Bundespatentgericht, Urteil vom 11.04.2019, Az. 1 Ni 26/17

1. Senat | REWIS RS 2019, 8208

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Gegenstand

Patentnichtigkeitsklageverfahren – "Aus Kunststoff gespritzte Führungsschiene und ein Fensterrolle für Kraftfahrzeuge" – zur erfinderischen Tätigkeit – zur Ermittlung der technischen Lehre - allein aus Ausführungsbeispielen darf nicht auf ein engeres Verständnis des Patentanspruchs geschlossen werden, als es dessen Wortlaut für sich genommen nahelegt


Tenor

In der Patentnichtigkeitssache

betreffend das [X.] Patent 103 62 017

hat der 1. Senat (Nichtigkeitssenat) des [X.] auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 11. April 2019 durch die Präsidentin [X.] sowie den [X.] [X.], die [X.]in [X.], den [X.] Dipl.-Phys. Univ. Dr.-Ing. Geier und den [X.] Dipl.-Ing. Körtge

für Recht erkannt:

[X.] Das [X.] Patent 103 62 017 wird für nichtig erklärt.

I[X.] Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

II[X.] [X.] ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Mit der Klage begehrt die Klägerin die Nichtigerklärung des [X.] 103 62 017. Die Beklagte ist Inhaberin des am 28. Juni 2007 veröffentlichten Patents mit der Bezeichnung „Aus Kunststoff gespritzte Führungsschiene und ein [X.] für Kraftfahrzeuge“, das als Teilanmeldung aus der [X.] Patentanmeldung 103 39 583.0 hervorgegangen ist, die am 28. August 2003 angemeldet und am 31. März 2005 veröffentlicht worden ist.

2

Das Streitpatent umfasst in seiner erteilten Fassung 12 Ansprüche mit einem unabhängigen Patentanspruch 1 ([X.]) und auf diesen unmittelbar oder mittelbar rückbezogene [X.] 2 bis 10 sowie einem zweiten unabhängigen Patentanspruch 11 ([X.]) nebst einem auf diesen rückbezogenen Unteranspruch 12. Die Patentansprüche 1 und 11 lauten in der erteilten Fassung – mit hinzugefügter Merkmalsgliederung des Senats – wie folgt:

3

Patentanspruch 1:

4

„[X.] (16) für [X.] (14) in Kraftfahrzeugen,

5

mit einem ersten Teil (63), das als Kunststoffformteil hergestellt ist, das erste Verbindungsmittel (68) aufweist und das einen im Wesentlichen hinterschneidungsfreien Abschnitt einer [X.] (27) enthält, der zumindest über einen Teil der Länge [X.] (16) durchläuft,

6

mit einem zweiten Teil (64), das als Kunststoffformteil hergestellt ist, das zweite Verbindungsmittel (71) aufweist und das einen im Wesentlichen hinterschneidungsfreien [X.] einer [X.] (27) enthält, der zumindest über einen Teil der Länge der [X.] (16) durchläuft und mit dem [X.] des ersten Teils (63) zusammen eine hinterschnittige [X.] (27) ergibt,

7

wobei die beiden Verbindungsmittel (68, 71) miteinander verbindbar sind, um die beiden Teile (63, 64) relativ zu einander zu positionieren.“

8

1.1 [X.] (16) für [X.] (14) in Kraftfahrzeugen,

9

1.2 mit einem ersten Teil (63),

1.2.1  das als Kunststoffformteil hergestellt ist,

1.2.2  das erste Verbindungsmittel (68) aufweist und

1.2.3 das einen im Wesentlichen hinterschneidungsfreien Abschnitt einer [X.] (27) enthält, der zumindest über einen Teil der Länge der [X.] (16) durchläuft,

1.3 mit einem zweiten Teil (64),

1.3.1  das als Kunststoffformteil hergestellt ist,

1.3.2  das zweite Verbindungsmittel (71) aufweist und

1.3.3  das einen im Wesentlichen hinterschneidungsfreien [X.]

einer [X.] (27) enthält, der zumindest über einen Teil der Länge der [X.] (16) durchläuft,

1.4.1 wobei der [X.] des zweiten Teils (64) mit dem [X.] des ersten Teils (63) zusammen eine hinterschnittige [X.] (27) ergibt, und

1.4.2 wobei die beiden Verbindungsmittel (68, 71) miteinander verbindbar sind, um die beiden Teile (63, 64) relativ zu einander zu positionieren.

Patentanspruch 11:

„[X.] (14) für Kraftfahrzeuge,

mit einer drehbar gelagerten [X.] (19),

mit einer [X.] (15), die mit einer Kante an der [X.] (19) befestigt ist und die eine von der [X.] (19) abliegende Kante (22) aufweist,

mit einem Spriegel (23, 24), der mit der [X.] (15) an einer von der [X.] (19) abliegenden Stelle verbunden ist, und

mit wenigstens einer Führungsschiene (16), in der mit einem Ende der Spriegel (23, 24) geführt ist und die aufweist:

ein erstes Teil (63), das als Kunststoffformteil hergestellt ist, das erste Verbindungsmittel (68) aufweist und das einen im Wesentlichen hinterschneidungsfreien [X.] einer [X.] (27) enthält, der zumindest über einen Teil der Länge Führungsschiene (16) durchläuft,

ein zweites Teil (64), das als Kunststoffformteil hergestellt ist, das zweite Verbindungsmittel (71) aufweist und das einen im Wesentlichen hinterschneidungsfreien [X.] einer [X.] (27) enthält, der zumindest über einen Teil der Länge Führungsschiene (16) durchläuft und mit dem [X.] des ersten Teils (63) zusammen eine hinterschnittige [X.] (27) ergibt,

wobei die beiden Verbindungsmittel (68, 71) miteinander verbindbar sind um die beiden Teile (63, 64) relativ zu einander zu positionieren.“

11.1 [X.] (14) für Kraftfahrzeuge,

11.2 mit einer drehbar gelagerten [X.] (19),

11.3 mit einer [X.] (15), die mit einer Kante an der [X.] (19) befestigt ist und die eine von der [X.] (19) abliegende Kante (22) aufweist,

