Bundessozialgericht, Beschluss vom 10.03.2016, Az. B 1 KR 97/15 B

1. Senat | REWIS RS 2016, 14724

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Gegenstand

Krankenversicherung - sozialgerichtliches Verfahren - Zulässigkeit der Revision - Verfahrensmangel - grundsätzliche Bedeutung einer Rechtsfrage - Auslegung einer Krankenhausvergütungsvorschrift - ausgelaufenes Recht


Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 8. September 2015 wird als unzulässig verworfen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3207,84 [X.] festgesetzt.

Gründe

1

I. Die Klägerin, Trägerin eines nach § 108 [X.] zugelassenen Krankenhauses, versorgte die 1937 geborene, bei der beklagten Krankenkasse versicherte [X.] (im Folgenden: Versicherte) im Februar 2008 mit einer Hüft-Totalendoprothese ([X.]). Nach einem Sturz im häuslichen Bereich wurde am [X.] im Krankenhaus der Klägerin eine Osteosynthese mit drei Cerclagen durchgeführt. Die Klägerin kodierte als Hauptdiagnose [X.] (2008) [X.] (Knochenfraktur nach Einsetzen eines orthopädischen Implantates, einer Gelenkprothese oder einer Knochenplatte), steuerte dadurch die Fallpauschale (Diagnosis Related Groups <[X.]> 2008) [X.] (Andere Eingriffe an Hüftgelenk und Femur mit [X.], komplexer Prozedur oder Diagnose, äußerst schweren [X.] oder bei Zerebralparese oder Ersatz des Hüftgelenkes mit Eingriff an oberer Extremität oder Wirbelsäule, Alter > 15 Jahre) an und forderte von der Beklagten 9874,53 Euro Vergütung. Die Beklagte beglich zunächst die Rechnung, forderte aber später Erstattung in Höhe von 3207,84 Euro und rechnete mit einer unstreitigen Vergütungsforderung der Klägerin auf, weil die Hauptdiagnose mit [X.] (2008) S72.11 (Pertrochantäre Fraktur, Intertrochantär) oder S72.2 (Subtrochantäre Fraktur) zu verschlüsseln gewesen sei, die [X.] (2008) [X.] (Andere Eingriffe an Hüftgelenk und Femur mit [X.], komplexer Prozedur, komplexer Diagnose oder äußerst schweren [X.]) ansteuere. Das [X.] hat die Beklagte zur Zahlung von 3207,84 Euro verurteilt. Das L[X.] hat das [X.]-Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das L[X.] ausgeführt, als Hauptdiagnose dürfe [X.] (2008) [X.] nur dann kodiert werden, wenn das Implantat - sei es intra- oder postoperativ - allein für sich betrachtet die Knochenfraktur verursacht habe (Urteil vom 8.9.2015).

2

Die Klägerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im L[X.]-Urteil.

3

II. Die Beschwerde der Klägerin ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 [X.]G iVm § 169 [X.] [X.]G zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 [X.] [X.]G abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung des allein geltend gemachten Revisionszulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung.

4

1. Wer sich - wie hier die Klägerin - auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 [X.] [X.]G) beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB B[X.] SozR 3-1500 § 160a [X.]1 [X.]8; B[X.] SozR 3-4100 § 111 [X.] f; s auch B[X.] SozR 3-2500 § 240 [X.] f mwN).

5

Die Klägerin formuliert als Fragen,

        

"ob ein Gericht die streitige Kodierung eines grundsätzlich unstreitigen (hier: Auftreten einer Fraktur durch Sturz auf das mit einer Hüfttotalendoprothese versorgte Gelenk) ausschließlich durch Anwendung und Auslegung der [X.] sowie der jeweils geltenden [X.] nach den allgemeinen Auslegungsmethoden der Rechtswissenschaft selber bewerten kann und sich dabei über ein bereits vorliegendes, vom Gericht eingeholtes Sachverständigengutachen eines medizinischen Sachverständigen hinwegsetzen darf", (hilfsweise)
"ob das L[X.] die Anwendung der Diagnose [X.] als Haupt- oder Nebendiagnose zur Kodierung einer periprothetischen Fraktur, die nicht intraoperativ beim Einsetzen der Prothese, sondern bei einem von außen hinzutretenden Ereignis wie z.B. einem Sturz aufgetreten ist, zu Recht verneint hat, oder ob die [X.] nach der Systematik des [X.], des [X.] und den [X.] entweder anstelle des [X.] (Kapitel S) als Hauptdiagnose oder neben dem Organkode (Kapitel S) als Nebendiagnose verschlüsselt werden kann", sowie
"ob das L[X.] den ICD-10-Katalog in Verbindung mit den [X.] in der Fassung von 2008 hinsichtlich der [X.] richtig ausgelegt hat".

