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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IX
ZB
284/09
vom
19. Mai 2011
in der Zwangsvollstreckungssache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
InsO §§ 88, 312 Abs. 1 Satz 3
Die Rückschlagsperre wird auch durch einen zunächst aus verfahrensrechtlichen Gründen unzulässigen Eröffnungsantrag ausgelöst, sofern dieser zur Verfahrenser-öffnung führt.
BGH, Beschluss vom 19. Mai 2011 -
IX ZB 284/09 -
LG Potsam
AG Potsdam
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Der IX.
Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr.
Kayser
und
die Richter Prof. Dr. Gehrlein, Dr. Fischer, Grupp und die Richterin Möhring
am
19. Mai 2011
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam vom 23. November 2009 wird auf Kos-ten des Gläubigers zurückgewiesen.
Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 17.459,07
festgesetzt.
Gründe:
I.
Mit Beschluss vom 19.
Mai 2009 pfändete das Amtsgericht auf Antrag des Gläubigers M.
die Ansprüche des G.
W.
(fortan: Schuldner) aus einer Lebensversicherung bei der R.
AG und überwies sie dem Gläubiger zur Einziehung. Der Beschluss wurde der Drittschuldnerin am 12.
Juni 2009 zugestellt. Mit Schriftsatz vom 9.
Juli 2009, beim Insolvenzgericht eingegangen am 13.
Juli 2009, beantragte der Schuldner die Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens über sein Vermögen. Er führte aus, das nach §
305 InsO vorgeschriebene außergerichtliche Schulden-1
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bereinigungsverfahren werde nunmehr durchgeführt, und bat darum, das Eröff-nungsverfahren einstweilen auszusetzen. Hintergrund des Eröffnungsantrags sei, dass die Pfändung der Lebensversicherung der Rückschlagsperre des §
88 InsO unterfallen solle. Am 15.
September 2009 wurde das Verbraucherinsol-venzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet und Rechtsanwältin R.
zur Treuhänderin bestellt. Auf ihren Antrag hat das Amtsgericht seinen Pfändungs-
und Überweisungsbeschluss "klarstellend"
aufgehoben. Die hier-gegen gerichtete sofortige Beschwerde des Gläubigers hat keinen Erfolg ge-habt. Mit seiner vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde wendet sich der Gläubiger gegen die Aufhebung des Pfändungs-
und Überwei-sungsbeschlusses.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist nach §
574 Abs.
1 Satz
1 Nr.
2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, das Amtsgericht habe den Antrag der Treuhänderin als Vollstreckungserinnerung nach §
766 ZPO anse-hen und bei seiner Prüfung die Vorschrift des §
88 InsO berücksichtigen dürfen. Die Pfändung und Überweisung sei nach dieser Bestimmung unwirksam, weil sie im letzten Monat vor dem Antrag des Schuldners vom 13.
Juli 2009 auf Er-öffnung des Insolvenzverfahrens erfolgt sei. Dieser Antrag habe zur Eröffnung des Verfahrens geführt. Ob er zulässig gewesen sei, sei ohne Bedeutung.
2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand.
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a) Ob
über den Antrag der Treuhänderin auf Aufhebung des Pfändungs-
und Überweisungsbeschlusses das Insolvenzgericht anstelle des Vollstre-ckungsgerichts hätte entscheiden müssen, kann dahinstehen.
Denn die Rechtsbeschwerde kann nicht darauf gestützt werden, dass das Gericht des ersten Rechtszuges seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat (§
576 Abs.
2 ZPO). Dies gilt auch für die funktionelle Zuständigkeit (BGH, Beschluss vom 27.
September 2007 -
IX
ZB 16/06, ZIP 2007, 2330 Rn.
4 mwN).
b) Die vom Gläubiger mit Zustellung des Pfändungs-
und Überweisungs-beschlusses an den Drittschuldner am 12.
Juni 2009 erlangte Sicherung wurde mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 15.
