vorschrift regelt die ausschließliche Zuständigkeit für Klagen, welche die Gültigkeit, die Nichtigkeit oder die Auflösung einer Gesellschaft oder juristischen Person oder die Gültigkeit der Beschlüsse ihrer Organe zum Gegenstand haben. Ihr Anwendungsbereich ist jedenfalls dann eröffnet, wenn sich die Klage - wie im Streitfall - unmittelbar gegen Beschlüsse der Gesellschafterversammlung richtet und beantragt wird, diese Beschlüsse für nichtig zu erklären (vgl. [X.], Urteil vom 12. Mai 2011 - [X.]/10, [X.], 1071 Rn. 44 - [X.]/JPMorgan).

2. Die Anwendung des Art. 22 Nr. 2 EuGVVO führt, wie das Berufungsgericht richtig gesehen hat, zur ausschließlichen Zuständigkeit der Gerichte des [X.], da sich der [X.] der [X.]n dort befindet.

a) Die Vorschrift des Art. 22 Nr. 2 EuGVVO weist die ausschließliche Zuständigkeit für die dort aufgeführten Klagen den Gerichten des Mitgliedstaats zu, in dessen Hoheitsgebiet die Gesellschaft oder juristische Person ihren Sitz hat. Bei der Entscheidung darüber, wo sich der für die Zuständigkeit maßgebliche Sitz der Gesellschaft oder juristischen Person befindet, hat das angerufene Gericht gemäß Art. 22 Nr. 2 Satz 2 EuGVVO die Vorschriften seines internationalen Privatrechts anzuwenden. Abzustellen ist damit - im Unterschied zu Art. 59 Abs. 1 und Art. 60 Abs. 1 EuGVVO - auf die im [X.] geltenden Kollisionsnormen, aus denen in Fällen der Auslandsberührung zu entnehmen ist, welches materielle Recht Anwendung findet.

Diese Regelung dient im Wesentlichen dem Zweck, die Zuständigkeit für die Entscheidung der genannten Rechtsstreitigkeiten an einem Ort zu lokalisieren, um einander widersprechende Entscheidungen über das Bestehen von Gesellschaften und die Gültigkeit der Beschlüsse ihrer Organe zu verhindern ([X.], Urteil vom 2. Oktober 2008 - [X.]/07, [X.]. 2008, [X.] = [X.] 2009, 28 Rn. 20 - [X.] und [X.]; Urteil vom 12. Mai 2011 - [X.]/10, [X.], 1071 Rn. 40 - [X.]/JPMorgan). Zudem soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass die Gerichte des Mitgliedstaats, in dem die Gesellschaft ihren Sitz hat, am besten in der Lage sind, über derartige Rechtsstreitigkeiten zu entscheiden ([X.], Urteil vom 2. Oktober 2008 - [X.]/07, [X.]. 2008, [X.] = [X.] 2009, 28 Rn. 21 - [X.] und [X.]; Urteil vom 12. Mai 2011- [X.]/10, [X.], 1071 Rn. 36 f. - [X.]/JPMorgan). Dementsprechend wird der Zweck des Art. 22 Abs. 2 EuGVVO auch darin gesehen, die Entscheidung dem Gericht zuzuweisen, dessen materielles Recht angewendet wird (vgl. Kropholler, [X.]s Zivilprozessrecht, 8. Aufl., Art. 22 [X.] Rn. 33; Wagner in Lutter, [X.] Auslandsgesellschaften in [X.], [X.] f.; [X.]/Bücker, Grenzüberschreitende Gesellschaften, 2. Aufl., § 12 Rn. 7; Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, 3. Aufl., Art. 22 EuGVVO Rn. 16; [X.], [X.]s Zivilprozessrecht, § 6 Rn. 117; [X.]/Mankowski, [X.]/[X.], Art. 22 [X.] I-VO Rn. 28; [X.], [X.] 2007, 388, 391 f.; [X.], [X.] 2010, 513, 514; [X.], [X.] 2010, 576, 577; s.a. [X.], [X.], 49, 50).

