Bundessozialgericht, Urteil vom 23.08.2012, Az. B 4 AS 167/11 R

4. Senat | REWIS RS 2012, 3698

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Gegenstand

Arbeitslosengeld II - Mehrbedarf für Alleinerziehende - alleinige Sorge für Pflege und Erziehung - Unterstützung durch Familienangehörige


Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 11. August 2011 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten auch für das Revisionsverfahren zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig sind höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem [X.] für die Zeit von Mai 2007 bis März 2008.

2

Die 1971 geborene Klägerin ist erwerbsfähig, ledig und hat zwei Kinder. An der Pflege und Erziehung der 1991 geborenen Tochter [X.] und des 2003 geborenen [X.] sind deren Väter nicht in nennenswertem Umfang beteiligt. Die Klägerin wohnte im streitigen Zeitraum mit ihrer Mutter (geb 1947), ihrem Vater (geb 1943), ihrer Schwester (geb 1969) und den beiden Kindern in einem in ihrem Eigentum stehenden Einfamilienhaus. Im Erdgeschoss finden sich drei - im streitigen Zeitraum von den Eltern genutzte - Räume (Wohnzimmer, Schlafzimmer, Badezimmer) sowie eine von allen Bewohnern genutzte Küche. Die Klägerin, ihre beiden Kinder und die Schwester bewohnten im Obergeschoss jeweils einen Wohnraum. Außerdem gab es dort ein gemeinschaftlich genutztes weiteres Bad.

3

Die Klägerin, ihre Kinder sowie die Eltern und die Schwester bezogen ab [X.]anuar 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem [X.]. Der Beklagte nahm weder eine Bedarfs- noch eine [X.] an und berücksichtigte bei der Klägerin einen Mehrbedarf für Alleinerziehende. Für den streitigen Zeitraum vom [X.] bis 31.3.2008 bewilligte er [X.]-Leistungen in Höhe von monatlich 353,61 Euro (Regelleistung in Höhe von 318,23 Euro; Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 35,38 Euro) ohne Mehrbedarf für Alleinerziehende (Bescheid vom 20.4.2007 in der Fassung des Änderungsbescheids vom [X.] sowie des Widerspruchsbescheids vom 27.9.2007).

4

Nach Anhörung der Klägerin sowie ihrer Eltern zum Umfang der Pflege und Erziehung der Kinder hat das [X.] den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 20.4.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.9.2007 verurteilt, der Klägerin für den Zeitraum vom [X.] bis [X.] den Mehrbedarf für Alleinerziehende in Höhe von monatlich 124,20 Euro für die Monate Mai und [X.]uni 2007 sowie in Höhe von monatlich 124,92 Euro für die Monate [X.]uli 2007 bis März 2008, insgesamt 1372,68 Euro, zu gewähren (Urteil vom 17.6.2010).

