Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.04.2015, Az. IX ZB 29/13

9. Zivilsenat | REWIS RS 2015, 12184

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Gegenstand

Gesamtvollstreckungsverfahren im Beitrittsgebiet: Befugnis des Verwalters zur Einberufung einer Gläubigerversammlung zwecks Beschlussfassung über die Entlassung des Sonderverwalters


Leitsatz

Der Verwalter ist nicht befugt, die Einberufung einer Gläubigerversammlung zu beantragen, in welcher über die Abberufung eines Sonderverwalters und die Aufhebung der Sonderverwaltung beschlossen werden soll.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 8. Zivilkammer des [X.] vom 12. April 2013 wird auf Kosten des weiteren Beteiligten zu 1 zurückgewiesen.

Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 75.832,97 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der weitere Beteiligte zu 1 (fortan: Verwalter) ist Verwalter in dem am 1. November 1994 eröffneten [X.] über das Vermögen der [X.]. Im November 1999 zahlte er 1.483.164 DM (758.329,71 €) an die Sozialplangläubiger aus. Dieser Betrag überstieg ein Drittel des zu verteilenden Erlöses (vgl. § 17 Abs. 3 Nr. 1c [X.]). Mit Beschluss vom 7. Januar 2011 wurde der weitere Beteiligte zu 2 (fortan: [X.]) zum [X.] bestellt und beauftragt, aus der Zahlung folgende Schadensersatzansprüche der Masse gegen den Verwalter zu prüfen und gegebenenfalls durchzusetzen.

2

Der Verwalter holte ein Rechtsgutachten eines Hochschullehrers zu den Fragen ein, welche Kompetenzen der Gläubigerversammlung hinsichtlich der Sonderverwaltung zustünden, ob und unter welchen Voraussetzungen der [X.] der Masse schadensersatzpflichtig werden könne und ob auch das [X.] zu Schadensersatz verpflichtet sei. Mit Schriftsatz vom 8. Februar 2012 hat er die Einberufung einer Gläubigerversammlung beantragt, die über folgende Tagesordnungspunkte beschließen soll:

1. Verweigerung der Zustimmung der Klageerhebung des [X.]s gegen den [X.] wegen Schadensersatz mit einem vorläufigen Streitwert von 758.329,71 € gemäß [X.] vom 27. September 2011.

2. Beendigung der Sonderverwaltung und Entlassung des [X.]s Rechtsanwalt [X.].

3

Der Gläubigerausschuss, welcher der Auszahlung im Jahre 1999 zugestimmt hatte, hat einen gleichlautenden Antrag gestellt. Das [X.] hat auf den Antrag des Gläubigerausschusses eine Gläubigerversammlung mit dem einzigen Tagesordnungspunkt "Erhebung einer Schadensersatzklage durch den [X.]" anberaumt, den Antrag des Verwalters jedoch wegen fehlender Antragsbefugnis abgelehnt. Die sofortige Beschwerde des Verwalters, mit welcher dieser die Einberufung einer Gläubigerversammlung zum Thema "Beendigung der Sonderverwaltung und Entlassung des [X.]s" erreichen wollte, ist erfolglos geblieben. Mit seiner vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Verwalter diesen Antrag weiter.

II.

4

Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthaft, weil die Entscheidungen des [X.]s nach § 20 [X.] mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar sind und das Beschwerdegericht die Rechtsbeschwerde zugelassen hat (vgl. [X.], Beschluss vom 15. Januar 2004 - [X.], [X.], 490 f; vom 10. März 2005 - [X.] 269/03, [X.], 1610, 1611), und auch im Übrigen zulässig. Sie bleibt jedoch ohne Erfolg.

