Bundessozialgericht, Beschluss vom 03.07.2013, Az. B 12 R 38/12 B

12. Senat | REWIS RS 2013, 4565

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Gegenstand

Nichtzulassungsbeschwerde - Bezeichnung des Verfahrensmangels - Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör - ordnungsgemäße Bescheidung eines Antrags auf Terminverlegung - Beurteilbarkeit der Verhandlungs- bzw Reisefähigkeit durch das Gericht bei kurz vor dem Termin gestellten Anträgen


Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 26. Juni 2012 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

I. In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrundeliegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten - so das [X.] - über die Rechtmäßigkeit der Rückforderung eines Zuschusses zu den Aufwendungen des beklagten Rentenversicherungsträgers für die Krankenversicherung.

2

Der Kläger ist Rechtsanwalt und vertritt sich in eigener Sache selbst. Durch Gerichtsbescheid vom 17.1.2012 hat das [X.] die gegen die Bescheide der Beklagten gerichtete Klage abgewiesen. Der Gerichtsbescheid ist dem Kläger am [X.] zugestellt worden. Mit einem per Telefax an das [X.] am 21.2.2012 (Dienstag) übermittelten Schreiben vom 21.2.2012 hat der Kläger hiergegen Berufung eingelegt. Das Telefax ist mit Schreiben vom 24.2.2012 an das [X.] weitergeleitet worden. Auf den Hinweis des [X.] auf die mögliche Nichteinhaltung der Berufungsfrist hat der Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt: Aufgrund seiner gesundheitlichen Situation sei er wiederholt in stationärer Behandlung gewesen. Als er am [X.] in seiner Kanzlei gewesen sei, habe er den Gerichtsbescheid des [X.] vorgefunden und das auf dem Umschlag handschriftlich vermerkte Datum der Zustellung als "26.01.12" gelesen. Es sei eindeutig, dass es sich bei der [X.] um die Ziffern 26 und nicht um die Ziffern 20 handele, da sich der Schriftzug an der zweiten Stelle der [X.] von dem Schriftzug der Ziffer 0 in der Monatsangabe unterscheide, weil er keinen geschlossenen Kreis bilde, sondern rechts offen sei.

3

Das [X.] hat einen Termin zur mündlichen Verhandlung am [X.] bestimmt und die Beteiligten hierüber durch Schreiben vom 25.5.2012, das dem Kläger am 26.5.2012 zugestellt worden ist, informiert. Der Kläger ist darin darauf hingewiesen worden, dass es ihm frei stehe, zur Verhandlung zu erscheinen.

4

Mit Schreiben vom 22.6.2012 hat der Kläger beantragt, den Termin am "[X.]" aufzuheben. Unter der Datumsangabe enthält es den Zusatz "Bitte sofort vorlegen! Termin: 26-06-2012!". Zur Begründung hat er angeführt, derzeit aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage zu sein, einen so frühen Termin wahrzunehmen. Die Erledigung der vor Verlassen der Wohnung anstehenden "Notwendigkeiten etc." nehme mehrere Stunden in Anspruch. Erforderliche fremde Hilfe sei so früh am Tage nicht verfügbar. Vor allem sei es ihm aufgrund der Wirkungen der "notwendigen starken Schmerzmittel (Schläfrigkeit)" nicht möglich, so früh eine Reise zu unternehmen und einen Gerichtstermin wahrzunehmen. Dies sei allenfalls für einen Termin am späten Vormittag einrichtbar. Die persönliche Wahrnehmung des Termins halte er für notwendig, auch deshalb, um den Umschlag im Original vorzulegen, mit dem der Gerichtsbescheid des [X.] übersandt und auf dem handschriftlich das Datum der Zustellung vermerkt worden sei.

5

Nach den Feststellungen des [X.] ist das Schreiben des [X.] vom 22.6.2012 per Telefax am 22.6.2012 (Freitag) um 20.38 Uhr beim [X.] eingegangen. Das in den Akten befindliche Originalschreiben trägt den Eingangsstempel des [X.] vom [X.] (Montag). Am [X.] (Dienstag) hat das [X.] in Abwesenheit des [X.] eine mündliche Verhandlung durchgeführt. Dem [X.] der Beklagten ist eine Kopie des Schriftsatzes des [X.] vom 22.6.2012 überreicht worden.