September 2009 nach §§
88, 312 Abs.
1 Satz 3 InsO unwirksam.
aa) Die in §
88 InsO normierte so genannte Rückschlagsperre erfasst Sicherungen, die ein Insolvenzgläubiger im letzten Monat vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch Zwangsvollstreckung an dem zur In-solvenzmasse gehörenden Vermögen des Schuldners erlangt hat. Handelt es sich wie hier um ein Verbraucherinsolvenzverfahren,
das auf einen Antrag des Schuldners eröffnet
wird, beträgt die in §
88 InsO
genannte Frist drei Monate (§
312 Abs.
1 Satz
3 InsO). In diese Frist fällt das am 12.
Juni 2009 vom Gläu-biger erlangte Pfandrecht, denn der Eröffnungsantrag des Schuldners ging am 13.
Juli 2009 bei Gericht ein.
bb) Der Umstand, dass der Schuldner den
Antrag auf Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens gestellt hat, ohne zuvor das nach §
305 Abs.
1 Nr.
1 InsO vorgeschriebene außergerichtliche Schuldenbereinigungsverfahren durchzuführen, ändert an dieser Beurteilung nichts.
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(1) Für die Berechnung der in §
88 InsO genannten Frist und folglich
auch für die nach §
312 Abs.
1 Satz
3 InsO verlängerte Frist gilt §
139 InsO. Nach dessen Absatz 2 ist bei mehreren Eröffnungsanträgen der erste zulässige und begründete Eröffnungsantrag maßgeblich, auch wenn das Verfahren auf-grund eines späteren Antrags eröffnet worden ist. Die Zulässigkeit eines als Anknüpfungspunkt für die Rückschlagsperre in Betracht kommenden Eröff-nungsantrags ist danach nur dann gesondert zu prüfen, wenn das Insolvenz-verfahren aufgrund eines anderen Antrags eröffnet wird. Soll die Rückschlag-sperre hingegen an den Antrag geknüpft werden, welcher zur Eröffnung des Verfahrens geführt hat, erübrigt sich eine solche Prüfung, weil das Verfahren nur auf einen zulässigen Antrag eröffnet werden darf. Die Rückschlagsperre wird daher
durch jeden Antrag ausgelöst, der letztlich zur Verfahrenseröffnung geführt hat, auch wenn er zunächst mangelhaft war, weil er den gesetzlichen Anforderungen nicht entsprochen hat
(BayObLG NZI 2000, 371 und 427; Kirchhof ZInsO 2001, 1, 6; FK-InsO/App,
6.
Aufl.,
§
88 Rn.
18;
HmbKomm-InsO/Kuleisa, 3.
Aufl.,
§
88 Rn.
9).
Ob dies auch gilt, wenn der Eröffnungsgrund erst zu einem späteren Zeitpunkt eingetreten ist, bedarf vorliegend keiner Ent-scheidung.
(2) Dies gilt auch im Falle eines ohne vorheriges außergerichtliches Schuldenbereinigungsverfahren beantragten Verbraucherinsolvenzverfahrens. Die Verlängerung der Frist für die Rückschlagsperre auf drei Monate in §
312 Abs.
1 Satz
3 InsO beruht zwar auf der Überlegung, dass der vor einem Eröff-nungsantrag des Schuldners durchzuführende außergerichtliche Einigungsver-such von Störungen durch Vollstreckungszugriffe einzelner Gläubiger frei ge-halten werden soll (BT-Drucks. 14/5680, S.
