Bundesfinanzhof, Urteil vom 22.10.2019, Az. VI R 48/17

6. Senat | REWIS RS 2019, 2393

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Gegenstand

Aufwendungen für die Sanierung einer Grabstätte keine außergewöhnliche Belastung


Leitsatz

NV: Aufwendungen für die Sanierung einer Grabstätte sind keine außergewöhnliche Belastung. Dies gilt auch dann, wenn es sich um eine über 100 Jahre alte Familiengrabstätte handelt und Standsicherheitsmängel auf Anordnung der Friedhofsverwaltung beseitigt werden .

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 04.04.2017 - 2 K 1964/15 i.d.[X.] vom 02.05.2017 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Kosten des gesamten Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) besitzt eine über 100 Jahre alte Familiengrabstätte in [X.] Sie ist als Erbin bzw. Familienmitglied und nach der [X.] und Friedhofsordnung der Gemeinde [X.] für die Familiengrabstätte berechtigt und verpflichtet.

2

Im [X.] des [X.] (2013) wandte sich die Gemeinde an die Klägerin und verlangte wegen der fehlenden Standsicherheit des an der Grabstätte errichteten Grabmals die fachgerechte Behebung der bestehenden Sicherheitsmängel. Die Klägerin beauftragte daraufhin einen Steinbildhauer- und Steinmetzmeister mit der Sanierung des Grabes. Im Einzelnen wurden folgende Leistungen durchgeführt und abgerechnet:

Abbau von Denkmal und Einfassung, Einbau eines neuen Fundaments

… €

Lieferung einer neuen Einfassung aus Basaltlava (200 x 220 cm, 10 cm stark)

… €

Demontage einer [X.], Erneuerung ausgebrochener Stellen und neue Vergoldung der freigelegten Schrift

… €

Neuer Kissenstein aus Granit

… €

Gravur der neuen Inschriften mit Vergoldung

… €

Neue Vergoldung der Inschriften auf dem mittleren und [X.]

… €

Lieferung von weißem Splitt, Dränagevlies, Blechstreifen und Blumenerde

… €

Grabanlage neu versetzt

… €

19 % Umsatzsteuer

… €

Insgesamt

… €

3

[X.] beteiligte sich zur Hälfte an den vorgenannten Kosten. Den Restbetrag von … € machte die Klägerin als außergewöhnliche Belastung gemäß § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG) geltend.

4

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --[X.]--) ließ die Aufwendungen bei der Einkommensteuerveranlagung für das Streitjahr jedoch unberücksichtigt.

5

Das Finanzgericht ([X.]) gab der nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage mit den in [X.]Entscheidungsdienst 2017, 1286 veröffentlichten Gründen im [X.]esentlichen statt. Es kürzte die geltend gemachten Aufwendungen lediglich um die zumutbare Belastung.

6

Mit der Revision rügt das [X.] die Verletzung materiellen Rechts.

7

Das [X.] beantragt (sinngemäß),
das Urteil des [X.] i.d.[X.] aufzuheben und die Klage abzuweisen.

8

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

9

Die Revision des [X.] ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Das [X.] hat die Aufwendungen der Klägerin für die Sanierung der Grabstätte --soweit sie die zumutbare Belastung übersteigen-- zu Unrecht als außergewöhnliche Belastung anerkannt.

1. Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastung), so wird auf Antrag die Einkommensteuer dadurch ermäßigt, dass der Teil der Aufwendungen, der die dem Steuerpflichtigen zumutbare Belastung übersteigt, vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen wird (§ 33 Abs. 1 EStG). Aufwendungen erwachsen dem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG).

Ziel des § 33 EStG ist es, zwangsläufige Mehraufwendungen für den existenznotwendigen Grundbedarf zu berücksichtigen, die sich wegen ihrer Außergewöhnlichkeit einer pauschalen Erfassung in allgemeinen Freibeträgen entziehen. Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] ([X.]) sind Aufwendungen außergewöhnlich, wenn sie nicht nur ihrer Höhe, sondern auch ihrer Art und dem Grunde nach außerhalb des Üblichen liegen (Senatsurteil vom 30.03.2017 - VI R 55/15, Rz 10, m.w.N.). Vom Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen sind dagegen die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind (Senatsbeschluss vom 21.02.2018 - VI R 11/16, [X.]E 260, 507, BStBl II 2018, 469, Rz 22, m.w.N.). Dies gilt auch dann, wenn die Aufwendungen einen grundrechtlich geschützten Bereich (z.B. Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes) betreffen (Senatsurteil vom 10.03.2015 - VI R 60/11, [X.]E 249, 468, [X.], 695, Rz 16).