11.4 mit einem Spriegel (23, 24), der mit der [X.] (15) an einer von der [X.] (19) abliegenden Stelle verbunden ist, und

11.5.1 mit wenigstens einer Führungsschiene (16), in der mit einem Ende der Spriegel (23, 24) geführt ist und die aufweist:

11.5.2 ein erstes Teil (63), das als Kunststoffformteil hergestellt ist, das erste Verbindungsmittel (68) aufweist und das einen im Wesentlichen hinterschneidungsfreien [X.] einer [X.] (27) enthält, der zumindest über einen Teil der Länge der Führungsschiene (16) durchläuft,

11.5.3 ein zweites Teil (64), das als Kunststoffformteil hergestellt ist, das zweite Verbindungsmittel (71) aufweist und das einen im Wesentlichen hinterschneidungsfreien [X.] einer [X.] (27) enthält, der zumindest über einen Teil der Länge der Führungsschiene (16) durchläuft

11.5.4.1 wobei der [X.] des zweiten Teils (64) mit dem [X.] des ersten Teils (63) zusammen eine hinterschnittige [X.] (27) ergibt,

11.5.4.2 wobei die beiden Verbindungsmittel (68, 71) miteinander verbindbar sind um die beiden Teile (63, 64) relativ zu einander zu positionieren.

Wegen des Wortlauts der auf die Patentansprüche 1 und 11 rückbezogenen Ansprüche wird auf die [X.]chrift verwiesen.

Die Klägerin greift das erteilte Streitpatent – und folgend alle von der Beklagten eingereichten geänderten Fassungen – in vollem Umfang an und macht hierfür den [X.] der fehlenden Patentfähigkeit mangels Neuheit und erfinderischer Tätigkeit geltend. Die Beklagte verteidigt das Streitpatent in seiner erteilten Fassung sowie in geänderter Fassung mit insgesamt acht [X.].

[X.] lauten die Patentansprüche 1 und 11 (Ergänzungen/Streichungen gegenüber der erteilten Fassung durch Unterstreichung/Durchstreichung gekennzeichnet) gegliedert wie folgt:

Patentanspruch 1:

[X.] [X.] (14)

Kraftfahrzeugen Personenkraftwagen,

1.2 mit einem ersten Teil (63),

1.2.1  das als Kunststoffformteil hergestellt ist,

mechanische Verbindungsmittel (68) aufweist und

der Führungsschienenanordnung (16) durchläuft,

1.3 mit einem zweiten Teil (64),

1.3.1  das als Kunststoffformteil hergestellt ist,

mechanische Verbindungsmittel (71) aufweist und

1.3.3  das einen im Wesentlichen hinterschneidungsfreien [X.] einer [X.] (27) enthält, der zumindest über einen Teil der Länge der [X.] (16) durchläuft,

1.4.1 wobei der [X.] des zweiten Teils (64) mit dem [X.] des ersten Teils (63) zusammen eine hinterschnittige [X.] (27) ergibt, und

mechanischen Verbindungsmittel (68, 71) miteinander verbindbar sind, um die beiden Teile (63, 64) relativ zu einander zu positionieren.

Patentanspruch 11:

[X.] Heckscheibenrollo (14) für Kraftfahrzeuge Personenkraftwagen,

11.2 mit einer drehbar gelagerten [X.] (19),

11.3 mit einer [X.] (15), die mit einer Kante an der [X.] (19) befestigt ist und die eine von der [X.] (19) abliegende Kante (22) aufweist,

11.4 mit einem Spriegel (23, 24), der mit der [X.] (15) an einer von der [X.] (19) abliegenden Stelle verbunden ist, und

wenigstens einer zwei Führungsschienen (16), in der denen jeweils mit einem Ende der Spriegel (23, 24) geführt ist und die aufweist jeweils aufweisen:

mechanische Verbindungsmittel (68) aufweist und das einen im Wesentlichen hinterschneidungsfreien Längsabschnitt einer Führungsnut (27) enthält, der zumindest über einen Teil der Länge der Führungsschiene (16) durchläuft,

mechanische Verbindungsmittel (71) aufweist und das einen im Wesentlichen hinterschneidungsfreien Längsabschnitt einer Führungsnut (27) enthält, der zumindest über einen Teil der Länge der Führungsschiene (16) durchläuft

11.5.4.1 wobei der [X.] des zweiten Teils (64) mit dem [X.] des ersten Teils (63) zusammen eine hinterschnittige [X.] (27) ergibt,

11.5.4.2 wobei die beiden Verbindungsmittel (68, 71) miteinander verbindbar sind um die beiden Teile (63, 64) relativ zu einander zu positionieren.

Hilfsantrags 2 lauten die Patentansprüche 1 und 11 mit den vorgenannten Änderungen des [X.] und zudem mit folgenden Änderungen, dabei im Patentanspruch 1 durch Ergänzung des Merkmals 1.4.2

mechanischen Verbindungsmittel (68, 71) miteinander verbindbar sind, um die beiden Teile (63, 64) relativ zu einander zu positionieren, nämlich positionsrichtig zu halten.

sowie im Patentanspruch 11 Ergänzung des Merkmals 11.5.4.2 zu:

nämlich positionsrichtig zu halten.

Hilfsantrag 3 entspricht dem Patentanspruch 11 gemäß Hilfsantrag 1. Die Patentansprüche 1 bis 10 sowie 12 des [X.] 1 werden im Hilfsantrag 3 nicht mehr weiterverfolgt.

Hilfsantrag 4 entspricht dem Patentanspruch 11 gemäß Hilfsantrag 2. Die Patentansprüche 1 bis 10 sowie 12 des [X.] 2 werden im Hilfsantrag 4 nicht mehr weiterverfolgt.

Hilfsantrag 5 entspricht dem Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 unter Hinzunahme des Merkmals

1.4.3 und wobei eines der beiden Teile (63, 64) einstückiger Bestandteil eines Abschnitts der Innenverkleidung (6) eines Personenkraftwagens ist,

und der Patentanspruch 2 gemäß Hilfsantrag 5 entspricht dem Patentanspruch 11 gemäß Hilfsantrag 1 ebenfalls unter Hinzunahme dieses Merkmals, während die erteilten [X.] gestrichen wurden.