6

Soweit es die erste Frage betrifft, rügt die Klägerin in der Sache einen vermeintlichen Verfahrensmangel, den sie unzulässig in den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache kleidet. Mit ihrem Vorbringen, das L[X.] dürfe sich nicht über das vom [X.] eingeholte Sachverständigengutachten hinwegsetzen, rügt sie die Beweiswürdigung durch das L[X.]. Die Beweiswürdigung kann aber nicht Gegenstand einer Nichtzulassungsbeschwerde sein. Nach § 160 Abs 2 [X.] [X.]G kann ein Verfahrensmangel nämlich nicht auf eine Verletzung des § 109 (Anhörung eines bestimmten Arztes) und des § 128 Abs 1 S 1 [X.]G (freie richterliche Beweiswürdigung) gestützt werden. Dies kann auch nicht durch das Aufwerfen von Rechtsfragen nach vermeintlich einschlägig gewesenen prozessualen Pflichten eines Gerichts umgangen werden (vgl nur B[X.] Beschluss vom 8.6.2011 - [X.]2 KR 2/11 B - Juris mwN).

7

Im Übrigen wäre selbst bei einer zulässigen Rechtsfrage ein Klärungsbedarf nicht ausreichend dargetan. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats ist die Anwendung der [X.] und der [X.] einschließlich des [X.] und des [X.] ([X.]) nicht automatisiert und unterliegt als Mitsteuerung der prozesshaften Tatbestandsbildung im Zusammenspiel mit den Vorgaben zertifizierter Grouper ihrerseits grundsätzlich den allgemeinen Auslegungsmethoden der Rechtswissenschaft (vgl allgemein bereits B[X.] [X.]-2500 § 109 [X.] Rd[X.]7 mwN; B[X.] [X.]-5562 § 9 [X.] Rd[X.]7; B[X.]E 109, 236 = [X.]-5560 § 17b [X.], Rd[X.]7; B[X.] [X.]-2500 § 301 [X.] Rd[X.]4; B[X.]E 116, 165 = [X.]-2500 § 301 [X.], Rd[X.]2; zur Auslegung von medizinischen Begriffen im [X.] B[X.] [X.]-1500 § 160a [X.]2 Rd[X.]2 ff, stRspr). Gleichwohl sind sie nach dieser Rechtsprechung wegen ihrer Funktion im Gefüge der Ermittlung des Vergütungstatbestandes innerhalb eines vorgegebenen Vergütungssystems eng am Wortlaut orientiert und unterstützt durch systematische Erwägungen auszulegen; Bewertungen und Bewertungsrelationen bleiben außer Betracht (stRspr, vgl zB B[X.] Urteil vom [X.] - [X.] KR 8/15 R - Juris Rd[X.]8; B[X.] Urteil vom 17.11.2015 - [X.] KR 41/14 R - Juris Rd[X.]3, für [X.]-2500 § 109 Nr 51 vorgesehen).

8

Ist eine Frage bereits von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entschieden, ist sie grundsätzlich nicht mehr klärungsbedürftig (vgl zB B[X.] Beschluss vom 21.10.2010 - [X.] [X.]/10 B - RdNr 7 mwN). Eine Rechtsfrage, über die bereits höchstrichterlich entschieden worden ist, kann wieder klärungsbedürftig werden, wenn der Rechtsprechung in nicht geringfügigem Umfang widersprochen wird und gegen sie nicht von vornherein abwegige Einwendungen vorgebracht werden (vgl zB B[X.] SozR 1500 § 160a [X.]3 S 19 mwN), was im Rahmen der Beschwerdebegründung ebenfalls darzulegen ist (vgl zum Ganzen auch B[X.] Beschluss vom 22.12.2010 - [X.] KR 100/10 B - Juris RdNr 7). Daran fehlt es. Die Klägerin legt nicht dar, dass der Rechtsprechung des erkennenden Senats in nicht geringfügigem Umfang widersprochen wird. Sie behauptet lediglich, dass die "Subsumtion eines medizinischen Sachverhalts unter Diagnosen aus dem ICD-10-Katalog" nur soweit von den Gerichten vorgenommen werden könne, als sich aus der Systematik des ICD-10-Katalogs unter Berücksichtigung der juristischen Auslegungsregeln ergebe, dass eine Diagnose anzuwenden oder ausgeschlossen sei, während die medizinische Frage, ob eine Diagnose per definitionem vorliege, medizinisches Fachwissen voraussetze, über das ein Gericht in der Regel nicht verfüge. Der Zusammenhang dieser Behauptung mit der gestellten Frage ist aber schon deshalb nicht nachvollziehbar, weil die Rechtsfrage von einem unstreitigen (medizinischen) Sachverhalt ausgeht. Dass eine medizinische Diagnose im Streit ist, behauptet die Klägerin nicht. Nur ergänzend weist der erkennende Senat darauf hin, dass die teilweise - hier beim [X.] - anzutreffende instanzgerichtliche Praxis Bedenken begegnet, zu den vom Gericht zu entscheidenden Rechtsfragen Sachverständigengutachten einzuholen. Das zulässig angerufene Gericht darf sich nicht auf diese Weise seiner genuin eigenen Aufgabe entziehen, effektiven Rechtsschutz zu gewähren (vgl dazu zB B[X.]E 109, 236 = [X.]-5560 § 17b [X.], Rd[X.] ff).

