Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28.01.2014, Az. 1 StR 562/13

1. Strafsenat | REWIS RS 2014, 8360

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Gegenstand

Beweiswürdigung im Strafverfahren: Verfahrensmangel bei Nichteinführung einer Verfahrensabsprache mit einem Zeugen in die Hauptverhandlung


Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 6. Juni 2013 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen in Tatmehrheit mit versuchter räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit Beihilfe zum erpresserischen Menschenraub in Tatmehrheit mit uneidlicher Falschaussage zu einer ([X.] von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Daneben hat es Verfall von [X.] in Höhe von 4.500 Euro angeordnet. Mit seiner Revision beanstandet der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).

2

1. Das Urteil ist insgesamt angefochten.

3

Die in der Revisionsbegründung des Pflichtverteidigers enthaltene Beschränkung der Revision, nach der die Verurteilung des Angeklagten im Fall 4 der Urteilsgründe wegen falscher uneidlicher Aussage (§ 153 StGB) von der Anfechtung ausgenommen sein sollte, ist nicht wirksam. Zwar handelt es sich bei dieser Beschränkung nicht - wie vom Wahlverteidiger angenommen - um eine Revisionsrücknahme. Vielmehr wurde der Umfang der Revision des Angeklagten erst durch die [X.] des Pflichtverteidigers rechtlich bindend festgelegt (vgl. [X.], Beschluss vom 13. Juni 1991 - 4 StR 105/91, [X.]St 38, 4). Die [X.] ist jedoch unwirksam, weil die Voraussetzungen einer teilweisen Anfechtbarkeit des Urteils insoweit nicht vorliegen.

4

Eine Teilanfechtung setzt voraus, dass sie sich auf einen abtrennbaren Teil des Urteils bezieht und die übrigen Tatvorwürfe losgelöst und getrennt von diesem Fall beurteilt werden können (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Urteil vom 29. Februar 1956 - 2 StR 25/56, [X.]St 10, 100). Das ist hier nicht der Fall. Der Angeklagte wurde im Fall 4 der Urteilsgründe deshalb verurteilt, weil er in der Hauptverhandlung gegen     [X.]     bestritten hatte, zusammen mit dem Zeugen [X.]von [X.]     Haschisch gekauft und dabei gewesen zu sein, als eine größere Menge Haschisch an [X.]     übergeben worden sei ([X.]). Die Haschischerwerbe bei     [X.]     sind aber Gegenstand der Verurteilung des Angeklagten in den Fällen 1 und 3 der Urteilsgründe wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Ob der Angeklagte diese Taten begangen hat und sich deshalb (nach Belehrung ge- mäß § 55 StPO) im Strafverfahren gegen [X.] einer uneidlichen Falschaussage schuldig gemacht hat, kann hier aber nur einheitlich beurteilt werden. Denn hat er die von ihm bestrittenen Taten nicht begangen, hat er in- soweit durch Bestreiten seiner Tatbeteiligung im Verfahren gegen     [X.]    auch keine falschen Angaben gemacht, die eine Verurteilung gemäß § 153 StGB rechtfertigen könnten.

5

2. Die Revision des Angeklagten hat mit der Verfahrensrüge Erfolg, das [X.] habe nicht in die Hauptverhandlung eingeführt, dass mit dem Zeugen [X.]in dessen Verfahren als Angeklagten eine [X.] getroffen worden ist, welche die Benennung weiterer Tatbeteiligter zum Gegenstand hatte.

6

a) Der zulässig erhobenen Aufklärungsrüge (§ 244 Abs. 2 StPO) liegt folgendes Geschehen zugrunde:

7

Das [X.] hat den Angeklagten in den Fällen 1 bis 3 der Urteilsgründe wegen Taten im Zusammenhang mit [X.] verurteilt, die der Angeklagte nach den Urteilsfeststellungen gemeinsam mit dem Zeugen [X.]begangen hat. Im Fall 4 der Urteilsgründe hat das [X.] als uneidliche Falschaussage des Angeklagten gewertet, dass der Angeklagte im Verfahren gegen den Rauschgiftlieferanten     [X.]     seine Beteiligung an den Rauschgiftgeschäften mit diesem bestritten hatte.

8

Seine Überzeugung vom Ablauf der [X.], einer damit zusammenhängenden räuberischen Erpressung u.a. (Fall 2 der Urteilsgründe) sowie von der Täterschaft des Angeklagten stützt das [X.] maßgeblich auf die Angaben des Zeugen [X.]als Mittäter des Angeklagten bei diesen Taten. Im Rahmen der Würdigung der Glaubhaftigkeit der Angaben dieses Zeugen berücksichtigt das [X.], dass [X.]die ihm zur Last gelegten Taten zwar zunächst bestritten habe, in der gegen ihn gerichteten Hauptverhandlung aber eingeräumt und den Angeklagten als Geldgeber für den Rauschgiftkauf bezeichnet habe. Die ohne [X.] gemachten Aussagen des Zeugen wiesen eine deutliche Aussagekonstanz sowie erheblichen Detailreichtum auf, enthielten Realkennzeichen und würden durch die Aussagen weiterer Zeugen bestätigt ([X.] f.).