5

Das L[X.] hat die Berufung des Beklagten nach erneuter Vernehmung der Eltern der Klägerin sowie ihrer Schwester als Zeugen mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor des [X.]-Urteils dahin geändert wird, dass der Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom [X.] in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.9.2007 dem Grunde nach verurteilt wird, der Klägerin für die Zeit vom [X.] bis zum 31.3.2008 höhere, in die Trägerschaft der [X.] fallende Grundsicherungsleistungen unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs gemäß § 21 Abs 3 Nr 1 [X.] zu gewähren (Urteil vom 11.8.2011). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, die Klägerin habe im streitigen Zeitraum die Voraussetzungen für die Bewilligung von [X.]-Leistungen nach § 7 Abs 1 S 1 [X.] erfüllt. Sie sei erwerbsfähig und hilfebedürftig; über anderweitiges anrechenbares Einkommen oder zu berücksichtigende Vermögenswerte verfüge die Klägerin nicht. Sie habe mit ihren Eltern und ihrer Schwester nicht in einer [X.] iS von § 9 Abs 5 [X.] gelebt. Ein "Wirtschaften aus einem Topf" habe nicht stattgefunden. Neben dem [X.] sei ein Mehrbedarf für Alleinerziehende zu berücksichtigen, weil die Klägerin im streitigen Zeitraum zumindest mit einem Kind unter sieben [X.]ahren zusammengelebt und allein für dessen Pflege und Erziehung gesorgt habe. Sie habe ihren [X.] (wie im Übrigen auch [X.]) ohne wesentliche, dem typischen Pflege- und Erziehungsbeitrag ihrer Väter entsprechende Beteiligung Dritter versorgt und erzogen. Der Auffassung des Beklagten, dass (bereits) bei einem Ausgleich von Erschwernissen durch Dritte, die Alleinerziehende träfen, die Voraussetzungen eines Mehrbedarfs nicht erfüllt seien, könne nicht gefolgt werden. Orientiere man sich allein an dem Zweck der Mehrbedarfsregelung (weniger Zeit zum preisbewussten Einkauf, höhere Aufwendungen für Kontaktpflege zur Unterrichtung in Erziehungsfragen) wäre der Bedarf im konkreten Fall zwar nicht zu erhöhen, weil es eine gelegentliche, zeitlich begrenzte Fürsorge für die Kinder durch die Großeltern und die Tante gegeben habe und allein durch deren Anwesenheit Freiräume eröffnet gewesen seien, die es der Klägerin erlaubt hätten, den beschriebenen Bedarfslagen ohne zusätzlichen finanziellen Aufwand gerecht zu werden. [X.]edoch sei eine allein auf Sinn und Zweck des Mehrbedarfs gestützte Auslegung nicht tragfähig, weil die zum [X.] dargelegten, vom B[X.] aufgegriffenen Bedarfslagen regelhaft nicht bestünden. Es ließen sich aber nur in geringem Umfang Fallgruppen bezeichnen, in denen die vom historischen Gesetzgeber genannten Bedarfslagen aufträten; in der überwiegenden Zahl der Fälle bzw den von § 21 Abs 3 [X.] erfassten Familien- und Alterskonstellationen sei dies nicht bzw nicht mehr der Fall. Preisvergleiche seien im Computerzeitalter sekundenschnell per Mausklick möglich, Lebensmitteldiscounter heutzutage von fast jedem Haushalt gut erreichbar und auch die "Befriedigung von Informations- und Kontaktbedürfnissen" bei der inzwischen nahezu flächendeckenden Verbreitung von Flatrates für Telefon und Internetzugang regelmäßig nicht mehr mit Mehrkosten verbunden. Aus Kostengesichtspunkten mache die Zuerkennung eines allgemeinen Mehrbedarfs für Alleinerziehende unter Berücksichtigung gegenwärtiger Lebensverhältnisse nur insofern Sinn, als der alleinerziehende Elternteil eines Kleinkindes oder mehrerer Kleinkinder gelegentlich auf Babysitterdienste angewiesen sei.

6

Mit seiner Revision rügt der Beklagte die Verletzung von § 21 Abs 3 Nr 1 [X.] aF. Die vom L[X.] bei der Auslegung des § 21 Abs 3 Nr 1 [X.] zugrunde gelegte Annahme einer wesentlichen Mitwirkung bzw Unterstützung in erheblichem Umfang bei der Erziehung bis hin zum gleichwertigen Erziehungsanteil anderer Personen könnten unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Norm nicht gefordert werden. Nur wenn die Familie derart zerrüttet sei, dass eine Inanspruchnahme der jeweils anderen Familienmitglieder schon aus psychischen und emotionalen Gründen ausscheide, sei die Bedarfssituation anders zu beurteilen. Entgegen der Wertung der Zeugenaussagen durch das [X.] und das L[X.] stehe nicht fest, dass die Großeltern der Klägerin und deren Schwester nicht an der Erziehung der Kinder in dem hier fraglichen Zeitraum mitgewirkt hätten. Die Bekundungen der Klägerin und ihrer Mutter seien nicht glaubhaft und wirkten verfahrensangepasst. Für ein enges Zusammenleben der Klägerin mit ihren Eltern und der Schwester sprächen bereits die Wohnverhältnisse. Es müsse im Ergebnis und unter Würdigung der Zeugenaussagen und der Wohn- und Lebensverhältnisse der Klägerin davon ausgegangen werden, dass sie sowohl von ihren Eltern als auch von ihrer Schwester bei der Pflege und Erziehung der Kinder mindestens in dem Umfang unterstützt werde, wie eine tagsüber anwesende und die Hauptlast bei der Pflege und Erziehung tragende Mutter durch den etwa aus Gründen der Berufstätigkeit tagsüber oder sogar wochenweise abwesenden (Ehe)Partner. Es liege eine Verletzung des Gleichheitssatzes des Art 3 Abs 1 GG vor, weil eine Ungleichbehandlung zwischen Alleinstehenden mit Kindern einerseits und (verheirateten) Partnern mit Kindern andererseits bestehe.