15 und 33). Beantragt der Schuld-ner die Eröffnung des Insolvenzverfahrens, ohne eine außergerichtliche Eini-9
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gung versucht zu haben, besteht ein solches Schutzbedürfnis nicht. Nach dem Gesetz setzt die Verlängerung der Frist jedoch lediglich einen Eröffnungsantrag des Schuldners voraus. Eine nicht hinnehmbare Missbrauchsmöglichkeit ergibt sich daraus nicht. Beantragt der Schuldner die Verfahrenseröffnung, ohne die nach §
305 Abs.
1 Nr.
1 InsO vorgeschriebene Bescheinigung über den erfolg-losen Versuch einer außergerichtlichen Schuldenbereinigung vorzulegen, muss er damit rechnen, dass er vom Insolvenzgericht aufgefordert wird, diese Be-scheinigung unverzüglich nachzureichen; kommt er dieser Aufforderung nicht binnen eines Monats nach, gilt sein Eröffnungsantrag als zurückgenommen (§
305 Abs.
3 Satz
1 und
2 InsO). Geht dem Eröffnungsantrag des Schuldners ein Gläubigerantrag
voraus, beträgt die Frist drei Monate (§
306 Abs.
3 Satz
3, §
305 Abs.
3 Satz 3 InsO). Im Falle der Fristversäumung führt der Eröffnungs-antrag wegen der Rücknahmefiktion somit nicht zur
Verfahrenseröffnung und kann die Rückschlagsperre nicht auslösen. Weist der Schuldner andererseits innerhalb der Frist die Durchführung eines außergerichtlichen Einigungsver-suchs nach und wird auf
seinen
Antrag das Verfahren eröffnet,
besteht kein Grund, wegen des ursprünglichen, später behobenen Zulässigkeitsmangels die Rückschlagsperre nicht eingreifen zu lassen.
c) Das Beschwerdegericht hat auch nicht die Rechtsfolgen der Rück-schlagsperre nach §§
88, 312 Abs.
1 Satz
3 InsO verkannt. Sicherungen, die unter die Rückschlagsperre des § 88 InsO fallen, werden mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens kraft Gesetzes unwirksam. Die Unwirksamkeit erfasst die materiell-rechtliche Wirkung der Pfändung, mithin das Pfändungspfandrecht, nicht die Verstrickung. Besteht die Verstrickung noch fort, kommt ein Wieder-aufleben der Sicherung des Gläubigers in Betracht, wenn der betroffene Ge-genstand vom Insolvenzverwalter frei gegeben oder das Insolvenzverfahren ohne Verwertung des Gegenstands aufgehoben wird (vgl. BGH, Urteil vom 11
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19.
Januar 2006 -
IX
ZR 232/04, BGHZ 166, 74 Rn.
20-23; HK-InsO/Kayser, 5.
Aufl. §
88 Rn. 36-40). Die Unwirksamkeit nach §
88 InsO ist insofern eine schwebende. Dies hindert das Vollstreckungsorgan jedoch nicht, die von ihm angeordnete Vollstreckungsmaßnahme im Falle des §
88 InsO von Amts we-gen oder auf Antrag eines Beteiligten uneingeschränkt aufzuheben und damit die Verstrickung zu beseitigen
(Jaeger/Eckardt, InsO, §
88 Rn.
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und 70; MünchKomm-InsO/Breuer, 2.
Aufl. §
88 Rn.
23; HK-InsO/Kayser, aaO
Rn.
45; Uhlenbruck, InsO, 13.
Aufl. §
88 Rn.
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und 27). Ein solches Vorgehen kann schon deshalb angezeigt sein, um zu verhindern, dass der
Drittschuldner
wei-terhin
mit befreiender Wirkung
an den Gläubiger leisten kann
(vgl. §
836 Abs.
2 ZPO).
Kayser
Gehrlein
Fischer
Grupp
Möhring
Vorinstanzen:
AG Potsdam, Entscheidung vom 02.10.2009 -
49 M 1446/09 -
LG Potsdam, Entscheidung vom 23.11.2009 -
5 T 750/09 -
Meta
19.05.2011
Bundesgerichtshof IX. Zivilsenat
Sachgebiet: ZB
Zitiervorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 19.05.2011, Az. IX ZB 284/09 (REWIS RS 2011, 6473)
Papierfundstellen: REWIS RS 2011, 6473
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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.
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