Bundesfinanzhof, Urteil vom 22.09.2010, Az. II R 54/09

2. Senat | REWIS RS 2010, 3125

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Gegenstand

(Anrechnung ausländischer Schenkungsteuer nach § 21 ErbStG - Zahlung festgesetzter ausländischer Schenkungsteuer als rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO)


Leitsatz

Die nach Eintritt der Bestandskraft des deutschen Schenkungsteuerbescheids erfolgte Zahlung einer nach § 21 Abs. 1 ErbStG anrechenbaren ausländischen Steuer stellt ein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO dar .

Tatbestand

1

I. [X.] (Schenkerin) des [X.] und Revisionsbeklagten (Kläger) wandte diesem am 2. Mai 1994 einen Geldbetrag von [X.] und am 31. Oktober 1994 von [X.] zu. Ihr Wohnsitz befand sich zum Zeitpunkt der Zuwendungen im [X.] ([X.]). Der Kläger war Inländer i.S. des § 2 Abs. 1 des [X.] (ErbStG). Nachdem der Kläger die Zuwendung mit Schenkungsteuererklärung vom 3. März 1995 gegenüber dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt --[X.]--) erklärt hatte, setzte das [X.] mit Bescheiden vom 29. März 1995 Schenkungsteuer für die erste Zuwendung in Höhe von [X.] und für die zweite Zuwendung in Höhe von [X.] fest. Es berücksichtigte dabei mehrere Vorschenkungen.

2

Die Finanzbehörde des [X.] setzte mit Bescheid vom 17. Dezember 2002 Schenkungsteuer für die Zuwendungen vom 2. Mai 1994 und 31. Oktober 1994 in Höhe von umgerechnet insgesamt [X.] (... €) fest. Der Kläger bezahlte diese Schenkungsteuer und beantragte am 10. Mai 2004 beim [X.], sie unter Änderung der Bescheide vom 29. März 1995 auf die [X.] Schenkungsteuer anzurechnen. Das [X.] lehnte mit Bescheid vom 27. Januar 2006 die begehrte Änderung ab, da die Festsetzung und Zahlung der tessinischen Schenkungsteuer den Tatbestand einer Korrekturnorm der Abgabenordnung ([X.]) nicht erfülle. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.

3

Das Finanzgericht ([X.]) gab der Klage statt. Es war der Ansicht, die Bescheide seien gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.] zu ändern. Denn es handele sich bei der Festsetzung und Zahlung der tessinischen Schenkungsteuer um ein rückwirkendes Ereignis. Der gesetzlichen Regelung über die Anrechnung ausländischer Schenkungsteuer könne nur dann in vollem Umfang Rechnung getragen werden, wenn erst nach der Steuerfestsetzung eintretende Voraussetzungen für die Anrechnung als rückwirkendes Ereignis verstanden würden. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (E[X.]) 2010, 196 veröffentlicht.

4

Mit der Revision rügt das [X.] die Verletzung von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.]. Die Festsetzung und Zahlung der ausländischen Steuer sei kein rückwirkendes Ereignis. Es handele sich nicht um einen Fall, in dem der für die Besteuerung maßgebende Sachverhalt sich im Nachhinein mit steuerlicher Rückwirkung ändere.

5

Das [X.] beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

6

Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

7

II. Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Zu Recht hat das [X.] entschieden, dass die vom [X.] festgesetzte und vom Kläger gezahlte Schenkungsteuer nach § 21 [X.] auf die ([X.]) Schenkungsteuer anzurechnen ist. Es ist ferner zutreffend davon ausgegangen, dass die Steuerbescheide vom 29. März 1995 gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.] zu ändern sind.

8

1. Die tessinische Schenkungsteuer ist nach § 21 [X.] auf die ([X.]) Schenkungsteuer anzurechnen.

9

a) Nach § 21 Abs. 1 Satz 1 [X.] ist bei Erwerbern, die in einem ausländischen Staat mit ihrem Auslandsvermögen zu einer der [X.]n Erbschaftsteuer entsprechenden Steuer --ausländische Steuer-- herangezogen werden, in den Fällen des § 2 Abs. 1 Nr. 1 [X.], sofern nicht die Vorschriften eines Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung anzuwenden sind, auf Antrag die festgesetzte, auf den Erwerber entfallende, gezahlte und keinem Ermäßigungsanspruch unterliegende ausländische Steuer insoweit auf die [X.] Erbschaftsteuer anzurechnen, als das Auslandsvermögen auch der [X.]n Erbschaftsteuer unterliegt. Die ausländische Steuer ist nach § 21 Abs. 1 Satz 4 [X.] nur anrechenbar, wenn die [X.] Erbschaftsteuer für das Auslandsvermögen innerhalb von fünf Jahren seit dem Zeitpunkt der Entstehung der ausländischen Erbschaftsteuer entstanden ist. § 21 [X.] gilt gemäß § 1 Abs. 2 [X.] auch für Schenkungen unter Lebenden.

