Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 29.04.2022, Az. 5 CN 2/21

5. Senat | REWIS RS 2022, 4034

© Bundesverwaltungsgericht, Foto: Michael Moser

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Umfang der Bindungswirkung eines zurückverweisenden revisionsgerichtlichen Urteils


Tenor

Auf die Revision des Antragstellers wird der Beschluss des [X.] vom 23. August 2021 aufgehoben. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an einen anderen Senat des [X.] zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Tatbestand

1

Der Antragsteller ist Eigentümer zweier Dachgeschosswohnungen in [X.], die er eigenen Angaben zufolge zur [X.] vermietet. Er begehrt im Wege der Normenkontrolle, die Zweckentfremdungsverbotssatzung der Antragsgegnerin vom 27. Mai 2019 vollumfänglich, hilfsweise teilweise für unwirksam zu erklären. Der Verwaltungsgerichtshof hat den Normenkontrollantrag ohne mündliche Verhandlung mit Beschluss vom 16. Dezember 2020 wegen fehlenden Rechtsschutzinteresses als unzulässig verworfen.

2

Im sich anschließenden Beschwerdeverfahren wegen Nichtzulassung der Revision hat das [X.] die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs mit Beschluss vom 2. Juni 2021 - 5 [X.] 1.21 - gestützt auf § 133 Abs. 6 VwGO aufgehoben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung an diesen zurückverwiesen. Die Nichtdurchführung der im vorliegenden Fall gebotenen mündlichen Verhandlung begründe einen Verfahrensmangel. Das nach § 47 Abs. 5 Satz 1 VwGO dem Verwaltungsgerichtshof zukommende Verfahrensermessen, auch ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu entscheiden, sei hier durch Art. 6 Abs. 1 Satz 1 [X.] in der Weise eingeschränkt, dass eine mündliche Verhandlung durchzuführen sei. Diese dürfe auch nicht deshalb unterbleiben, weil der Normenkontrollantrag nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs offensichtlich unzulässig sei. Dies treffe nämlich nicht zu. Dem Antragsteller fehle aus im Einzelnen näher dargelegten Gründen nicht offensichtlich das erforderliche Rechtsschutzinteresse.

3

Der Verwaltungsgerichtshof hat den Normenkontrollantrag mit Beschluss vom 23. August 2021 wiederum ohne mündliche Verhandlung wegen fehlenden Rechtsschutzinteresses als (offensichtlich) unzulässig verworfen. Der Beschluss des [X.]s entfalte als Rechtsakt ultra vires die in § 144 Abs. 6 VwGO grundsätzlich intendierte Bindungswirkung nicht. Er greife in gesetzeswidriger Weise in das dem Normenkontrollgericht durch § 47 Abs. 5 Satz 1 VwGO ausdrücklich eröffnete Verfahrensermessen sowie in den Grundsatz freier richterlicher Überzeugungsbildung nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO über.

4

Mit der vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Revision rügt der Antragsteller, dass sich die angefochtene Entscheidung über den Beschluss des [X.]s vom 2. Juni 2021 hinwegsetze und § 47 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO i.V.m. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 [X.] sowie das Gebot effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG verletze. Das von der Prozessordnung nicht gedeckte Absehen von einer mündlichen Verhandlung stelle einen absoluten Revisionsgrund nach § 138 Nr. 3 VwGO dar, weshalb auch § 144 Abs. 4 VwGO nicht anwendbar sei.

5

Die Antragsgegnerin verteidigt den angefochtenen Beschluss.

Entscheidungsgründe

6

Die Revision des Antragstellers ist begründet. Der angefochtene [X.]eschluss beruht auf einem Verstoß gegen [X.]undesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) (1.). Der [X.] kann nicht entscheiden, ob er sich aus anderen Gründen als richtig erweist (§ 144 Abs. 4 VwGO). Der angefochtene [X.]eschluss ist daher gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO aufzuheben und die Sache ist zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen, wobei der [X.] in Ausübung seines insoweit bestehenden Ermessens an einen anderen Spruchkörper zurückverweist (2.).

