Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.05.2022, Az. VI ZR 219/21

6. Zivilsenat | REWIS RS 2022, 2808

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Gegenstand

Vorliegen eines Gehörsverstoßes des Berufungsgerichts in einer Arzthaftungssache hinsichtlich eines Verdienstausfallschadens


Leitsatz

Zum Vorliegen eines Gehörsverstoßes in einem Schadensersatzprozess.

Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] wird der Beschluss des 4. Zivilsenats des [X.] vom 15. Juni 2021 insoweit aufgehoben, als darin auch der Berufungsantrag zu 2 (Abänderung des vom [X.] ausgeurteilten Verdienstausfalls) zurückgewiesen worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Streitwert: 75.000 €

Gründe

I.

1

Die [X.]en streiten um die Bemessung des [X.]s, den der Kläger aufgrund eines ärztlichen Behandlungsfehlers der Beklagten erlitten hat. Das [X.] hat den [X.] für die [X.] vom 1. Januar 2012 bis 31. Juli 2019 auf insgesamt 273.234,78 € brutto beziffert. Mit der Berufung hat der Kläger die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 281.639,54 € netto beantragt. Mit Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO hat das Oberlandesgereicht die Berufung zurückgewiesen. Die Revision hat es nicht zugelassen. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde.

II.

2

Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Das angefochtene Urteil beruht auf einer Verletzung des Anspruchs des [X.] auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG.

3

1. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Berufungsgericht ausgeführt, dass der Kläger als angestellte [X.] einen monatlichen durchschnittlichen Bruttoverdienst von 3.920 €, als selbständiger IT-Spezialist ein zu versteuerndes monatliches Einkommen von 4.620 € hätte erzielen können. Für die Bemessung des [X.]s sei von dem Mittelwert von monatlich 4.270 € auszugehen.

4

2. Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt mit Erfolg, dass das Berufungsgericht mit der Annahme des durchschnittlichen Bruttoverdienstes einer angestellten [X.] von 3.920 € wesentlichen Vortrag des [X.] übergangen hat.

5

a) Gerichte sind nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen einer [X.] ausdrücklich auseinanderzusetzen. Vielmehr ist auch ohne ausdrückliche Erwähnung von [X.]vorbringen grundsätzlich davon auszugehen, dass das Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen eines Beteiligten auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör kann aber dann festgestellt werden, wenn sich aus den besonderen Umständen des einzelnen Falles deutlich ergibt, dass das Gericht Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei seiner Entscheidung nicht in Erwägung gezogen hat (st. Rspr., vgl. nur Senatsbeschluss vom 8. November 2016 - [X.], [X.], 316 Rn. 6 mwN).

6

b) So liegt es hier. Der Kläger hat in seiner Stellungnahme zum Hinweisbeschluss des Berufungsgerichts vom 29. März 2021 auf die Ausführungen des Sachverständigen in dessen Anhörung vor dem [X.] verwiesen, wonach das Gehalt einer angestellten [X.] in der Vergütungsgruppe 4 zunächst für eine zu erwartende Probezeit von sechs Monaten um zehn Prozent reduziert gewesen wäre, der Abschlag aber mit einiger Sicherheit nach sechs Monaten weggefallen wäre (Protokoll vom 28. März 2019, Seite 6). Ohne auf dieses Argument einzugehen, hat das Berufungsgericht demgegenüber seiner Schätzung das um zehn Prozent reduzierte Gehalt für den gesamten [X.]raum von Januar 2012 bis Juli 2019 zugrunde gelegt. Entgegen der Auffassung der Beklagten lassen auch die Ausführungen des Berufungsgerichts dazu, dass der Kläger sein früheres Gehalt nicht hätte durchsetzen können, dass er nicht alsbald in die Vergütungsgruppe 7 eingestuft worden wäre und dass seine gesundheitlichen Vorbelastungen eher gegen substanzielle Gehaltssteigerungen gesprochen hätten, nicht erkennen, warum es nicht jedenfalls zu dem vom Sachverständigen angenommenen Wegfall des [X.] gekommen wäre.

7

c) [X.] ist auch entscheidungserheblich. Wäre bei dem monatlichen Bruttoverdienst der Vergütungsgruppe 4, den der Sachverständige in seinem schriftlichen Gutachten unter Berücksichtigung eines Abschlags von zehn Prozent zum 1. Januar 2012 auf 3.920 € beziffert hat, der Abschlag nach etwa sechs Monaten entfallen, hätte sich das monatliche Bruttoeinkommen ab etwa Juli 2012 auf 4.353,75 € belaufen, so dass ab dann auch von einem höheren Mittelwert aus den beiden Verdienstoptionen als [X.] oder selbständiger IT-Spezialist auszugehen gewesen wäre. Demgegenüber ist das Berufungsgericht für den gesamten [X.]raum von einem Bruttoverdienst als [X.] von nur 3.920 € ausgegangen.

8

3. Nach der Zurückverweisung wird das Berufungsgericht auch über den [X.] der Beklagten hinsichtlich des von der Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] nicht erfassten Feststellungsausspruchs (Haftung der Beklagten als Gesamtschuldner) zu entscheiden haben.

[X.]     

      

Offenloch     

      

[X.]

      

Müller     

      

Böhm     

      

Meta

VI ZR 219/21

10.05.2022

Bundesgerichtshof 6. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, 15. Juni 2021, Az: 4 U 152/20

Art 103 Abs 1 GG, § 544 Abs 9 ZPO, § 823 Abs 1 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.05.2022, Az. VI ZR 219/21 (REWIS RS 2022, 2808)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 2808 MDR 2022, 1177 REWIS RS 2022, 2808

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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