Bundesgerichtshof, Beschluss vom 25.09.2014, Az. IX ZB 117/12

9. Zivilsenat | REWIS RS 2014, 2576

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Insolvenz des Versicherungsnehmers: Einzelzwangsvollstreckung wegen einer Insolvenzforderung in dessen Freistellungsanspruch gegen seinen Haftpflichtversicherer


Leitsatz

Während des Insolvenzverfahrens ist die Einzelzwangsvollstreckung wegen einer Insolvenzforderung in den Freistellungsanspruch des Schuldners gegen dessen Haftpflichtversicherer unzulässig, sofern der Gläubiger seine persönliche Forderung und nicht das Recht auf abgesonderte Befriedigung aus dem Freistellungsanspruch des Schuldners verfolgt.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 52. Zivilkammer des [X.] vom 5. November 2012 wird auf Kosten der Gläubigerin zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert des [X.] wird auf 7.644,29 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Gläubigerin hat wegen einer durch vorläufig vollstreckbares Urteil titulierten Geldforderung nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen ihrer Schuldnerin im Wege der Sicherungsvollstreckung nach § 720a ZPO die Pfändung der Forderung der Schuldnerin gegen ihren Haftpflichtversicherer beantragt. Sie behauptet, der Insolvenzverwalter habe die zu pfändende Forderung aus der Insolvenzmasse freigegeben. Das Vollstreckungsgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin hat keinen Erfolg gehabt. Mit ihrer vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Gläubigerin ihren [X.] weiter.

II.

2

Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 793 ZPO) und auch im Übrigen zulässig. Sie hat aber in der Sache keinen Erfolg.

3

1. Das Beschwerdegericht hat gemeint, die beabsichtigte [X.] sei unzulässig. Die Gläubigerin sei als [X.] (§ 38 [X.]) vom [X.] des § 89 [X.] betroffen, weil der Deckungsanspruch der Schuldnerin nach seiner Freigabe durch den Insolvenzverwalter in deren sonstiges Vermögen im Sinne von § 89 Abs. 1 [X.] falle.

4

2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung im Ergebnis stand. Der von der Gläubigerin betriebenen Zwangsvollstreckung steht das als Vollstreckungshindernis von Amts wegen zu beachtende ([X.], Beschluss vom 17. April 2013 - [X.], [X.], 939 Rn. 8 mwN) [X.] des § 89 Abs. 1 [X.] entgegen. Hiernach sind Zwangsvollstreckungen für einzelne Insolvenzgläubiger während der Dauer des Insolvenzverfahrens weder in die Insolvenzmasse noch in das sonstige Vermögen des Schuldners zulässig.

5

a) Die Gläubigerin gehört zu den von dem [X.] betroffenen Gläubigern. Mit ihrem Antrag auf Erlass eines Pfändungsbeschlusses betreibt sie die Sicherungsvollstreckung eines vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstandenen und vorläufig vollstreckbar titulierten persönlichen Anspruchs. Hinsichtlich dieses Anspruchs ist sie deshalb [X.] (§ 38 [X.]). Sie wäre nur dann nicht von § 89 Abs. 1 [X.] betroffen, wenn mit dem [X.] nicht die persönliche Forderung vollstreckt, sondern ein Absonderungsrecht verwertet werden sollte ([X.], Beschluss vom 12. Februar 2009 - [X.], [X.], 807 Rn. 4; MünchKomm-[X.]/[X.], 3. Aufl., § 89 Rn. 11, 18, 21; HK-[X.]/[X.], 7. Aufl., § 89 Rn. 7; [X.], [X.], 13. Aufl., § 89 Rn. 20; FK-[X.]/[X.], 7. Aufl., § 89 Rn. 6). So liegt der Fall jedoch nicht.

6

aa) Die Rechtsbeschwerde macht allerdings mit Recht geltend, dass die Gläubigerin als [X.]in wegen des ihr gegen die Schuldnerin zustehenden [X.] gemäß § 110 [X.] abgesonderte Befriedigung aus dem Freistellungsanspruch der Schuldnerin gegen deren Haftpflichtversicherer verlangen kann, nachdem über das Vermögen der Schuldnerin als Versicherungsnehmerin das Insolvenzverfahren eröffnet ist.