Hilfsantrag 6 entsprechen den Patentansprüchen 1 und 11 gemäß Hilfsantrag 2 jeweils unter Ergänzung des Merkmals 1.4.3, während die erteilten Unteransprüche gestrichen wurden.

Hilfsantrag 7 entspricht dem Patentanspruch 2 des [X.] bei Streichung des Patentanspruchs 1 des [X.] 5.

Hilfsantrag 8 entspricht dem Patentanspruch 2 des [X.] bei Streichung des Patentanspruchs 1 des [X.] 6.

Wegen des weiteren Wortlauts der Anspruchsfassungen nach den [X.] 1 bis 8 wird auf den Schriftsatz der Beklagten vom 18. Februar 2019 Bezug genommen.

Die Klägerin, die ihr Vorbringen auf folgende Dokumente stützt,

[X.]: [X.] 063 [X.],

K5: [X.] 100 62 690 [X.],

K6: Bescheidserwiderung der Patentinhaberin vom 10. Oktober 2005 im Prüfungsverfahren vor dem DPMA,

[X.]: [X.] 455 231 A,

K8: Blatt 20 der [X.] 063 ([X.]) mit Ergänzungen,

[X.]: [X.] 42 34 741 [X.],

[X.]: Auszug aus „[X.]", veröffentlicht 1993 unter der [X.] durch [X.], in Kopie

[X.]:  Auszug aus „Plastic product design“, veröffentlicht 1970 unter der [X.]-15617-0 durch van Nostrand [X.], in Kopie

[X.]: [X.] 100 57 759 [X.] und

K14:  [X.] 44 06 267 C2,

sowie eingereicht mit Schriftsatz vom 21. November 2018 auf folgende Entgegenhaltung,

[X.]: [X.] 1 281 571,

und mit Schriftsatz vom 28. Dezember 2018 auf folgende weitere Dokumente,

[X.]: [X.] 922 A2,

[X.]: [X.] 1 259 035 B,

[X.]:  [X.] – 61293 [X.] nebst [X.] Übersetzung als Anlage K21, eingereicht mit Schriftsatz vom 14. Januar 2019,

K19:  Auszug aus Computerübersetzung des [X.] betr. [X.] und

[X.]: [X.] zur K19,

meint, dass die Gegenstände der erteilten Patentansprüche 1 und 11 gegenüber der Lehre der Druckschriften [X.] oder [X.] sowie der weiteren Druckschrift [X.] nicht neu seien. Zumindest mangele es ihnen an erfinderischer Tätigkeit, denn deren Gegenstände ergäben sich unter Zugrundelegung des durch die Dokumente [X.] und [X.] belegten Wissens eines Fachmanns in naheliegender Weise aus der Druckschrift [X.] oder der Druckschrift [X.] bzw. aus einer Kombination der Druckschrift [X.] mit einer der Druckschriften [X.] oder [X.] bzw. aus einer Kombination der Druckschrift [X.] mit der Druckschrift [X.]. Das Streitpatent sei zudem auch im Hinblick auf den [X.] der Druckschrift [X.] sowie im Hinblick auf die Druckschriften [X.] und [X.], die die Anwendung des in den Druckschriften [X.] und [X.] belegten allgemeinen Fachwissens zeigten, nicht erfinderisch.

Der Senat hat den Parteien einen qualifizierten Hinweis vom 17./18. September 2018, auf den Bezug genommen wird, mit einer Stellungnahmefrist von zwei Monaten übermittelt. Der Hinweis ist den Parteien am 21. September 2018 zugestellt worden. In der mündlichen Verhandlung vom 11. April 2019 hat der Senat den Parteien einen weiteren rechtlichen Hinweis erteilt.

Die Klägerin beantragt,

das [X.] Patent 103 62 017 für nichtig zu erklären.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

hilfsweise, die Klage mit der Maßgabe abzuweisen, dass das Streitpatent die Fassung eines der Hilfsanträge 1 bis 8, eingereicht mit Schriftsatz vom 18. Februar 2019, erhält.

Sie tritt der Auffassung der Klägerin in allen Punkten entgegen. Die Druckschrift [X.] nehme den Gegenstand des Patentanspruchs 1 nicht neuheitsschädlich vorweg, weil das dieser Druckschrift zu entnehmende koaxiale, stirnseitige Ineinanderstecken von zwei Abschnitten einer Führungsschiene nicht der erfindungsgemäßen Lösung gemäß Patentanspruch 1 des [X.] entspreche. Auch die Druckschrift [X.] weise nicht alle Merkmale des erteilten Patentanspruchs 1 auf. Darüber hinaus beruhe der erteilte Patentanspruch 1 auch auf erfinderischer Tätigkeit u. a. gegenüber der Druckschrift [X.], weil der Fachmann dieser Druckschrift nur Führungsschienen aus Metall entnehmen könne. Insbesondere sei der Absatz [0026] der Druckschrift [X.] so zu lesen, dass der längere Abschnitt der Führungsschiene aus Leichtmetall bestehe, der als Einleger in ein Kunststoffteil eingespritzt werde. Des Weiteren werde der Fachmann auch nicht den in der Druckschrift [X.] beschriebenen Sonnenschutz heranziehen, der keine [X.] im Sinne der streitgegenständlichen Erfindung zeige. Auch erhalte der Fachmann aus den Dokumenten [X.] bis [X.] keine Anregungen zur Kombination der in der Druckschrift [X.] gezeigten Leichtmetallführungsschienen mit den zur Vermeidung von Hinterschnitten bei [X.] offenbarten Baustrukturen gemäß den Dokumenten [X.] oder [X.]. Die Druckschrift [X.], der die Merkmale 11.5.2 und 11.5.3 des erteilten Anspruchs 11 fehlten, gebe auch keine Hinweise oder Anregungen für den Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 11 des [X.]. Auch die neuen, von der Klägerin verspätet eingereichten Dokumente [X.] bis K21, stünden der Neuheit und erfinderischen Tätigkeit des [X.] nicht entgegen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 11. April 2019 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet, da der Gegenstand des Streitpatents sich sowohl in der erteilten Fassung als auch in den hilfsweise verteidigten Fassungen in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt (§ 22 Abs. 1 i. V. m. § 21 Abs. 1 Nr. 1 [X.]).

