Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 27.07.2017, Az. 3 StR 172/17

3. Strafsenat | REWIS RS 2017, 7293

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:270717U3STR172.17.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

IM [X.] [X.]S VOLKES

URTEIL
3 [X.]/17

vom
27. Juli
2017
in der Strafsache
gegen

wegen versuchten Mordes u.a.

-
2
-
Der 3.
Strafsenat des [X.] hat aufgrund der Verhandlung vom 29.
Juni 2017 in der Sitzung am 27.
Juli 2017, an denen teilgenommen haben:
Vorsitzender [X.] am [X.]
Becker,

[X.] am [X.]
Dr. [X.],
[X.]in am [X.]
Dr. [X.],
die [X.] am [X.]
Dr. [X.],
Hoch

als beisitzende [X.],

Bundesanwalt
beim [X.]

-
in der Verhandlung
-,
Bundesanwalt beim [X.]

-
bei der Verkündung
-

als Vertreter der [X.],

Rechtsanwältin

-
in der Verhandlung
-

als Vertreterin des [X.],

[X.]

-
in der Verhandlung
-,
Justizamtsinspektor

-
bei der Verkündung
-

als Urkundsbeamte
der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
-
3
-
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 24.
November 2016 werden verworfen.
Die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft sowie die dem Angeklagten dadurch und durch die Revision des [X.] entstandenen notwendigen Auslagen wer-den der Staatskasse auferlegt. Der Nebenkläger trägt die Kosten seines Rechtsmittels. Die im Revisionsverfahren entstandenen gerichtlichen Auslagen tragen die Staats-kasse und der Nebenkläger je zur Hälfte.
Von
Rechts wegen

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung und wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten verurteilt, seine Unterbringung in einer Entzie-hungsanstalt angeordnet und ihn im Übrigen freigesprochen. Die [X.] und der Nebenkläger beanstanden mit ihren jeweils auf die Sachrüge gestützten Revisionen die Ablehnung des Tötungsvorsatzes. Die [X.] wendet sich darüber hinaus gegen den Teilfreispruch. Die Rechtsmittel sind nicht begründet.
1
-
4
-
Nach den vom [X.] getroffenen Feststellungen konsumiert der Angeklagte
seit seiner Jugend in erheblichem Umfang Alkohol
und Betäu-bungsmittel und leidet unter einer Alkohol-
und einer [X.]. Am Tattag, dem 11.
Februar 2016, trank der Angeklagte mit dem mit ihm befreundeten Zeugen J.

Bier sowie Wodka und rauchte mit ihm einen aus einer Kräutermischung bestehenden Joint. Ein weiterer Freund übergab dem Zeugen J.

zur Begleichung von Schulden ein Paket, das zwei Ma-cheten und zwei Wurfmesser enthielt. Am Abend begaben sich der Angeklagte und J.

in ein [X.] in [X.]

, das in unmittelbarer [X.] zu einem Asylbewerberheim gelegen ist. Dort öffnete J.

das Paket und zeigte den Anwesenden den Inhalt. Der Angeklagte und J.

riefen sodann sinngemäß, dass sie jetzt "rübergingen" und Asylanten bzw. Ausländer "ab-schlachten", "umbringen", "fertig machen" oder "platt machen" würden. Sie [X.] sodann jeweils mit einer Machete in der Hand das Obdachlosenwohn-heim; J.