7

(1) Gemäß § 110 [X.] kann der geschädigte Dritte wegen des ihm gegen den Versicherungsnehmer zustehenden Anspruchs abgesonderte Befriedigung aus dem Freistellungsanspruch des Versicherungsnehmers verlangen, wenn über dessen Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet ist. Dies stellt sicher, dass die Versicherungsleistung dem geschädigten [X.] und nicht den Gläubigern des Versicherungsnehmers zugutekommt; letzteres widerspräche der Sozialbindung der Haftpflichtversicherung zu Gunsten des [X.] (MünchKomm-[X.]/[X.], § 110 Rn. 5 f; Bruck[X.]/[X.], [X.], 9. Aufl., § 110 Rn. 3; [X.]/[X.]/Retter, [X.], 2. Aufl., § 110 Rn. 1; vgl. auch [X.], Urteil vom 15. November 2000 - [X.], [X.], 90, 91). [X.] erlangt der Dritte wegen § 110 [X.] in der Insolvenz des Schädigers ein gesetzliches Pfandrecht am Freistellungsanspruch ([X.], Urteil vom 28. März 1996 - [X.], [X.], 61, 62 mwN; vom 2. April 2009 - [X.], [X.], 960 Rn. 7; vgl. auch MünchKomm-[X.]/Ganter, 3. Aufl., § 50 Rn. 115; aA - im Sinne eines dem gesetzlichen Pfandrecht lediglich ähnlichen Rechts - etwa [X.]/[X.], [X.], Vor §§ 49-52 Rn. 20, 22).

8

(2) Das Absonderungsrecht nach § 110 [X.] entsteht bei Vorliegen eines Schadensfalls schon mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des versicherten Schädigers, auch wenn der Haftpflichtanspruch noch nicht mit bindender Wirkung für den Versicherer (§ 106 Satz 1 [X.]) festgestellt ist (vgl. Bruck[X.]/[X.], aaO § 110 Rn. 5; [X.]/[X.]/Lücke, [X.], 28. Aufl., § 110 Rn. 3; [X.], [X.], 665, 667). Es bedarf deshalb keiner Entscheidung, ob auch ein lediglich vorläufig vollstreckbares Urteil, das Grundlage der von der Gläubigerin betriebenen Sicherungsvollstreckung ist, die Fälligkeit des Deckungsanspruchs nach § 106 Satz 1 [X.] auslösen kann (so [X.]/[X.]/Lücke, aaO § 106 Rn. 4; [X.]/[X.]/Retter, aaO § 106 Rn. 4; aA MünchKomm-[X.]/[X.], aaO § 106 Rn. 17; Bruck[X.]/[X.], aaO § 106 Rn. 9; jeweils mwN).

9

bb) Mit dem Antrag auf Pfändung des [X.] macht die Gläubigerin jedoch nicht ihr Absonderungsrecht geltend.

(1) Aufgrund der Regelung in § 110 [X.] verfügt die Gläubigerin bereits über ein Pfandrecht, mindestens über ein pfandrechtsähnliches Recht an dem Freistellungsanspruch der Schuldnerin. Gemäß dem hiernach anwendbaren § 50 Abs. 1 [X.] sind Gläubiger, die an einem Gegenstand der Insolvenzmasse ein Pfandrecht haben, nach Maßgabe der §§ 166 bis 173 [X.] für Hauptforderung, Zinsen und Kosten zur abgesonderten Befriedigung an dem [X.] berechtigt. Ein Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters nach § 166 Abs. 2 [X.] besteht nicht (vgl. [X.], Urteil vom 11. April 2013 - [X.], [X.], 935 Rn. 15 mwN). Der deshalb gemäß § 173 Abs. 1 [X.] selbst zur Verwertung berechtigte Gläubiger kann sein Absonderungsrecht entsprechend den auf sein Sicherungsrecht anwendbaren gesetzlichen Bestimmungen außerhalb des Insolvenzverfahrens durchsetzen (vgl. HK-[X.]/[X.], 7. Aufl., § 173 Rn. 2; [X.]/[X.], [X.], 13. Aufl., § 173 Rn. 3; [X.] in Kübler/Prütting/Bork, [X.], 2009, § 173 Rn. 7). Als Inhaberin eines Pfandrechts könnte die Gläubigerin entweder die Forderung der Schuldnerin gegen ihren Haftpflichtversicherer unmittelbar einziehen (§ 1282 Abs. 1, § 1228 Abs. 2 [X.]), nach Feststellung des [X.] somit unmittelbar vom Versicherer Zahlung verlangen (vgl. [X.], Urteil vom 17. März 2004 - [X.], [X.], 634, 635 mwN; Bruck[X.]/[X.], aaO § 110 Rn. 9 ff; MünchKomm-[X.]/Ganter, 3. Aufl., § 51 Rn. 236; HK-[X.]/[X.], 7. Aufl., § 51 Rn. 53; [X.], [X.], 665, 667). Einer vorherigen Pfändung bedarf es in diesem Fall nicht. Alternativ könnte die Gläubigerin nach § 1282 Abs. 2, § 1277 [X.] Befriedigung aus dem mit dem Pfandrecht belasteten Recht suchen. Erforderlich wäre hierfür ein dinglicher Titel auf Duldung der Zwangsvollstreckung oder auf Gestattung der Befriedigung aus dem verpfändeten Recht (vgl. [X.], Beschluss vom 19. März 2004 - [X.], [X.]Report 2004, 1323; [X.], 137, 139; [X.]/[X.], [X.], 2009, § 1277 Rn. 2). Aus einem solchen Titel geht die Gläubigerin nicht vor. Sie betreibt vielmehr die Sicherungsvollstreckung aus einem persönlichen Zahlungstitel. Mit ihrem Absonderungsrecht aus § 110 [X.] hat dies nichts zu tun.