b) In [X.] ist das internationale Privatrecht, das bei Klagen gegen eine Auslandsgesellschaft festlegt, welcher Rechtsordnung deren [X.] zu unterstellen ist, nicht kodifiziert. Es ergibt sich aus den - jeweils ungeschriebenen - Regeln der Sitztheorie, nach der auf den tatsächlichen Verwaltungssitz der Gesellschaft abzustellen ist, oder der Gründungstheorie, die besagt, dass das Personalstatut der Auslandsgesellschaft nach dem Recht ihres Gründungsstaats zu beurteilen ist (vgl. [X.], Urteil vom 14. März 2005 - [X.], [X.], 805 f.; Urteil vom 11. Januar 2011 - [X.], [X.], 328 Rn. 16).

aa) Im Streitfall ist die Gründungstheorie anwendbar, da die beklagte Gesellschaft in einem Mitgliedstaat der [X.]n Union gegründet wurde.

(1) Der Senat folgt zwar im Grundsatz weiterhin der Sitztheorie ([X.], Urteil vom 27. Oktober 2008 - [X.], [X.]Z 178, 192 Rn. 21 f. - Trabrennbahn; Urteil vom 15. März 2010 - [X.], [X.], 1003 Rn. 15).

Er hat sich aber - wie zuvor schon der [X.]. Zivilsenat (Urteil vom 13. März 2003 - [X.] ZR 370/98, [X.]Z 154, 185, 190) - aufgrund der Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.]n Union in den Entscheidungen „Centros" (Urteil vom 9. März 1999 - [X.]/97, [X.]. 1999, [X.] = ZIP 1999, 438), „Überseering" (Urteil vom 5. November 2002 - [X.]/00, [X.]. 2002, [X.] = ZIP 2002, 2037) und „[X.]" (Urteil vom 30. September 2003 - C-167/01, [X.]. 2003, [X.] = ZIP 2003, 1885) für diejenigen Auslandsgesellschaften, die in einem Mitgliedstaat der [X.]n Union oder des [X.]n Wirtschaftsraums oder in einem mit diesen aufgrund eines [X.] in Bezug auf die Niederlassungsfreiheit gleichgestellten Staat gegründet worden sind, der Gründungstheorie angeschlossen ([X.], Urteil vom 14. März 2005 - [X.], [X.], 805 f.; Urteil vom 19. September 2005 - [X.], [X.]Z 164, 148, 151; Urteil vom 27. Oktober 2008 - [X.], [X.]Z 178, 192 Rn. 19 - Trabrennbahn; Urteil vom 11. Januar 2011 - [X.], [X.], 328 Rn. 16).

Hieran ist auch nach der Entscheidung des Gerichtshofs der [X.]n Union „[X.]“ (Urteil vom 16. Dezember 2008 - [X.]/06, [X.]. 2008, [X.] = ZIP 2009, 24) festzuhalten. In dieser Entscheidung hat der Gerichtshof, anknüpfend an die Entscheidung „[X.]“ (Urteil vom 27. September 1988 - C-81/87, [X.]. 1988, 5483 = NJW 1989, 2186), das Recht des Herkunftsstaates bekräftigt, die Voraussetzungen festzulegen, die eine Gesellschaft erfüllen muss, um als eine nach seinem Recht gegründete Gesellschaft die Niederlassungsfreiheit zu erlangen und zu erhalten ([X.], Urteil vom 16. Dezember 2008 - [X.]/06, [X.]. 2008, [X.] = ZIP 2009, 24 Rn. 99 ff., 110 - [X.]; siehe dazu auch MünchKomm-GmbHG/[X.], Einl. Rn. 361; [X.], [X.], 128; [X.], [X.] 2009, 130). Für den [X.] ergibt sich daraus keine Relativierung der auf die unionsrechtliche Niederlassungsfreiheit (Art. 49, 54 AEUV - früher Art. 43, 48 [X.]V) gestützten Vorgaben, die in der Gründungstheorie ihren Ausdruck gefunden haben.