ließ sich jedoch zur Umkehr überreden. Der Angeklagte, bei dem keine [X.]spunkte dafür bestanden, er gehöre der politisch rechts einzuord-nenden Szene an, betrat das Asylbewerberheim und ging in das erste [X.]. Dort rief er wiederholt: "[X.]!", "[X.]", "Sieg Heil!", "Schaut's dass ihr euch aus unserem Land verpisst's!" und "Arschlöcher!". Er schlug mit der Machete und trat mit den Füßen mehrmals gegen eine von innen abgesperrte Wohnungseingangstür. Hierdurch wurde der Nebenkläger, der sich in der Wohnung aufhielt, aufmerksam und öffnete die Tür um etwa 30
Zenti-meter. In diesem Moment schlug der Angeklagte, der mit einem Öffnen der Tür durch einen Bewohner rechnete und dessen gegebenenfalls lebensgefährden-de Verletzungen billigend in Kauf nahm, erneut mit der Machete waagrecht auf Brust-
bzw. [X.] in Richtung der Tür. Der Nebenkläger schloss diese jedoch, als er die Machete auf sich zukommen sah, so dass der Schlag nur die Tür traf. Nachdem der Nebenkläger sie mit Hilfe eines weiteren Bewohners [X.]
-
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-
sperrt hatte, schrie der Angeklagte: "[X.] Scheiße!" und schlug erneut gegen diese. Spätestens jetzt hätte er erkennen können und müssen, dass er den Nebenkläger durch sein Verhalten in Angst und Schrecken verset-zen sowie dazu veranlassen konnte, aus dem Fenster zu springen und sich [X.] zu verletzen. Der Nebenkläger begab sich ins Badezimmer, beugte sich aus dem Fenster und warnte die Mitbewohner. Sodann kletterte er aus dem Fenster auf einen Mauervorsprung und sprang von dort auf die 2,80
Meter tiefer [X.]. Hierdurch erlitt er Bauchbeschwerden und eine Kontusion im Be-reich des rechten Kniegelenks.
Anschließend kehrte der Nebenkläger in das Asylbewerberheim zurück, um den Angeklagten aus dem Haus zu locken,
und rief ihm zu, er solle [X.]. Daraufhin begab sich der Angeklagte nach unten und folgte dem [X.] Nebenkläger auf die [X.]. Als der Nebenkläger ins Stolpern ge-riet, näherte sich der Angeklagte ihm bis auf einen Abstand von ungefähr einem Meter, holte mit der Machete etwa auf Schulterhöhe seitlich aus und schlug in Richtung des
linken Oberkörpers des [X.]. Dabei nahm er eine le-bensgefährliche Verletzung zumindest billigend in Kauf. Der [X.] dem Schlag jedoch ausweichen und dem Angeklagten einen Stoß versetzen, so dass dieser stürzte und die Machete aus der Hand verlor. Anschließend
fixierten zwei Zeugen den am Boden liegenden und "Ich bin [X.]"
rufenden Angeklagten bis zum Eintreffen der Polizei. Nach seiner Festnahme fiel der Angeklagte durch einen torkelnden Gang, eine verwaschene Ausspra-che und Unruhe auf. Seine Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit betrug etwa drei Promille; infolge der Alkoholisierung war seine Steuerungsfähigkeit erheb-lich vermindert.
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6
-
Der Angeklagte hat sich im Wesentlichen dahin eingelassen, sich an das konkrete Tatgeschehen nicht erinnern zu können. Das [X.] hat aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme nicht die Überzeugung davon gewon-nen, dass der Angeklagte bei den Schlägen mit der Machete mit Tötungsvor-satz handelte.
Vom
Vorwurf der Volksverhetzung (§
130 StGB)
in Tateinheit mit [X.] von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§
86a StGB) hat die [X.] den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigespro-chen. Insoweit hat sie sich nicht davon zu überzeugen vermocht, dass der An-geklagte vor oder nach dem Geschehen in dem [X.] auf der [X.] ausländerfeindliche Rufe tätigte. Hinsichtlich der vom Angeklagten in dem Wohnheim gerufenen Parolen hat sie nicht als erwiesen angesehen, dass der Angeklagte davon ausging, diese seien über den Bewohnerkreis der [X.] hinaus hörbar.
I.
Revision der Staatsanwaltschaft
