Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 24.11.2004, Az. 1 StR 493/04

1. Strafsenat | REWIS RS 2004, 541

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[X.] vom 24. November 2004 in dem Sicherungsverfahren gegen

- 2 -Der 1. Strafsenat des [X.] hat am 24. November 2004 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des [X.] vom 19. Juli 2004 mit den Feststellungen auf-gehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zum Geschehens-ablauf der rechtswidrigen Tat aufrechterhalten. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels, an eine andere [X.] des [X.]. 3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:
Das [X.] hat den Beschuldigten im Sicherungsverfahren nach § 63 StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht. Die Voll- streckung der Maßregel hat es zur Bewährung ausgesetzt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Beschuldigte mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat im Umfang der Beschlußformel Erfolg. [X.]
Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Kranken-haus hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
1. Das [X.] hat zur [X.] festgestellt, der Beschuldigte habe zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt zwischen dem 20. Mai 1997 und Mitte September 1997 im Schulgarten einer Volksschule zwei noch

- 3 -nicht 14 Jahre alten Jungen eine pornographische Karte, auf der eine nackte Frau mit gespreizten Beinen abgebildet war, für den Fall angeboten, daß sie sich vor ihm entblößen würden. Die beiden Kinder hätten ihre Hose und [X.] heruntergezogen, so daß der Beschuldigte für einige Sekunden ihr Ge-schlechtsteil habe sehen können. Im Anschluß daran habe der Beschuldigte seine Hose heruntergezogen und den Kindern sein Geschlechtsteil gezeigt. Er habe sie aufgefordert, seinen Penis anzufassen. Eines der beiden Kinder sei der Aufforderung gefolgt und habe den Penis des Beschuldigten kurz angefaßt, der dabei keine Erektion gehabt habe. Er habe daraufhin den Kindern die Por-nokarte übergeben.
2. Der Beschuldigte habe für diese rechtswidrige Tat jedoch nicht be-straft werden können, weil er an einer seit 1997 chronifizierten [X.] Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie leide. Die sachverständig beratene [X.] hat angenommen, die Steuerungs-fähigkeit des Beschuldigten sei bei Begehung der Tat erheblich eingeschränkt gewesen; sie hat selbst die vollständige Aufhebung der Steuerungsfähigkeit nicht ausschließen können. Das [X.] hat die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB angeordnet, weil der Beschuldig-te nicht krankheits- und behandlungseinsichtig sei und die erforderlichen Medi-kamente eigenmächtig absetze. Auch wenn sich aggressive Verhaltensweisen in der Vergangenheit weitgehend auf verbale Ausbrüche beschränkt hätten, zeigten diese Vorfälle das hohe Aggressionspotential des Beschuldigten. Ohne gezielte Behandlung seien mit hoher Wahrscheinlichkeit weitere erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten. Die Maßregel könne aber gemäß § 67b StGB zur Bewährung ausgesetzt werden, da der Zweck der Maßregel, die medika-mentöse Behandlung des Beschuldigten zur Verhinderung weiterer erheblicher Straftaten sicherzustellen, auch durch eine Unterbringung nach § 1906 BGB gewährleistet werden könne.

