Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 28.10.2008, Az. 3 StR 364/08

3. Strafsenat | REWIS RS 2008, 1190

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen

[X.] vom 28. Oktober 2008 in der Strafsache gegen wegen sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person - 2 - Der 3. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am 28. Oktober 2008 gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen: Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 22. Januar 2008 mit den [X.], soweit der Angeklagte verurteilt worden ist. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen not-wendigen Auslagen, an eine andere [X.] des Landge-richts zurückverwiesen. Gründe: Das [X.] hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs [X.] zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verur-teilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt; von einem weiteren Vorwurf der schweren Vergewaltigung hat es ihn freigesprochen. Mit seiner ge-gen die Verurteilung gerichteten Revision beanstandet der Angeklagte die [X.] formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit einer Ver-fahrensrüge Erfolg; das [X.] hat einen Beweisantrag rechtsfehlerhaft zurückgewiesen (§ 244 Abs. 3 Satz 2, Abs. 4 Satz 1 StPO). 1 1. Nach den Feststellungen des [X.]s konsumierte die im Jahre 1983 geborene Zeugin [X.]seit ihrer frühen Jugend Kokain und Heroin und war zum Tatzeitpunkt im [X.] 2001 betäubungsmittelabhängig. Der Ange-klagte und zwei oder drei Begleiter besorgten ihr Heroin. Sie nahm das 2 - 3 - Rauschgift ein, war hierdurch berauscht und fiel in einen betäubungsähnlichen Zustand. Der Angeklagte und seine Begleiter vollzogen nunmehr nacheinander mit der regungslos auf einem Sofa liegenden Zeugin den vaginalen [X.] bis zum Samenerguss. Obwohl sie aufgrund ihres Zustands zu einem körperlichen Widerstand nicht in der Lage war, konnte sie ihre Umge-bung noch wahrnehmen und sagte zu jedem der Täter: "Nein". Das [X.] hat den Angeklagten im Wesentlichen aufgrund der Aussage der Zeugin verurteilt, die es für glaubhaft erachtet hat. 3 2. Der Angeklagte hat mit Anträgen vom 8. Oktober und 6. November 2007 die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Aussagefähigkeit der Zeugin beantragt. Diese sei nicht aussagetüchtig, da aufgrund ihres langen Drogenabusus ihre Fähigkeit, Wahrnehmungen zu erinnern und zu reproduzie-ren, erheblich eingeschränkt sei; ihre Aussagen zu dem Tatvorwurf seien unzu-verlässig. Zur Begründung hat der Angeklagte unter Hinweis auf zahlreiche aus seiner Sicht bestehende Ungenauigkeiten und Widersprüche in den verschie-denen Vernehmungen der Zeugin ausgeführt, dass diese in ihrer kognitiven Leistungsfähigkeit erheblich eingeschränkt gewesen sei. 4 Mit Beschluss vom 14. November 2007 hat die [X.] den Be-weisantrag vom 6. November 2007 zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie auf ihre eigene Sachkunde verwiesen. Besonderheiten, die eine sachverständi-ge Beratung erforderlich machten, seien nicht erkennbar und lägen auch nicht darin, dass die Zeugin zur Tatzeit und möglicherweise noch zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung drogenabhängig gewesen sei. Im Übrigen dürfte - so das [X.] - das Beweismittel ungeeignet sein, weil die Zeugin es ablehne, sich der für ein [X.] erforderlichen Exploration zu unter-ziehen. 5 - 4 - 3. Diese Ablehnung hält in der Sache rechtlicher Nachprüfung nicht stand; deshalb kann dahinstehen, ob mit dem Beschluss vom 14. November 2007 auch der Antrag vom 8. Oktober 2007 beschieden worden ist oder inso-weit ein von der Revision ebenfalls gerügter Verstoß gegen § 244 Abs. 6 StPO vorliegt. 