9

Soweit es die zwei weiteren Fragen betrifft, lässt der Senat offen, ob ihnen eine klare, über den Einzelfall hinausweisende Rechtsfrage zu entnehmen ist und nicht bloß die Frage nach der vergütungsrechtlichen Bewertung eines konkret individuellen Sachverhalts, ob also die Klägerin nur die Unrichtigkeit der L[X.]-Entscheidung rügt. Letzteres ist kein zulässiger Prüfungsgegenstand einer Nichtzulassungsbeschwerde. Die Klägerin legt jedenfalls nicht hinreichend die grundsätzliche Bedeutung der Rechtsfrage dar. Hierzu bedarf es generell besonderen Vorbringens, wenn es sich - wie hier mit im [X.] geltenden Regelungen - um ausgelaufenes Recht handelt (vgl ausführlich B[X.] [X.]-1500 § 160a [X.]2 Rd[X.]0 ff mwN, dort zum [X.]). Dementsprechend entbehren Rechtsfragen der grundsätzlichen Bedeutung, wenn die Tatbestandsmerkmale einer Einzelvergütungsvorschrift mit einer normativ vorgegebenen kurzen Geltungsdauer einer rechtstatsächlich stattfindenden fortlaufenden Überprüfung und eventuellen Anpassung mit der Folge unterliegen, dass im Zeitpunkt der Befassung des Revisionsgerichts mit der Norm eine über den Einzelfall hinausweisende Bedeutung nicht mehr erkennbar ist. Bezogen auf die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung unter dem Gesichtspunkt des ausgelaufenen Rechts bedeutet dies, dass im Streit über die Anwendbarkeit einer bestimmten [X.] darzulegen ist: (1) Die betroffene Einzelvorschrift (bzw das dort betroffene Tatbestandsmerkmal) hat im konkreten Fall auf die zur Ermittlung der [X.] durchzuführende Groupierung Einfluss. (2) Die in der kalenderjahresbezogen anzuwendenden Fallpauschalenvereinbarung ([X.]) mitgeregelte betroffene Einzelvorschrift gilt in späteren [X.] im Wortlaut unverändert [X.] für die Groupierung fort. (3) Ein sich daraus in einer Vielzahl von Behandlungsfällen bereits ergebender und zukünftig zu erwartender Streit konnte von den am Abschluss des [X.] mitwirkenden Vertragsparteien bislang nicht einvernehmlich gelöst werden.

Die Klägerin legt die Voraussetzungen (2) und (3) nicht ausreichend dar. Sie behauptet zwar, dass die Diagnose [X.] auch in einer Vielzahl von Fällen erlösrelevant war und es auch aktuell noch ist. Erforderlich wäre aber eine substantiierte Auseinandersetzung mit der Änderung der [X.] [X.] in der Version 2016 (Stand 25.9.2015). Danach ist diese Schlüsselnummer nur bei einer beim Einsetzen eines orthopädischen Implantates, einer Gelenkprothese oder einer Knochenplatte aufgetretenen Fraktur anzugeben. Die Klägerin legt nicht dar, weshalb durch Einführung des Hinweises, dass unter [X.] nur Frakturen zu kodieren sind, die direkt durch die Implantation hervorgerufen wurden, die Zuordnung nicht geklärt ist und weiterhin eine Interpretationsvielfalt ermöglicht.

Alternativ zu den quantitativ zu verstehenden Voraussetzungen (2) und (3) kann sich auch eine "qualitative" Fortwirkung ergeben. Hierzu ist (4) darzulegen, dass der [X.] über eine Einzelvorschrift eine strukturelle Frage des Vergütungssystems betrifft, deren Beantwortung - ungeachtet der Fortgeltung der konkret betroffenen Vorschrift - über die inhaltliche Bestimmung der Einzelvorschrift hinaus für das Vergütungssystem als Ganzes oder für einzelne Teile zukünftig von struktureller Bedeutung ist. Letzteres impliziert die Darlegung, dass die Vertragsparteien das näher zu bezeichnende Strukturproblem noch nicht gelöst haben. Weshalb ein etwaiges Strukturproblem durch den oben wiedergegebenen Hinweis nicht gelöst sein soll, legt die Klägerin nicht dar.

2. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 160a Abs 4 [X.] [X.]G).

3. [X.] beruht auf § 197a Abs 1 S 1 Teils 3 [X.]G iVm § 154 Abs 2 VwGO, diejenige über den Streitwert auf § 197a Abs 1 S 1 Teils 1 iVm § 63 Abs 2 S 1, § 52 Abs 1 und 3, § 47 Abs 1 und 3 GKG.

Meta

B 1 KR 97/15 B

10.03.2016

Bundessozialgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: KR

vorgehend SG Leipzig, 13. Dezember 2011, Az: S 8 KR 372/09, Urteil

§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 7 KHEntgG, § 17b KHG, DKR 2008

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 10.03.2016, Az. B 1 KR 97/15 B (REWIS RS 2016, 14724)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 14724

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