7

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des [X.] vom 11. August 2011 und das Urteil des [X.] vom 17. [X.]uni 2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

8

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Der Beklagte kommentiere das Urteil ohne Beweisangebote dafür, dass ihre Aussagen und die ihrer Eltern nicht den Tatsachen entsprächen. Der Anspruch auf Mehrbedarf sei nachgewiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision des Beklagten ist nicht begründet. Die Vorinstanzen sind zu Recht davon ausgegangen, dass der streitgegenständliche Bescheid vom [X.] in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom [X.] rechtswidrig ist, weil die [X.]lägerin einen Anspruch auf höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für Alleinerziehende hat.

1. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist nur (noch) der den ursprünglichen Bewilligungsbescheid vom 20.4.2007 in vollem Umfang ersetzende Bescheid vom [X.] in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom [X.] hinsichtlich der hier allein streitigen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem [X.] Diese können - insbesondere hinsichtlich des Mehrbedarfs - nicht in weitere unterschiedliche Streitgegenstände aufgespalten werden (vgl zB [X.]-4200 § 21 [X.]; [X.]-4200 § 21 [X.]).

2. Gegen die bezeichneten Bescheide wendet sich die [X.]lägerin zu Recht mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 S 1 iVm Abs 4, § 56 SGG). Zutreffend ist das [X.] davon ausgegangen, dass ein Grundurteil zulässig ist. Mit ihrem Antrag im Berufungsverfahren hat die [X.]lägerin keinen konkreten Leistungsantrag (mehr) gestellt, sondern nur dem Grunde nach höhere Leistungen beantragt (§ 130 SGG). Dass sie sich hierfür allein auf den Mehrbedarf für Alleinerziehende bezieht, beinhaltet keinen konkret bezifferten Leistungsanspruch, sondern enthält nur ein Begründungselement für das Begehren auf höhere Leistungen. Gegenstand des Verfahrens ist daher, ob in dem hier streitigen Zeitraum insgesamt ein Anspruch auf höhere Leistungen bestand, wobei die Höhe der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt zu prüfen ist ([X.]-4200 § 21 [X.] Rd[X.]1). Die weiteren Voraussetzungen für ein Grundurteil in einem Höhenstreit liegen vor, wenn eine so umfassende Aufklärung zu Grund und Höhe des Anspruchs zugrunde liegt, dass mit Wahrscheinlichkeit von einer höheren Leistung ausgegangen werden kann, weil die Beschränkung der Prüfung auf eine Rechtsfrage oder einzelne Rechtsfragen ansonsten einer unzulässigen Elementenfeststellung gleichkäme ([X.], 109 = [X.]-4220 § 3 [X.], Rd[X.]2; [X.]-4300 § 132 [X.] Rd[X.]7). Dies ist hier der [X.]all. Insofern hat das [X.] für den Senat bindend festgestellt (§ 163 SGG), dass die [X.]lägerin die Anspruchsvoraussetzungen des § 7 [X.] (Erwerbsfähigkeit, Hilfebedürftigkeit) in dem streitgegenständlichen Zeitraum erfüllt und - neben dem [X.]indergeld - weiteres Einkommen und Vermögen nicht zu berücksichtigen ist, sodass die Anerkennung eines Mehrbedarfs für Alleinerziehende mit höheren Leistungen verbunden ist.

3. Das [X.] ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass die [X.]lägerin im streitigen Zeitraum einen Anspruch auf höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für Alleinerziehende hatte. [X.]ür Personen, die mit einem oder mehreren [X.]indern zusammenleben und allein für deren Pflege und Erziehung sorgen, ist gemäß § 21 Abs 3 [X.] ein Mehrbedarf in Höhe von [X.] der nach § 20 Abs 2 [X.] maßgebenden Regelleistung anzuerkennen, wenn sie mit einem [X.]ind unter sieben Jahren oder mit zwei oder drei [X.]indern unter sechzehn Jahren zusammenleben ([X.]), oder in Höhe von [X.] der nach § 20 Abs 2 [X.] maßgebenden Regelleistung für jedes [X.]ind, wenn sich dadurch ein höherer Vomhundertsatz als nach der [X.] ergibt, höchstens jedoch in Höhe von [X.] der nach § 20 Abs 2 [X.] maßgebenden Regelleistung ([X.]). Der Mehrbedarf für Alleinerziehende ist ein zusätzlich zur Regelleistung zu gewährender Bestandteil des Alg II.