I.

Die von der Klägerin mit Schriftsatz vom 28. Dezember 2018 neu vorgelegten Dokumente K16ff und die mit Schriftsatz der [X.] vom 18. Februar 2019 eingereichten neuen Hilfsanträge waren, obwohl diese Angriffs- und Verteidigungsmittel der Parteien erst nach Ablauf der nach § 83 Abs. 2 Satz 1 [X.] gesetzten Frist vorgebracht wurden, nicht bereits als verspätet zurückzuweisen. Denn sowohl die von der Klägerin neu eingereichten Druckschriften wie auch die neuen Hilfsanträge der [X.] konnten ohne weiteres in die mündliche Verhandlung einbezogen werden und machten somit eine Vertagung nicht erforderlich.

II.

1. Zum Gegenstand des Streitpatents

1.1 [X.] betrifft gemäß Absatz [0001] der [X.], im folgenden [X.] genannt, das Gebiet der Führungsschienen und daraus aufgebauter [X.]s für Kraftfahrzeuge.

Die Druckschrift [X.] offenbare ein solches [X.] in Form eines [X.]s für Kraftfahrzeuge. Zu diesem [X.] gehöre eine unterhalb der Hutablage drehbar gelagerte Wickelwelle, an der mit einer Kante die [X.] befestigt sei. Die [X.] sei etwa trapezförmig zugeschnitten und mit ihrer anderen, von der Wickelwelle abliegenden Kante an einem [X.] befestigt. Der [X.] werde seitlich in zwei Führungsschienen geführt, die an der Innenseite der Heckscheibe aufgeklebt bzw. hinter der [X.] in der Karosserie verborgen seien. In den Führungsschienen liefen biegeelastische Schubglieder, die ausknicksicher in den Führungsschienen geführt seien. Die Führungsschienen bestünden dabei aus einem Aluminiumstrangpressprofil, das eine durchgehende hinterschnittene Nut enthalte. Die Nut setze sich zusammen aus einem kreisförmigen [X.] und einem rechteckförmigen [X.], wobei der rechteckförmige Abschnitt schmäler sei als es dem Durchmesser des [X.] entspreche. Der rechteckförmige Abschnitt bilde den [X.], über den die [X.] nach außen hin offen sei. In den Führungsschienen liefen Gleit- oder Führungskörper, die einen Kopf aufweisen, der im Querschnitt an den kreisförmigen Abschnitt des Führungsschienenprofils angepasst sei. Dieser Kopf habe entweder die Gestalt einer Kugel oder eines kurzen zylindrischen Stückes, das so bemessen sei, dass es in den gekrümmten Abschnitten der Führungsschienen nicht klemme. Der Durchmesser des Halses sei so bemessen, dass er klemmfrei durch den [X.] der [X.] passe. Der Kopf des Führungsteils des [X.] bestehe dabei üblicherweise aus einem gespritzten Kunststoff (vgl. Absätze [0002] bis [0005] der [X.]).

Es habe sich jedoch – so Absatz [0006] der [X.] – im Laufe der [X.] herausgestellt, dass die Paarung aus dem Kunststoff und der [X.] nicht unter allen Bedingungen klapperfrei sei. Auch sei die Reibpaarung aus den Kunststoffführungskörpern und der [X.] ebenfalls nicht optimal. Ebenso bestünden gewisse Schwierigkeiten, eine solche Führungsschiene mit der Innenverkleidung des Fahrzeugs zu kombinieren (vgl. Absatz [0007] und [0008] der [X.]).

Ausgehend hiervon sei es Aufgabe der Erfindung, eine neue Führungsschienenanordnung sowie ein [X.] für Kraftfahrzeuge zu schaffen, die die Nachteile nach dem Stand der Technik vermeide (vgl. Absatz [0016] [X.]), was durch die Führungsschiene mit den Merkmalen des Patentanspruchs 1 und 11 gelöst werden solle (vgl. Absatz [0017] der [X.]).

1.2 Als Fachmann ist für das Verständnis des Streitgegenstandes sowie bei der nachfolgenden Bewertung des Standes der Technik von einem Durchschnittsfachmann auszugehen, der als Hochschulingenieur der Fachrichtung Maschinenbau (FH) ausgebildet ist und der auf dem Gebiet der Konstruktion und Herstellung von Rollovorrichtungen tätig ist, die im Bereich der Innenausstattung von Kraftfahrzeugen zur Anwendung kommen. Dieser Fachmann ist aufgrund seiner Hochschulausbildung mit den Anforderungen an die Gestaltung und Herstellung von Kunststoffteilen vertraut, ohne dass hierfür besonders vertiefte Erfahrungen im Bereich der Kunststoffherstellungsverfahren vorhanden sein müssen.

2. Zur erteilten Fassung

Die Gegenstände der Patentansprüche 1 und 11 in der erteilten Fassung beruhen ausgehend von der Druckschrift [X.] unter Berücksichtigung des Wissens des Fachmanns, belegt durch die Dokumente [X.] und [X.], nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit, so dass der [X.] des § 22 Abs. 1 i. V. m. § 21 Abs. 1 Nr. 1 [X.] gegeben ist.

2.1 Zur Ermittlung der technischen Lehre, die sich aus Sicht des hier maßgeblichen Fachmanns ergibt, ist der Sinngehalt des Patentanspruchs in seiner Gesamtheit und der Beitrag, den die einzelnen Merkmale zum Leistungsergebnis der Erfindung liefern, unter Heranziehung der den Patentanspruch erläuternden Beschreibung und Zeichnungen durch Auslegung zu ermitteln (vgl. [X.], 410 – Kettenradanordnung). Dies darf allerdings weder zu einer inhaltlichen Erweiterung noch zu einer sachlichen Einengung des durch den Wortlaut des Patentanspruchs festgelegten Gegenstands führen ([X.], 1023 – Bodenseitige Vereinzelungseinrichtung).