(2) Die Anwendung der Gründungstheorie auf Auslandsgesellschaften, die in einem Mitgliedstaat der [X.]n Union gegründet wurden, hängt nicht davon ab, ob ein über den reinen Registertatbestand hinausgehender realwirtschaftlicher Bezug zum Gründungsstaat („genuine link“) gegeben ist (vgl. [X.], Urteil vom 14. März 2005 - [X.], [X.], 805, 806; Paefgen in Westermann, Handbuch der Personengesellschaften [bei juris], § 60 [X.]ernationales Privatrecht Rn. 4118a; [X.] in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, [X.] Rn. 27; aA [X.] in Altmeppen/[X.], GmbHG, 6. Aufl., § 4a Rn. 43 f.; [X.], [X.] 2010, 576, 578).

Aus der Entscheidung des Gerichtshofs der [X.]n Union „[X.]“ (Urteil vom 12. September 2006 - [X.]/04, [X.]. 2006,I-7995 = ZIP 2006, 1817) ergibt sich nichts Gegenteiliges. Nach dieser Entscheidung kann eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit durch den Herkunftsstaat gerechtfertigt sein, wenn die Beschränkung darauf abzielt, Verhaltensweisen zu verhindern, die darin bestehen, rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Gestaltungen zu dem Zweck zu errichten, der Steuer zu entgehen, die normalerweise für durch Tätigkeiten im Inland erzielte Gewinne geschuldet wird ([X.], Urteil vom 12. September 2006 - [X.]/04, [X.]. 2006,I-7995 = ZIP 2006, 1817 Rn. 51 ff., 55 - [X.]). In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof ausgeführt, dass die Niederlassungsfreiheit die Eingliederung in den Aufnahmemitgliedstaat ermöglichen solle, nämlich eine tatsächliche Ansiedlung der betreffenden [X.] und die Ausübung einer wirklichen wirtschaftlichen Tätigkeit in diesem (aaO Rn. 54).

Demgegenüber betrifft die Forderung nach einem „genuine link“ nicht die wirtschaftliche Tätigkeit im [X.], sondern eine (zusätzliche) realwirtschaftliche Präsenz im Herkunftsstaat. Außerdem ist sie auf eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit durch den [X.] gerichtet, nicht durch den Herkunftsstaat, der hierzu in weiterem Umfang befugt wäre (vgl. [X.], Urteil vom 16. Dezember 2008 - [X.]/06, [X.]. 2008, [X.] = ZIP 2009, 24 Rn. 99 ff., 110 - [X.]).

(3) Danach bestimmt sich der aus der Niederlassungsfreiheit folgende Schutz einer Auslandsgesellschaft vor Beschränkungen durch den [X.] weiterhin nach den Entscheidungen „Centros“ und „[X.]“ des Gerichtshofs der [X.]n Union. Der Umstand, dass eine Gesellschaft in einem Mitgliedstaat nur gegründet wurde, um in den Genuss vorteilhafterer Rechtsvorschriften zu kommen, stellt keinen Missbrauch der vom [X.] zu beachtenden Niederlassungsfreiheit dar, und zwar auch dann nicht, wenn die betreffende Gesellschaft ihre Tätigkeiten hauptsächlich oder ausschließlich im Aufnahmemitgliedstaat ausübt ([X.], Urteil vom 9. März 1999 - [X.]/97, [X.]. 1999, [X.] = ZIP 1999, 438 Rn. 18, 29 - Centros; Urteil vom 30. September 2003 - C-167/01, [X.]. 2003, [X.] = ZIP 2003, 1885 Rn. 96, 137 ff. - [X.]).

bb) Da sich das im Streitfall anwendbare internationale Privatrecht aus den Regeln der Gründungstheorie ergibt, sind sie maßgebend für die Entscheidung darüber, wo sich der gemäß Art. 22 Nr. 2 Satz 2 EuGVVO zuständigkeitsbegründende Sitz der [X.]n befindet. Dies dient auch dem im [X.]eresse einer sachkundigen Entscheidung wünschenswerten Gleichlauf von internationaler Zuständigkeit und anwendbarem materiellen Recht (vgl. Mankowski, [X.], 802, 803).