(2) Nichts anderes gilt, wenn der Insolvenzverwalter, wie von der Gläubigerin behauptet, den Freistellungsanspruch der Schuldnerin gegen ihren Haftpflichtversicherer freigegeben hat. Das nach § 110 [X.] materiell-rechtlich entstandene Pfandrecht am Deckungsanspruch erlischt durch die Freigabe nicht ([X.], Urteil vom 28. März 1996 - [X.], [X.], 835, 837 mwN; vom 2. April 2009 - [X.], [X.], 960 Rn. 7). Seine Verwertung erfolgt auch in diesem Fall nach den vorstehend angeführten gesetzlichen Bestimmungen. Der Antrag auf Pfändung dient dieser Verwertung nicht.

b) Vollstreckt die Gläubigerin mithin als [X.] ihre persönliche Forderung, greift das [X.] des § 89 Abs. 1 [X.]. Dieses gilt für Vollstreckungen in die Insolvenzmasse wie auch in das sonstige Vermögen des Schuldners. Auf die von der Gläubigerin behauptete Freigabe des Deckungsanspruchs kommt es auch in diesem Zusammenhang nicht an. Denn die vom Insolvenzverwalter aus der Masse freigegebenen Gegenstände gehören zu dem sonstigen Vermögen des Schuldners im Sinne von § 89 Abs. 1 [X.] ([X.], Urteil vom 19. Januar 2006 - [X.], [X.]Z 166, 74 Rn. 26; Beschluss vom 12. Februar 2009 - [X.], [X.], 807 Rn. 12). Die Zuordnung freigegebener Gegenstände zum sonstigen Vermögen des Schuldners und damit deren Einbeziehung in den Vollstreckungsschutz des § 89 Abs. 1 [X.] soll es dem Schuldner ermöglichen, noch während des Insolvenzverfahrens eine neue wirtschaftliche Existenz zu begründen (vgl. [X.], Beschluss vom 12. Februar 2009, aaO Rn. 11 mwN). Soweit die Rechtsbeschwerde geltend macht, der Freistellungsanspruch des insolventen Versicherungsnehmers sei hiervon auszunehmen, weil er für dessen neue wirtschaftliche Existenz nicht erforderlich sei und ein Ausschluss der [X.] lediglich dem Haftpflichtversicherer zugutekomme, rechtfertigt dies keine abweichende Beurteilung. Unbillige Ergebnisse sind nicht zu befürchten. Dem [X.] bleibt es unbenommen, seine Rechte aus § 110 [X.] entsprechend den aufgezeigten gesetzlichen Verfahrensweisen zu verfolgen.

[X.]                    Gehrlein                        Fischer

              Grupp                       [X.]

Meta

IX ZB 117/12

25.09.2014

Bundesgerichtshof 9. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Hannover, 5. November 2012, Az: 52 T 69/12

§ 89 Abs 1 InsO, § 110 VVG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 25.09.2014, Az. IX ZB 117/12 (REWIS RS 2014, 2576)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 2576

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

IX ZB 117/12 (Bundesgerichtshof)


IX ZR 311/12 (Bundesgerichtshof)

Abgesonderte Befriedigung eines durch einen insolventen Steuerberater geschädigten Mandanten aus dessen Freistellungsanspruch gegen seinen Vermögensschadenhaftpflichtversicherer: …


IX ZR 23/08 (Bundesgerichtshof)


IX ZR 216/14 (Bundesgerichtshof)

Insolvenz des Versicherungsnehmers: Rechtsfolgen der Freigabe einer Versicherungsforderung des Geschädigten durch den Insolvenzverwalter des haftpflichtversicherten …


IX ZR 216/14 (Bundesgerichtshof)


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.