Begriffe in den Patentansprüchen sind deshalb so zu deuten, wie sie der angesprochene Fachmann nach dem Gesamtinhalt der Patentschrift und unter Berücksichtigung der in ihr objektiv offenbarten Lösung bei unbefangener Erfassung der im Anspruch umschriebenen Lehre zum technischen Handeln versteht (st. Rspr., vgl. [X.], 311 – Baumscheibenabdeckung; [X.], 845 – Drehzahlermittlung). Das Verständnis des Fachmanns wird sich dabei entscheidend an dem in der Patentschrift zum Ausdruck gekommenen Zweck dieses Merkmals orientieren (vgl. [X.], 232 – [X.], [X.]); es ist deshalb maßgeblich, was der angesprochene Fachmann – auch unter Einbeziehung seines Vorverständnisses ([X.], 878 – [X.]) – danach bei unbefangener Betrachtung den Patentansprüchen als Erfindungsgegenstand entnimmt. Insoweit ist für das richtige Verständnis wesentlich, dass sich die Auslegung des Anspruchs am technischen Sinngehalt der Merkmale des Patentanspruchs im Einzelnen und in ihrer Gesamtheit (st. Rspr., [X.] 2011, 129     – [X.]; [X.] 2002, 515 Schneidmesser I, [X.]) zu orientieren hat, wobei der Sinngehalt eines einzelnen Merkmals im Kontext der Patentschrift und der Funktion zu sehen ist, die es für sich und im Zusammenwirken mit den übrigen Merkmalen des Patentanspruchs bei der Herbeiführung des erfindungsgemäßen Erfolgs hat. Mithin ist das Verständnis eines Merkmals also im Lichte der Gesamtoffenbarung der Patentschrift zu bestimmen ([X.] 2012, 1124 – [X.]; [X.], 868 – [X.]I). Allein aus Ausführungsbeispielen darf dabei nicht auf ein engeres Verständnis des Patentanspruchs geschlossen werden, als es dessen Wortlaut für sich genommen nahelegt. Maßgeblich ist vielmehr, ob die Auslegung des Patentanspruchs unter Heranziehung der Beschreibung und der Zeichnungen ergibt, dass nur bei Befolgung einer solchen engeren technischen Lehre derjenige technische Erfolg erzielt wird, der erfindungsgemäß mit den im Anspruch bezeichneten Mitteln erreicht werden soll ([X.], 779 – Mehrgangnabe).

2.2 Auslegung

a) Danach betrifft der Gegenstand des Patentanspruchs 1 in der erteilten Fassung eine Führungsschienenanordnung, die für ein Rollo in einem Kraftfahrzeug ausgebildet ist. Bei einer solchen patentgemäßen Führungsschienenanordnung handelt es sich um eine langgestreckte Anordnung, in der das Rollo zum Ein- und Ausfahren in einer in Form einer [X.] gebildeten Schiene geführt wird, wobei die [X.] zumindest über einen Teil der Länge der Führungsschienenanordnung vorgesehen ist. Dabei dient die Nut in ihrer Gesamtheit der Führung des nicht vom Patentanspruch 1 mitumfassten Rollos. Hierauf weist nicht nur bereits die Bezeichnung als „[X.]“ hin, sondern auch die in der Patentschrift offenbarte Lehre, die sich insbesondere aus den Absätzen [0003] und [0004] der [X.] zum Stand der Technik in Verbindung mit der Herausstellung der dortigen klemmfreien Führung der Führungskörper und der daraus abgeleiteten Aufgabe in Absatz [0016] der [X.] ergibt. Diese Auslegung steht auch im Einklang mit den Ausführungsbeispielen.

Die Führungsschienenanordnung umfasst gemäß den Merkmalen 1.2 und 1.3 zwei einzelne Bauteile, die jeweils als Kunststoffformteil hergestellt sind (vgl. Merkmale 1.2.1 und 1.3.1) und die jeweils gesonderte Verbindungsmittel aufweisen (vgl. Merkmale 1.2.2 und 1.3.2), über welche die beiden Bauteile miteinander verbindbar sind, um die beiden Bauteile bei der Verbindung relativ zueinander zu positionieren (vgl. Merkmal 1.4.2).

abschnitt der Führungsnut, wobei beide Längsabschnitte erst im miteinander verbundenen Zustand zusammen die Führungsnut bilden, welche dann hinterschnitten ist. In anderen Worten bedeutet dies, dass die hinterschnittene Führungsnut als Nut somit erst bei Verbindung der beiden Bauteile entsteht (vgl. Merkmal 1.4.1).

Soweit die Beklagte in den ersten und zweiten Verbindungsmitteln dabei bereits jeweils rein mechanische Mittel sehen möchte, die bei deren Verbindung bereits zwingend für eine fixe Sicherung der beiden Kunststoffformteile sorgen und somit über die Funktion einer beispielsweise reinen Positionierhilfe hinaus wirken, kann dieser Ansicht nicht gefolgt werden.

Vielmehr sind die in den Merkmalen 1.2.2 und 1.3.2 in Verbindung mit Merkmal 1.4.2 beanspruchten Verbindungsmittel im erteilten Patentanspruch 1 weder in ihrer konstruktiven Ausbildung noch in der Art ihrer Verbindungswirkung – wie etwa dauerhaft, lösbar, vorrübergehend, usw. – weiter spezifiziert. Zwingend ist lediglich nur, dass die Verbindungsmittel gemäß Merkmal 1.4.2 in ihrer Anwendung geeignet sind, die beiden Teile relativ so zueinander zu positionieren, dass dadurch im Ergebnis die Bildung der korrekten und funktionsfähigen [X.] bewirkt wird, die beiden Teile somit positionsrichtig gehalten werden (vgl. auch Absatz [0020] der [X.]). Die Verbindungsmittel können daher bereits für eine dauerhafte Verbindung der beiden Kunststoffformteile sorgen, die Verbindungsmittel können aber auch durch nur im Sinne von Positionierhilfen ausgebildete Verbindungsmittel realisiert sein. Letztere Variante beansprucht etwa der vom Gegenstand des Patentanspruchs 1 mitumfasste, da auf ihn rückbezogene Gegenstand des Patentanspruchs 9, der über die Verbindung mittels der Verbindungsmittel des Patentanspruchs 1 hinaus noch eine zumindest abschnittsweise separate stoffschlüssige Verbindung der beiden Teile vorsieht.