6 a) Soweit die [X.] eigene Sachkunde in Anspruch genommen hat, reicht die Begründung ihrer Entscheidung aufgrund der besonderen Um-stände des vorliegenden Sachverhalts nicht aus. Die Anforderungen, die an den Ausweis der richterlichen Sachkunde in dem den Beweisantrag ablehnenden Beschluss oder den Urteilsgründen zu stellen sind, richten sich nach dem Maß der Schwierigkeit der Beweisfrage (vgl. BGHSt 12, 18, 20). Anders als in [X.] Fällen der Glaubwürdigkeitsbeurteilung, in denen sich die eigene Sachkunde des Tatrichters regelmäßig schon aus seiner Berufserfahrung ergibt (vgl. [X.] NJW 2004, 209, 211), bestand hier ausnahmsweise mit Blick auf die konkrete Fallgestaltung ein erhöhter Begründungsbedarf. 7 Das Beweisbegehren zielte erkennbar nicht auf allgemeine Fragen der Glaubwürdigkeit der Zeugin im Hinblick auf ihre Drogenabhängigkeit, sondern darauf ab, dass aufgrund der konkreten Gegebenheiten ihre kognitiven [X.] erheblich beeinträchtigt waren. Die Beurteilung der Auswirkungen ihres langjährigen Drogenmissbrauchs in Kombination mit der akuten Intoxination zur Tatzeit, die so stark war, dass sie sich - zu jeglichem Widerstand unfähig - in einem "betäubungsähnlichen Zustand" befand, auf ihre Fähigkeit zur [X.] und späteren Wiedergabe des konkreten Geschehens nimmt jedoch mehr als Allgemeinwissen in Anspruch. Unter diesen Umständen versteht sich die Sachkunde der [X.] nicht von selbst; sie hätte vielmehr in dem [X.] oder den Urteilsgründen näher dargelegt werden [X.] - 5 - sen (vgl. [X.], 47; [X.] in [X.]. § 244 Rdn. 198 m. zahlr. [X.]). - 6 - b) Der - nicht näher begründete - Hinweis der [X.] auf die mög-liche Ungeeignetheit des Beweismittels vermag die Zurückweisung des [X.] ebenfalls nicht zu tragen. Zwar kann ein Beweisantrag, der sich auf ein - nach dem Gesetzeswortlaut allerdings "völlig" - ungeeignetes Beweis-mittel stützt, aus diesem Grund nach § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO abgelehnt wer-den. Dabei muss es sich aber um ein Beweismittel handeln, dessen Inan-spruchnahme von vornherein gänzlich aussichtslos wäre, so dass sich die [X.] in einer reinen Förmlichkeit erschöpfen würde (vgl. [X.], 338). Nach diesen Maßstäben kann die Einholung eines Sachver-ständigengutachtens nur dann abgelehnt werden, wenn auszuschließen ist, dass es sich zu der vorgelegten Beweisfrage sachlich überhaupt äußern kann (vgl. [X.], 116), z. B. weil es nicht möglich ist, dem [X.] die tatsächlichen Grundlagen zu verschaffen, derer er für sein Gutachten bedarf (vgl. [X.] in [X.] aaO § 244 Rdn. 154). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Die Zeugin konnte zwar ohne ihre Einwilligung nicht psychiatrisch un-tersucht werden (§ 81 c StPO). Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass der Sachverständige auf andere Weise, etwa durch das Studium der Akten und die Beobachtung der Zeugin in der Hauptverhandlung ausreichende Anknüpfungs-tatsachen hätte ermitteln und auf deren Basis zumindest Wahrscheinlichkeits-aussagen zu der Beweisbehauptung machen können. 9 - 7 - 4. Der Schuldspruch beruht auf der rechtsfehlerhaft unterlassenen [X.]. Der [X.] kann nicht ausschließen, dass das [X.] zu einer anderen Überzeugung gekommen wäre, wenn es das beantragte Gutach-ten eingeholt und der Sachverständige die Beweisbehauptung bestätigt hätte. 10 [X.] Miebach Sost-Scheible [X.]

Meta

3 StR 364/08

28.10.2008

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 28.10.2008, Az. 3 StR 364/08 (REWIS RS 2008, 1190)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2008, 1190

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

3 StR 274/08 (Bundesgerichtshof)


4 StR 100/07 (Bundesgerichtshof)


4 StR 372/12 (Bundesgerichtshof)

Beweisaufnahme im Strafverfahren: Anforderungen an die Konnexität des Beweisantrags auf Vernehmung eines Zeugen


4 StR 372/12 (Bundesgerichtshof)


3 Ss 297/05 (Oberlandesgericht Hamm)


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.