Auf die weitere Frage, ob eine Anwendung der Sitztheorie in Fällen wie dem vorliegenden zu einer (eigenständigen) Beeinträchtigung der unionsrechtlichen Niederlassungsfreiheit führen würde (vgl. dazu [X.] in [X.], Ausländische [X.]italgesellschaften im [X.] Recht, § 5 Rn. [X.], [X.] 168 [2004], 355, 360 f.; [X.], [X.] 2005, 208, 217; [X.], [X.] 2007, 388, 392; [X.], [X.] 2010, 513, 515) kommt es danach nicht an (vgl. [X.]/Bücker, Grenzüberschreitende Gesellschaften, 2. Aufl., § 12 Rn. 9; [X.] in [X.]/[X.], Zivilrecht unter [X.] Einfluss, 2. Aufl. [2010], [X.]. 27 Rn. 104; [X.] in [X.]/Schütze, [X.]s Zivilverfahrensrecht, 3. Aufl., Art. 22 EuGVVO Rn. 213; [X.], [X.]s Zivilprozessrecht, § 6 Rn. 118; [X.]/Mankowski, [X.]/[X.], Art. 22 [X.] I-VO Rn. 30; [X.], [X.] 2010, 576, 577; Mankowski, [X.], 802, 803).

cc) Der nach der Gründungstheorie anzunehmende Sitz der Gesellschaft ist grundsätzlich der im Herkunftsstaat bestehende [X.].

Nach verbreiteter Auffassung im Schrifttum führt der Rückgriff auf die Gründungstheorie zur Bestimmung des Sitzes gemäß Art. 22 Abs. 2 Satz 2 EuGVVO ohne weiteres zur Zuständigkeit der Gerichte des Gründungsstaates, in dem sich typischerweise zugleich der [X.] befindet (vgl. [X.]/Bücker, Grenzüberschreitende Gesellschaften, 2. Aufl., § 12 Rn. 9; [X.], [X.]s Zivilprozessrecht, § 6 Rn. 118; [X.]/Mankowski, [X.]/[X.], Art. 22 [X.] I-VO Rn. 30; [X.] in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, [X.] Rn. 208; [X.], [X.] 2010, 576, 577 f.; Mankowski, [X.], 802, 803; s.a. Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, 3. Aufl., Art. 22 EuGVVO Rn. 16 und [X.], [X.] 2004, 1083, 1087; für eine Verweisung auf das Recht des Herkunftsstaates hingegen [X.], [X.] 2005, 208, 218).

Vereinzelt wird aber bezweifelt, ob die Gründungstheorie in dem Sinn an einen in bestimmter Weise definierten Gesellschaftssitz anknüpft, dass sie eine unmittelbare Aussage darüber trifft, wo sich nach ihren Regeln „der Sitz“ der Gesellschaft befindet (vgl. [X.], [X.] der Gründungstheorie, [X.] [2002], 283, 307 f.; siehe dazu [X.] in [X.], [X.], 2. Aufl., [X.].[X.] Rn. 8; MünchKomm-GmbHG/[X.], Einl. Rn. 333, jeweils m.w.N.).

Dem ist entgegenzuhalten, dass das auf die Niederlassungsfreiheit gestützte Recht einer Gesellschaft, nach dem Recht des Gründungsstaates in einem anderen Mitgliedstaat (ausschließlich) tätig zu werden, voraussetzt, dass die [X.] einen Sitz im Sinne von Art. 54 AEUV (früher Art. 48 [X.]V) hat, durch den ihre Zugehörigkeit zur Rechtsordnung des Gründungsstaates festgelegt wird ([X.], Urteil vom 9. März 1999 - [X.]/97, [X.]. 1999, [X.] = ZIP 1999, 438 Rn. 20 - Centros; Urteil vom 5. November 2002 - [X.]/00, [X.]. 2002, [X.] = ZIP 2002, 2037 Rn. 57 - Überseering; Urteil vom 30. September 2003 - C-167/01, [X.]. 2003, [X.] = ZIP 2003, 1885 Rn. 97 - [X.]). Insofern ist der im Gründungsstaat bestehende Sitz einer Gesellschaft wesentlich für die Anwendung der auf der Niederlassungsfreiheit beruhenden Gründungstheorie. Dies rechtfertigt es, den im Gründungsstaat bestehenden Sitz als den für die Zuständigkeitsbestimmung gemäß Art. 22 Nr. 2 EuGVVO bei Anwendung der Gründungstheorie maßgebenden Sitz anzusehen.