Die Revision der Staatsanwaltschaft hat keinen Erfolg. Die sachlich-rechtliche Überprüfung des Urteils ergibt keinen durchgreifenden Rechtsfehler zu Gunsten oder zu Lasten (§
301 StPO) des Angeklagten. Das [X.] hat insbesondere die erhobenen Beweise in revisionsrechtlich hinzunehmender Weise gewürdigt; dies gilt sowohl für die Ablehnung des Tötungsvorsatzes als auch im Zusammenhang mit dem Teilfreispruch, der sich auch im Übrigen als im Ergebnis rechtsfehlerfrei erweist. Mit Blick auf das [X.] ist im Einzelnen Folgendes zu erörtern:
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6
7
-
7
-
1.
Soweit die [X.] den Tötungsvorsatz des Angeklagten [X.] hat, gilt:
a)
Das [X.] hat zunächst die
Verneinung des direkten Tötungs-vorsatzes des Angeklagten unter Würdigung der hierfür maßgeblichen objekti-ven Tatumstände tragfähig begründet und dabei ohne Rechtsfehler (vgl. zum allgemeinen revisionsrechtlichen Überprüfungsmaßstab [X.], Urteil vom 9.
Juni
2005 -
3
StR
269/04, NJW 2005, 2322, 2326) darauf abgestellt, dass der Ange-klagte in dem Asylbewerberheim die Machete nicht zum Stich in die sich durch das Öffnen der Tür ergebende Lücke benutzte, den Nebenkläger nicht am Schließen der Tür hinderte und auch nichts unternahm, um die Tür vor dem Abschließen erneut zu öffnen, er mithin insgesamt den in Rede stehenden [X.] in Form des Todes des [X.] nicht in nachdrücklicher Weise an-strebte. Entsprechendes gilt für das anschließende Geschehen auf der [X.], hinsichtlich dessen das [X.] zusätzlich gewertet hat, dass sich die Ge-legenheit für den Angeklagten, erneut auf den Nebenkläger einzuschlagen, erst bedingt durch dessen Stolpern und damit unvorhersehbar ergab. Vor diesem Hintergrund begründet es keinen durchgreifenden Rechtsfehler, dass die [X.] in diesem Zusammenhang daneben auch für den Tötungsvorsatz un-ergiebige objektive Tatumstände, etwa das offene Vorgehen des Angeklagten, in seine Bewertung eingestellt hat. Soweit sie ausgeführt hat, sie habe bei dem Geschehen auf der [X.] keine "zwingend" auf den direkten Tötungsvorsatz schließen lassende Umstände festgestellt, ist aufgrund der übrigen Ausführun-gen zur Beweiswürdigung nicht zu besorgen, sie habe ihre Überzeugungsbil-dung an einem falschen Maßstab ausgerichtet.
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8
-
b)
Gegen die Ausführungen des [X.]s, mit denen es dargelegt hat, warum es nicht einen bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten ange-nommen hat, ist revisionsrechtlich im Ergebnis ebenfalls nichts zu erinnern.
aa)
Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den [X.] des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend er-kennt, und dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung zumindest abfindet. Da die Schuldformen des be-dingten Vorsatzes und der bewussten Fahrlässigkeit im Grenzbereich eng bei-einander liegen, müssen vor der Annahme bedingten Vorsatzes beide Elemen-te der inneren Tatseite, also sowohl das Wissens-
als auch das Willenselement, umfassend geprüft und durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Hierzu bedarf es einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände des Einzelfalles, in welche vor allem die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung, die konkrete Angriffsweise des [X.], seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung und seine Motivationslage mit einzubeziehen sind.
Kann das Tatgericht auf der Grundlage dieser Gesamtbewertung aller Umstände Zweifel am Vorliegen des bedingten Tötungsvorsatzes nicht über-winden, so hat das Revisionsgericht dies regelmäßig hinzunehmen, denn die Beweiswürdigung ist vom Gesetz dem Tatrichter übertragen (§
261 StPO). Es obliegt allein ihm, sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über
die Schuld des Angeklagten zu bilden. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind. Die revisi-onsgerichtliche Prüfung beschränkt sich allein darauf, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder an die Überzeu-10