b) Im Streitfall ist der Tatbestand des § 21 [X.] erfüllt. Der [X.] hat gegen den Kläger mit Bescheid vom 17. Dezember 2002 Schenkungsteuer für die Schenkungen vom 2. Mai 1994 und 31. Oktober 1994 festgesetzt. Der Kläger hat diese Steuer gezahlt und ihre Anrechnung beantragt. Die Schenkungsteuer unterfällt keinem Doppelbesteuerungsabkommen. Ferner ist die [X.] Schenkungsteuer innerhalb von fünf Jahren seit dem Zeitpunkt der Entstehung der tessinischen Schenkungsteuer entstanden.

2. Die Schenkungsteuerbescheide vom 29. März 1995 sind gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.] zu ändern. Denn bei der Zahlung der festgesetzten tessinischen Schenkungsteuer handelt es sich um ein rückwirkendes Ereignis.

a) Gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.] ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis).

Zu den rückwirkenden Ereignissen zählen alle rechtlich bedeutsamen Vorgänge, aber auch tatsächliche Lebensvorgänge, die steuerlich --ungeachtet der zivilrechtlichen [X.] in der Weise Rückwirkung entfalten, dass nunmehr der veränderte anstelle des zuvor verwirklichten Sachverhalts der Besteuerung zugrunde zu legen ist (Urteil des [X.] --BFH-- vom 10. Dezember 2008 [X.]/07, [X.], 285, [X.], 473, m.w.N.). Ob einer nachträglichen Änderung des Sachverhalts rückwirkende steuerliche Bedeutung zukommt, bestimmt sich allein nach dem jeweils einschlägigen materiellen Recht ([X.] vom 19. Juli 1993 GrS 2/92, [X.], 66, [X.] 1993, 897, unter [X.]; BFH-Urteil in [X.], 285, [X.], 473, m.w.N.). § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.] ist im Bereich der Erbschaft- und Schenkungsteuer nur dann anwendbar, wenn der Gesetzgeber vorsieht, dass einem nach der Entstehung der Steuer eintretenden Ereignis Wirkung für die Vergangenheit zukommt (BFH-Urteil vom 18. Oktober 2000 II R 46/98, [X.] 2001, 420).

b) Wird festgesetzte ausländische Steuer gezahlt, nachdem das [X.] die Erbschaft- oder Schenkungsteuer festgesetzt hat, kommt diesem Ereignis nach dem Willen des Gesetzgebers Wirkung für die Vergangenheit zu. Zwar ergibt sich dieser Wille des Gesetzgebers nicht unmittelbar aus dem Wortlaut des § 21 [X.], jedoch folgt er aus dessen [X.] Regelungsgehalt.