Die Anspruchsvoraussetzung der "alleinigen Sorge für deren Pflege und Erziehung" iS des § 21 Abs 3 [X.] liegt nach der Rechtsprechung der beiden für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des BSG vor, wenn der hilfebedürftige Elternteil während der Betreuungszeit von dem anderen Elternteil, Partner oder einer anderen Person nicht in einem Umfang unterstützt wird, der es rechtfertigt, von einer nachhaltigen Entlastung auszugehen. Entscheidend ist, ob eine andere Person in erheblichem Umfang bei der Pflege und Erziehung mitwirkt. Dabei ist allein auf die tatsächlichen Verhältnisse abzustellen ([X.] 102, 290 = [X.]-4200 § 21 [X.], Rd[X.]9; BSG Urteil vom [X.] - B 14 [X.]/08 R - Rd[X.]5). Der Senat hat bei dieser Auslegung des Begriffs der "alleinigen Sorge für deren Pflege und Erziehung" und die insofern zu stellenden Anforderungen auf die besondere Bedarfssituation der [X.] Bezug genommen, die dadurch geprägt ist, dass bei diesem Personenkreis - in gleicher Weise wie bei den weiteren von § 21 [X.] erfassten Hilfebedürftigen (werdende Mütter, erwerbsfähige behinderte Leistungsberechtigte) - besondere Lebensumstände vorliegen, bei denen typischerweise ein zusätzlicher Bedarf zu bejahen ist ([X.] 102, 290 = [X.]-4200 § 21 [X.], Rd[X.]5). Solche besonderen Lebensumstände hat der Senat ausgehend von den Gesetzesmaterialien zur Einführung und zum Zweck der entsprechenden Regelung im [X.] (vgl den Gesetzentwurf des Bundesrates vom 26.3.1985 "vor allem") exemplarisch darin gesehen, dass Alleinerziehende wegen der Sorge für ihre [X.]inder typischerweise weniger Zeit hätten, preisbewusst einzukaufen sowie zugleich höhere Aufwendungen zur [X.]ontaktpflege und zur Unterrichtung in Erziehungsfragen tragen müssten bzw externen Rat in Betreuungs-, Gesundheits- und Erziehungsfragen benötigten. Auch der Zweck des in § 21 Abs 3 [X.] geregelten Mehrbedarfs liege darin, den höheren Aufwand von [X.] für die Versorgung und Pflege bzw Erziehung der [X.]inder etwa wegen geringerer Beweglichkeit und zusätzlicher Aufwendungen für die [X.]ontaktpflege oder Inanspruchnahme von Dienstleistungen Dritter in pauschalierter [X.]orm auszugleichen ([X.] 102, 290 = [X.]-4200 § 21 [X.], Rd[X.]; Schleswig-Holsteinisches [X.] Urteil vom [X.]/09 - juris Rd[X.]6; [X.] Niedersachsen-Bremen Beschluss vom 13.5.2008 - L 9 AS 119/08 ER - juris Rd[X.]7; [X.]/ [X.] in Eicher/Spellbrink, [X.], 2. Aufl 2008, § 21 Rd[X.]6; kritisch [X.] in Gagel, [X.]/[X.]I, Stand 11/2010, § 21 Rd[X.]9 und [X.] in [X.]/[X.], [X.], [X.] § 21 Rd[X.]1 ff, Stand Mai 2011).

4. Soweit der Beklagte mit seiner Revision diese am Wortlaut, aber auch der Entstehungsgeschichte orientierte Auslegung des Merkmals der "alleinigen Sorge für deren Pflege und Erziehung" rügt, sieht der Senat keine Veranlassung zur [X.]orrektur seiner Rechtsprechung. Entgegen der Ansicht des [X.] sind die vom BSG formulierten Anforderungen an eine alleinige Sorge für Pflege und Erziehung iS des § 21 Abs 3 [X.] auch nicht unter teleologischen Gesichtspunkten grundsätzlich in [X.]rage zu stellen.

