Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 03.09.2013, Az. 1 StR 237/13

1. Strafsenat | REWIS RS 2013, 3089

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1
StR 237/13

vom
3. September 2013
in der Strafsache
gegen

wegen
Bankrotts
u.a.

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2
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Der 1. Strafsenat des [X.] hat am 3. September 2013 beschlos-sen:

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 25. Januar 2013 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tra-gen.

Gründe:
Das
Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlichen Bankrotts in 314 Fällen, wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung, wegen Urkundenfäl-schung in zwei Fällen und wegen Betruges in sieben Fällen zu einer Gesamt-freiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Geltendmachung der Verletzung formel-len und materiellen Rechts gestützten Revision. Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der [X.] hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§
349 Abs.
2 StPO). Der Erörterung bedarf lediglich die vom Beschwerdeführer erhobene Verfahrensrüge eines Verstoßes gegen die Vorschrift des § 243 Abs.
4 StPO:
1. Mit dieser Rüge macht der Angeklagte geltend, der [X.] habe entgegen §
243 Abs.
4 StPO weder zu Beginn der Hauptverhandlung noch später in öffentlicher Sitzung mitgeteilt, "ob Erörterungen nach den 1
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§§
202a, 212 StPO stattgefunden haben, deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung gewesen ist", und "ob es bislang in dem Verfahren zu [X.] gekommen war" (RB S.
3). Lediglich
zum Schluss der Beweisaufnahme habe der Vorsitzende zu Protokoll festgestellt, dass eine Ver-ständigung im Sinne des § 257c StPO nicht stattgefunden habe.
Der Beschwerdeführer vertritt unter Hinweis auf die [X.] die Auffassung, dass die Mitteilungspflicht aus § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO auch dann greife, wenn keine Gespräche "im Hintergrund" stattgefunden ha-ben. Da die Vorschrift des § 243 Abs. 4 StPO nach den gesetzgeberischen Mo-tiven der Transparenz des Verfahrens gegenüber der Öffentlichkeit diene und damit den Öffentlichkeitsgrundsatz (§
169 GVG) verwirkliche, sei bei diesem Verstoß der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 6 StPO zu bejahen. Eine Beruhensprüfung komme demnach nicht in Betracht; die anderslautende Ent-scheidung des [X.]s (Beschluss vom 20. Oktober 2010 -
1 [X.], [X.], 592) bedürfe nach dem Urteil des [X.] zur Ver-ständigung im Strafprozess vom 19.
März 2013 (2 BvR 2628/10 u.a., [X.], 295) der Korrektur.
2. Ausgehend von der Rechtsprechung des 2. Strafsenats des Bundes-gerichtshofs zu § 243 Abs. 4 StPO bestehen bereits Bedenken gegen die Zu-lässigkeit dieser Rüge. Denn der Beschwerdeführer hat nicht vorgetragen, ob Erörterungen im Sinne des §
243 Abs. 4 Satz 1 StPO stattgefunden haben. Dies
durfte er aber nach dem Urteil des 2. Strafsenats vom 10.
Juli 2013 im Verfahren 2 StR 47/13 nicht offenlassen, weil danach die Verfahrensrüge, es sei rechtsfehlerhaft keine Mitteilung gemäß § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO erfolgt, den Vortrag voraussetzt, ob Gespräche im Sinne dieser Vorschrift [X.] hatten und welchen Inhalt sie gegebenenfalls hatten. Diese [X.] stützt sich auf den Wortlaut des §
243 Abs. 4 Satz 1 StPO, den Sinn und 3
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Zweck der Mitteilungs-
und Dokumentationspflichten, die Gesetzesmaterialien und die Entscheidung des [X.] vom 19. März 2013 (aaO) und schließt hieraus, dass eine Mitteilungspflicht nach dieser Vorschrift nicht besteht, wenn keine auf eine Verständigung hinzielenden Gespräche stattgefunden haben (vgl. [X.], Urteil vom 10. Juli 2013 -
2 StR 47/13 Rn.
6 ff.).
3. Die Rüge ist jedenfalls unbegründet. Ein Verstoß gegen die Mittei-lungspflicht aus § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO wäre kein absoluter Revisionsgrund im Sinne von § 338 Nr. 6 StPO (nachfolgend a).
Eine Verletzung des Gesetzes läge daher nur dann vor, wenn das Urteil auf dem Verstoß beruhte (§
337 Abs.
1 StPO). Es kann letztlich dahinstehen, ob ein Verstoß gegen § 243 Abs.
4 StPO vorliegt, da das Urteil hier jedenfalls darauf nicht beruhen kann. Denn der [X.] hat im Freibeweisverfahren Beweis darüber erhoben, ob Erörterungen im Sinne des §