11
12
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9
-
gung von der Schuld des Angeklagten überhöhte Anforderungen stellt. Liegen solche Rechtsfehler nicht vor, hat das Revisionsgericht die tatgerichtliche Über-zeugungsbildung auch dann hinzunehmen, wenn eine abweichende Würdigung der Beweise möglich oder sogar näherliegend gewesen wäre.
Gleichermaßen Sache des Tatgerichts ist es, die Bedeutung und das Gewicht der einzelnen be-
oder entlastenden Indizien in der Gesamtwürdigung des Beweisergebnisses zu bewerten. Ist diese Bewertung nach den dargestell-ten rechtlichen Maßstäben vertretbar, so kann das Revisionsgericht nicht auf der Grundlage einer abweichenden Beurteilung der Bedeutung einer Indiztat-sache in die Überzeugungsbildung des Tatgerichts eingreifen. Dies muss ins-besondere auch dann gelten, wenn dieses im Rahmen der Prüfung des beding-ten Tötungsvorsatzes Gewalthandlungen des [X.] festgestellt hat, die für das Opfer objektiv lebensbedrohlich sind. Zwar hat der [X.] die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung als wesentlichen Indikator sowohl
für das Wis-sens-
als auch für das Willenselement des bedingten Vorsatzes angesehen und bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen das Vorliegen beider Elemente als naheliegend bezeichnet. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Tatrichter der objektiven Gefährlichkeit der Tathandlung bei der Prüfung der subjektiven Tat-seite von Rechts wegen immer die ausschlaggebende indizielle Bedeutung bei-zumessen hätte. Darin läge vielmehr eine vom Einzelfall gelöste Festlegung des [X.] und der [X.] eines im Zusammenhang mit derarti-gen Delikten immer wieder auftretenden Indizes, die einer unzulässigen Be-weisregel nahekäme und deshalb dem Grundsatz der freien richterlichen Be-weiswürdigung (§
261 StPO) widerspräche.
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-
Nach alledem ist es bei der Prüfung des bedingten Tötungsvorsatzes
-
nicht anders als sonst bei der Würdigung der Beweise
-
aus revisionsrecht-licher Sicht erforderlich, aber auch ausreichend, sämtliche objektiven und sub-jektiven, für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände des Einzelfal-les in eine individuelle Gesamtschau einzubeziehen und zu bewerten. Dies gilt auch für solche Beweisanzeichen, die sich auf den ersten Blick als ambivalent darstellen, die also dem Tatrichter, je nachdem, wie er sie im Einzelfall bewer-tet, rechtlich zulässige Schlüsse sowohl zu Gunsten als auch zu Lasten des Angeklagten ermöglichen. Eine rechtlich vertretbare tatrichterliche Entschei-dung darüber, in welchem der möglichen, zueinander in einem Gegensatz ste-henden Beweiszusammenhänge ein solcher Umstand im konkreten Fall indi-zielle Bedeutung entfaltet, ist vom Revisionsgericht hinzunehmen. Das Tatge-richt kann in einem solchen Falle nicht gehalten sein, denselben Umstand nochmals in dem anderen [X.] zu erwägen und damit Ge-fahr zu laufen, sich zu seinem anderweitig gewonnenen Ergebnis zu Gunsten oder zu Lasten des Angeklagten in Widerspruch zu setzen (vgl. hierzu insge-samt [X.], Urteil vom 20.
September 2012 -
3
StR
158/12, NStZ-RR
2013, 89, 90; Beschluss vom 9.
Februar 2017 -
3
StR
415/16, NStZ 2017,
342, 344; jew. m. zahlr. w. N.).
bb)
Unter Berücksichtigung dieses tatgerichtlichen [X.] werden die Ausführungen des [X.]s den Anforderungen an die Prüfung des bedingten Tötungsvorsatzes gerecht.
(1)
Die [X.] hat das objektive Tatgeschehen in die Beweiswür-digung eingestellt, dessen Gefährlichkeit erkannt und als für einen bedingten Tötungsvorsatz sprechend gewertet. Dabei durfte sie in gewisser Weise relati-14
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-
11
-
vierend berücksichtigen, dass nicht festzustellen war, gegen welchen Teil des Oberkörpers die Hiebe mit der Machete gerichtet waren.
