Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 18.06.2014, Az. 5 StR 98/14

5. Strafsenat | REWIS RS 2014, 4834

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
5 StR 98/14

vom
18. Juni 2014
in der Strafsache
gegen

wegen des Verdachts der Vergewaltigung u.a.

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Der 5.
Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 18. Juni 2014, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,

Richter Prof. [X.],
Richterin [X.],
Richter Prof. Dr. König,
Richter Bellay

als beisitzende Richter,

Oberstaatsanwalt beim [X.]

als Vertreter der [X.],

Rechtsanwalt

Z.

als Verteidiger,

Rechtsanwältin S.

als Vertreterin der Nebenklägerin,

Jutizhauptsekretärin

als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle,

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für Recht erkannt:

Auf die Revision der Nebenklägerin wird das Urteil des Landge-richts
Berlin vom 22. Oktober 2013 mit den Feststellungen auf-gehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere [X.] des [X.]s zurückverwiesen.

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Von Rechts wegen
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Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten vom Vorwurf einer zum Nachteil der Nebenklägerin begangenen Vergewaltigung in Tateinheit mit einem Verge-hen nach § 174c StGB aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Die hierge-gen gerichtete Revision der Nebenklägerin hat mit der Sachrüge Erfolg. Auf die erhobenen Verfahrensrügen kommt es daher nicht an.
1. Das [X.] ist im Wesentlichen zu folgenden Feststellungen und Wertungen gekommen:
a) Die aus [X.] stammende und der [X.] kaum mächtige Nebenklägerin begab sich im August 2009 wegen eines unerfüllten 1
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Kinderwunsches in die gynäkologische Behandlung des Angeklagten. Zu den Untersuchungen wurde sie von ihrem damaligen Ehemann begleitet, der dabei Übersetzungsdienste leistete. Bei einem Termin vom 9. September 2009 stellte
dass der Angeklagte während der Untersuchung seinen Penis in ihre Scheide
eingeführt habe. Die Eheleute wollten die nächste Behandlung abwarten und dann entscheiden, was zu tun sei.
Zum nächsten Termin am 23. September 2009 erschienen beide Eheleu-te. Als die Nebenklägerin in das Sprechzimmer gebeten wurde, befand sich ihr Ehemann auf der Toilette. Deswegen meinte der Angeklagte, dass die Neben-klägerin allein gekommen sei. Nachdem die Nebenklägerin auf dem [X.] in dem an das Sprechzimmer angrenzenden [X.] genommen hatte, verschloss er von ihr unbemerkt die Verbindungstür zwischen Untersuchungs-
und Sprechzimmer. Dies widersprach der ständigen Übung in der Arztpraxis, nach der die Verbindungstür nur zugezogen, niemals aber verschlossen wurde. Dass der Ehemann der Nebenklägerin nach Rück-kehr von der Toilette von einer Arzthelferin ins Sprechzimmer gebeten wurde, bemerkte der Angeklagte nicht.
Der Angeklagte brachte den Untersuchungsstuhl in eine Position wie bei der vorherigen Behandlung. Während der Untersuchung fasste die Nebenkläge-rin den dringenden Verdacht, dass der Angeklagte mit seinem Glied in sie ein-Angeklagte drückte ihre Schulter auf die Rückenlehne des Untersuchungsstuhls zurück. Dadurch verdichtete sich ihr richtete sich auf und rief nach ihrem Ehemann. Dieser eilte zur Verbindungstür, 4
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um ihr zu Hilfe zu kommen, konnte die Tür aber nicht öffnen. Die Nebenklägerin lief zur Tür und schloss sie mit dem innen steckenden Schlüssel auf, woraufhin ihr Ehemann ins Untersuchungszimmer trat. Der Angeklagte saß zu diesem Zeitpunkt auf einem Hocker vor dem Untersuchungsstuhl und hielt beide Hände so in seinem Schritt, dass der Reißverschluss seiner Hose verdeckt war.
Die Nebenkl
Tat zuzugeben. Der Ehemann der Nebenklägerin drohte mit der Polizei, wenn der Angeklagte nicht gestehe. Daraufhin bestätigte der Angeklagte die Richtig-u-e-benklägerin verlangte die Herausgabe des vom Angeklagten benutzten [X.]. Dieser erwiderte, er habe nur Fingerlinge verwendet. Die Nebenklägerin lief zum Abfalleimer und entnahm zwei obenauf liegende [X.], von denen eines aus der sie betreffenden Untersuchung herrührte. Der Ange-klagte bot den Eheleuten an, die weiteren Behandlungen kostenlos durchzufüh-ren.
Noch aus der Arztpraxis heraus verständigte der Ehemann der Neben-klägerin die Polizei. Die Eheleute verließen die Praxis und warteten auf der Straße auf die Polizei. Nach deren Eintreffen erfolgte die erste Vernehmung der Nebenklägerin, bei der ihr Ehemann übersetzte. Nachdem der Angeklagte durch eine Arzthelferin von der Verständigung der Polizei unterrichtet worden war, verließ er fassungslos die Praxis, ohne sich umzuziehen.
b) Das [X.] hat sich nicht von der Richtigkeit der von der Neben-klägerin erhobenen Vorwürfe zu überzeugen vermocht. Eine bewusste Falsch-bezichtigung des Angeklagten hat es dabei ausgeschlossen. Jedoch weise die 6
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Aussageentwicklung Inkonstanzen auf, die unter anderem die Frage beträfen, ob die Nebenklägerin das Glied des Angeklagten und die Penetration gesehen habe. Dieser Widersprüche wegen vermittle sich kein zuverlässiges Bild, auf-grund welcher Empfindung die Nebenklägerin zu ihrer Annahme gelangt sei.
den Eheleuten, das nicht einmal indizielle Wirkung entfalte, sowie des Ab-schließens der Verbindungstür sei keine hinreichende Grundlage für die Fest-stellung sexueller Handlungen gegeben.
2. [X.] hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Das Revisionsgericht hat es zwar regelmäßig hinzunehmen, wenn das Tatgericht einen Angeklagten freispricht, weil es Zweifel an dessen [X.]chaft nicht zu überwinden vermag. Denn die Beweiswürdigung ist Sache des Tatge-richts (§ 261 StPO). Ihm obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzu-stellen und zu würdigen. Das Revisionsgericht kann und muss allerdings ein-greifen, wenn dem Tatgericht