6

Durch Urteil vom [X.] hat das [X.] die Berufung des [X.] als unzulässig verworfen. Es habe trotz des [X.] des [X.] in dessen Abwesenheit verhandeln und entscheiden können, weil dem Antrag nicht zu entsprechen gewesen sei, da er die geltend gemachten Vertagungsgründe schon nicht glaubhaft gemacht habe. Die Berufung sei wegen Versäumung der Berufungsfrist unzulässig. Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand lägen nicht vor. Insbesondere hätte der Kläger bei einer nicht sicheren Lesbarkeit des Zustellungsvermerks zB beim [X.] nachfragen müssen, welches Datum richtig sei.

7

Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde. Er rügt ua die Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör.

8

II. 1. Die Beschwerde des [X.] ist zulässig. Ihre Begründung genügt den Anforderungen des § 160a Abs 2 [X.] [X.]G. Insbesondere bezeichnet sie die Tatsachen, aus denen sich der geltend gemachte Verfahrensmangel (Zulassungsgrund des § 160 Abs 2 [X.] [X.]G) einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 [X.]G) ergibt. Weitergehender Ausführungen zum Beruhen der angegriffenen Entscheidung auf dem Verfahrensfehler bedarf es nicht, wenn - wie hier - ein Beschwerdeführer behauptet, um sein Recht auf eine mündliche Verhandlung gebracht worden zu sein (vgl B[X.] Beschluss vom 6.10.2010 - B 12 KR 58/09 B - Juris Rd[X.]0; B[X.] SozR 4-1500 § 158 [X.] RdNr 4; B[X.] SozR 3-1500 § 160 [X.]3 S 62).

9

2. Die Beschwerde ist auch begründet. Das [X.]-Urteil ist schon deshalb verfahrensfehlerhaft, weil das [X.] den Antrag des [X.] auf Terminsaufhebung vom 22.6.2012 nicht ordnungsgemäß beschieden hat.

Gemäß § 124 Abs 1 [X.]G entscheidet das Gericht, soweit nichts anderes bestimmt ist, aufgrund mündlicher Verhandlung. Dieser Mündlichkeitsgrundsatz räumt den Beteiligten und ihren Prozessbevollmächtigten das Recht ein, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen und mit ihren Ausführungen gehört zu werden. Dem Grundsatz kommt im Berufungsverfahren besondere Bedeutung zu, wenn - wie vorliegend - erstinstanzlich ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschieden wurde (zum Ausschluss der Möglichkeit der Zurückweisung der Berufung durch Beschluss in einem solchen Fall vgl § 153 Abs 4 S 1 [X.]G). Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs in einer mündlichen Verhandlung umfasst auch das Recht auf Aufhebung oder Verlegung eines anberaumten oder auf Vertagung eines bereits begonnenen Termins, wenn dies aus erheblichen Gründen geboten ist (§ 227 Abs 1 ZPO iVm § 202 [X.]G). Die erheblichen Gründe sind auf Verlangen des Vorsitzenden, für eine Vertagung auf Verlangen des Gerichts glaubhaft zu machen (§ 227 Abs 2 ZPO iVm § 202 [X.]G). Über einen Aufhebungs- oder [X.] hat der Vorsitzende ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden (§ 227 Abs 4 S 1 Halbs 1 ZPO iVm § 202 [X.]G). Ein Antrag auf Terminsaufhebung bzw -verlegung ist förmlich (kurz) zu bescheiden, sofern dies noch technisch durchführbar und zeitlich zumutbar ist (zB [X.] 1991, 1195; [X.]/[X.]/[X.]/[X.], ZPO, 71. Aufl 2013, § 227 RdNr 56 mwN). Über die Entscheidung sind die Beteiligten (formlos) in Kenntnis zu setzen (vgl § 329 Abs 2 S 1 ZPO iVm § 202 [X.]G). Kommt der Vorsitzende seiner Verpflichtung zur Bescheidung eines [X.] bzw -verlegungsantrags bis zum Beginn der mündlichen Verhandlung nicht nach, leidet das Verfahren wegen der Versagung rechtlichen Gehörs an einem wesentlichen Mangel (vgl B[X.] Beschluss vom 6.10.2010 - B 12 KR 58/09 B - Juris RdNr 8; Beschluss vom 13.11.2012 - [X.] U 269/12 B - Juris Rd[X.]0 jeweils mwN). Dies ist hier anzunehmen.