(2)
Als gegenläufigen vorsatzkritischen Faktor hat sie zunächst bedacht, dass die Tat nicht nach längerer Vorplanung, sondern aus einem spontanen Entschluss heraus begangen wurde. Entgegen der Ansicht der Revision wird diese Erwägung von den Feststellungen getragen. Das [X.] hat in [X.] Zusammenhang zutreffend darauf abgestellt, dass der [X.] erst in dem [X.] anlässlich der Herausnahme der Macheten aus dem Paket gefasst und zeitlich unmittelbar danach umgesetzt wurde. Darüber hinaus durfte die [X.] diesem Gesichtspunkt auch in der Sache Ge-wicht beimessen (vgl. [X.], Beschluss vom 18.
Oktober 2006 -
2
StR
340/06, [X.], 45;
Urteile vom 23.
Juni
2009 -
1
StR
191/09, [X.], 629, 630; vom 17.
Dezember 2009 -
4
StR
424/09, [X.], 571, 572).
Entsprechendes gilt, soweit das [X.] in die Bewertung einbezo-gen hat, dass der Angeklagte im Zustand deutlicher Alkoholisierung und des-halb erheblich verminderter Schuldfähigkeit handelte, wobei es nahelag, dass er aufgrund seiner alkoholbedingten Enthemmung besonders unüberlegt han-delte (vgl. [X.], Beschlüsse vom 7.
November 2002 -
3
StR
216/02, [X.], 51, 52; vom 20.
September 2005 -
3
StR
324/05, [X.], 169, 170; Urteile
vom 25.
Oktober 2005 -
4
StR
185/05, [X.], 11, 12; vom 18.
Januar 2007 -
4
StR
489/06, [X.], 141, 142; Beschlüsse vom 8.
Mai 2008 -
3
StR
142/08, [X.], 91; vom 22.
April 2009 -
5
StR
88/09, [X.], 503
f.; vom 1.
September 2010 -
2
StR
179/10, NStZ-RR 2011, 42). Soweit der [X.] unter Hinweis auf andere Entscheidungen des [X.] (vgl. [X.], Urteile vom 24.
Februar 2010 -
2
StR 577/09, [X.], 214, 215; vom 22.
März 2012 -
4
StR
558/11, [X.]St 17
18
-
12
-
57, 183, 192) beanstandet, es habe nicht in Erwägung gezogen, dass diese Umstände nach sicherer Erfahrung gerade besonders geeignet seien, die Hemmschwelle auch für besonders gravierende Gewalthandlungen herabzu-setzen, verkennt er,
dass die alkoholbedingte Beeinträchtigung der Steuerungs-fähigkeit sich auf die subjektive Tatseite im Einzelfall unterschiedlich auswirken kann. Gemäß den dargelegten Grundsätzen ist es dem Tatgericht deshalb dem Grunde nach möglich, rechtlich zulässige Schlüsse zu Gunsten oder zu Lasten des Angeklagten zu ziehen. Gemessen hieran sind die Erwägungen des Land-gerichts frei von [X.].
Die [X.] durfte weiter als gegen einen dolus eventualis spre-chenden Umstand werten, dass mit Blick auf die politische Gesinnung des [X.] sowie sein Vorleben und sein Wesen das Handeln mit Tötungsvor-satz einen radikalen Bruch in seiner Persönlichkeit bedeutet hätte. Hinsichtlich dieser besonderen Umstände des vorliegenden Falles begründet es keinen durchgreifenden Rechtsfehler, dass sie in diesem Zusammenhang auch darauf hingewiesen hat, dass kein überzeugendes konkretes Tötungsmotiv erkennbar gewesen sei, selbst wenn man annehmen will, dass diesem Umstand für sich genommen nach der neueren Rechtsprechung für den bedingten Tötungs-vorsatz keine wesentliche Bedeutung zukommt (vgl. etwa [X.], Urteil vom 27.
August 2009 -
3
StR
246/09, [X.], 372, 373). Die Äußerungen des Angeklagten, wie er mit den Asylbewerbern verfahren wolle, hat die [X.] ohne Rechtsfehler dahin gedeutet, sie könnten auch nur "verbale Kraftmeierei" darstellen oder nur einem Körperverletzungsvorsatz Ausdruck verleihen. Im Übrigen hat sie -
erkennbar gerade mit Blick auf diese Äußerun-gen
-
aufgrund des sonstigen Ergebnisses der Beweisaufnahme rechtsfehlerfrei eine politisch rechte Gesinnung des Angeklagten, welche geeignet gewesen wäre, ein Tötungsmotiv zu begründen, nicht festzustellen vermocht.
19
-
13
-
Nicht im revisionsrechtlichen Sinne lückenhaft ist die Beweiswürdigung ebenfalls, soweit das [X.] keine genauen Feststellungen zu den [X.] hat treffen können, die unmittelbar vor der Tat in dem [X.] getätigt wurden. Die [X.] hat die Aussagen der Zeugen, insbesondere diejenige des [X.]