dd) Nach Art. 22 Nr. 2 EuGVVO sind danach grundsätzlich die Gerichte des Herkunftsstaates zuständig. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist allerdings dann in Betracht zu ziehen, wenn nach dem internationalen Privatrecht des Herkunftsstaates ein dortiger Sitz der Gesellschaft im Sinne von Art. 22 Nr. 2 EuGVVO zu verneinen ist.

Dieser Fall kann eintreten, wenn der Herkunftsstaat der Sitztheorie folgt und auf den tatsächlichen Verwaltungssitz im [X.] abstellt oder wenn er den nach seinem Recht gegründeten Gesellschaften eine Verlegung ihres Verwaltungssitzes in einen anderen Mitgliedstaat unter Beibehaltung ihres [X.]s untersagt und deren [X.] im Falle eines Wegzugs aufgehoben wird.

Im Streitfall trifft aber beides nicht zu. Das [X.] folgt der Gründungstheorie. Überdies enthält das Recht des [X.], wie der Senat selbst feststellen kann (vgl. [X.], Urteil vom 5. Juli 2004 - [X.], [X.], 1549, 1550; Urteil vom 12. November 2009 - [X.], NJW 2010, 1070 Rn. 20 ff.), zu Art. 22 Nr. 2 EuGVVO eine Regelung, die im vorliegenden Fall zur Zuständigkeit der dortigen Gerichte führt (vgl. [X.], [X.] 2005, 208, 218; s.a. [X.], AG 2011, 282, 283 bei [X.]. 2). Nach Schedule 1 paragraph 10 der [X.] hat eine Gesellschaft, die nach dem in einem Teil des [X.] geltenden Recht gegründet wurde, ihren Sitz im [X.] (par. 10 [2 a]). Auf einen in einem anderen Mitgliedstaat bestehenden Verwaltungssitz (vgl. par. 10 [3 b]) kommt es neben dem Gründungssitz im [X.] nicht an (par. 10 [4 a]).

3. Die im Gesellschaftsvertrag getroffene Gerichtsstandsvereinbarung hat das Berufungsgericht zu Recht als unwirksam angesehen, da die nach Art. 22 Nr. 2 EuGVVO zu bestimmende Zuständigkeit eine ausschließliche ist (Art. 23 Abs. 5 EuGVVO).

Bergmann                                      Strohn                                          Caliebe

                          Reichart                                        Sunder

Meta

II ZR 28/10

12.07.2011

Bundesgerichtshof 2. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Frankfurt, 3. Februar 2010, Az: 21 U 54/09, Urteil

Art 22 Nr 2 EGV 44/2001

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 12.07.2011, Az. II ZR 28/10 (REWIS RS 2011, 4886)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 4886

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

II ZR 28/10 (Bundesgerichtshof)


VI ZR 73/17 (Bundesgerichtshof)

Internationale Zuständigkeit nach der Brüssel Ia-VO: Begriff des satzungsmäßigen Sitzes


VI ZR 73/17 (Bundesgerichtshof)


II ZR 119/14 (Bundesgerichtshof)

Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH zur Auslegung der EG-Verordnung über das Insolvenzverfahren und zur Niederlassungsfreiheit: Anwendbarkeit …


II ZR 119/14 (Bundesgerichtshof)


Literatur & Presse BETA

Diese Funktion steht nur angemeldeten Nutzern zur Verfügung.

Anmelden
Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.