7

1. Der angefochtene [X.]eschluss verstößt gegen § 144 Abs. 6 VwGO. Danach hat das Gericht, an das die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen ist, seiner Entscheidung die rechtliche [X.]eurteilung des [X.] zugrunde zu legen. [X.] ein Gericht die [X.]indungswirkung der zurückweisenden Entscheidung, liegt darin ein Verfahrensmangel, der unabhängig von der hier der Sache nach mit der Revisionsbegründung erhobenen entsprechenden Verfahrensrüge im Revisionsverfahren von Amts wegen zu berücksichtigen ist (vgl. RG, Urteil vom 7. Oktober 1918 - [X.]/18 - [X.], 11 <13>; [X.], Urteil vom 23. Juni 1992 - [X.] - NJW 1992, 2831 <2832>; [X.]FH, Urteil vom 4. November 2004 - [X.]/02 - juris Rn. 37; [X.], in: [X.]/[X.], VwGO, 27. Aufl. 2021, § 137 Rn. 39; [X.]/[X.], in: [X.]/[X.], VwGO, 5. Aufl. 2018, § 137 Rn. 204 [X.]. 162; [X.], in: [X.] Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2020, § 563 Rn. 16; [X.], in: Vorwerk/Wolf, [X.] ZPO, Stand 1. März 2022, § 563 Rn. 7; [X.], in: [X.]/Schütze, ZPO, 5. Aufl. 2021, § 563 Rn. 14). Ein solcher Fall liegt hier vor. Der Verwaltungsgerichtshof hätte die [X.] des Antragstellers nicht erneut ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung mangels [X.] als (offensichtlich) unzulässig verwerfen dürfen.

8

a) Die [X.]indungswirkung des § 144 Abs. 6 VwGO gilt auch für den hier in Rede stehenden zurückverweisenden [X.]eschluss nach § 133 Abs. 6 VwGO (vgl. [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 28. Januar 2021 - 8 [X.] - juris Rn. 3). Sie ist angesichts des beschränkten Gegenstandes eines solchen [X.]eschlusses zwar auf die [X.]eurteilung des erfolgreich gerügten [X.] (und anderer nicht durchgreifender [X.]) durch das [X.] beschränkt ([X.]VerwG, [X.]eschluss vom 14. Juli 2020 - 2 [X.] - juris Rn. 11). In diesem Umfang erstreckt sie sich aber - wie bei einem zurückweisenden Revisionsurteil - auf alle rechtlichen Gesichtspunkte, die den zurückweisenden [X.]eschluss des [X.] nach § 133 Abs. 6 VwGO tragen. Dies sind diejenigen entscheidungstragenden Erwägungen, die das [X.] hinsichtlich der Auslegung der maßgeblichen (verfahrensrechtlichen) Rechtsnormen und der Rechtsanwendung im Einzelfall, also des [X.], abweichend vom Oberverwaltungsgericht beurteilt hat. Darüber hinaus werden rechtliche Erwägungen erfasst, die notwendige Voraussetzung für die unmittelbaren Aufhebungsgründe sind (vgl. [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 23. November 2020 - 6 [X.] - juris Rn. 7). Das entspricht dem Zweck des § 144 Abs. 6 VwGO, den Verfahrensbeteiligten Rechtssicherheit für die weitere Prozessführung zu geben und ein Hin- und [X.] der Streitsache zwischen den Instanzen zu vermeiden ([X.]VerwG, [X.]eschluss vom 23. November 2020 - 6 [X.] - juris Rn. 6 m.w.N.). Es wäre für die [X.]eteiligten eines Rechtsstreits untragbar und mit der rechtlichen [X.]edeutung einer revisionsgerichtlichen Entscheidung unvereinbar, wenn das [X.] im zweiten Rechtsgang die Rechtsauffassung des [X.] als für seine Entscheidung unmaßgeblich behandeln dürfte ([X.]VerwG, [X.]eschluss vom 14. Juli 2020 - 2 [X.] - juris Rn. 10). Darüber hinaus ist bei einer neuerlichen [X.]efassung mit derselben Sache auch das [X.] an seine in der zurückverweisenden Entscheidung niedergelegte Rechtsauffassung im gleichen Umfang wie die Vorinstanz gebunden ([X.]VerwG, [X.]eschluss vom 4. Juli 2011 - 7 [X.] 26.11 - juris Rn. 11 und Urteil vom 14. Oktober 2020 - 8 [X.] 23.19 - [X.]VerwGE 169, 375 Rn. 20).