5

1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt (vgl. [X.], 1782): Das Recht des [X.]s, die Einberufung einer Gläubigerversammlung zu beantragen, sei auf seine Aufgaben im Verfahren beschränkt und diene nicht der Wahrnehmung der Interessen Dritter. Diejenigen Aufgaben, die dem [X.] übertragen worden seien, gehörten nicht zu den Aufgaben des Verwalters. Überdies liege die angestrebte Beschlussfassung außerhalb der Kompetenz der Gläubigerversammlung. Die Gesamtvollstreckungsordnung räume dieser nicht das Recht ein, die Abberufung des Verwalters zu beantragen.

6

2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung im Ergebnis stand.

7

a) Entgegen der Ansicht des [X.] ist die Gläubigerversammlung zwar auch im Geltungsbereich der Gesamtvollstreckungsordnung befugt, die Abberufung eines gerichtlich bestellten [X.]s zu beantragen oder wenigstens anzuregen. Die für die Abberufung des [X.]s geltende, auf den [X.] entsprechend anzuwendende (vgl. [X.], Beschluss vom 25. Januar 2007 - [X.] 240/05, [X.], 607 Rn. 21 ff; vom 5. Februar 2009 - [X.] 187/08, [X.], 565 Rn. 4 f zur entsprechenden Anwendung des § 59 [X.] auf den Sonderinsolvenzverwalter) Vorschrift des § 8 Abs. 3 Satz 2 [X.] steht nicht entgegen.

8

Nach § 8 Abs. 3 Satz 2 [X.] kann der Verwalter bei Vorliegen eines wichtigen Grundes vom Gericht abberufen werden. Anders als nach § 84 Abs. 1 Satz 2 KO ist die Entlassung des Verwalters nicht von einem Antrag der Gläubigerversammlung oder des Gläubigerausschusses abhängig. Schon ihrem Wortlaut nach verbietet die Vorschrift der Gläubigerversammlung nicht, sich mit der Frage zu befassen, ob die Abberufung des Verwalters oder des [X.]s beantragt oder angeregt werden soll. Dass sie - anders als nunmehr § 59 Abs. 1 Satz 2 [X.] - die Abberufung auf Antrag der Gläubigerversammlung, des Gläubigerausschusses oder des Verwalters selbst nicht einmal erwähnt, lässt den Schluss darauf, dass solche Anträge unzulässig seien, ebenfalls nicht zu. Der [X.] hat wiederholt den fragmentarischen Charakter der Gesamtvollstreckungsordnung hervorgehoben. Bei ihrer Auslegung ist besonders zu beachten, dass der Gesetzgeber, um den knappen Formulierungsstil der Gesamtvollstreckungsverordnung der ehemaligen [X.] beizubehalten, bei umfangreichen Regelungen des übernommenen [X.] in der Regel nur die Grundnorm übernommen hat. Gleiches gilt, soweit bei der Änderung und Ergänzung der Gesamtvollstreckungsverordnung wichtige Grundgedanken der Insolvenzrechtsreform, die zu jenem Zeitpunkt bereits in einem Referentenentwurf niedergelegt waren, in das für die neuen Bundesländer geschaffene Übergangsrecht übernommen worden sind (vgl. [X.], Urteil vom 15. Juli 1999 - [X.], [X.]Z 142, 208, 210). Der im Jahre 1989 vom [X.] als Sonderdruck veröffentlichte Referentenentwurf sah in § 66 Abs. 1 Satz 2 eine dem heutigen § 59 Abs. 1 Satz 2 [X.] entsprechende Regelung vor.

