Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 17.11.2016, Az. 2 C 3/16

2. Senat | REWIS RS 2016, 2252

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Gegenstand

Freizeitausgleich bei Mehrarbeit durch Bereitschaftsdienst in Berlin


Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über den Freizeitausgleich bei [X.] im Polizeivollzugsdienst.

2

Der Kläger ist [X.] im Landesdienst. Er war in den Jahren 2009 und 2010 bei polizeilichen Unterstützungsmaßnahmen in anderen Bundesländern ([X.], [X.], [X.]) eingesetzt. Hierbei fielen als Mehrarbeit angeordnete Überstunden an, für die Freizeitausgleich gewährt wurde. Der Beklagte hat dabei Mehrarbeit in Form von Bereitschaftsdienst zeitlich nur im Verhältnis 1 zu 3 in Ansatz gebracht; Hintergrund dieser Praxis ist eine zwischen den Bundesländern und dem [X.] geschlossene Verwaltungsvereinbarung, die auch die Abrechnung der bei [X.] entstehenden Personalkosten regelt. Der Kläger erstrebt einen Freizeitausgleich im Verhältnis 1 zu 1 und dies auch für [X.]en nach dem Ende der [X.].

3

Das Verwaltungsgericht hat dem Kläger für den Einsatz in [X.] pro Bereitschaftsstunde eine Stunde Freizeitausgleich zuerkannt. Insoweit sei Mehrarbeit angeordnet oder jedenfalls nachträglich genehmigt worden. Hieraus ergebe sich gemäß § 53 Abs. 2 Satz 1 LBG Berlin ein Anspruch auf vollen Freizeitausgleich. Eine Differenzierung beim Umfang des Freizeitausgleichs nach der Arbeitsintensität sei weder mit Wortlaut, Systematik, Sinn und Zweck sowie der Entstehungsgeschichte der Norm noch mit unionsrechtlichen Vorgaben zu vereinbaren. Hingegen seien die [X.]en nach dem Ende der [X.] in [X.] und [X.] keine ausgleichspflichtige Mehrarbeit. Der Kläger habe sich zwar an einem von seiner Dienstbehörde bestimmten Ort außerhalb seiner Wohnung aufhalten müssen. Es handele sich aber nicht um Bereitschaftsdienst, weil diese Aufenthaltsbestimmung nicht den Zweck gehabt habe, die Heranziehung zur Dienstleistung zu ermöglichen; eine Nachalarmierung sei nicht vorgesehen gewesen. Außerdem fehle es auch an der Anordnung oder Genehmigung einer Mehrarbeit. Gegen dieses Urteil haben beide Beteiligte die vom Verwaltungsgericht zugelassene Sprungrevision eingelegt.

4

Der Kläger begehrt mit der Sprungrevision die Gewährung von Freizeitausgleich auch für die [X.]en nach dem Ende der [X.] in [X.] und [X.].

5

Der Kläger beantragt,

unter teilweiser Änderung des Urteils des [X.] vom 2. Dezember 2015 den Beklagten zu verpflichten,

1. dem Kläger für die in der [X.] vom 10. bis 12. April 2009 anlässlich des [X.] in [X.] ([X.]) als Bereitschaftsdienst geleistete Mehrarbeit vollumfänglich Dienstbefreiung (Freizeitausgleich) im Umfang von weiteren 11,4 Stunden zu gewähren,

2. dem Kläger für die in der [X.] vom 12. bis 14. Februar 2010 anlässlich des [X.] in [X.] ([X.]) als Bereitschaftsdienst geleistete Mehrarbeit vollumfänglich Dienstbefreiung (Freizeitausgleich) im Umfang von weiteren 12 Stunden zu gewähren.

6

Der Beklagte beantragt,

die Sprungrevision des Klägers zurückzuweisen und unter teilweiser Änderung des Urteils des [X.] vom 2. Dezember 2015 die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

7

Der Beklagte macht mit seiner Sprungrevision geltend, dass der Freizeitausgleich bei Bereitschaftsdienst geringer ausfallen dürfe als bei Volldienst.