§ 21 [X.] hat den Sinn und Zweck, Überschneidungen im internationalen Besteuerungsbereich möglichst zu vermeiden (vgl. BFH-Urteil vom 26. Juni 1963 II 196/61 U, [X.], 227, [X.]I 1963, 402, zu § 9 [X.] 1959, dem § 21 [X.] entspricht). Er will eine doppelte steuerliche Belastung von Erwerbern mit inländischer und ausländischer Steuer beseitigen bzw. mildern, indem die ausländische Steuer bei der [X.]n Steuer anzurechnen ist. Diese Anrechnung erfolgt im Rahmen des Festsetzungsverfahrens (vgl. R 24a der [X.] 2003; [X.] in Troll/[X.]/[X.], [X.], [X.] Rz 33; Billig, Umsatzsteuer- und [X.] --UVR-- 2010, 48, 50, m.w.N.). Das [X.] kann die festgesetzte und gezahlte ausländische Steuer jedoch nur dann bei der Festsetzung der inländischen Steuer berücksichtigen, wenn die Zahlung der festgesetzten ausländischen Steuer Wirkung für die Vergangenheit hat. Denn die Erbschaftsteuer ist --beim Erwerb von Todes wegen-- so festzusetzen, wie sie im Zeitpunkt des Todes des Erblassers entstanden ist (vgl. § 38 [X.], § 9 Abs. 1 Nr. 1 [X.]; [X.], Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Kommentar, 15. Aufl., § 9 Rz 1). Dieser Zeitpunkt ist nach § 11 [X.] zugleich für die Wertermittlung maßgeblich. Da eine ausländische Steuer denklogisch erst nach dem Tod des Erblassers festgesetzt und gezahlt worden sein kann, muss die Festsetzung und Zahlung der ausländischen Steuer auf den Zeitpunkt der Entstehung der Erbschaftsteuer im Moment des Todes des Erblassers zurückwirken (vgl. auch [X.], Internationales Steuerrecht 2001, 71, 76, sowie Billig, [X.], 48, 50). Für die Schenkungsteuer kann hinsichtlich der Anwendbarkeit des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.] nichts anderes gelten.

Im Übrigen ist nach ganz herrschender Meinung im Fall des § 34c des Einkommensteuergesetzes (EStG) die Festsetzung und Zahlung ausländischer Steuer ein rückwirkendes Ereignis (vgl. [X.]/[X.], EStG, 29. Aufl., § 34c Rz 26; [X.]/ [X.], § 34c EStG Rz 71; [X.] in [X.]/[X.], [X.], 5. Aufl., § 175 Rz 12/2; siehe auch Urteil des [X.] Baden-Württemberg vom 5. Juni 2008 3 K 56/07, nicht veröffentlicht, unter [X.]). Es ist nicht erkennbar, weshalb die Zahlung festgesetzter ausländischer Steuer im Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuerrecht hiervon abweichend nicht als rückwirkendes Ereignis zu beurteilen sein sollte, zumal der Gesetzgeber § 21 [X.] nach dem Vorbild des § 34c EStG geschaffen hat (vgl. Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines [X.] Steuerreformgesetzes [X.] 140/72, [X.]; siehe ferner auch Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des [X.]/598, S. 8, zu § 8b Abs. 1; BFH-Urteil in [X.], 227, [X.]I 1963, 402, jeweils zu der Vorgängerregelung des § 21 [X.] in § 9 [X.] 1959).

Die bis 20. Oktober 1995 bestehende Regelung in § 68c Abs. 1 der [X.] (EStDV) rechtfertigt es nicht, die Zahlung festgesetzter ausländischer Steuer hinsichtlich der Frage, ob diese ein rückwirkendes Ereignis darstellt, einkommen- und erbschaftsteuerrechtlich unterschiedlich zu beurteilen (a.A. Urteil des [X.] Düsseldorf vom 21. August 1998  4 K 5740/94 Erb, E[X.] 1998, 1605). Nach § 68c Abs. 1 EStDV war der für einen Veranlagungszeitraum erteilte Steuerbescheid zu ändern (Berichtigungsveranlagung), wenn eine ausländische Steuer, die auf die in diesem Veranlagungszeitraum bezogenen Einkünfte entfällt, nach Erteilung dieses Steuerbescheids erstmalig festgesetzt, nachträglich erhöht oder erstattet wurde und sich dadurch eine höhere oder niedrigere Veranlagung rechtfertigte. Diese Regelung hatte lediglich deklaratorischen Charakter. Der Gesetzgeber hat sie deshalb durch Art. 10 Nr. 12 des Jahressteuergesetzes 1996 ([X.] 1995, 1250) aufgehoben. In der Gesetzesbegründung (BTDrucks 13/901, [X.]) weist er darauf hin, dass die [X.] in § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 eine entsprechende Regelung enthalte.

Meta

II R 54/09

22.09.2010

Bundesfinanzhof 2. Senat

Urteil

vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 26. August 2009, Az: 3 K 62/07, Urteil

§ 175 Abs 1 S 1 Nr 2 AO, § 21 Abs 1 ErbStG 1991, § 34c EStG 1990, § 68c Abs 1 EStDV 1990, § 68c Abs 1 EStDV 1955

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 22.09.2010, Az. II R 54/09 (REWIS RS 2010, 3125)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 3125

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