a) Der Antrag auf Terminsaufhebung ist per Telefax am Freitag, den 22.6.2012, und per Post am Montag, den [X.], beim [X.] eingegangen. Ob er dem Senatsvorsitzenden zeitnah vorgelegt oder dem erkennenden Senat des [X.] erst nach Beginn der mündlichen Verhandlung von der Geschäftsstelle zugeleitet wurde, wofür seine Qualifizierung als "Vertagungsantrag" in den Entscheidungsgründen des [X.]-Urteils spricht, kann offenbleiben: Zum einen ist davon auszugehen, dass der Kläger durch die Zuleitung des Antrags per Telefax am Freitagabend vor der für Dienstagvormittag anberaumten Sitzung das seinerseits Erforderliche getan hatte, um eine rechtzeitige Entscheidung über seinen Terminsaufhebungsantrag noch vor dem Termin zu ermöglichen. Zum anderen lag das Schreiben jedenfalls spätestens in der mündlichen Verhandlung vor, da ausweislich der Sitzungsniederschrift dem [X.] der Beklagten eine Abschrift ausgehändigt wurde.

b) Es sind keine Gründe ersichtlich, die einer Entscheidung über den Antrag auf Terminsaufhebung vor Durchführung der mündlichen Verhandlung und dem Versuch einer Kontaktaufnahme mit dem Kläger am Vortag der mündlichen Verhandlung entgegengestanden hätten. Eine entsprechende Entscheidung des Vorsitzenden war möglich und zumutbar. Sie war auch nicht entbehrlich: Der Kläger hatte einen Antrag auf Terminsaufhebung ausdrücklich gestellt und hierfür ua gesundheitliche Gründe - unbeachtlich ihrer Qualität - angegeben. In diesem Zusammenhang kommt es nicht darauf an, ob dem Antrag zu folgen gewesen wäre. Es ist durchaus zweifelhaft, ob der Kläger den oben genannten gesetzlichen Anforderungen entsprechend erhebliche Gründe für eine Terminsaufhebung glaubhaft gemacht hat. Wird eine Terminsaufhebung bzw -verlegung erst einen Tag vor der anberaumten mündlichen Verhandlung beantragt und mit einer Erkrankung begründet, so muss der Verhinderungsgrund so dargelegt und untermauert sein, dass das Gericht ohne weitere Nachforschungen selbst beurteilen kann, ob Verhandlungs- bzw Reisefähigkeit besteht. Im Falle eines erst kurz vor dem Termin gestellten Aufhebungs- bzw [X.]s ist das Gericht - jedenfalls bei einem anwaltlich vertretenen Kläger - grundsätzlich weder verpflichtet, dem Betroffenen einen Hinweis zu geben, noch, ihn zur Ergänzung seines Vortrags aufzufordern oder selbst Nachforschungen anzustellen (B[X.] SozR 4-1500 § 110 [X.] Rd[X.]2 f mwN). Der Fall einer solchen fehlenden Handlungsnotwendigkeit des Gerichts liegt hier nach den Umständen nicht vor, denn die vom Kläger vorgetragenen Umstände schlossen jedenfalls nicht von vornherein aus, dass seine Verhandlungsunfähigkeit bestand. Demzufolge durfte das [X.] den Terminsaufhebungsantrag auch nicht erst in seinem Urteil vom [X.] abhandeln.

c) Nach Aktenlage ist auf den Terminsaufhebungsantrag des [X.] vom 22.6.2012 vor Durchführung der mündlichen Verhandlung seitens des [X.] keine Entscheidung und keine Reaktion gegenüber dem Kläger erfolgt. In diesem Zusammenhang stehende verfahrensleitende Verfügungen oder Vermerke sind der Gerichtsakte nicht zu entnehmen. Selbst wenn der Antrag des [X.] dem erkennenden Senat des [X.] von der Geschäftsstelle erst im Rahmen der mündlichen Verhandlung zugeleitet worden wäre, hätte das [X.] angesichts der spätestens dann erkennbaren zeitlichen Abläufe zur Vermeidung eines Verfahrensfehlers den Rechtsstreit vertagen können und müssen.

3. Nach § 160a Abs 5 [X.]G kann das B[X.] in dem Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverweisen, wenn die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 [X.] [X.]G vorliegen, was - wie ausgeführt - hier der Fall ist. Der Senat macht von dieser Möglichkeit Gebrauch.

4. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt dem [X.] vorbehalten.

Meta

B 12 R 38/12 B

03.07.2013

Bundessozialgericht 12. Senat

Beschluss

Sachgebiet: R

vorgehend SG Frankfurt, 17. Januar 2012, Az: S 31 R 473/11, Gerichtsbescheid

§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG, § 124 Abs 1 SGG, § 202 SGG, § 227 Abs 1 ZPO, § 227 Abs 2 ZPO, § 227 Abs 4 S 1 Halbs 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 03.07.2013, Az. B 12 R 38/12 B (REWIS RS 2013, 4565)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 4565

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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