8

Der Kläger beantragt,

die Sprungrevision des Beklagten zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

9

Die Sprungrevisionen des [X.] und des Beklagten sind unbegründet. Das angegriffene Urteil verletzt kein revisibles Recht. Die Sprungrevision des Beklagten ist unbegründet, weil bei Mehrarbeit in der Form des Bereitschaftsdienstes voller Freizeitausgleich zu gewähren ist (1.). Die Sprungrevision des [X.] ist unbegründet, weil die geltend gemachten Zeiten nach den bindenden Feststellungen des [X.] keine - unter den Voraussetzungen angeordneter oder genehmigter Mehrarbeit - freizeitausgleichspflichtige [X.] sind (2.).

1. Die Revision des Beklagten ist unbegründet. Bei Mehrarbeit in der Form des Bereitschaftsdienstes ist gemäß § 53 Abs. 2 Satz 1 [X.] Landesbeamtengesetz vom 19. März 2009 (GVBl. [X.]) - im Folgenden: [X.] - voller Freizeitausgleich zu gewähren.

a) Nach § 53 Abs. 2 Satz 1 [X.] (vgl. auch § 88 Satz 2 [X.]) ist Beamtinnen und Beamten, die durch eine dienstlich angeordnete oder genehmigte Mehrarbeit mehr als fünf Stunden im Monat über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus beansprucht werden, innerhalb eines Jahres für die Mehrarbeit, die sie über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus leisten, entsprechende [X.] zu gewähren. Voraussetzung für den Freizeitausgleich ist damit, dass Mehrarbeit angeordnet oder genehmigt worden ist; es kommt nicht darauf an, ob sie auch angeordnet oder genehmigt werden durfte (vgl. [X.], Beschluss vom 8. März 1967 - 6 C 79.63 - [X.] 232 § 72 [X.] Nr. 2 S. 12 f.).

Mehrarbeit im Sinne des § 53 Abs. 2 Satz 1 [X.] ist der Dienst, den der einer Arbeitszeitregelung unterliegende Beamte aufgrund dienstlicher Anordnung oder Genehmigung zur Wahrnehmung der Obliegenheiten des Hauptamts oder, soweit ihm ein Amt nicht verliehen ist, zur Erfüllung der einem Hauptamt entsprechenden Aufgaben über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus - d.h. nicht im Rahmen des normalen Arbeitsumfangs - verrichtet (vgl. [X.], Urteil vom 23. September 2004 - 2 C 61.03 - [X.]E 122, 65 <68> = juris Rn. 14 f.).

Die Anordnung oder Genehmigung von Mehrarbeit unterliegt keinem Schriftformerfordernis, sie muss sich aber auf konkrete und zeitlich abgegrenzte Mehrarbeitstatbestände beziehen; nicht erforderlich ist, dass im Zeitpunkt der Anordnung oder Genehmigung die Anzahl der zu leistenden oder bereits geleisteten [X.] bekannt ist. Der Dienstherr entscheidet über die Anordnung oder Genehmigung von Mehrarbeit nach Ermessen. Dabei hat er insbesondere zu prüfen, ob nach dienstlichen Notwendigkeiten überhaupt Mehrarbeit erforderlich ist und welchem Beamten sie übertragen werden soll (vgl. [X.], Urteile vom 2. April 1981 - 2 C 1.81 - [X.] 237.7 § 78a [X.] NW Nr. 2 S. 3 f. = juris Rn. 20, vom 28. Mai 2003 - 2 C 28.02 - [X.] 232 § 72 [X.] Nr. 38 S. 5 = juris Rn. 14 und vom 23. September 2004 - 2 C 61.03 - [X.]E 122, 65 <69> = juris Rn. 18).