, in ausreichender Weise ge-würdigt. Weitergehende Darlegungen, warum es sich nicht eine detailliertere Überzeugung hat verschaffen können, waren nicht erforderlich.
Dasselbe gilt, soweit die [X.] nicht ausdrücklich in ihre Bewer-tung der subjektiven Tatseite eingestellt hat, dass der Angeklagte den [X.] zunächst in dem Wohnheim und sodann erneut auf der [X.] angriff. Grund für den Angriff auf der [X.] war, dass der Nebenkläger den Angeklag-ten "gelockt" hatte und dann ins Stolpern gekommen war. Vor diesem Hinter-grund belegen die Feststellungen die Annahme des [X.]s nicht, der Angeklagte habe hartnäckig sein Ziel verfolgt, schwerste Gewalt ge-gen den Nebenkläger anzuwenden.
Die Beweiswürdigung des [X.]s ist schließlich nicht widersprüch-lich. Insbesondere stehen die Erwägungen zum Tötungsvorsatz mit denjenigen zum Vorsatz bezüglich einer mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung begangenen
gefährlichen Körperverletzung nach §
224 Abs.
1 Nr.
5 StGB im Einklang. An
beiden Stellen der Urteilsgründe hat die [X.] die große Gefährlichkeit der Tathandlung bedacht, ist mit Blick auf die sonstigen relevan-ten Umstände jedoch in nicht zu beanstandender Weise zu unterschiedlichen Ergebnissen gekommen. Dies ist hinzunehmen.
2.
Hinsichtlich des Teilfreispruchs enthält das Urteil im Ergebnis ebenfalls keinen durchgreifenden Rechtsfehler.
20
21
22
23
-
14
-
a)
Bei einem Freispruch aus tatsächlichen Gründen ist das Tatgericht zunächst gehalten, in einer geschlossenen Darstellung diejenigen Tatsachen festzustellen, die es für erwiesen hält, bevor es in der Beweiswürdigung darlegt, aus welchen Gründen die für einen Schuldspruch erforderlichen -
zusätzlichen
-
Feststellungen nicht getroffen werden können. Die Begründung muss so [X.] sein, dass das Revisionsgericht prüfen kann, ob dem Tatgericht bei der Beweiswürdigung ein Rechtsfehler unterlaufen ist (st. Rspr.; vgl. etwa [X.], Urteil vom 8.
Mai 2014 -
1
StR
722/13, juris Rn.
6 [X.]).
Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe gerecht. Ihnen ist zu entnehmen, dass der Angeklagte die ausländerfeindlichen Parolen lediglich in dem [X.] skandierte und das [X.] nicht hat feststel-len können, dass er die ihm zur Last gelegten Äußerungen auch zuvor oder danach auf der [X.] tätigte. Mit [X.] Begründung hat die [X.] sodann dargelegt, dass die von den Zeugen Kr.