9

b) Die [X.]indung an einen nach § 133 Abs. 6 VwGO zurückweisenden [X.]eschluss entfällt - wie bei einem zurückweisenden Revisionsurteil –, soweit sich nach dessen Erlass die Sach- und Rechtslage in auch intertemporal entscheidungserheblicher Weise geändert hat. Dies ist der Fall, wenn eine (verfahrensrechtliche) Rechtsnorm, die Gegenstand der bindenden rechtlichen [X.]eurteilung ist, inhaltlich geändert wird, außer [X.] tritt, oder sich der entscheidungserhebliche Streitstoff ändert (vgl. [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 23. November 2020 - 6 [X.] - juris Rn. 7 und Urteil vom 29. April 2021 - 4 [X.] 5.19 - juris Rn. 8). Von der [X.]indung nach § 144 Abs. 6 VwGO befreit ist die Vorinstanz ferner dann, wenn das [X.] in verfassungsrechtlichen Fragen, der [X.] zu Unionsrecht, der Gemeinsame [X.] der Obersten Gerichtshöfe des [X.]undes, der Große [X.] des [X.]s oder der in dieser Sache zuständige [X.] des [X.]s in einem anderen Verfahren ([X.]VerwG, [X.]eschluss vom 4. Juli 2011 - 7 [X.] 26.11 - juris Rn. 9) nachträglich eine Rechtsauffassung zu entscheidungserheblichen Rechtsfragen vertreten, die von der in dem zurückverweisenden [X.]eschluss grundsätzlich - d.h. fallübergreifend verallgemeinerungsfähig - abweicht (vgl. Eichberger/[X.]ier, in: [X.]/[X.], Verwaltungsrecht, 41. EL Juli 2021, § 144 VwGO Rn. 126 m.w.N.).

Soweit danach die [X.]indungswirkung nicht entfällt, ist das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen ist, entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs nicht berechtigt, die in der zurückverweisenden Entscheidung des [X.] zum Ausdruck gebrachte Rechtsauffassung, soweit sie von der [X.]indungswirkung erfasst wird, einer inhaltlichen Prüfung zu unterziehen oder auch nur in Frage zu stellen. Anders als in den Fällen von Verweisungsbeschlüssen nach (§ 83 Satz 1 VwGO i.V.m.) § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG, die bei extremen Rechtsverstößen ganz ausnahmsweise keine [X.]indungswirkung entfalten ([X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 1. Juli 2004 - 7 VR 1.04 - [X.] 310 § 50 VwGO Nr. 23 S. 11 und vom 7. Februar 2022 - 5 AV 5.21 - juris Rn. 7), kommt dem nach § 144 Abs. 6 VwGO durch eine zurückverweisende Entscheidung gebundenen Gericht keinerlei Prüfkompetenz hinsichtlich der inhaltlichen Richtigkeit dieser Entscheidung zu, die allein in der Verantwortung des [X.] liegt. Das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen ist, kann sich der [X.]indungswirkung selbst dann nicht entziehen, wenn es verfassungsrechtliche [X.]edenken gegen die zurückverweisende Entscheidung hegt ([X.], [X.]eschluss vom 4. Oktober 1983 - 2 [X.]vL 8/83 - [X.]E 65, 132 <137 f.>) oder es der Ansicht ist, ein Rechtssatz sei übersehen oder falsch ausgelegt worden oder die Rechtsauffassung des [X.] sei greifbar gesetzeswidrig ([X.], Urteil vom 21. November 2006 - [X.] - NJW 2007, 1127 <1129>; [X.], in: [X.], ZPO, 34. Aufl. 2022, § 563 Rn. 3a). Demnach sind die Einwände des Verwaltungsgerichtshofs von vornherein nicht geeignet (vgl. [X.], in: [X.], VwGO, 16. Aufl. 2022, § 144 Rn. 28), die [X.]indungswirkung des zurückverweisenden [X.]eschlusses des [X.]s vom 2. Juni 2021 - 5 [X.] 1.21 - in Abrede zu stellen und insoweit irrelevant.