2. Die Aufwendungen, die die Klägerin im Streitfall getätigt hat, gehören nicht zu den aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen zwangsläufigen Mehraufwendungen für den existenznotwendigen Grundbedarf. Dies gilt auch, soweit die geltend gemachten Aufwendungen (zumindest teilweise) auf die Wiederherstellung der Standsicherheit des Grabmals gerichtet waren.

a) Aufwendungen für die Wiederherstellung existenznotwendiger Vermögensgegenstände, die durch ein nicht beeinflussbares außergewöhnliches Ereignis beschädigt wurden, können zwar Aufwendungen i.S. von § 33 EStG sein (Senatsurteil vom 29.03.2012 - VI R 70/10, [X.]E 237, 90, [X.], 572, Rz 11, m.w.N.). Voraussetzung hierfür ist aber, dass der Vermögensgegenstand für den Steuerpflichtigen eine existentiell wichtige Bedeutung hat, keine Anhaltspunkte für ein Verschulden des Steuerpflichtigen erkennbar, realisierbare Ersatzansprüche gegen Dritte nicht gegeben sind und die zerstörten oder beschädigten Vermögensgegenstände in Größe und Ausstattung nicht erheblich über das Notwendige und Übliche hinausgehen ([X.]-Urteil vom 26.06.2003 - III R 36/01, [X.]E 203, 295, [X.], 47, m.w.N.).

b) Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall nicht vor. Es handelt sich bei dem Familiengrab schon nicht um einen existenznotwendigen Vermögensgegenstand. Daher vermag auch die Anordnung der Gemeinde W, die [X.] des dort errichteten Grabmals fachgerecht beheben zu lassen, den Abzug der geltend gemachten Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung nicht zu begründen.

Selbst wenn sich die Klägerin aufgrund der Anordnung der Gemeinde W, die [X.] beseitigen zu lassen, den für die Grabsanierung insgesamt aufgewandten Kosten zumindest teilweise nicht hätte entziehen können, reicht dies nicht aus, um auch nur insoweit aus rechtlichen Gründen zwangsläufige Aufwendungen i.S. des § 33 EStG anzunehmen. Vielmehr stellt die Rechtsprechung des [X.] für die Entscheidung darüber, ob Aufwendungen zwangsläufig i.S. des § 33 EStG angefallen sind, seit jeher auf die wesentliche Ursache ab, die zu den jeweiligen Aufwendungen geführt hat. Die Zwangsläufigkeit i.S. des § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG ist daher nicht allein an der unmittelbaren Zahlungsverpflichtung zu messen, sondern es muss auch das die Verpflichtung adäquat verursachende Ereignis für den Steuerpflichtigen zwangsläufig sein (Senatsurteil vom 18.06.2015 - VI R 17/14, [X.]E 250, 153, [X.], 800, Rz 16).

Daran fehlt es im Streitfall. Denn die Wiederherstellung der Standsicherheit des Grabmals berührte --wie oben [X.] keinen existenziell wichtigen Bereich. Der Sanierung der Grabstätte lag eine maßgeblich vom Willen und der religiösen Überzeugung der Klägerin, der Erwartungshaltung ihrer Familie und der Familientradition beeinflusste Situation zugrunde, die eine nach § 33 EStG erforderliche Zwangslage nicht begründen kann.

c) Bei den im Streitfall zu beurteilenden Aufwendungen handelt es sich auch nicht um Beerdigungskosten, die nach der Rechtsprechung des Senats unter bestimmten Voraussetzungen als außergewöhnliche Belastung Berücksichtigung finden können (zuletzt Senatsbeschluss in [X.]E 260, 507, BStBl II 2018, 469, Rz 43 ff., m.w.N.). Ein Abzug der [X.] für die Familiengrabstätte kommt daher auch unter diesem Gesichtspunkt von vornherein nicht in Betracht.

3. [X.] folgt aus § 135 Abs. 1 [X.]O.

Meta

VI R 48/17

22.10.2019

Bundesfinanzhof 6. Senat

Urteil

vorgehend Hessisches Finanzgericht, 4. April 2017, Az: 2 K 1964/15, Urteil

§ 33 Abs 1 EStG 2009, § 33 Abs 2 S 1 EStG 2009, EStG VZ 2013

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 22.10.2019, Az. VI R 48/17 (REWIS RS 2019, 2393)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 2393

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