wie hier

Rechtsfehler unterlaufen sind.
a) Das [X.]
hat eine Reihe von [X.] festgestellt: Das als zutreffend empfundene Vorbringen des [X.] durch die Neben-

vom Angeklagten abgestritten

ohne erkennbaren objektiven Anlass unüblicherweise abge-schlossen war; die anschließende Abgabe eines

vom Angeklagten abgestrit-tenen

Tatgeständnisses gegenüber der Nebenklägerin und ihrem Ehemann; schließlich das

ebenfalls abgestrittene

alsbaldige kopflose Verlassen der Praxisräume. Im [X.] daran fehlt dem Urteil eine vollständige Auseinan-dersetzung mit der gesamten Beweislage im Sinne der von der Rechtsprechung verlangten Gesamtwürdigung (vgl. nur [X.], Urteil vom 17. September 1986

2 [X.], [X.]R StPO § 261 Beweiswürdigung, unzureichende 1). Indes 9
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kann das Urteil jedenfalls allein wegen der unzureichenden Bewertung des

b) Diesem gegenüber der Nebenklägerin und ihrem Ehemann [X.] des Angeklagten spricht das angefochtene Urteil jegliche Beweisbedeutung ab; es erscheine nachvollziehbar, dass dieser die Vorwürfe nur eingeräumt ha-h-me Einschaltung der Polizei zu verhindern, das Ehepaar zu beruhigen und [X.] rechtlichen Bedenken. Denn das [X.] hat damit nicht nahe-liegende Möglichkeiten zugrunde gelegt, ohne für sein Ergebnis tragfähige Gründe anzuführen (st. Rspr.; vgl. etwa [X.], Urteil vom 24. Januar 2008

5 [X.], insoweit in [X.], 575 nicht abgedruckt). Der Ange-klagte hatte sich auf die ihm vom [X.] unterstellten Zielsetzungen nicht berun-gebot gänzlich in Abrede gestellt. Die Annahmen der [X.] sind dabei mit den Erfahrungen des täglichen Lebens nicht ohne Weiteres vereinbar. [X.] liegt es schon nicht nahe, dass ein Arzt eine bei der Berufsausübung be-gangene schwere Sexualstraftat in der Hoffnung auf Vermeidung einer [X.] sowie zum Zweck des [X.] wahrheitswidrig auf sich nimmt und damit gravierende straf-
und berufsrechtliche Sanktionen riskiert. Hinzu kommt, e-

was in den Urteilsgründen über-haupt nicht erörtert wird

sein Verhalten damit erklärt und entschuldigt, dass er wegen der schönen
Haut der Nebenklägerin erregt gewesen sei. Die von der [X.] vermuteten Motive des Angeklagten bieten für ein solchermaßen 11
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Feststellungen tatsächliche Anhaltspunkte für eine Sachverhaltsvariante oder widerstreiten die konkreten Gegebenheiten dieser danach sogar, so dürfen we-der im Blick auf den [X.] noch aus sonstigen Gründen diesbezügliche Unterstellungen zugunsten eines Angeklagten vorgenommen werden (st. Rspr.; vgl. etwa [X.], Urteile vom 2. September 2009

2 [X.], [X.], 102, 103; vom 18. September 2008

5 [X.], [X.], 401, 402; siehe auch BVerfG

Kammer, [X.], 381, 382).
3. Die Sache bedarf insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Für den Fall eines Schuldnachweises ist zu bemerken:
Die Anklageschrift bewertet die Vorwürfe als Vergewaltigung in der Vari-ante der Ausnutzung einer schutzlosen Lage (§ 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB). Der Tatbestand setzt allerdings voraus, dass das Opfer gerade aus Furcht vor ge-waltsamen Nötigungshandlungen des [X.] auf einen ihm grundsätzlich mögli-vollführte sexuelle Handlungen genügen nicht (vgl. etwa [X.], Urteil vom 26.
April 2006

2 [X.], [X.], 241, 242). Für die Annahme des § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB reicht das Absperren einer Tür dann nicht hin, wenn es der Vorsorge vor Störungen, nicht aber der Ermöglichung der sexuellen Hand-lung dienen soll (vgl. [X.], Urteil vom 2. Oktober 2002

2 [X.],
[X.], 42, 43 mwN). Demgemäß würde es für den Vorwurf der Verge-12
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waltigung darauf ankommen, ob das festgestellte Herunterdrücken der Neben-klägerin durch den Angeklagten die Fortsetzung des [X.] sollte.

[X.] Schneider

König Bellay

Meta

5 StR 98/14

18.06.2014

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 18.06.2014, Az. 5 StR 98/14 (REWIS RS 2014, 4834)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 4834

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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