Dass das Ausführungsbeispiel zur Positionierung ausschließlich mechanische Verbindungsmittel in Form einer Leiste und einer Nut offenbart (vgl. Absatz [0021], Figuren 3 und 4) mag der Argumentation der [X.] folgend darüber hinaus ferner zutreffen, allerdings darf allein aus Ausführungsbeispielen nicht auf ein engeres Verständnis des Patentanspruchs geschlossen werden.

b) Der maßgebliche Fachmann entnimmt dem erteilten Patentanspruch 11 ein [X.], welches eine [X.] umfasst, die mit einer Kante an einer drehbaren [X.] befestigt ist und eine von der [X.] abliegende zweite Kante aufweist. Dabei umfasst das [X.] im Weiteren einen Spriegel, der mit der [X.] an einer von der [X.] abliegenden Stelle verbunden ist. Dieser Spriegel ist zumindest mit einem seiner Enden in einer Führungsschiene geführt, wobei diese Führungsschiene der in dem erteilten Patentanspruch 1 beanspruchten Führungsschienenanordnung entspricht.

2.3 Patentfähigkeit

2.3.1  Der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 mag im Sinne des § 3 [X.] neu gegenüber dem Inhalt der der Druckschriften [X.], [X.] und [X.] sein. Jedoch ergibt sich die vorliegend beanspruchte Führungsschienenanordnung für den Fachmann jedenfalls in naheliegender Weise aus der Druckschrift [X.] unter Berücksichtigung seines Wissens, belegt durch die Dokumente [X.] und [X.]. Insofern kann eine sachliche Beurteilung der Druckschriften [X.], [X.], [X.] und [X.] sowie des Weiteren im Verfahren befindlichen Standes der Technik dahin stehen.

Der Druckschrift [X.] sind eine Vielzahl von unterschiedlichen Ausführungsformen von Führungsschienenanordnungen zu entnehmen, die jeweils zur Führung eines Rollos im Heckbereich eines Kraftfahrzeugs (vgl. Figur 1) vorgesehen sind.

So umfassen die in den Figuren 3, 5 und 9 bis 12 dargestellten Führungsschienenanordnungen jeweils eine einteilige Führungsschiene 13, welche eine hinterschnittige [X.] aufweist. Da die Führungsschienen hier einteilig ausgeführt sind, erfüllen diese Ausführungsbeispiele nicht die Merkmale 1.2 und 1.3. Darüber hinaus ergeben sich aus diesen Ausführungsbeispielen zumindest explizit auch nicht die Merkmale 1.2.1 und 1.3.1, denn gemäß Absatz [0035] sind diese Führungsschienen beispielsweise aus einem Aluminiumstrangpressprofil gefertigt. Ein weiteres alternatives Ausführungsbeispiel für eine Führungsschiene offenbart die Figur 13 der Druckschrift [X.]. Bei diesem ist die Führungsschiene durch die Karosserie selbst gebildet. Die Führungsschiene besteht aus zwei zusammen verbindbaren einzelnen Bauteilen (vgl. Absatz [0093]). Da die [X.] jedoch gemäß den Absätzen [0080] bis [0082] aus Blech und somit nicht aus Kunststoff gefertigt sind, ergeben sich auch aus diesem Ausführungsbeispiel die Merkmale 1.2.1 bzw. 1.3.1 nicht direkt bzw. sie lassen sich auch nicht unmittelbar ableiten.

Über diese Ausführungsbeispiele hinaus führt die Druckschrift [X.] in Absatz [0026] allerdings in allgemeiner Form aus, dass zumindest ein Teil der Führungsschiene in der Innenverkleidung des Fahrzeugs unmittelbar integral ausgebildet werden kann, wobei die Führungsschiene einen längeren Abschnitt umfasst, der in Kunststoff in dem Seitenteil eingespritzt ist. Sowohl Innenverkleidung wie auch die Führungsschiene bestehen in diesem Fall somit aus Kunststoff. Eine hierfür mögliche konstruktive Umsetzung zeigt die Figur 8 und sie ist in den Absätzen [0078] und [0079] beschrieben.

Der Ansicht der [X.], die die Lehre der Druckschrift [X.] in ihrer Gesamtheit ausschließlich auf aus Aluminiumprofil gefertigte Führungsschienen beschränkt sieht und in der in Absatz [0026] beschriebenen Variante nur ein von der Innenverkleidung umspritztes Aluminiumprofil sehen möchte, kann daher nicht gefolgt werden. Vielmehr steht diese Sichtweise auch im Widerspruch zu der in Absatz [0078] beschriebenen Ausführung, wonach die Innenverkleidung „zur Bildung eines Abschnitts der Führungsschiene herangezogen“ wird, die Innenverkleidung die Führungsschiene somit unmittelbar bildet.

Somit ist der Druckschrift [X.] auch eine Führungsschienenanordnung für ein Rollo zu entnehmen, die aus Kunststoff besteht, allerdings ist das der [X.] zugeordnete Bauteil hier lediglich einteilig ausgeführt.