9

Die Insolvenzordnung weicht bewusst von § 84 Abs. 1 Satz 2 KO ab, indem sie in § 59 Abs. 1 Satz 2 [X.] vorsieht, dass die Entlassung des Verwalters (auch) von Amts wegen erfolgen kann. Nach der amtlichen Begründung des [X.] (BT-Drucks. 12/2443, [X.] zu § 70) hatte die Regelung des § 84 Abs. 1 Satz 2 KO den Nachteil, dass ein Verwalter auch bei schweren Pflichtverletzungen oder offensichtlicher Amtsunfähigkeit nicht sofort abberufen werden konnte, sondern insbesondere dann, wenn ein Gläubigerausschuss nicht bestellt worden war, noch längere Zeit im Amt blieb. Zudem bestand die Gefahr, dass ein Verwalter, der in unredlicher Absicht bestimmte Gläubiger begünstigte, deshalb nicht aus seinem Amt entfernt werden konnte, weil wegen des Widerstandes des begünstigten Gläubigers ein [X.] nicht zustande kam. Die Insolvenzordnung räumt dem Insolvenzgericht daher die Möglichkeit ein, den Verwalter während des gesamten Verfahrens von Amts wegen zu entlassen. Die Regelung des § 8 Abs. 3 Satz 2 [X.], die im Vorgriff auf die zu erwartende bundesweit geltende Vorschrift des § 59 Abs. 1 Satz 2 [X.] und in Anlehnung an diese geschaffen wurde, wird in der amtlichen Begründung des [X.] als Muster einer derartigen Befugnis bezeichnet. Dass sie - anders als § 59 Abs. 1 Satz 2 [X.] - die Möglichkeit eines Antrags des Verwalters, des Gläubigerausschusses oder der Gläubigerversammlung nicht erwähnt, heißt nicht, dass derartige Anträge unzulässig sind.

Die Sonderverwaltung dient oft - wie auch im vorliegenden Fall - dazu, einen Schadensersatzanspruch der Masse gegen den Verwalter geltend zu machen, was dem einzelnen Gläubiger verwehrt ist (vgl. [X.], Urteil vom 22. April 2004 - [X.], [X.]Z 159, 25, 26; vom 17. Juli 2014 - [X.], [X.], 2009 Rn. 11). Die Gläubiger müssen die Bestellung eines [X.]s beantragen oder jedenfalls anregen dürfen; da sie nur als Gläubigerversammlung handlungsfähig sind, setzt dies eine Gläubigerversammlung voraus, bei welcher die Frage der Sonderverwaltung auf der Tagesordnung steht. Ebenso ist die Gläubigerversammlung befugt, Stellung zu der Frage zu nehmen, ob ein vom [X.] ermittelter Schadensersatzanspruch gegen den Verwalter durchgesetzt werden soll. Im Urteil vom 17. Juli 2014 (aaO Rn. 15) hat der [X.] dies als selbstverständlich vorausgesetzt. Ebenso selbstverständlich kann die Gläubigerversammlung Beschlüsse dazu fassen, ob die Entlassung des Verwalters oder des [X.]s - oder etwa aus Kostengründen - die Aufhebung der Sonderverwaltung beantragt oder jedenfalls angeregt werden soll. Darüber, ob, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang das Gericht und der [X.] an Beschlussfassungen der Gläubigerversammlung gebunden sind, ist hier nicht zu entscheiden, weil es lediglich um die Frage einer zulässigen Tagesordnung geht.

b) Im Ergebnis kommt es auf diese Frage nicht an. Der Verwalter ist nicht befugt, die Einberufung einer Gläubigerversammlung mit dem Ziel zu beantragen, über die Amtsführung des [X.]s, über die Entlassung des [X.]s aus dem Amt oder über die Beendigung der Sonderverwaltung beschließen zu lassen.

aa) Nach § 15 [X.] wird die Gläubigerversammlung durch das Gericht einberufen. Sie muss einberufen werden, wenn das vom Verwalter beantragt wird (§ 15 Abs. 1 Satz 2 [X.]). Die Vorschrift ist derjenigen des § 93 Abs. 1 Satz 2 KO nachgebildet. Der Antrag des Verwalters ist bindend; ein Ermessensspielraum steht dem Gericht nicht zu. Auch Ausnahmen sind nicht vorgesehen. Eine entsprechende Regelung enthält § 75 Abs. 1 Nr. 1 [X.].