, H.

und L.

gehörten Äußerungen auch von dem Zeugen J.

abgegeben worden sein konnten. Für eine mittäterschaftliche Zurechnung dieser Rufe bietet der festge-stellte Sachverhalt, der sich wesentlich von demjenigen unterscheidet, welcher der vom [X.] in diesem Zusammenhang angeführten Ent-scheidung des [X.] (Urteil vom 28.
November 2001 -
1
Ss
52/01, [X.], 1440
f.) zugrunde liegt, keinen [X.]. Vor [X.] Hintergrund war es nicht erforderlich, im Einzelnen darzulegen, welchen genauen Inhalt die von den Zeugen vernommenen Rufe hatten.
b)
Die auch insoweit rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen [X.] keine Strafbarkeit nach §
86a Abs.
1 Nr.
1
oder §
130 Abs.
1 StGB.
24
25
26
-
15
-
aa)
Im Rahmen des §
86a Abs.
1 Nr.
1 StGB erfordert die allein in Be-tracht kommende
Tatvariante des öffentlichen Verwendens von Kennzeichen von verfassungswidrigen Organisationen, dass die Art der Verwendung die Wahrnehmbarkeit für einen größeren, durch persönliche Beziehungen nicht zu-sammenhängenden Personenkreis begründet (vgl. [X.], Beschluss vom 19.
August 2010 -
3
StR
301/10, [X.]R StGB §
86a Abs.
1 Öffentlich
1). [X.] ist somit nicht die Öffentlichkeit des [X.] an sich, son-dern die vom Täter nicht überschaubare kommunikative Wirkung der Verwen-dung, mithin die Möglichkeit der Wahrnehmung durch einen größeren [X.]. Demgegenüber fehlt es an der Öffentlichkeit, wenn die Äußerung des [X.] auf die Wahrnehmung durch eine einzelne Person oder einen engeren, untereinander verbundenen Personenkreis beschränkt ist oder beschränkt [X.] soll. Bei einer akustischen Äußerung kommt es deshalb darauf an, ob diese in einer Art und Weise abgegeben wurde, dass sie von einem größeren [X.] tatsächlich wahrgenommen wurde bzw. hätte wahrgenommen werden können (vgl. BayObLG, Beschluss vom 12.
März 2003 -
5
St
RR
20/2003, [X.], 233, 233
f.).
Hier skandierte der Angeklagte die Parolen im Flur des 1.
Stockes des [X.]es, in dem sich zum Zeitpunkt der Äußerung keine [X.] Personen aufhielten. Den Feststellungen ist weder zu entnehmen, dass sich eine ausreichend große Anzahl von Personen in den einzelnen [X.] befand und die Ausrufe dort wahrnahm, noch dass dies überhaupt möglich gewesen wäre, mithin die Rufe dort überhaupt verständlich waren. So wurde selbst der Nebenkläger nicht durch die Parolen,
sondern erst durch die Schläge gegen die Tür auf den Angeklagten aufmerksam. Es ist deshalb bereits fraglich, ob hier ein größerer Personenkreis zur Wahrnehmung der Äußerungen in der Lage war und damit die Voraussetzungen des objektiven Tatbestands festge-27
28
-
16
-
stellt sind. Jedenfalls hat das [X.] vor diesem Hintergrund ohne durch-greifenden Rechtsfehler den notwendigen Vorsatz des Angeklagten verneint.
c)
§
130 Abs.
1 StGB setzt einen in besonderer Weise qualifizierten An-griff gegen unter anderem Teile der Bevölkerung, wozu
auch die in [X.] dauerhaft lebenden Ausländer gehören (vgl. [X.], Beschluss vom 22.
Januar 1988 -
3
StR
561/87, [X.]R StGB §
130 Nr.
1 Bevölkerungsteil
2), mit einem im Vergleich zu den Beleidigungsdelikten gesteigerten Unrechtsgehalt voraus. Er-fasst
sind Taten, die von Feindseligkeit geprägt sind. Daneben erfasst die Norm schwerwiegende Formen der Missachtung, die durch ein besonderes Maß an Gehässigkeit und Rohheit geprägt sind und die Angegriffenen als insgesamt minderwertig und ohne Existenzrecht in der [X.] abqualifizieren (vgl. LK/Krauß, StGB, 12.
