Oberlandesgericht Frankfurt, Beschluss vom 04.06.2025, Az. 9 W 13/25

9. Zivilsenat | REWIS RS 2025, 4188

ELEKTRONISCHER RECHTSVERKEHR BESORGNIS DER BEFANGENHEIT VIDEOVERHANDLUNG

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Gegenstand

Richterablehnung: Misstrauen durch versehentliche Übersendung eines Urteilsentwurfs


Leitsatz

Die versehentliche Übersendung eines signierten Urteilsentwurfs mit einem bereits ausformulierten Tenor kann aufseiten der danach unterliegenden Partei geeignet sein, den Eindruck hervorzurufen, die Einzelrichterin habe sich in ihrer Entscheidung bereits festgelegt und das weitere Verfahren diene nur noch dazu, dieses Ergebnis besser begründen zu können.

Tenor

Auf die Beschwerde der Beklagten zu 2) wird der Beschluss des [X.]abgeändert.

Das Ablehnungsgesuch gegen Vorsitzende Richterin am [X.]wird für begründet erklärt.

Gründe

I.

Der Kläger verlangt von den [X.]Räumung und Herausgabe eines Gartengrundstücks.

Die abgelehnte Vorsitzende Richterin hat als Einzelrichterin im Verhandlungstermin vom 26.11.2024 [X.]auf den [X.]bestimmt. Mit [X.]vom [X.](richtig wohl 21.1.2025) wurde den Parteien ein unvollständiger [X.]zugestellt. Neben dem [X.]und einem vollen Rubrum enthält der Entwurf einen vollständig ausformulierten Hauptsachetenor, nach dem die [X.]verurteilt werden, das von ihnen innegehalten Gartengrundstück zu räumen und an den Kläger herauszugeben. Im nachfolgenden [X.]werden den [X.]die Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Es schließen sich ein fragmentarischer Tatbestand und ebensolche Entscheidungsgründe an. Wegen des genauen Inhalts wird auf Bl. 325 ff. [X.]verwiesen. Sowohl das [X.]als auch der [X.]sind von der abgelehnten Vorsitzenden Richterin signiert.

Unter dem [X.](Bl. 348 d. eAkte) teilte die abgelehnte Richterin den Parteien mit, dass es sich hierbei um ein Versehen handele; tatsächlich sei - wie auch im [X.]vermerkt - dem anwesenden Kläger ein Beschluss mit einem neuen Termin verkündet worden. Das übersandte Urteil, das erkennbar nur ein unvollständiger Entwurf sei, sei zu ignorieren.

Mit Schriftsatz vom [X.](Bl. 568 d. eAkte) hat der Beklagtenvertreter zu 2) die Vorsitzende Richterin wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt.

Zur Begründung beruft er sich auf den versehentlich übersandten Urteilsentwurf, mit dem der Klage stattgegeben worden sei. Darüber hinaus stützt er das Gesuch auf die seiner Meinung nach „völlig sachfremden Erwägungen“ in dem anschließend übersandten Beschluss, die zu einer überflüssigen Beweisaufnahme führten. Schließlich lehnt er die Vorsitzende Richterin auch deshalb ab, weil sie einen Antrag nach § 128a ZPO aus „willkürlichen Erwägungen“ abgelehnt habe.

Mit dem angegriffenen Beschluss vom 5.5.2025 (Bl. 625 d. eAkte), auf den wegen der Begründung verwiesen wird, hat das [X.]als unbegründet zurückgewiesen. Der hiergegen von der [X.]zu 2) mit am 13.5.2025 eingegangenen Schriftsatz vom selben Tag (Bl. 641 d. eAkte.) eingelegten und gleichzeitig begründeten sofortigen Beschwerde hat das [X.]nicht abgeholfen. Auf die - im Wesentlichen die bereits mit dem Ablehnungsantrag vorgebrachten Gründe wiederholende - Beschwerdebegründung und den Beschluss vom [X.](Bl. 652 d. eAkte) wird verwiesen.

II.

Die sofortige Beschwerde der [X.]zu 2) gegen den angefochtenen Beschluss, mit dem das [X.]das Ablehnungsgesuch gegen Vorsitzende Richterin A zurückgewiesen hat, ist statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht gemäß § 46 Abs. 2, 2. Halbsatz, § 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO eingelegt und begründet worden. Sie hat auch in der Sache Erfolg. Das Ablehnungsgesuch ist begründet.