- 4 - I[X.]
Die Gefährlichkeitsprognose ist nicht tragfähig begründet.
Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB ist eine den Betroffenen außerordentlich beschwerende Maßnahme. Nur Störungen des Rechtsfriedens, die zumindest in den Bereich der mittleren [X.] hineinragen, rechtfertigen eine Unterbringung gemäß § 63 StGB (vgl. [X.] 70, 279, 312; BGHSt 27, 246, 248; [X.], 2959; st. Rspr.). Auch muß aufgrund einer umfassenden Würdigung von Tat und Täter eine hö-here oder doch bestimmte, jedenfalls über die bloße Möglichkeit hinausrei-chende Wahrscheinlichkeit zu bejahen sein, daß der schuldunfähige Täter in-folge seines Zustandes weitere erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.
1. Die Erheblichkeit drohender Taten kann sich, ohne daß weitere [X.] erforderlich wären, aus dem [X.] selbst ergeben, z. B. bei Verbrechenstatbeständen; auch bei Vergehen mag, ohne daß dies hier einer abschließenden Entscheidung bedürfte, eine solche Annahme vielfach nahelie-gen. Ergibt sich die Erheblichkeit der drohenden Taten nicht ohne weiteres aus dem Deliktscharakter als solchem, kommt es auf die zu befürchtende konkrete Ausgestaltung der Taten an, da das Gesetz keine Beschränkung auf bestimmte Tatbestände vorgenommen hat (vgl. [X.] in [X.]/[X.], StGB 26. Aufl. § 63 Rdn. 15).
Die Kammer hat ihre Gefährlichkeitsprognose - was hier geboten war - nicht auf die [X.] gestützt, sondern sich im wesentlichen auf die "überzeu-gende Einschätzung der Sachverständigen [X.]von der Gefährlichkeit des Beschuldigten" berufen, der sie sich vollumfänglich angeschlossen hat. Die Sachverständige, die den Beschuldigten im Rahmen der Beobachtung nach § 81 StPO exploriert hat, stützt ihre Erkenntnisse auf die Krankenunterlagen sowie auf ihre Eindrücke während der Beobachtung des Beschuldigten. Eine

- 5 -gutachterliche Äußerung dieser Sachverständigen zu der [X.] ist den [X.] nicht zu entnehmen.
Die Krankheit sei beim Beschuldigten im Jahre 1991 ausgebrochen; erstmals sei er 1993 aggressiv geworden. Während eines Aufenthalts im [X.] mußte er wegen fremdaggressiven Verhaltens auf eine andere Station verlegt werden. Im Zeitraum von Januar bis März 2002 ha-be der Beschuldigte stationär untergebracht werden müssen, weil er seine 72jährige Mutter die Treppe hinunter gestoßen habe, wodurch sich diese eine Schulterverletzung zugezogen habe. Im Mai 2002 sei er von Sanitätern zur sta-tionären Behandlung gebracht worden, die bis August 2002 gedauert habe. Dabei habe er erneut aggressive Verhaltensweisen gezeigt, und er habe weib-liches Personal mit anzüglichen Bemerkungen bedrängt.
2. Die [X.] hat die [X.] aus dem [X.] als minder schweren Fall des sexuellen Mißbrauchs von Kindern nach § 176 Abs. 1 2. Halbsatz, Abs. 5 Nr. 3 StGB a. F. gewertet. Es ist nicht erörtert, ob zwischen der [X.] und der von der Sachverständigen festgestellten Steigerung fremdaggressiven Verhaltens ein symptomatischer Zusammenhang besteht (vgl. [X.], 528; 1985, 309; [X.] in [X.]/[X.] aaO Rdn. 17 m. w. Nachw.). Auch das Verhalten des Beschuldigten gegenüber dem [X.] während seiner früheren Klinikaufenthalte reicht jedenfalls für sich nicht für die Erwartung aus, der Beschuldigte werde in Freiheit, also ohne die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit erhebliche, für die Allgemeinheit gefährliche [X.] begehen. Hinweise auf eine sich steigernde Aggressivität und eine Gefährlichkeit im Sinne von § 63 StGB könnten sich allerdings aus den Umständen ergeben, unter denen der Beschuldigte im Jahre 2002 seine 72jährige Mutter die Treppe hinuntergestoßen haben soll. Nähere Einzelheiten zu dem Vorfall teilen die Urteilsgründe nicht mit.

- 6 -Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Kranken-haus war deshalb aufzuheben. Die nunmehr zur Entscheidung berufene [X.] wird Gelegenheit haben, die Gefährlichkeitsprognose unter besonde-rer Berücksichtigung gerade der aktuellen Vorfälle neu zu bewerten. [X.]
Wahl Boetticher

Schluckebier

[X.]

Meta

1 StR 493/04

24.11.2004

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 24.11.2004, Az. 1 StR 493/04 (REWIS RS 2004, 541)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2004, 541

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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