VG München, Urteil vom 14.07.2015, Az. M 1 K 14.3181

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Versagung eines immissionsschutzrechtlichen Vorbescheids für eine Windkraftanlage - 10-H-Regelung


Leitsatz

1

In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass einem nach § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB privilegierten Vorhaben insbesondere die öffentlichen Belange der Darstellung des Flächennutzungsplans (vgl. § 35 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 BauGB), des Naturschutzes, der natürlichen Eigenart der Landschaft sowie des Verbots einer Verunstaltung des Landschaftsbilds (vgl. § 35 Abs. 3 S. 1 Nr. 5 BauGB) in der Regel aufgrund der gesetzgeberischen Privilegierungsentscheidung nicht entgegenstehen. (red. LS Andreas Decker)

2

Es ist nicht erkennbar, dass Art. 82 Abs. 1 BayBO nF gegen Verfassungsrecht verstößt. (red. LS Andreas Decker)

3

Die Übergangsregelung des Art. 83 Abs. 1 BayBO nF ist nur auf Anträge auf Erteilung von Genehmigungen von Windkraftanlagen anzuwenden, nicht aber auch auf Vorbescheidsanträge. (red. LS Andreas Decker)

Entscheidungsgründe

Bayerisches Verwaltungsgericht München

Aktenzeichen: M 1 K 14.3181

Im Namen des Volkes

Urteil

vom 14. Juli 2015

1. Kammer

Sachgebiets-Nr. 1021

Hauptpunkte:

Antrag auf Vorbescheid für Windkraftanlage nach BImSchG;

Mindestabstand zu Wohngebäuden;

„10-H-Regelung“;

Übergangsvorschrift für Altanträge;

Anwendung auf Vorbescheidsanträge (verneint)

Rechtsquellen:

§ 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG; § 9 BImSchG; 4. BImSchV; § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB; Art. 82 Abs. 1 BayBO n. F.; Art. 83 Abs. 1 BayBO n. F.

In der Verwaltungsstreitsache

...

- Kläger -

bevollmächtigt: Rechtsanwälte ...

gegen

...

- Beklagter -

bevollmächtigt: Regierung von ...

beigeladen:

1) Gemeinde N. vertreten durch den ersten Bürgermeister Verwaltungsgemeinschaft OberN.

2) ... vertreten durch: Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung ...

3) ... GmbH

zu 1) bevollmächtigt: Rechtsanwälte ...

wegen immissionsschutzrechtlichen Vorbescheids für Windkraftanlage FlNr. 539 Gem. ...

erlässt das Bayerische Verwaltungsgericht München, 1. Kammer,

durch die Präsidentin des Verwaltungsgerichts ..., die Richterin am Verwaltungsgericht ..., den Richter am Verwaltungsgericht ..., die ehrenamtliche Richterin ..., den ehrenamtlichen Richter ... aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 14. Juli 2015 am 14. Juli 2015 folgendes Urteil:

I.

Die Klage wird abgewiesen.

II.

Der Kläger und die Beigeladene zu 2) tragen die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1) je zur Hälfte.

III.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Die Vollstreckungsschuldner dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Vollstreckungsgläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

IV.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Erteilung eines immissionsschutzrechtlichen Vorbescheids für eine Windkraftanlage.

Der Kläger beantragte am ... Mai 2011 einen baurechtlichen Vorbescheid für die Errichtung einer Windkraftanlage des Typs ... mit einer Gesamthöhe von 185,90 m auf dem Grundstück FlNr. 539 Gemarkung ... Auf Antrag der Beigeladenen zu 1) stellte das Landratsamt Erding (Landratsamt) diesen Antrag mit Bescheid vom ... Oktober 2011 für die Dauer von 12 Monaten zurück.

Am ... November 2012 teilte das Landratsamt dem Kläger mit, dass aufgrund der Gesamthöhe des Vorhabens ein immissionsschutzrechtliches Verfahren durchzuführen sei, woraufhin der Kläger am ... März 2013 einen „Antrag auf Neugenehmigung nach § 4 BImSchG“ stellte, dem er Änderungspläne zum „Antrag auf Vorbescheid“ beifügte. Während die beteiligten Stellen im Landratsamt das Vorhaben hinsichtlich natur- und immissionsschutzrechtlicher Belange für grundsätzlich genehmigungsfähig hielten (Bl. 83, 101 der Behördenakte - BA) und das Bauamt im Landratsamt der Auffassung war, dass beim Abstand der Anlage zur nächsten Wohnbebauung von etwa 580 m keine „erdrückende Wirkung“ auf Anwohner zu erwarten sei (Bl. 115 BA), entschied das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung für die Beigeladene zu 2) am ... März 2013, dass die Anlage nicht gebaut werden dürfe, da sie benachbarte Flugsicherungseinrichtungen störe (Bl. 119 BA). Dem lag eine Stellungnahme der Beigeladenen zu 3) vom ... März 2013 zugrunde (Bl. 121 BA).