Bereitschaftsdienst ist nach § 53 Abs. 2 Satz 1 [X.] abgeltungsfähiger Dienst (stRspr, vgl. [X.], Urteile vom 29. März 1974 - 6 C 21.71 - [X.] 232 § 72 [X.] Nr. 10 S. 24 ff. und vom 25. Oktober 1979 - 2 C 7.78 - [X.]E 59, 45 <46 f.> = juris Rn. 41). Bereitschaftsdienst liegt vor, wenn der Beamte sich an einem vom Dienstherrn bestimmten Ort außerhalb des [X.] zu einem jederzeitigen unverzüglichen Einsatz bereitzuhalten hat und erfahrungsgemäß mit einer dienstlichen Inanspruchnahme zu rechnen ist ([X.], Urteil vom 22. Januar 2009 - 2 C 90.07 - [X.] 240.1 [X.] Nr. 31 Rn. 14, 17 m.w.N.; vgl. auch die Legaldefinition in § 2 Nr. 12 Arbeitszeitverordnung - AZV - vom 23. Februar 2006 ).

b) "Entsprechende [X.]" in § 53 Abs. 2 Satz 1 [X.] heißt bei Bereitschaftsdienst - ebenso wie bei Volldienst - voller Freizeitausgleich im Verhältnis "1 zu 1". Dies ergibt sich aus der Auslegung dieser Bestimmung nach Wortlaut, Sinn und Zweck sowie ihrer Entstehungsgeschichte.

Der Wortlaut der Norm schließt es zwar nicht aus, zur Bestimmung des Umfangs des zu gewährenden Freizeitausgleichs auf das Maß und die Intensität der Inanspruchnahme während der geleisteten Mehrarbeit abzustellen, legt aber wegen des Fehlens der Benennung dieses Kriteriums gleichwohl nahe, dass allein an den zeitlichen Umfang der geleisteten Mehrarbeit angeknüpft und damit ohne Unterscheidung nach der Art des Dienstes - Volldienst oder Bereitschaftsdienst - voller Freizeitausgleich gewährt wird.

Entscheidend für die Auslegung, dass auch bei Bereitschaftsdienst ein Anspruch auf vollen Freizeitausgleich besteht, sprechen Sinn und Zweck des § 53 Abs. 2 Satz 1 [X.]. Nach besonderer dienstlicher Beanspruchung dient der Freizeitausgleichsanspruch nicht in erster Linie der Regeneration des durch Mehrarbeit überobligationsmäßig herangezogenen Beamten. [X.] für Mehrarbeit soll vielmehr die Einhaltung der regelmäßigen Arbeitszeit - jedenfalls im Gesamtergebnis - gewährleisten. Dem Beamten soll in ungeschmälertem Umfang Freizeit zur Verwendung nach seinen persönlichen Bedürfnissen und Interessen zur Verfügung stehen (vgl. [X.], Urteile vom 10. Dezember 1970 - 2 C 45.68 - [X.]E 37, 21 <24 f.> = juris Rn. 31 und vom 26. Juli 2012 - 2 C 70.11 - NVwZ 2012, 1472 Rn. 29). Auf die sich aus der gesetzlichen Arbeitszeitregelung ergebende Freizeit hat der Beamte auch dann einen Anspruch, wenn er sie nicht zur Wiederherstellung seiner Kräfte benötigt.

Bestätigt wird dieses Ergebnis durch die Entstehungsgeschichte der Norm. Der Begriff der "entsprechenden" [X.] wurde 1965 zunächst auf [X.]ebene in den damals den Freizeitausgleichsanspruch regelnden § 72 Abs. 2 [X.] eingefügt. Zurück ging diese Formulierung auf einen Vorschlag aus der Mitte des [X.], wonach dem Mehrarbeit leistenden Beamten "dem Umfang der Mehrleistungen entsprechend" [X.] zu gewähren sein sollte ([X.]. IV/2214 S. 1 und 3). Beabsichtigt war eine "klare gesetzliche Regelung ... des Umfanges der als Äquivalent für die gegenüber der regelmäßigen Arbeitszeit erhöhten Dienstleistungen zu gewährenden [X.]". "Entsprechend" meint damit dem (zeitlichen) Umfang - nicht: der Intensität der Mehrleistung - entsprechend. Der [X.] Landesgesetzgeber folgte dieser Gesetzgebung des [X.], indem er in seinem Landesbeamtengesetz im Jahre 1972 in den damaligen § 36 ebenfalls das Wort "entsprechende" zur Konkretisierung des Umfangs der bei Mehrarbeit zu gewährenden [X.] einfügte (GVBl. S. 287).