Dessen ungeachtet weist der [X.] darauf hin, dass der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs eine Fehlinterpretation des von ihm in [X.]ezug genommenen Urteils des [X.]s vom 16. Dezember 1999 - 4 [X.]N 9.98 - ([X.]VerwGE 110, 203 <215>) zugrunde liegt. Soweit in diesem Urteil ausgeführt ist, eine Ausnahmesituation, in der von der Durchführung einer öffentlichen Verhandlung abgesehen werden könne, liege u.a. deshalb nicht vor, weil der Normenkontrollantrag "nach den erstinstanzlichen Feststellungen [nicht] offensichtlich unzulässig" sei, ist dies keineswegs dahin zu verstehen, das Oberverwaltungsgericht habe die Zulässigkeit eines Normenkontrollantrags abschließend zu beurteilen. Vielmehr ist es - wie in sonstigen Revisionsverfahren - auch in normenkontrollrechtlichen Revisionsverfahren Sache des [X.], die Zulässigkeit von [X.] eigenständig und ohne [X.]indung an die [X.]eurteilung der Vorinstanz zu prüfen und verbindlich hierüber zu entscheiden. Soweit sich der Verwaltungsgerichtshof darüber hinaus auch auf den Überzeugungsgrundsatz des § 108 Abs. 1 VwGO beruft, trägt er dem [X.]edeutungsgehalt dieser Vorschrift nicht Rechnung. Die Freiheit, die der Überzeugungsgrundsatz dem [X.] zugesteht, bezieht sich auf die [X.]ewertung der für die Feststellung des Sachverhalts maßgebenden Umstände und nicht auf die Auslegung des anzuwendenden Rechts ([X.]VerwG, [X.]eschluss vom 31. März 2021 - 6 [X.] - juris Rn. 4; vgl. [X.], in: [X.]/[X.], Verwaltungsrecht, 41. EL Juli 2021, § 108 VwGO Rn. 9; [X.], in: [X.]/[X.], Verwaltungsgerichtsordnung, 5. Aufl. 2018, § 108 Rn. 15). Ebenso wenig ist die richtige Rechtsanwendung (Subsumtion) einer freien Überzeugungsbildung des Tatrichters vorbehalten, in welche das Revisionsgericht "übergreifen" könnte. Die Subsumtion der festgestellten Tatsachen unter den rechtlichen Maßstab unterliegt vielmehr - und dies gilt gleichermaßen für das materielle wie das Prozessrecht - der grundsätzlich uneingeschränkten revisionsgerichtlichen Kontrolle (vgl. [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 10. Juli 1996 - 6 [X.] 8.95 - NJW 1996, 2945 <2946>, Urteil vom 14. Oktober 2020 - 8 [X.] 23.19 - [X.]VerwGE 169, 375 Rn. 33 m.w.N. sowie etwa [X.], in: [X.], VwGO, 16. Aufl. 2022, § 137 Rn. 40).

c) In Anwendung der dargelegten rechtlichen Vorgaben erfasst die [X.]indungswirkung des [X.]eschlusses des [X.]s vom 2. Juni 2021 - 5 [X.] 1.21 - unter anderem, dass über den Normenkontrollantrag des Antragstellers gemäß § 47 Abs. 5 Satz 1 VwGO i.V.m. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 [X.] nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu entscheiden ist, zumal der Normenkontrollantrag des Antragstellers nicht offensichtlich unzulässig ist. Die diesbezüglichen Ausführungen des [X.]s thematisieren fallbezogen das Rechtsschutzinteresse des Antragstellers. Ihnen ist darüber hinaus zu entnehmen, dass auch im Übrigen keine Anhaltspunkte für eine offensichtliche Unzulässigkeit des Normenkontrollantrags bestehen. Indem der Verwaltungsgerichtshof das Rechtsschutzinteresse des Antragstellers erneut als offensichtlich nicht gegeben verneint und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung deshalb wiederum für nicht geboten erachtet hat, hat er die [X.]indungswirkung missachtet. Ob der angefochtene [X.]eschluss noch weitere, vom Antragsteller geltend gemachte Verfahrensmängel, insbesondere auch einen Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG (vgl. hierzu [X.], [X.]eschluss vom 5. Mai 1987 - 2 [X.]vR 104/87 - juris Rn. 41) aufweist, bedarf vor diesem Hintergrund keiner Entscheidung.

2. Der [X.] kann ungeachtet der Frage des Vorliegens eines absoluten Revisionsgrundes nach § 138 Nr. 3 VwGO in Form einer sich auf das Gesamtergebnis des Verfahrens beziehenden Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs, bei der eine Anwendung von § 144 Abs. 4 VwGO ausgeschlossen ist ([X.]VerwG, Urteile vom 26. Februar 2003 - 8 [X.] 1.02 - [X.] 310 § 138 Ziff. 3 VwGO Nr. 67 S. 10 und vom 30. Juni 2004 - 6 [X.] 28.03 - [X.]VerwGE 121, 211 <221>), nicht in der Sache selbst entscheiden. Der Verwaltungsgerichtshof hat keine der zur [X.]eurteilung der Wirksamkeit der Zweckentfremdungsverbotssatzung erforderlichen tatsächlichen Feststellungen getroffen. Darüber hinaus hängt die Entscheidung über den Normenkontrollantrag maßgeblich von der in erster Linie dem Verwaltungsgerichtshof obliegenden, aber bislang nicht vorgenommenen Auslegung und Anwendung der dem Landesrecht angehörenden Vorschriften des [X.] ab (§ 173 VwGO i.V.m. § 563 Abs. 4 ZPO).