Nach § 42 Abs. 2 ZPO findet die Ablehnung eines Richters wegen der Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen eine unparteiliche Amtsführung des abgelehnten Richters zu rechtfertigen. Hierbei kommen nur solche objektiven Gründe in Betracht, die aus der Sicht einer vernünftigen Partei die Befürchtung wecken können, der [X.]stehe der Sache nicht unvoreingenommen und unparteiisch gegenüber (Zöller/Vollkommer ZPO, 35. Auflage, § 42 Rn. 8 und 9 m.w.N.). Unerheblich ist demgegenüber, ob der abgelehnte [X.]tatsächlich befangen ist oder sich für befangen hält ([X.]73, 335; 99, 56).

Auf dieser Grundlage erweist sich das Ablehnungsgesuch nach Auffassung des erkennenden Senats aus einem der vor der [X.]zu 2) vorgebrachten Gründe als begründet, weshalb der angefochtene Beschluss abzuändern war.

Durch die versehentliche Übersendung des [X.]kann aus Sicht einer vernünftig denkenden Partei in der Rolle der [X.]zu 2) zu Recht die Besorgnis hervorgerufen werden, die abgelehnte Richterin sei ihr gegenüber voreingenommen, weil sie sich bereits entschlossen habe, der Klage stattzugeben, wie aus dem (entworfenen) [X.]zu entnehmen ist. Selbst, wenn die Beklagte zu 2) jedenfalls durch die nachfolgende Klarstellung erkannt haben mag, dass es sich nur um einen [X.]gehandelt hat und ein weiterer Verhandlungstermin mit Beweisaufnahme stattfinden sollte, bleibt der nicht wieder rückgängig zu machende objektive Eindruck, die abgelehnte Richterin habe sich bereits darauf festgelegt, der Klage stattzugeben, und das weitere Verfahren diene nur noch dazu, dieses Ergebnis besser begründen zu können. Es kommt hinzu, dass die abgelehnte Richterin als Einzelrichterin tätig war, so dass dem [X.]auch nicht nur die Funktion eines [X.]verfahrensbegleitenden Vorschlags hätte zukommen können. Das hierdurch erzeugte Misstrauen aufseiten der [X.]zu 2) kann weder durch die entsprechenden dienstlichen Äußerungen der abgelehnten Richterin beseitigt werden noch durch den Umstand, dass der [X.]keine rechtlichen Wirkungen entfalten konnte.

Dass die abgelehnte Richterin tatsächlich nicht befangen und die Erstellung von internen Entscheidungsentwürfen freilich nicht unüblich ist, ist hier unerheblich. Keine Rolle spielt auch, dass nicht sie selbst, sondern ihre Geschäftsstelle für die fehlerhafte Versendung verantwortlich ist. Entscheidend ist allein, dass die versehentliche Übersendung des - zudem bereits signierten - [X.]mit schon ausformuliertem Tenor objektiv geeignet war, aufseiten der [X.]zu 2) Misstrauen in eine unparteiliche Amtsausübung der abgelehnten Richterin zu rechtfertigen.

Bei diesem Sach- und Streitstand mögen die weiteren Gründe, die die Beklagte bzw. ihr Prozessbevollmächtigter für die Befangenheit der abgelehnten Richterin vorbringt, auf sich beruhen. [X.]weist der Senat jedoch darauf hin, dass die Ablehnung der Anträge auf eine Verhandlung im Wege des § 128a ZPO nicht zum Erfolg des Gesuchs geführt hätten. Weder beruhen die von der abgelehnten Richterin in den entsprechenden Beschlüssen vorgebrachten Argumente auf sachfremden Erwägungen noch kann die Unanfechtbarkeit eines Ablehnungsbeschlusses nach § 128 Abs. 3 S. 2 ZPO durch einen in diese Richtung zielenden Ablehnungsantrag umgangen werden.

Eine Kostenentscheidung ist im [X.]bei erfolgreicher Beschwerde entbehrlich, da es sich insoweit bei den Kosten um solche des Rechtsstreits handelt (vgl. Zöller/Vollkommer ZPO, 35. Auflage, § 46 Rn. 22).


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Meta

9 W 13/25

04.06.2025

Oberlandesgericht Frankfurt 9. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: W

vorgehend LG Frankfurt am Main, 5. Mai 2025, 2-07 O 263/24, Beschluss


§ 42 ZPO, § 128a ZPO

Zitier­vorschlag: Oberlandesgericht Frankfurt, Beschluss vom 04.06.2025, Az. 9 W 13/25 (REWIS RS 2025, 4188)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2025, 4188

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