Aufl., §
130 Rn.
34; MüKoStGB/[X.], 3.
Aufl., §
130 Rn.
21).
Im Einzelnen ist im Sinne von §
130 Abs.
1 Nr.
1 StGB unter [X.] zum Hass ein Verhalten zu verstehen, das auf die Gefühle oder den Intellekt eines anderen einwirkt und objektiv geeignet sowie subjektiv bestimmt ist, eine emotional gesteigerte, über die bloße Ablehnung oder Verachtung hinausge-hende feindselige Haltung gegen den betroffenen Bevölkerungsteil zu erzeugen oder zu verstärken (vgl. [X.], Urteil vom 3.
April 2008 -
3
StR
394/07, [X.]R StGB §
130 Nr.
1 [X.]
2). Das Auffordern zu Gewalt-
oder Willkürmaß-nahmen setzt ein über bloßes Befürworten hinausgehendes, ausdrückliches oder konkludentes Einwirken auf andere voraus mit dem Ziel, in ihnen den Ent-schluss zu diskriminierenden Handlungen hervorzurufen, die den elementaren Geboten der Menschlichkeit widersprechen (vgl. [X.], aaO, [X.]R StGB §
130 Nr.
1 Auffordern
1).
29
30
-
17
-
Für die Tathandlungen nach §
130 Abs.
1 Nr.
2 StGB gilt: Beschimpfen ist eine nach Inhalt oder Form besonders verletzende Äußerung der Missach-tung. Unter [X.] ist jede auch bloß wertende Äußerung zu [X.], durch die jemand als der Achtung der Staatsbürger unwert oder unwür-dig hingestellt wird. [X.] erfordert das wider besseres Wissen aufge-stellte oder verbreitete Behaupten einer Tatsache, die geeignet ist, die [X.] in ihrer Geltung und in ihrem Ansehen herabzuwürdigen. Ein [X.] anderer, der sich durch eine dieser Handlungen ergeben muss, setzt voraus, dass sich die feindselige Handlung nicht nur gegen einzelne Persönlichkeitsrechte wie etwa die Ehre richtet, sondern den Men-schen im [X.] seiner Persönlichkeit trifft, indem er unter Missachtung des Gleichheitssatzes als minderwertig dargestellt und ihm das Lebensrecht in der [X.] bestritten wird (vgl. [X.], aaO, [X.]R StGB §
130 Menschen-würde
5 [X.]).
Insoweit kommen sowohl im Rahmen des §
130 Abs.
1 Nr.
1 StGB als auch bei §
130 Abs.
1 Nr.
2 StGB zwar grundsätzlich intensive ausländerfeind-liche Parolen in Betracht (vgl. die Nachweise und Beispiele bei LK/Krauß, aaO, §
130 Rn.
56; MüKo/[X.], aaO,
§
130 Rn.
44, 57 jew. [X.]). Derart beson-ders qualifizierte Beeinträchtigungen liegen hier jedoch nicht vor. Der Gehalt der festgestellten Äußerungen "[X.]", "Arschlöcher" und "Schaut's dass ihr euch aus unserem Land verpisst's" zielt zwar auf eine -
wenn auch nicht unerhebliche
-
Kundgabe der Missbilligung, erreicht indes den nach obigem Maßstab zu bestimmenden tatbestandsrelevanten Bereich noch nicht.
31
32
-
18
-
II.
Revision des [X.]
Die Revision des [X.], mit der dieser die Beweiswürdigung an-greift und die Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten Mordes in [X.] mit fahrlässiger Körperverletzung sowie wegen eines weiteren versuch-ten Mordes erstrebt, hat aus den bereits bei der Revision der [X.] ausgeführten Gründen in der Sache keinen Erfolg.
Becker
[X.]
[X.]

[X.]
Hoch
33
34

Meta

3 StR 172/17

27.07.2017

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 27.07.2017, Az. 3 StR 172/17 (REWIS RS 2017, 7293)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 7293

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3 StR 172/17

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