Für den einschlägigen Fachmann ist aber offensichtlich, dass eine Führungsschiene mit jedenfalls einer komplexen äußeren Formgebung (vgl. auch Absatz [0019] in der [X.]) sowie einer inneren Formgebung nach Art einer hinterschnittenen [X.], wie in Figur 8 der Druckschrift [X.] dargestellt, einstückig durch Strangextrusion nicht oder im Spritzgussverfahren, wie es die Druckschrift [X.] in Absatz [0026] anregt, nur aufwendig mit mehrteiligen Formen herstellbar ist (vgl. auch Absatz [0064] in der [X.]). Demgegenüber ist dem Fachmann die Alternative eines mehrteiligen Aufbaus von gegebenenfalls Hinterschneidungen ausbildenden Baustrukturen mittels zusammensetzbarer, für sich hinterschneidungsfrei und somit unter anderem spritzgusstechnisch einfach herstellbarer Bauteile im Umfang des allgemeinen Fachwissens als vorteilhaft präsent. Dieses Fachwissen belegt die Druckschrift [X.], ein Lehrbuch in Bezug auf die Gestaltung von Kunststoffbauteilen. Dort ist etwa auf Seite 178, letzter Absatz, erläutert, dass bei der Konstruktion von Kunststoffbauteilen Hinterschneidungen vermieden werden sollten, da diese unpraktikabel und teuer sind, und an ihre Stelle zweiteilige Ausgestaltungen zu bevorzugen sind.

Das Wissen um die bekannten vorteilhaften Realisierungsmöglichkeiten von Hinterschneidungen aufweisenden Baustrukturen leitet den Fachmann insoweit zur Auswahl der Alternative eines zweiteiligen Aufbaus auch einer Führungsschiene in nahe liegender Weise an, wobei die Druckschrift [X.] selbst mit dem in Figur 13 gezeigten Ausführungsbeispiel ihm ein ausreichendes und ohne weiteres übertragbares Vorbild gibt, wie eine solche Teilung vorzunehmen ist, bei der beide Teile für sich jeweils einen hinterschneidungsfreien [X.] der Nut enthalten.

Das Vorsehen von in diesem Zusammenhang vorzusehenden komplementär ausgeführten Positionierhilfen an den Bauteilen zu deren lagerichtiger Positionierung bei der Montage, wodurch deren hinterschneidungsfreie Nutabschnitte im zusammengesetzten Zustand ja gerade erst die zusammenhängende, deckungsgleiche Nut ausbilden, ist dem Fachmann dabei eine ebenso allgemein präsente Variante. Solche Positionierhilfen sind bei lagerichtiger Zusammensetzung insbesondere größerer oder länglich geformter Bauteile fachüblich und beispielsweise auch der zum relevanten Stand der Technik zählenden Druckschrift [X.] in den deutlichen Darstellungen der Querschnittsform im Bereich der Teilung der zusammengesetzten Hälften des dort zur Führung einer Sonnenblende ausgebildeten Rollos in der Figur 6 zu entnehmen.

Gehört eine solche maschinenbautechnische Lösung als ein generelles, für eine Vielzahl von Anwendungsfällen in Betracht zu ziehendes Mittel ihrer Art nach zum allgemeinen Fachwissen des angesprochenen Ingenieurs, kann Veranlassung zu ihrer Heranziehung bereits dann bestehen, wenn sich die Nutzung ihrer Funktionalität in dem zu beurteilenden Zusammenhang als objektiv zweckmäßig darstellt und keine besonderen Umstände feststellbar sind, die eine Anwendung aus fachlicher Sicht als nicht möglich, mit Schwierigkeiten verbunden oder sonst untunlich erscheinen lassen ([X.] 2014, 647 - 650 – Farbversorgungssystem). Zusätzliche, über die Erkennbarkeit des technischen Problems hinausreichende Anstöße, Anregungen, Hinweise oder sonstiger Anlässe dafür, die Lösung des technischen Problems auf dem Weg der Erfindung zu suchen (wie etwa [X.] 2009, 746 – 749 – Betrieb einer Sicherheitseinrichtung), bedarf es in diesem Fall nicht.

Damit konnte der Fachmann ausgehend von der durch die Druckschrift [X.] vermittelten Lehre unter Berücksichtigung und Anwendung seines Fachwissens jedoch in naheliegender Weise zu dem Gegenstand des Patentanspruchs 1 in der erteilten Fassung gelangen. Mithin beruht der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

2.3.2 Die in der Druckschrift [X.] offenbarten Führungsschienenanordnungen sind für einen Einsatz in einem [X.] konzipiert, das eine drehbar gelagerte [X.] (23), eine [X.] (26), die mit einer Kante an der [X.] (23) befestigt ist und die eine von der [X.] (23) abliegende Kante (27) aufweist, und einen Spriegel (29, 30, 32), der mit der [X.] (26) an einer von der [X.] (23) abliegenden Stelle verbunden ist, umfasst (Absätze [0038] bis [0044]; Figuren 4 und 5). Dabei ist der Spriegel jeweils an seinen beiden Enden jeweils in einer separaten Führungsschiene geführt.

Somit fügt das Streitpatent im Umfang des erteilten Patentanspruchs 11 mit den Merkmalen 11.1 bis 11.4 der bereits ausgehend von der Druckschrift [X.] als nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhenden Führungsschienenanordnung nach dem Patentanspruch 1 lediglich weitere, ebenfalls aus der Druckschrift [X.] bekannte Merkmale hinzu.

Somit beruht in der Folge auch der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 11 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

2.3.3 Mithin ist das Streitpatent im Umfang der Patentansprüche 1 und 11 in der erteilten Fassung nicht rechtsbeständig.

Einer Beurteilung der weiteren Patentansprüche bedarf es in der Folge nicht, zumal die Beklagte, wie sie im Hinblick auf die Hilfsanträge zu erkennen gegeben hat, die weiteren Patentansprüche nicht ausdrücklich verteidigt. Auch hat die Beklagte weder geltend gemacht, noch ist sonst ersichtlich, dass die zusätzlichen Merkmale dieser [X.] zu einer anderen Beurteilung der Patentfähigkeit führen ([X.], [X.], 149ff – Sensoranordnung; [X.], [X.], 862ff    – [X.]; [X.], [X.], 57ff – Datengenerator).

3. Hilfsantrag 1

Die Gegenstände der unabhängigen Patentansprüche 1 und 11 gemäß Hilfsantrag 1 sind aus denselben Gründen wie die Gegenstände der Patentansprüche 1 und 11 in der erteilten Fassung nicht schutzfähig.

