Bundesgerichtshof, Beschluss vom 24.06.2021, Az. 5 StR 67/21

5. Strafsenat | REWIS RS 2021, 4664

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Gegenstand

Ermittlungsrichterliche Zeugenvernehmung: Verwertbarkeit bei Ausschluss des Angeklagten und des Verteidigers von der Vernehmung


Tenor

Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 20. Februar 2020 werden mit der Feststellung als unbegründet verworfen, dass das Revisionsverfahren rechtsstaatswidrig verzögert wurde.

Die Kostenbeschwerden werden verworfen.

Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seiner Rechtsmittel und die besonderen Kosten des Adhäsionsverfahrens in der Revisionsinstanz sowie die der Adhäsionsklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat die Angeklagten wegen Diebstahls einer etwa 100 kg schweren Goldmünze aus dem B.   er B.   -Museum zu Jugendstrafen von drei Jahren und vier Monaten sowie vier Jahren und sechs Monaten verurteilt und [X.] getroffen. Die jeweils mit der näher ausgeführten Sachrüge und teilweise mit Verfahrensbeanstandungen geführten Revisionen führen lediglich zur Feststellung einer rechtsstaatswidrigen Verzögerung des Revisionsverfahrens und sind im Übrigen unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 [X.]; auch die Kostenbeschwerden bleiben erfolglos (vgl. jeweils Antragsschrift des Generalbundesanwalts).

2

1. Der Erörterung bedarf die Verfahrensrüge des Angeklagten [X.]  . Er rügt im [X.], dass die Aussage einer Zeugin zu seinen Lasten verwertet wurde.

3

a) Folgendes Verfahrensgeschehen liegt zugrunde:

4

Während laufender Hauptverhandlung meldete sich zwischen zwei Hauptverhandlungstagen an einem Samstag die damalige Freundin des zum Tatvorwurf schweigenden Angeklagten [X.]  , die Zeugin [X.], von sich aus bei der Polizei. Sie hatte mit dem Angeklagten [X.]   gestritten. Im Rahmen einer Vernehmung wegen häuslicher Gewalt machte sie Angaben dazu, dass der Angeklagte sich ihr gegenüber damit gebrüstet habe, am Diebstahl der Goldmünze beteiligt gewesen zu sein. Die [X.] wurde von der Polizei darüber informiert und beantragte eine richterliche Vernehmung der Zeugin. Vom Termin wurden weder die Angeklagten noch ihre Verteidiger noch die Mitglieder der erkennenden Kammer unterrichtet, sondern lediglich die zuständige Staatsanwaltschaft, woraufhin nach ca. einer Stunde eine Oberstaatsanwältin zur Vernehmung hinzukam und noch wenige Minuten an der Vernehmung teilnehmen konnte.

5

Die Zeugin gab an, dem Angeklagten gegenüber vorab angekündigt zu haben, sowohl zu Körperverletzungen als auch zum Diebstahl aus dem Museum gegen ihn bei der Polizei aussagen zu wollen. In der richterlichen Vernehmung belastete sie den Angeklagten erheblich und erläuterte detailliert, welche selbstbelastenden Angaben dieser ihr gegenüber gemacht, welche teuren Rolex-Uhren er „trotz [X.]“ erworben und welchen teuren Schmuck er ihr geschenkt habe. Die Ermittlungsrichterin erließ einen am Ende des Vernehmungsprotokolls wiedergegebenen Beschluss, wonach die Benachrichtigung des Angeklagten und der Verteidiger von der Zeugenvernehmung gemäß § 168c Abs. 5 Satz 2 [X.] wegen Gefährdung des Untersuchungszwecks [X.], weil nicht auszuschließen sei, dass die Angeklagten und die dahinterstehende Großfamilie Einfluss auf die Zeugin nehmen würden. Vier Tage später widerrief die Zeugin gegenüber der Polizei per [X.] ihre belastenden Angaben. In einer polizeilichen Vernehmung erklärte sie am nächsten Tag, sie habe dem Angeklagten „eins auswischen“ wollen, nach einem Streit die Polizei zu sich nach Hause gerufen und dann Sachen erzählt, die sie sich ausgedacht habe.