Die Beantwortung der komplexen [X.]ragestellung, ob wegen eines Wandels der tatsächlichen Lebensumstände die vom Gesetzgeber bei Einfügung der Regelung in das [X.] typisierend und beispielhaft angenommenen Bedarfslagen bei [X.] tatsächlich nicht (mehr) bzw nicht mehr in der pauschalierend angenommenen Höhe existieren, obliegt dem Gesetzgeber. Wollte dieser den Mehrbedarf für Alleinerziehende anders fassen, ist zu beachten, dass sich Pauschalen, die an die Stelle eines ganz oder teilweise zu berücksichtigenden konkreten Aufwandes treten, nicht an einem hier vorliegenden atypischen [X.]all orientieren dürfen und "realitätsgerecht" so bemessen sein müssen, dass die typisierenden Regelungen in möglichst allen [X.]ällen den entsprechenden Bedarf abdecken ([X.] 112, 268, 281 zur Abzugsfähigkeit der [X.]inderbetreuungskosten alleinstehender Erwerbstätiger; [X.] 120, 125 ff, 166). Eine hohe "Treffergenauigkeit" ist gefordert, wenn es - wie hier - um pauschalierte Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums geht. Diese Leistungen müssen auf sorgfältigen Tatsachenermittlungen (zB auch durch Einholung des [X.] - [X.] 113, 167 ff, 241) und vertretbaren Einschätzungen beruhen. Sozialpolitische Entscheidungen des Gesetzgebers sind verfassungsrechtlich anzuerkennen, solange seine Erwägungen weder offensichtlich fehlsam noch mit der Wertordnung des Grundgesetzes unvereinbar sind ([X.] 113, 167 ff, 215). Dass sich der Gesetzgeber - in gleicher Weise wie bei weiteren von § 21 [X.] a[X.] erfassten Bedarfslagen (werdende Mütter, erwerbsfähige behinderte Leistungsberechtigte) - für eine pauschale Leistungserbringung des Mehrbedarfs für Alleinerziehende in einer gesetzlich festgelegten Höhe entschieden hat, ist eine solche gesetzgeberische Entscheidung. Soweit der Beklagte eine Verletzung des Gleichheitssatzes des Art 3 Abs 1 GG wegen Ungleichbehandlung von Alleinstehenden mit [X.]indern einerseits und (verheirateten) Partnern mit [X.]indern andererseits rügt, hat das Berufungsgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber mit dem Merkmal der bzw des [X.] einen Sachgrund für die Leistungsdifferenzierung angeführt hat.

5. Entgegen der Auffassung des Beklagten kann der Anspruch der [X.]lägerin auf den Mehrbedarf für Alleinerziehende auch nicht mit der Begründung abgelehnt werden, diese hätte wegen der Wohnverhältnisse im Bedarfsfall auf die Unterstützung ihrer Eltern oder ihrer Schwester zugreifen können. Nach seinem Sinn und Zweck geht § 21 Abs 3 [X.] typisierend von einem regelmäßigen Mehrbedarf bei [X.] aus, weshalb - nach den tatsächlichen Verhältnissen - nur eine regelmäßige und erhebliche Unterstützung bei der Pflege und Erziehung der [X.]inder durch weitere Personen einem Anspruch auf Mehrbedarf für Alleinerziehende entgegenstehen kann (so auch [X.]/[X.] in Eicher/Spellbrink, [X.], 2. Aufl 2008, § 21 Rd[X.]9). Allein die (potentielle) Möglichkeit des Rückgriffs auf andere Personen oder Einrichtungen führt nicht zum Anspruchsausschluss. Auch insofern liegt eine von [X.]-Trägern und der Rechtsprechung zugrunde zu legende gesetzgeberische Wertung vor, die Verneinung des Anspruchs auf den Mehrbedarf für Alleinerziehende allein von der tatsächlichen und ergänzend kontinuierlichen Erziehung und Pflege durch weitere Personen abhängig zu machen. Diese Auslegung findet ihre Rechtfertigung in der Bedeutung der persönlichen Sorge der Eltern und deren [X.]ompetenz zur Auswahl von Betreuungsalternativen für das [X.]indeswohl.