3.1 Die vorgenommenen Änderungen in dem Patentanspruch 1 betreffen in Merkmal 1.1

Die vorgenommenen Änderungen in Patentanspruch 11 entsprechen hinsichtlich der Merkmale 11.1

3.2 Wie vorstehend unter Punkt 2.3.1 ausgeführt, sind die in der Druckschrift [X.] offenbarten Führungsschienenanordnungen jeweils zur Führung eines Rollos im Heckbereich eines Kraftfahrzeugs vorgesehen. Das in Figur 4 dargestellte [X.] sieht dabei zwei Führungsschienenanordnungen vor, die jeweils links bzw. rechts der [X.] angeordnet sind. Somit sind der Druckschrift [X.] auch bereits die neuen Merkmale 1.1

Darüber hinaus handelt es sich bei jenen zuvor beschriebenen und etwa der Druckschrift [X.] zu entnehmenden Positionierhilfen, die der Fachmann als präsente Alternative vorsehen würde ohne hierzu erfinderische tätig werden zu müssen, um mechanische Verbindungsmittel im streitpatentgemäßen Sinne.

Folglich fügen die zusätzlichen Merkmale den bereits als naheliegend nachgewiesenen Gegenständen gemäß den erteilten Patentansprüche 1 und 11 lediglich weitere aus der Druckschrift [X.] bekannte oder nahegelegte Merkmale hinzu, die der Fachmann im Rahmen seines Fachwissens auch so vorsehen würde. Demnach können die Patentansprüche 1 und 11 in der Fassung nach Hilfsantrag 1 keinen Patentschutz begründen.

4. Hilfsantrag 2

Bei den in den Merkmalen 1.4.2

Folglich fügen die zusätzlichen Merkmale auch den bereits als naheliegend nachgewiesenen Gegenständen gemäß der Patentansprüche 1 und 11 in der Fassung nach Hilfsantrag 1 inhaltlich nichts hinzu. Demnach können auch die Patentansprüche 1 und 11 in der Fassung nach Hilfsantrag 2 keinen Patentschutz begründen.

5. Hilfsanträge 3 und 4

Der einzige Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3 entspricht dem Patentanspruch 11 gemäß Hilfsantrag 1. Der einzige Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 4 entspricht dem Patentanspruch 11 gemäß Hilfsantrag 2.

Insofern wird zu diesen beiden Patentansprüchen auf die vorstehenden Ausführungen zu den Patentansprüchen 11 gemäß den [X.] 1 und 2 verwiesen. Demnach können auch die Patentansprüche 1 in der Fassung nach den [X.] 3 und 4 keinen Patentschutz begründen.

6. Hilfsanträge 5 und 6

Die Gegenstände der beiden unabhängigen Patentansprüche 1 und 2 gemäß den [X.] 5 und 6 sind aus denselben Gründen wie die Gegenstände der Patentansprüche 1 und 11 in der Fassung nach Hilfsantrag 1 nicht schutzfähig.

6.1 Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 5 entspricht dem Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 unter Hinzunahme des dem erteilten [X.] entnommenen Merkmals 1.4.3, wonach eines der beiden Teile (63, 64) einstückiger Bestandteil eines Abschnitts der Innenverkleidung (6) eines Personenkraftwagens ist.

Der Patentanspruch 2 gemäß Hilfsantrag 5 entspricht dem Patentanspruch 11 gemäß Hilfsantrag 1 ebenfalls unter Hinzunahme dieses neuen Merkmals.

Die Patentansprüche 1 und 2 gemäß Hilfsantrag 6 entsprechen den Patentansprüchen 1 und 11 gemäß Hilfsantrag 2 ebenfalls jeweils unter Ergänzung dieses neuen Merkmals.

6.2 Das Merkmal 1.4.3 ist ebenfalls dem Absatz [0026] der Druckschrift [X.] zu entnehmen, denn dort ist ausgeführt, dass in dem beschriebenen alternativen Ausführungsbeispiel zumindest ein Teil der Führungsschiene unmittelbar integral mit der Innenverkleidung ausgeführt wird (vgl. auch entsprechende Ausführungen unter Punkt 2.3).

Folglich fügt das zusätzliche Merkmal 1.4.3 lediglich der bereits ausgehend von der Druckschrift [X.] nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhenden Führungsschienenanordnung nach dem Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 bzw. 2 bzw. entsprechend dem [X.] nach dem Patentanspruch 11 in der Fassung nach Hilfsantrag 1 bzw. 2 ein weiteres, ebenfalls aus der Druckschrift [X.] bekanntes Merkmal hinzu. Somit beruhen in der Folge auch die Gegenstände der Patentansprüche 1 und 2 gemäß den [X.] 5 bzw. 6 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

7. Hilfsanträge 7 bis 8

Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 7 entspricht dem Patentanspruch 2 des [X.] bei Streichung des Patentanspruchs 1 des [X.] 5. Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 8 entspricht dem Patentanspruch 2 des [X.] bei Streichung des Patentanspruchs 1 des [X.] 6.

Insofern wird zu diesen beiden Patentansprüchen auf die vorstehenden Ausführungen zu dem Patentanspruch 2 gemäß der [X.] und 6 verwiesen. Demnach können auch die Patentansprüche 1 in der Fassung nach den [X.] 7 und 8 keinen Patentschutz begründen.

[X.]

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 [X.] in Verbindung mit § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 99 Abs. 1 [X.] in Verbindung mit § 709 ZPO.

Meta

1 Ni 26/17

11.04.2019

Bundespatentgericht 1. Senat

Urteil

Sachgebiet: Ni

Zitier­vorschlag: Bundespatentgericht, Urteil vom 11.04.2019, Az. 1 Ni 26/17 (REWIS RS 2019, 8208)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 8208


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. X ZR 58/19

Bundesgerichtshof, X ZR 58/19, 15.06.2021.


Az. 1 Ni 26/17

Bundespatentgericht, 1 Ni 26/17, 11.04.2019.


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