c) Dieses Ergebnis steht auch in Einklang mit Unionsrecht. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] ([X.]) ist Bereitschaftsdienst hinsichtlich der Einhaltung der wöchentlichen Höchstarbeitszeit ohne Einschränkung wie Volldienst zu behandeln (vgl. [X.], Urteile vom 3. Oktober 2000 - C-303/98 [[X.]: [X.]:[X.]], [X.] - Slg. 2000, [X.] Rn. 48 und 52, vom 9. September 2003 - [X.]/02 [[X.]:[X.]:C:2003:437], Jaeger - Slg. 2003, [X.] Rn. 71, 75 und 103 und vom 1. Dezember 2005 - [X.]/04 [[X.]:[X.]:[X.]], [X.] - Slg. 2005, [X.] Rn. 46; Beschluss vom 11. Januar 2007 - [X.]/05 [[X.]:[X.]:[X.]], [X.] - Slg. 2007, [X.] Rn. 27). Art. 2 Nr. 1 der [X.] 2003/88/[X.] und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung - Arbeitszeitrichtlinie - definiert den Begriff der Arbeitszeit, der autonom, d.h. unabhängig von nationalstaatlichen Erwägungen und Besonderheiten auszulegen ist, weil nur so die einheitliche Anwendung in allen Mitgliedstaaten sichergestellt werden kann (vgl. [X.], Beschluss vom 11. Januar 2007 - [X.]/05, [X.] - Slg. 2007, [X.] Rn. 26). Die Anwendung dieses Arbeitszeitbegriffs ist zwar auf den Regelungsbereich der Richtlinie beschränkt und erstreckt sich deshalb nicht auf Fragen der Vergütung (vgl. [X.], Beschluss vom 11. Januar 2007 - [X.]/05, [X.] - Slg. 2007, [X.] Rn. 32) oder des Schadensersatzes (vgl. [X.], Urteil vom 25. November 2010 - [X.]/09 [[X.]:[X.]:C:2010:717], Fuß - Slg. 2010, [X.] Rn. 44). Beim Anspruch auf Freizeitausgleich für Mehrarbeit steht aber der Umfang der zu leistenden Arbeitszeit selbst in Rede. Würde Bereitschaftsdienst nicht in vollem Umfang ausgeglichen, müssten die betroffenen Beamten ggf. mehr als die in der [X.] festgelegten 48 Wochenstunden arbeiten.

2. Die Revision des [X.] ist ebenfalls unbegründet. Die geltend gemachten Zeiten sind nach den bindenden Feststellungen des [X.] keine - unter den Voraussetzungen angeordneter oder genehmigter Mehrarbeit - freizeitausgleichspflichtigen [X.].

Nach den Feststellungen des [X.] hat sich der Kläger zwar an einem von seiner Dienstbehörde bestimmten Ort außerhalb seiner Wohnung aufhalten müssen. Allerdings habe diese Aufenthaltsbestimmung nicht den Zweck gehabt, die Heranziehung zur Dienstleistung zu ermöglichen; eine Nachalarmierung sei nicht vorgesehen gewesen. Außerdem fehle es auch an der Anordnung oder Genehmigung einer Mehrarbeit.

Nach diesen tatsächlichen Feststellungen handelt es sich mangels einer Dienstleistungspflicht nicht um Dienstzeit - auch nicht in der Form des Bereitschaftsdienstes -, sodass ein Anspruch auf Freizeitausgleich nach § 53 Abs. 2 Satz 1 [X.] nicht in Betracht kommt. Diese tatsächlichen Feststellungen sind für das Revisionsgericht bindend; bei der Sprungrevision sind Verfahrensrügen - auch soweit sie sich auf tatsächliche Feststellungen des [X.] beziehen - kraft Gesetzes ausgeschlossen (§ 134 Abs. 4 VwGO).

3. [X.] beruht auf § 154 Abs. 2, § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Meta

2 C 3/16

17.11.2016

Bundesverwaltungsgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend VG Berlin, 2. Dezember 2015, Az: 26 K 58.14, Urteil

§ 53 Abs 2 S 1 BG BE vom 19.03.2009

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 17.11.2016, Az. 2 C 3/16 (REWIS RS 2016, 2252)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 2252

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