Mit Bescheid vom ... Juni 2014, zugestellt am 9. Juli 2014, lehnte das Landratsamt den Antrag des Klägers ab. Ungeachtet der unvollständigen arten- und naturschutzfachlichen Unterlagen liege Entscheidungsreife vor, da der beantragte Vorbescheid aufgrund des luftverkehrsrechtlichen Bauverbots nicht erteilt werden könne.

Der Kläger durch seinen Bevollmächtigten erhob am ... Juli 2014 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München und beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids des Landratsamtes Erding vom ... Juni 2014 zu verpflichten, ihm den am ... Mai 2011 beantragten immissionsschutzrechtlichen Vorbescheid zu erteilen.

Zur Begründung führte er zunächst im Wesentlichen aus, das luftverkehrsrechtliche Bauverbot sei zu Unrecht verhängt worden. Zudem seien die naturschutzrechtlichen Unterlagen nachträglich ergänzt worden.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist er auf die im Bescheid genannten Gründe und insbesondere auf das luftverkehrsrechtliche Bauverbot.

In der mündlichen Verhandlung am 10. Februar 2015 hob das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung das Bauverbot vom ... März 2013 auf, nachdem sich in dieser Verhandlung ergeben hatte, dass die dem Bauverbot zugrunde gelegten Vorbelastungsannahmen unzutreffend waren. Am ... April 2015 teilte die Beigeladene zu 3) mit, auch für andere benachbarte Flugsicherungsanlagen seien keine Störungen durch die geplante Windkraftanlage zu erwarten.

Die Beigeladene zu 1) beantragt ebenfalls

Klageabweisung.

Sie teilte am ... Februar und ... März 2015 dem Gericht mit, dass nach ihrer Auffassung die Übergangsvorschriften des Art. 83 Bayerische Bauordnung (BayBO) zur sogenannten „10-H-Regelung“ nicht auf Vorbescheidsanträge Anwendung fänden und der Antrag des Klägers aufgrund aktueller Rechtslage abzulehnen sei. Seit dem 21. November 2014 seien im Außenbereich privilegierte Windkraftanlagen nach Art. 82 BayBO nur dann zulässig, wenn ein Mindestabstand vom 10-fachen ihrer Höhe zu Wohngebäuden im Gebiet von Bebauungsplänen oder im Zusammenhang bebauter Ortsteile eingehalten werde. Die Auffassung der Nichtanwendung der Übergangsregelung auf Vorbescheidsanträge werde auch vom Bayerischen Umweltministerium vertreten.

In einer weiteren mündlichen Verhandlung am 14. Juli 2015 stellte der Kläger klar, dass er keine immissionsschutzrechtliche Genehmigung, sondern einen umfassenden Standortvorbescheid beantragt habe. Für eine Anwendung der Übergangsregelung nach Art. 83 Abs. 1 BayBO auch auf Vorbescheidsanträge sprächen Sinn und Zweck der Regelung, Vertrauensschutz für Investitionen zu schaffen. Jedenfalls sei der Zeitpunkt des Bescheidserlasses der für die Beurteilung der Rechts- und Sachlage maßgebliche Zeitpunkt. Er habe wesentliche Investitionen getätigt, die dem grundrechtlichen Eigentumsschutz unterlägen. Der Stichtag 4. Februar 2014 der Übergangsregelung könne kein vertrauenszerstörender Zeitpunkt sein. Im Übrigen sei die „10-H-Regelung“ insgesamt verfassungswidrig.

Die Beigeladenen zu 2) und 3) haben keine Anträge gestellt.

Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Gerichts- und Behördenakten und insbesondere auf die Niederschriften zu den mündlichen Verhandlungen vom 10. Februar und 14. Juli 2015 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der vom Kläger angefochtene Bescheid vom ... Juni 2014 ist rechtmäßig und verletzt ihn nicht in seinen Rechten, da er seit dem 21. November 2014 keinen Anspruch auf den Erlass des beantragten Vorbescheids hat (§ 113 Abs. 5 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO).