9

Keine Erwähnung in den Urteilsgründen findet der der [X.] bekannte Umstand, dass der Zeuge [X.]den Angeklagten erstmals als seinen Begleiter benannte, nachdem in der gegen ihn unter derselben Vorsitzenden geführten Hauptverhandlung eine Verständigung stattgefunden hatte. Darin war zwischen den Verfahrensbeteiligten vereinbart worden, was auch in das [X.] aufgenommen wurde, dass [X.]im Falle eines umfassenden Geständnisses „sowie bei Offenlegung eines weitergehenden [X.]s sowie Benennung weiterer Tatbeteiligter zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von nicht mehr als vier Jahren verurteilt werde".

b) Bei dieser Sachlage musste es sich dem [X.] aufdrängen, dass es die mit dem Zeugen [X.]in dessen Verfahren getroffene [X.] in die Hauptverhandlung gegen den Angeklagten einführen und [X.] auch vor dem Hintergrund dieser [X.] würdigen musste. Denn bei der Aussage des [X.] handelte es sich auch aus Sicht des [X.]s trotz der die Richtigkeit dieser Aussage stützenden Angaben weiterer Zeugen um eine für das Verfahren entscheidungserhebliche Zeugenaussage, zumal das [X.] nicht allen Zeugen glaubt. Die Verständigung im Verfahren gegen den Zeugen [X.] war vom [X.] zu würdigen, weil es sich um eine [X.] zu Lasten Dritter (vgl. dazu [X.], Beschluss vom 6. November 2007 - 1 [X.], [X.]St 52, 78, 83 und Urteil vom 29. November 2011 - 1 StR 287/11, [X.], 180 Rn. 14) und damit auch des Angeklagten handelte. Das [X.] hatte deshalb zu prüfen, ob der Zeuge [X.]in seinem eigenen Verfahren irrig geglaubt haben könnte, eine Falschaussage zu Lasten des Angeklagten sei für ihn günstiger als wahre Angaben (vgl. auch [X.], Beschlüsse vom 9. Februar 2012 - 1 StR 438/11, [X.], 393 und vom 15. Januar 2003 - 1 [X.], [X.]St 48, 161, 168) und ob er im Verfahren gegen den Angeklagten nur deshalb bei dieser Aussage geblieben ist, um sich nicht selbst zu widersprechen, obwohl das gegen ihn geführte Verfahren bereits abgeschlossen war. Da die Möglichkeit eines solchen Irrtums nicht davon abhängt, ob die Verfahren gegen [X.]und den Angeklagten verbunden waren oder nicht, bestand die Notwendigkeit der Würdigung der Verständigung unabhängig davon, ob diese mit einem anderen Tatbeteiligten im selben oder in einem anderen Verfahren stattgefunden hat. Was zu würdigen ist, muss auch in die Hauptverhandlung eingeführt werden (vgl. [X.], Beschluss vom 9. Februar 2012 - 1 StR 438/11, [X.], 393).

c) Der Senat kann nicht ausschließen, dass das [X.] bei Würdigung der mit dem Zeugen [X.]in dessen Strafverfahren getroffenen [X.] dessen den Angeklagten belastender Aussage in der Hauptverhandlung gegen den Angeklagten geringeres Gewicht beigemessen und hinsichtlich aller vier dem Angeklagten zur Last liegenden Taten zu einer anderen Überzeugung gelangt wäre. Zwar hat das [X.] die Verurteilung des Angeklagten nicht allein auf die Aussage des Zeugen gestützt; vielmehr hat es seine Überzeugung aus einer Gesamtwürdigung mehrerer Zeugenaussagen geschöpft. Jedoch wird deutlich, dass das [X.] der Aussage des Zeugen [X.]als unmittelbar Tatbeteiligtem zentrale Bedeutung für die Überzeugungsbildung beigemessen hat. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer tatrichterlicher Aufklärung und Entscheidung.

3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf die Vorschrift des § 157 Abs. 1 StGB hin. Denn, sollte das neue Tatgericht wieder zu denselben Feststellungen hinsichtlich der Betäubungsmitteldelikte gelangen, liegt es nahe, dass der Angeklagte im Verfahren gegen     [X.]     nur deshalb die Unwahrheit gesagt hat, um von sich die Gefahr abzuwenden, wegen dieser Delikte bestraft zu werden.

Raum     

Wahl     

     Rothfuß

Rin[X.] Cirener ist erkrankt
und deshalb an der
Unterschriftsleistung verhindert.

Jäger     

Raum

Meta

1 StR 562/13

28.01.2014

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Nürnberg-Fürth, 6. Juni 2013, Az: 1 KLs 352 Js 6390/12

§ 244 Abs 2 StPO, § 257c StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28.01.2014, Az. 1 StR 562/13 (REWIS RS 2014, 8360)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 8360

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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