Soweit der Beklagte vorträgt, bezüglich des zeitlichen Umfangs dürften keine zu hohen Anforderungen an die Betreuungsleistungen aufgestellt werden, weil ansonsten auch der Besuch eines [X.]indergartens bzw anderer Betreuungseinrichtungen zur Verneinung eines Mehrbedarfs bzw die berufliche Abwesenheit eines vorhandenen Partners zu dessen Bejahung führe, ist der rechtliche Maßstab für die Annahme eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs 3 [X.] betroffen. Dieser bestimmt sich danach, ob nach den tatsächlichen Umständen eine wesentliche Mitwirkung des anderen Elternteils, eines Partners oder einer anderen, regelmäßig im gleichen Haushalt lebenden Person in der verbleibenden Betreuungszeit vorliegt. Insofern geht das [X.] davon aus, dass mit der Betreuung eines über drei Jahre alten [X.]indes in einer Tageseinrichtung oder in [X.] die Ausübung einer Arbeit oder berufliche (Re-)Integrationsmaßnahmen zumutbar sind (§ 10 Abs 1 [X.] [X.]), sodass "zeitliche [X.]reiräume" der oder des erziehenden [X.]-Leistungsempfängers nicht unterstellt werden können.

6. Ausgehend von den demnach hier anzuwendenden Grundsätzen der bisherigen BSG-Rechtsprechung liegen die Voraussetzungen für einen Anspruch auf einen Mehrbedarf für Alleinerziehende nach den [X.]eststellungen des [X.], an die der Senat gebunden ist (§ 163 SGG), hier vor. Das Berufungsgericht hat festgestellt, die Eltern der [X.]lägerin hätten im Wesentlichen übereinstimmend bekundet, dass diese seinerzeit nahezu allein insbesondere für die Ernährung, die Bekleidung, die Erziehung und das seelische Wohl ihrer [X.]inder zuständig gewesen und dabei von ihren Eltern oder ihrer Schwester nicht in erheblichem Maße unterstützt worden sei. Die [X.]lägerin sei frühmorgens aufgestanden, um [X.] für den [X.]indergarten fertig zu machen, sie habe die Mahlzeiten für [X.] und J vorbereitet, [X.] mittags vom [X.]indergarten abgeholt, sich ausschließlich um ihn gekümmert und ihn ggf zum Einkaufen sowie bei Arzt- und Behördengängen mitgenommen. Übereinstimmend sei weiter bekundet worden, dass weder die Großeltern noch die Schwester maßgeblich an der Erziehung der [X.]inder beteiligt gewesen seien und die [X.]lägerin von ihnen auch keine diesbezüglichen Ratschläge eingeholt habe. Die Verhältnisse seien stimmig und anschaulich beschrieben worden.

Der Beklagte ist dieser Beweiswürdigung des [X.] nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen entgegengetreten (§ 164 SGG). Eine Verletzung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 S 1 SGG) ist nicht formgerecht gerügt, wenn die Revision lediglich ihre Beweiswürdigung an die Stelle derjenigen des [X.] setzt (BSG [X.] 1500 § 164 [X.]1; BSG [X.] 3-2500 § 109 [X.] S 61). Soweit es der Beklagte für "nicht glaubhaft" hält, dass keine Mitwirkung der Großeltern bei [X.]rankheit bestehe, nur sehr wenig über alltägliche Dinge gesprochen werde und der Vater der [X.]lägerin sich auf handwerkliche Mithilfe beschränke, stellt er seine Beweiswürdigung an die Stelle derjenigen des [X.] und führt Umstände an, die selbst bei ihrem Vorliegen nicht automatisch zu einer Verneinung des Anspruchs auf Mehrbedarf führen würden. Dies gilt auch für die Heranziehung der Wohnverhältnisse der [X.]lägerin. Das Zusammenleben mit weiteren Personen in einer [X.] hat der Gesetzgeber des [X.] gerade nicht ausreichen lassen, um typisierend von dem Wegfall der besonderen Lebensumstände von [X.] auszugehen. Tatsachen, die einen Verstoß gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze begründen könnten (vgl hierzu [X.] Urteil vom 15.5.1985 - 7 [X.]/84 - Rd[X.]8), sind nicht vorgetragen.

Die [X.]ostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Meta

B 4 AS 167/11 R

23.08.2012

Bundessozialgericht 4. Senat

Urteil

Sachgebiet: AS

vorgehend SG Neuruppin, 17. Juni 2010, Az: S 16 AS 1091/07, Urteil

§ 21 Abs 3 SGB 2 vom 24.12.2003

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 23.08.2012, Az. B 4 AS 167/11 R (REWIS RS 2012, 3698)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 3698

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