Dem Antrag des Klägers auf Erlass eines immissionsschutzrechtlichen Vorbescheids nach § 9 Abs. 1 Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) fehlen gemäß § 9 Abs. 3 i. V. m. § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG die bauplanungsrechtlichen Voraussetzungen nach § 35 Baugesetzbuch (BauGB). Hierbei geht das Gericht davon aus, dass nicht die Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung, sondern die eines immissionsschutzrechtlichen Vorbescheids Gegenstand des Verfahrens ist. In der mündlichen Verhandlung am 14. Juli 2015 hat der Kläger ausdrücklich klargestellt, es gehe ihm um einen umfassenden immissionsschutzrechtlichen Vorbescheid nach § 9 BImSchG und nicht, wie im Antragsformular im März 2013 angekreuzt, um eine „Neugenehmigung nach § 4 BImSchG“. Das vorgedruckte Formular bot nicht die Möglichkeit, die Antragsalternative „Vorbescheid“ zu wählen. Zudem waren diesem Antrag Pläne beigefügt, die sich auf einen Vorbescheidsantrag beziehen.

1. Gemäß § 4 Abs. 1 BImSchG i. V. m. § 1 Abs. 1 und 2 der Verordnung über genehmigungspflichtige Anlagen (4. BImSchV) und Nr. 1.6 des Anhangs 1 zur 4. BImSchV unterliegt die Errichtung und der Betrieb einer Windkraftanlage mit einer Gesamthöhe von mehr als 50 m der immissionsschutzrechtlichen Genehmigungspflicht. Die Genehmigung ist unter anderem gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG zu erteilen, wenn andere öffentlich-rechtliche Vorschriften der Errichtung und dem Betrieb der Anlage nicht entgegenstehen. Durch den Vorbescheid soll gemäß § 9 Abs. 1 BImSchG auf Antrag über einzelne Genehmigungsvoraussetzungen sowie über den Standort der Anlage entschieden werden, sofern die Auswirkungen der geplanten Anlage ausreichend beurteilt werden können und ein berechtigtes Interesse an der Vorbescheidserteilung besteht. Gemäß § 9 Abs. 3 BImSchG gilt § 6 BImSchG sinngemäß, somit auch § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG.

2. Zu den anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG zählt das Bauplanungsrecht und hierbei § 35 BauGB für Vorhaben, die - wie im Fall des Klägers - im bauplanungsrechtlichen Außenbereich errichtet und betrieben werden sollen. Anlagen zur Nutzung der Windenergie sind gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB als privilegierte Vorhaben im Außenbereich zulässig, wenn öffentliche Belange nicht entgegenstehen und die Erschließung gesichert ist. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass einem derart privilegierten Vorhaben insbesondere die öffentlichen Belange der Darstellung des Flächennutzungsplans (vgl. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB), des Naturschutzes, der natürlichen Eigenart der Landschaft sowie des Verbots einer Verunstaltung des Landschaftsbilds (vgl. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) in der Regel aufgrund der gesetzgeberischen Privilegierungsentscheidung nicht entgegenstehen (BVerwG, U. v. 18.3.1983 - 4 B 17.81 - NVwZ 1984, 2716 - juris Rn. 16; B. v. 18.3.2003 - 4 B 7.03 - juris Rn. 5 ff.: Verunstaltung nur bei „grober Unangemessenheit“ im Einzelfall). Auch eine „optisch bedrängende Wirkung“ als Verletzung eines bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmegebots scheidet bei einem Abstand der Windkraftanlage von der nächstgelegenen Wohnbebauung (hier: 580 m) im Abstand vom Dreifachen der Gesamthöhe der Anlage (hier: 557,70 m) aus (BayVGH, U. v. 29.5.2009 - 22 B 08.1785 - juris Rn. 15, 20 ff. m. w. N.). Daher konnte das Bauamt im Landratsamt noch am ... April 2013 das Vorliegen einer erdrückenden Wirkung der beantragten Anlage gegenüber der nächstgelegenen Wohnbebauung im Einklang mit der damaligen Rechtslage und Rechtsprechung verneinen.

3. Seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung u. a. der Bayerischen Bauordnung (Gesetz v. 17.11.2014, GVBl S. 478, im Folgenden: 10-H-Regelung) am 21. November 2014 hat sich die Rechtslage jedoch geändert. In Umsetzung der Länderöffnungsklausel des § 249 Abs. 3 BauGB (Gesetz v. 15.7.2014, BGBl I S. 954) hat der Bayerische Landesgesetzgeber neue bauplanungsrechtliche Regelungen für Windkraftanlagen im Außenbereich erlassen. Insbesondere hat er den Privilegierungstatbestand des § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB durch Anknüpfung an die Einhaltung eines Mindestabstandes zu bestimmten Wohngebäuden beschränkt (vgl. Würfel/Werner, Einführung eines Mindestabstandes für Windkraftanlagen - Die „10-H-Regelung“ im Freistaat Bayern, BayVBl 2015, 109 ff.).

Gemäß Art. 82 Abs. 1 BayBO n. F. findet § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB auf Vorhaben, die der Erforschung, Entwicklung oder Nutzung der Windenergie dienen, nur Anwendung, wenn diese Vorhaben einen Mindestabstand vom 10-fachen ihrer Höhe zu Wohngebäuden in Gebieten mit Bebauungsplan oder innerhalb im Zusammenhang bebauter Ortsteile sowie im Geltungsbereich von Außen-bereichssatzungen einhalten. „Höhe“ bedeutet hierbei die Nabenhöhe der Anlage zuzüglich des Radius des Rotors (Art. 82 Abs. 2 Satz 1 BayBO n. F.), beim vom Kläger beantragten Anlagentyp ... also 185,90 m. Den Mindestabstand nach diesen Regelungen von 1.859 m hält die beantragte Anlage zur nächsten Wohnbebauung, die ca. 580 m entfernt liegt, nicht ein. Sie ist damit nicht mehr bauplanungsrechtlich privilegiert und als sonstiges Vorhaben gemäß § 35 Abs. 2 BauGB im Hinblick auf die oben genannten öffentlichen Belange, die sie beeinträchtigt, unzulässig. Gründe, die für eine vom Kläger behauptete Verfassungswidrigkeit dieser 10-H-Regelung sprächen, kann das Gericht nicht erkennen.

4. Die Neuregelung des Art. 82 BayBO ist auf das Vorhaben des Klägers anzuwenden, obwohl er es bereits im Mai 2011 beantragt hatte, denn bei Entscheidungen über Verpflichtungsklagen auf Erteilung einer immissionsschutz-rechtlichen Genehmigung kommt es auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts an (BayVGH, B. v. 6.10.2014 - 22 ZB 14.1079 u. a. - juris Rn. 42). Dies gilt ebenso für einen entsprechenden immissionsschutzrechtlichen Vorbescheid (OVG NRW, U. v. 20.11.2012 - 8 A 252/10 - juris Rn. 33).

5. Die Übergangsregelung des Art. 83 Abs. 1 BayBO n. F. ist nur auf Anträge auf Erteilung von Genehmigungen von Windkraftanlagen anzuwenden, nicht aber auch auf Vorbescheidsanträge. Deshalb ist das Vorhaben des Klägers auch nicht unter diesem rechtlichen Gesichtspunkt genehmigungsfähig.

5.1 Ebenfalls seit dem 21. November 2014 gilt zur 10-H-Regelung eine Übergangsvorschrift für sich bereits im Genehmigungsverfahren befindende Anträge auf Genehmigung von Windkraftanlagen. Nach Art. 83 Abs. 1 BayBO n. F. findet unter anderem Art. 82 Abs. 1 BayBO n. F. keine Anwendung, soweit vor Ablauf des 4. Februar 2014 bei der zuständigen Behörde „ein vollständiger Antrag auf Genehmigung“ einer Windkraftanlage eingegangen ist. Abhängig von der Höhe der Anlage ist der Antrag auf Erteilung einer baurechtlichen oder einer immissionsschutzrechtlichen Anlagengenehmigung Gegenstand dieser Übergangsvorschrift.

5.2 Der Gesetzgeber hat diese Übergangsvorschrift bewusst nur für Genehmigungsanträge erlassen, so dass für eine analoge Anwendung der Regelung auch auf Vorbescheidsanträge kein Raum ist. In der Begründung zur gesetzlichen Neuregelung heißt es:

„Aus verfassungsrechtlichen Gründen (Schutz des Eigentumsrechts) soll den bisher im Vertrauen auf die gültige Rechtslage getätigten Investitionen ein besonderer Schutz gewährt werden. Daher wird in Art. 83 Abs. 1 BayBO eine Übergangsregelung eingeführt. Grundsätzlich gilt, dass Verfahren, die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes abgeschlossen werden, nach der bisherigen Rechtslage, also mit den geringeren Mindestabständen, zu entscheiden sind. Wird ein Genehmigungsverfahren nach dem Inkrafttreten abgeschlossen, ist die neue Rechtslage der Entscheidung zugrunde zu legen. Nach der Stichtagsregelung findet jedoch die bisherige Rechtslage auch nach Inkrafttreten des Gesetzes weiterhin Anwendung, sofern vor Ablauf des 4. Februar 2014 ein vollständiger Antrag (vgl. dazu § 9 BImSchV) auf bau- oder immissionsschutzrechtliche Genehmigung gestellt worden ist. Altanlagen genießen Bestandsschutz. Bei dem Zeitpunkt für den Stichtag handelt es sich um einen sog. vertrauenszerstörenden Zeitpunkt. Am 4. Februar 2014 hat der Ministerrat die Eckpfeiler der bayerischen Regelung beschlossen. So wurden der grundsätzliche Mindestabstand von 10 H, von dem im Rahmen einer „relativen Privilegierung“ Ausnahmen möglich sein sollen, sowie die Stichtagsregelung festgelegt. Der Beschluss wurde der Öffentlichkeit mitgeteilt und über die Medien verbreitet. Damit konnten und mussten etwaige Antragsteller mit den konkret angestrebten Rechtsänderungen rechnen, so dass sie sich nicht mehr auf schutzwürdiges Vertrauen berufen können.“ (LT-Drs. 17/2137, S. 8).

Dieser Begründung kann entnommen werden, dass nur diejenigen Investitionen von der neuen „10-H-Regelung“ ausgenommen werden sollen, denen ein vollständiger Antrag für eine umfassende Genehmigung zugrunde liegt. Andernfalls könnte sich ein Anlagenbetreiber durch das Stellen einer einzelnen Vorbescheidsfrage (etwa die Vereinbarkeit der beantragten Windkraftanlage mit dem Denkmalschutz) die Anwendung bisherigen Rechts auf die Gesamtanlage „sichern“. Das entspräche nicht Sinn und Zweck der Neuregelung. Das Bayerische Umweltministerium hat sich im Übrigen ebenfalls gegen eine Anwendung der Stichtagsregelung in Art. 83 Abs. 1 BayBO auf Vorbescheidsanträge ausgesprochen (vgl. UMS v. 17.12.2014 - 72a-U 3327-2014/147-3).

Auch der Wortlaut der Regelung „Antrag auf Genehmigung“ steht ihrer analogen Anwendbarkeit auf Vorbescheidsanträge entgegen. In Satz 3 der Begründung zu dieser Regelung verwendet der Gesetzgeber den Begriff „Verfahren“. Grundsätzlich solle gelten, dass Verfahren, die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes abgeschlossen würden, nach der bisherigen Rechtslage zu entscheiden seien. Im darauffolgenden Satz der Begründung wird nun nicht mehr allgemein von „Verfahren“, sondern von „Genehmigungsverfahren“ gesprochen. Dem ist zu entnehmen, dass nur für diese Verfahrensart etwas Besonderes gelten soll. Diese Unterscheidung in der Terminologie der Begründung der Übergangsregelung in Art. 83 Abs. 1 BayBO n. F. ist nach Auffassung der Kammer ein zusätzlicher Hinweis darauf, dass der Gesetzgeber in dieser Regelung bewusst (nur) von „Genehmigung“ spricht. Dann aber kann eine vom Gesetzgeber unbeabsichtigte Regelungslücke nicht unterstellt werden, was einer analogen Anwendung auf Vorbescheide entgegensteht.

Der Stichtag 4. Februar 2014, an dem der Ministerrat sich für die „10-H-Regelung“ entschieden hat, konnte als vertrauenszerstörender Zeitpunkt gewählt werden, weil ab diesem Zeitpunkt die Öffentlichkeit damit rechnen musste, dass Windkraftanlagen, die diesen Abstand nicht einhalten, nicht mehr genehmigungsfähig sein würden. Auch der Gesetzgeber geht hiervon aus.