6

Den Inhalt ihrer ehemals belastenden Angaben aus der ermittlungsrichterlichen Vernehmung hat die Zeugin ausweislich der Urteilsgründe in ihrer Vernehmung in der Hauptverhandlung geschildert. Hierauf hat sich das [X.] bei seiner Beweiswürdigung als „weiteres gewichtiges Indiz“ zur Überführung des Angeklagten [X.]    gestützt.

7

Die Revision wendet sich gegen die Verwertung dieser Angaben unter mehreren Gesichtspunkten: Die ermittlungsrichterliche Vernehmung der Zeugin sei mangels Zuständigkeit des Ermittlungsrichters verfahrenswidrig gewesen, rechtsfehlerhaft seien hiervon weder die Angeklagten noch ihre Verteidiger benachrichtigt worden und es habe keine Gelegenheit zur konfrontativen Befragung der Zeugin gegeben. Die Zeugin habe deshalb qualifiziert über die Unverwertbarkeit ihrer Angaben gegenüber der Ermittlungsrichterin belehrt werden müssen.

8

b) Einen durchgreifenden Rechtsfehler zeigt die Revision damit nicht auf.

9

aa) Es kann dahinstehen, ob die Rüge zulässig erhoben ist. Bedenken bestehen insoweit, als die Revision näheren Vortrag zur Ausgangssituation (Angaben der Zeugin [X.]in Zusammenhang mit ihrer Anzeige wegen häuslicher Gewalt gegenüber der Polizei) vermissen lässt und teilweise auch die konkrete Angriffsrichtung der Rüge unklar bleibt.

bb) Die Verfahrensrüge ist jedenfalls unbegründet. Die Angaben der Zeugin [X.]zu ihrer ermittlungsrichterlichen Vernehmung waren entgegen der Auffassung der Revision nicht unverwertbar, so dass es nicht darauf ankommt, dass in der Hauptverhandlung nach dem insoweit relevanten Protokoll (vgl. § 274 Satz 1 [X.]; [X.]/[X.], [X.], 64. Aufl., § 273 Rn. 7) kein Widerspruch gegen die Verwertung erhoben wurde.

Da sich die Zeugin mit ihrem Aussagebegehren von sich aus an die Polizei gewandt hat, liegt zunächst kein Fall einer - lediglich bei Störung der Hauptverhandlung problematischen - Nachermittlung zur Sache durch die Staatsanwaltschaft vor (vgl. dazu [X.], Beschluss vom 7. Mai 2019 - 5 StR 623/18; Urteil vom 1. Februar 1955 - 1 StR 691/54; [X.], 263; zur Problematik insgesamt auch KK-[X.]/[X.], 8. Aufl., § 202 Rn. 9 f.; MüKo-[X.]/[X.], § 202 Rn. 6; MüKo-[X.]/[X.], § 160 Rn. 75; MüKo-[X.]/[X.], § 150 [X.] Rn. 11 ff.; [X.], NStZ 2010, 54 f.; Strauß, [X.], 556; Hildenstab NStZ 2008, 249; Strate, [X.] 1985, 337; [X.], [X.] 1991, 441; [X.], [X.], 128 f.).

Zwar beließ es die [X.] anschließend nicht bei der polizeilichen Vernehmung der Zeugin, sondern beantragte deren ermittlungsrichterliche Vernehmung zu einem Thema der bereits laufenden Hauptverhandlung. Der [X.] kann offenlassen, ob sich dieses Vorgehen als rechtsfehlerhaft darstellt, wogegen die ersichtliche Eilbedürftigkeit sprechen könnte (vgl. zur Problematik KK-[X.]/Griesbaum, 8. Aufl., § 162 Rn. 14 [X.]; KK-[X.]/[X.], 8. Aufl., § 202 Rn. 10; [X.], [X.], 27. Aufl., § 162 Rn. 5; [X.], [X.], 27. Aufl., § 202 Rn. 8, jeweils mwN). Denn die Zeugin wollte ihre Aussage unbedingt am Samstag machen; gerade in Fällen der von der Zeugin behaupteten häuslichen Gewalt ist eine Aussagebereitschaft häufig nur situativ vorhanden, was schnelles Handeln unter Einschaltung des Ermittlungsrichters zur Beweissicherung erfordern kann (vgl. zur Problematik näher [X.], [X.], 70; [X.], [X.], 688). Aus einem möglichen Verstoß gegen die Zuständigkeitsbestimmung des § 162 Abs. 3 Satz 1 [X.] (vgl. OLG Stuttgart MDR 1983, 955) würde kein Beweisverwertungsverbot folgen, da eine polizeiliche Vernehmung der von sich aus aussagebereiten und insoweit gleichermaßen zur Wahrheit verpflichteten Zeugin ohne weiteres möglich war und damit der Vernehmungsinhalt hypothetisch auch auf diese Weise hätte erlangt werden können.