bb) Der [X.] wird jedoch in Fällen bestellt, in welchen der Verwalter seine Aufgaben aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht wahrnehmen kann (so die amtliche Begründung des [X.] zu § 77 [X.]-E, BT-Drucks. 12/2443, S. 131; vgl. auch [X.], Beschluss vom 1. Februar 2007 - [X.] 45/05, [X.], 609 Rn. 9). Die Verwaltungstätigkeit des Verwalters wird hierdurch nicht eingeschränkt, weil der [X.] in einem Bereich tätig wird, der nicht zu den Aufgaben des Verwalters gehört. Das gilt insbesondere in dem hier gegebenen Fall, in welchem der [X.] Ersatzansprüche der Gläubigergesamtheit gegen den Verwalter geltend machen soll. Der Verwalter ist insoweit nicht "Verwalter" im Sinne der einschlägigen Bestimmungen der Konkursordnung, der Gesamtvollstreckungsordnung oder der Insolvenzordnung, hier also des § 15 Abs. 1 Satz 2 [X.]. Er hat in dem Bereich, für welchen die Sonderverwaltung eingerichtet worden ist, keinerlei Kompetenzen. Damit ist er nicht nach § 15 Abs. 1 Satz 2 [X.] befugt, die Einberufung einer Gläubigerversammlung zu beantragen.

Der Ausschluss jeglicher Befugnisse des Verwalters im Hinblick auf die Sonderverwaltung führt zu sachgerechten, die Interessen aller Beteiligten berücksichtigenden Ergebnissen. Die Sonderverwaltung wird im Interesse der Gläubigergesamtheit angeordnet, welcher an der ungestörten und zügigen Erledigung der dem [X.] gestellten Aufgaben, insbesondere der Klärung der etwa gegen den Verwalter erhobenen Vorwürfe gelegen sein muss. Dem Verwalter steht mangels Betroffenheit in eigenen [X.] und im Interesse einer zügigen Abwicklung des Insolvenzverfahrens kein Rechtsmittel gegen die Einsetzung eines [X.]s zu (vgl. [X.], Beschluss vom 1. Februar 2007 - [X.] 45/05, [X.], 609 Rn. 6 ff, 10; vom 5. Februar 2009 - [X.] 187/08, [X.], 565 Rn. 7). Er ist nicht berechtigt, entsprechend § 59 Abs.1 [X.] die Abberufung des [X.]s zu beantragen ([X.], Beschluss vom 25. Januar 2007 - [X.] 240/05, [X.], 607 Rn. 26 f). Anträge auf Einberufung einer Gläubigerversammlung, in welcher über die Aufhebung der Sonderverwaltung oder die Entlassung des [X.]s beschlossen werden soll, können die Arbeit des [X.]s ebenfalls verzögern, erschweren oder - wenn so die Verjährung des geltend zu machenden Anspruchs eintritt - vollends unmöglich machen. Es ist nur folgerichtig, dem Verwalter dieses verfahrensrechtliche Instrument nicht in die Hand zu geben. Die Rechte des Verwalters, sich gegen unberechtigte Vorwürfe zu verteidigen, werden hierdurch nicht unbillig eingeschränkt. Die Berechtigung der gegen den Verwalter erhobenen Vorwürfe kann dann, wenn hierzu unterschiedliche Ansichten bestehen, in einem Rechtsstreit vor den ordentlichen Gerichten eingehend geprüft werden.

[X.]

                 Fischer                    [X.]

Meta

IX ZB 29/13

23.04.2015

Bundesgerichtshof 9. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Leipzig, 12. April 2013, Az: 08 T 237/12, Beschluss

§ 8 Abs 1 S 2 GesO, § 15 Abs 1 S 2 GesO, § 59 Abs 1 S 2 InsO, § 75 Abs 1 Nr 1 InsO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.04.2015, Az. IX ZB 29/13 (REWIS RS 2015, 12184)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 12184

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