6. Aus diesen Gründen war die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und 3 i. V. m. § 155 Abs. 4 VwGO. Zwar ist nur der Kläger der gemäß § 154 Abs. 1 VwGO unterliegende Teil, so dass an sich die gesamte Kostenlast auf ihn entfiele, doch hält es das Gericht für sachgerecht und angemessen, die Beigeladene zu 2) zur Hälfte an der Kostentragung zu beteiligen. Sie hat zwar keinen eigenen Sachantrag gestellt, weshalb an sich § 154 Abs. 3 Halbs. 1 VwGO einer Kostenbeteiligung entgegensteht, doch bestimmt der zweite Halbsatz dieser Vorschrift, dass „§ 155 Abs. 4 VwGO (…) unberührt“ bleibt. Nach § 155 Abs. 4 VwGO können Kosten, die durch Verschulden eines Beteiligten entstanden sind, diesem auferlegt werden. Nach § 154 Abs. 3 Halbs. 2 VwGO gilt das nach dem Willen des Gesetzgebers auch dann, wenn der Beteiligte - wie hier - keinen eigenen Antrag gestellt und sich damit keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat. Deshalb kann auch die Beigeladene zu 2) mit Kosten des Verfahrens belastet werden.

Das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung, das für die Beigeladene zu 2) handelt, hat dadurch schuldhaft Kosten verursacht, dass es am ... März 2013 ein luftverkehrsrechtliches Bauverbot nach § 18a Luftverkehrsgesetz (LuftVG) erlassen hat, dessen Grundlosigkeit wegen fehlerhafter Berücksichtigung nicht vorhandener anderer Windkraftanlagen sich erst in der mündlichen Verhandlung des Gerichts am 10. Februar 2015 gezeigt hatte. Zwar hat die Beigeladene zu 2) daraufhin unverzüglich dieses Bauverbot aufgehoben und damit eine weitere Prüfung des Antrages des Klägers in sonstiger Hinsicht ermöglicht, doch war zu diesem Zeitpunkt seit einigen Wochen bereits die 10-H-Regelung in Kraft. Hätte das Bundesaufsichtsamt im März 2013 kein Bauverbot ausgesprochen, wäre dem Kläger möglicherweise noch vor dem Inkrafttreten der 10-H-Regelung der beantragte Vorbescheid erteilt worden.

Die Verteilung der Kostenlast auf Kläger und Beigeladene zu 2) je zur Hälfte beruht auf § 159 Satz 1 VwGO i. V. m. § 100 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO). Da die Beigeladene zu 1) einen eigenen Antrag gestellt und sich somit einem eigenen Kostenrisiko ausgesetzt hat, ist es angemessen, dass der Kläger und die Beigeladene zu 2) jeweils zur Hälfte auch deren außergerichtliche Kosten tragen (§ 162 Abs. 3 VwGO). Demgegenüber hat die Beigeladene zu 3) keinen Antrag gestellt, sich also keinem Kostenrisiko ausgesetzt, weshalb es sachgerecht ist, dass sie ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt.

7. Angesichts der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache war die Berufung gemäß § 124 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen. Die Frage, ob die Übergangsvorschrift in Art. 83 Abs. 1 BayBO n. F. auch auf Vorbescheidsanträge im Zusammenhang mit Windkraftanlagen anzuwenden ist, ist entscheidungserheblich und klärungsbedürftig.

Rechtsmittelbelehrung:

Nach §§ 124 und 124a Abs. 1 VwGO kann die Berufung innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Urteils beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,

Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder

Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München

schriftlich eingelegt werden. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Sie ist spätestens innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,

Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder

Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München

Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach

einzureichen. Die Berufungsbegründung muss einen bestimmten Antrag enthalten, sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe).

Über die Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.

Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf EUR 120.000,- festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz - GKG - i. V. m. Nr. 19.1.4 der Empfehlungen des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit).

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,- übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,

Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder

Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München

schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.

Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.

Datenquelle d. amtl. Textes: Bayern.Recht

Meta

M 1 K 14.3181

14.07.2015

VG München

Urteil

Sachgebiet: K

Zitier­vorschlag: VG München, Urteil vom 14.07.2015, Az. M 1 K 14.3181 (REWIS RS 2015, 8233)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 8233

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

M 1 K 14.4850 (VG München)

Antrag auf Vorbescheid für Windkraftanlage


22 BV 15.2169 (VGH München)

Vorbescheid für Windkraftanlage und sog. 10-H-Regelung


B 2 K 15.141 (VG Bayreuth)

Klage gegen immissionsschutzrechtlichen Vorbescheid zur Errichtung und zum Betrieb von vier Windkraftanlagen


Au 4 S 15.35 (VG Augsburg)

Windenergieanlage, Vollziehung, Artenschutz, Anfechtungsklage, Plankonzept, Vorbescheid


AN 11 K 15.02105 (VG Ansbach)

Nachbarklage gegen immissionsschutzrechtliche Genehmigung für Windkraftanlagen


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.