Der [X.] macht darüber hinaus von der in seinem Ermessen stehenden Möglichkeit Gebrauch, die Sache an einen anderen Spruchkörper des Verwaltungsgerichtshofs zurückzuverweisen (§ 173 VwGO i.V.m. § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Das Ermessen ist, weil die [X.]estimmung des gesetzlichen Richters berührt ist, zurückhaltend auszuüben und danach auszurichten, ob die Zurückverweisung an einen anderen Spruchkörper im Interesse des Vertrauens der [X.]eteiligten in die Rechtspflege geboten ist ([X.]VerwG, Urteil vom 15. April 1964 - 5 [X.] 97.63 - [X.] 310 § 144 VwGO Nr. 8 S. 9). Dies ist etwa der Fall, wenn es im Interesse des Vertrauens in die Rechtspflege und zur Vermeidung erneuter Verfahrensfehler angebracht ist ([X.]VerwG, [X.]eschluss vom 22. Oktober 2014 - 8 [X.] 99.13 - juris Rn. 45) oder wenn der vorinstanzlich bislang zuständige Spruchkörper in dieser Sache oder in vergleichbaren Fällen der [X.]indungswirkung des § 144 Abs. 6 VwGO nicht Folge geleistet hat oder ernstliche Zweifel an seiner Unvoreingenommenheit bestehen (Eichberger/[X.]ier, in: [X.]/[X.], Verwaltungsrecht, 41. EL Juli 2021, § 144 VwGO Rn. 103; [X.]/[X.], in: [X.]/[X.], Verwaltungsgerichtsordnung, 5. Aufl. 2018, § 144 Rn. 54). Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

Der bislang mit der Sache befasste Spruchkörper des Verwaltungsgerichtshofs hat die [X.]indungswirkung gemäß § 144 Abs. 6 VwGO - wie dargelegt - außer [X.] gelassen. Es bestehen auch Zweifel an seiner Unvoreingenommenheit gegenüber dem Antragsteller und dessen Rechtsschutzanliegen. Diese ergeben sich jedenfalls daraus, dass der Spruchkörper den Antragsteller in der (möglicherweise zutreffenden) Annahme, dieser begehe eine baurechtliche Ordnungswidrigkeit, abfällig als "Rechtsgenossen" tituliert, hinsichtlich dessen sich dem Spruchkörper nicht erschließe, weshalb diesem die "Wohltat einer verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle zuteilwerden" solle, obwohl bereits jetzt absehbar sei, dass diese aufgrund einer fehlenden [X.]augenehmigung nicht zu einer legalen Ferienwohnnutzung führen könne ([X.]A Ziff. 4.1). Die [X.]esorgnis erneuter Verfahrensfehler ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass der bislang mit der Sache befasste Spruchkörper des Verwaltungsgerichtshofs vor seiner erneuten Entscheidung im [X.]eschlusswege ohne mündliche Verhandlung von einer Anhörung der Verfahrensbeteiligten bewusst abgesehen (vgl. [X.]A Ziffer 2.2.7) und so angesichts des [X.]eschlusses des [X.]s vom 2. Juni 2021 unter dem Gesichtspunkt der Überraschungsentscheidung einen weiteren Gehörsverstoß begangen hat.

3. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens bleibt der Endentscheidung vorbehalten. Dabei wird zu beachten sein, dass gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG Kosten nicht erhoben werden, die bei richtiger [X.]ehandlung der Sache nicht entstanden wären (vgl. [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 27. Oktober 2010 - 8 KSt 13.10 - juris).

Meta

5 CN 2/21

29.04.2022

Bundesverwaltungsgericht 5. Senat

Urteil

Sachgebiet: CN

vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 23. August 2021, Az: 12 N 21.1996, Beschluss

§ 130a VwGO, § 133 Abs 6 VwGO, § 144 Abs 6 VwGO, § 47 Abs 5 S 1 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 29.04.2022, Az. 5 CN 2/21 (REWIS RS 2022, 4034)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 4034

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

2 B 1/11 (Bundesverwaltungsgericht)

Bindungswirkung nach § 144 Abs. 6 VwGO


2 B 25/18 (Bundesverwaltungsgericht)

Zur Bindungswirkung nach § 144 Abs. 6 VwGO


4 BN 22/17 (Bundesverwaltungsgericht)

Verfahrensermessen des Normenkontrollgerichts; Verlust des Ablehnungsrechts wegen Befangenheit


3 CN 14/22 (Bundesverwaltungsgericht)

Feststellung der Unwirksamkeit einer außer Kraft getretenen Verordnungsregelung


8 C 21/11 (Bundesverwaltungsgericht)

Zur Bindungswirkung des Tatsachengerichts an die rechtliche Beurteilung des Revisionsgerichts


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.