243 Abs. 4 Satz 1 StPO stattgefunden haben, und dabei [X.], dass dies nicht der Fall war (nachfolgend b). Er schließt ein Beruhen des Urteils auf der Nichtmitteilung des Umstandes, dass keine Erörterungen im [X.] des §
243 Abs.
4 Satz 1 StPO stattgefunden haben, aus (nachfolgend c).
a) Entgegen der Auffassung der Revision könnte der geltend gemachte Verstoß gegen die Mitteilungspflichten aus §
243 Abs. 4 Satz 1 StPO keinen absoluten Revisionsgrund im Sinne des § 338 Nr. 6 StPO darstellen.
Nach § 338 Nr. 6 StPO ist ein Urteil stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen, wenn es auf Grund einer mündlichen Verhand-lung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfah-rens verletzt sind. Dies ist hier nicht der Fall, denn § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO zählt nicht zu diesen Vorschriften (vgl. bereits [X.], Beschluss vom 20.
Oktober 2010 -
1 [X.], [X.], 592). Die Vorschrift des §
338 Nr.
6 StPO bezieht sich auf den Grundsatz der Öffentlichkeit der Hauptverhand-5
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lung, der in §
169 Satz
1 GVG normiert ist. Zwar dient auch die Vorschrift des §
243 Abs.
4 StPO der Transparenz des Strafverfahrens, weil ihr Sinn und Zweck auch ist, die Öffentlichkeit über etwaige Vorgespräche der Verfahrensbe-teiligten zu informieren. Allerdings kann der Verstoß gegen Mitteilungspflichten über Vorgänge außerhalb der Hauptverhandlung nicht mit einem Verstoß gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit der Verhandlung vor dem erkennenden [X.] (§
169 Satz
1 GVG) gleichgesetzt werden. Denn die Mitteilungspflicht aus §
243 Abs.
4 StPO sichert in erster Linie den [X.] sämtlicher Verfahrensbeteiligter, auch derjenigen, die an Erörterungen gemäß den §§
202a, 212 StPO nicht beteiligt waren (vgl. dazu auch [X.], Beschluss vom 30.
August 2011 -
32 [X.], Rn.
14, [X.], 394, 395). [X.] bezieht sich §
169 Satz
1
GVG auf die unmittelbare Öffentlichkeit im Sinne einer -
hier nicht in Rede stehenden -
Möglichkeit der Teilnahme an der [X.] vor dem erkennenden Gericht (vgl. [X.], Urteil vom 17.
Februar 1989, 2 [X.], [X.]St 36, 119, 122; [X.] in [X.], 6.
Aufl., §
169 GVG Rn.
1).
b) Ein zur Aufhebung des Urteils nötigender Verfahrensfehler konnte deshalb nur dann vorliegen, wenn das Urteil auf der Nichtmitteilung, ob Erörte-rungen im Sinne des §
243 Abs.
4 Satz 1 StPO stattgefunden haben, beruhte. Der [X.] hat deshalb im Freibeweisverfahren nicht nur von den beteiligten Richtern und Staatsanwälten dienstliche Erklärungen, sondern auch von den Verteidigern und vom Angeklagten Erklärungen dazu eingeholt, ob ihnen solche Erörterungen bekannt geworden sind. Dies wurde ausnahmslos -
nicht nur von den Richtern und Staatsanwälten, sondern auch vom Instanzverteidiger und vom Angeklagten -
verneint. Derartige Erörterungen liegen auch nicht darin, dass der [X.], wie er in seiner dienstlichen Erklärung mitgeteilt hat, bei der Absprache der [X.] möglicherweise gegen-über der Verteidigung eine Einschätzung der Sach-
und Rechtslage vorge-8
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nommen hat, denn dies kann nicht als Vorbereitung einer Verständigung gewer-tet werden (vgl. dazu [X.], Urteil vom 19.
März 2013
-
2 BvR 2628/10 u.a., Rn.
85, [X.], 295, 297). Der [X.] hat keine Zweifel an der Richtigkeit der von den Verfahrensbeteiligten hierzu abgegebenen Erklärungen.
c) Da somit zweifelsfrei feststeht, dass es keinerlei Gespräche gegeben hat, in denen die Möglichkeit einer Verständigung im Raum stand, schließt der [X.] ein Beruhen des Urteils auf dem Umstand aus, dass der [X.] in der Hauptverhandlung nicht öffentlich mitgeteilt hat, ob Erörterungen im Sinne des §
243 Abs.
4 Satz 1 StPO stattgefunden haben (zum Ausschluss
des Beruhens in solchen Fällen vgl. [X.],
aaO,
Rn.
98 und [X.], [X.] vom 30.
August 2011 -
32 [X.], Rn.
11, 13,
[X.], 394, 395 f.;
in den Fällen eines fehlenden [X.] gemäß §
273 Abs.
1a Satz
3 StPO vgl. [X.], Beschluss vom 22.
Mai 2013
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4 StR 121/13).
Raum Rothfuß Jäger

Radtke Mosbacher
9

Meta

1 StR 237/13

03.09.2013

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 03.09.2013, Az. 1 StR 237/13 (REWIS RS 2013, 3089)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 3089

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Zitiert

1 StR 400/10

2 BvR 2628/10

2 StR 47/13

4 StR 121/13

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