Der [X.] kann auch offenlassen, ob der Ausschluss der Angeklagten und Verteidiger von der Vernehmung rechtsfehlerhaft war. Eine umfassende Unverwertbarkeit derjenigen Angaben der Zeugin in der Hauptverhandlung, die sich auf ihre Vernehmung vor der Ermittlungsrichterin beziehen, würde sich daraus nicht ergeben. Wegen eines Verstoßes gegen § 168c [X.] fehlerhaft zustande gekommene richterliche Vernehmungen dürfen ohnehin als nichtrichterliche Vernehmung in die Hauptverhandlung eingeführt werden (vgl. [X.], Beschluss vom 24. April 2019 - 4 StR 16/19, NStZ-RR 2019, 222 mwN). Dabei ist - unter Beachtung der §§ 250 ff. [X.] - nicht nur die Verlesung derartiger Vernehmungsprotokolle möglich, sondern erst recht können [X.] über den Inhalt der Vernehmung als Zeugen gehört werden ([X.], Beschluss vom 31. Januar 2001 - 3 StR 237/00, [X.] 2002, 584 m. Anm. [X.]). Nichts anderes gilt für die Vernehmung der [X.] selbst, sofern sie als Zeugin über den Inhalt ihrer früheren Vernehmung berichtet. Dass die Strafkammer den Angaben der Zeugin in der Hauptverhandlung zu ihrer früheren Vernehmung im Rahmen der Beweiswürdigung eine besondere Bedeutung hätte zukommen lassen, weil diese vor einer richterlichen Vernehmungsperson statt vor der Polizei gemacht worden waren (vgl. [X.] aaO), ist nicht ersichtlich. Eine Rüge mit der Stoßrichtung, insoweit sei kein ausdrücklicher Hinweis erfolgt (vgl. [X.], Urteil vom 9. Juli 1997 - 5 [X.], [X.], 312, 313), ist nicht erhoben.

Nach alledem bestand auch für die von der Revision geforderte „qualifizierte Belehrung“ der Zeugin kein Anlass.

Weil es vorliegend nicht um die Ersetzung der Vernehmung einer Zeugin durch Einführung ihrer Aussage vor dem Ermittlungsrichter ohne weitere Befragungsmöglichkeit in der Hauptverhandlung geht, sondern lediglich um die Einführung der Vernehmungsinhalte durch Vernehmung der Zeugin in der Hauptverhandlung, besteht kein Konflikt mit dem Konfrontationsrecht (Art. 6 Abs. 3 Buchst. d EMRK).

2. Da das Revisionsverfahren durch eine Nr. 167 [X.] widersprechende Zurückstellung der Aktenübersendung nach Eingang der Revisionsbegründungsschriften um etwa fünf Monate rechtsstaatswidrig verzögert wurde, stellt der [X.] dies fest; einer weiteren Kompensation des Verstoßes bedarf es unter den vorliegenden Umständen nicht (vgl. [X.], Beschluss vom 19. Januar 2021 - 5 StR 539/20). Der lediglich geringfügige Teilerfolg lässt es nicht unbillig erscheinen, die Angeklagten mit den gesamten Kosten ihrer jeweiligen Revisionen zu belasten (§ 473 Abs. 4 [X.]).

Cirener     

        

Berger     

        

[X.]

        

Köhler     

        

von Häfen     

        

Meta

5 StR 67/21

24.06.2021

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Berlin, 20. Februar 2020, Az: 509 KLs 41/18

§ 168c Abs 5 S 2 StPO, § 250 StPO, §§ 250ff StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 24.06.2021, Az. 5 StR 67/21 (REWIS RS 2021, 4664)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 4664

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Wird zitiert von

6 StR 227/21

Zitiert

5 StR 623/18

4 StR 16/19

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