Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 09.02.2000, Az. 5 StR 451/99

5. Strafsenat | REWIS RS 2000, 3204

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5 [X.]/99BUNDESGERICHTSHOFBE[X.]HLUSSvom 9. Februar 2000in der Strafsachegegenwegen Beihilfe zur [X.] 2 -Der 5. Strafsenat des [X.] hat am 9. Februar 2000beschlossen:Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 7. Dezember 1998 wird nach § 349 Abs. 2 StPO alsunbegründet verworfen.Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels unddie den [X.] dadurch entstandenen notwendigenAuslagen zu tragen.[X.][X.] hat den Angeklagten, einen Arzt für Sportmedizin,wegen Beihilfe zur vorsätzlichen Körperverletzung in neun Fällen zu einerGeldstrafe von 180 Tagessätzen zu je 80 DM (die zum Teil abweichendeAngabe der [X.] im [X.] ist ein offensichtliches Fassungs-versehen, Bl. 105 R/Prot.[X.], vgl. auch [X.]) verurteilt. Die Revi-sion des Angeklagten hat keinen Erfolg. Im Anschluß an die Ausführungenim Verwerfungsantrag des [X.] bedarf nur folgendes aus-drücklicher Erörterung.[X.] der Verurteilung war die Vergabe anaboler Steroide(männliche Sexualhormone) an neun Schwimmerinnen des Sportclubs ([X.])[X.] ([X.]) in der [X.] zwischen 1975 und 1984. Solches Dopingwurde in jener [X.] im zentral gelenkten [X.] systematisch zur Lei-- 3 -stungssteigerung bei Hochleistungssportlern eingesetzt, um verstärkt [X.]klasseleistungen und Erfolge des [X.]s bei internationalen [X.], insbesondere [X.] sowie [X.] und Europameister-schaften, zu ermöglichen. Mit der zentralen Organisation des Dopings wurdedas Ziel möglichst effektiver Steigerung der körperlichen Leistungsfähigkeitder Sportler durch Verabreichung pharmakologischer Mittel, zumeist [X.] als —unterstützende [X.] bezeichnet [X.], in systematischer, straff [X.] Vorgehensweise verfolgt. Gleichermaßen war man bestrebt, dieseVerfahrensweise, insbesondere vor den Kontrollen bei internationalen [X.], wirksam zu verschleiern.Der Angeklagte war seit 1968 im Bereich [X.] der [X.] ([X.]) getragenen Sportvereinigung (SV) [X.] in [X.] ([X.]) tätig. Ab 1972 war er stellvertretender Bereichsleiter,1982 wurde er Leiter der Sportmedizin beim [X.] dem SV Dynamo unterglie-derten [X.] [X.] Dynamo. Dort war er bereits seit 1975 bis zum [X.] [X.] Genehmigung der Ausgabe anaboler Steroide zuständig; zur Tatzeit ge-nehmigte er die Aushändigung von Anabolika in Tablettenform an den[X.] bereits rechtskräftig verurteilten [X.] für die Sektion Schwimmen zuständigenSektionsarzt B zum Zweck ihrer Verabreichung durch den [X.] [X.] rechtskräftig verurteilten [X.] Trainer [X.]an die hier betroffenen neunSportlerinnen, die bei Aufnahme des Schwimmtrainings im —[X.] des [X.]Dynamo sämtlich minderjährig gewesen waren. Mit einer Ausnahme warensie auch zu Beginn der auf die Genehmigung des Angeklagten zurückge-henden Mittelvergabe noch minderjährig, sieben von ihnen erst zwischen 13und 16 Jahre alt. Sämtliche Sportlerinnen, einschließlich ihrer Eltern, [X.] zentral organisierter Geheimhaltung bewußt nicht über die ihnenverabreichten Mittel aufgeklärt. Gemäß den von Trainern und Ärzten [X.] wurden die Mittel nicht in Originalverpackun-gen ausgeteilt; den Sportlerinnen gegenüber wurde die Legende einzuneh-mender Vitamine oder Aufbaustoffe [X.] 4 -So wurde vorgegangen, obgleich eine derartige medizinisch nicht indi-zierte Vergabe anaboler Steroide bei Frauen zur Störung des hormonellenRegelkreislaufs und des Fettstoffwechsels führt. Ferner können teils gravie-rende, unter Umständen irreversible Nebenwirkungen auftreten, so u.a.Stimmvertiefung, vermehrte Körperbehaarung, Akne, [X.] sowie Leberschädigungen und Herzerkrankungen. Bei fünf der neungeschädigten Sportlerinnen kam es zu solchen Nebenwirkungen: Bei ihnenwar die [X.] mindestens mitursächlich für signifikante Stimmver-tiefungen, bei zwei Frauen ferner für passagere Schädigungen der Leber, [X.] zudem für eine stark virilisierende Behaarung, bei einer anderen dieserfünf Frauen auch für einen sehr viel später diagnostizierten gutartigen Le-bertumor.II.Verjährung der dem Angeklagten zur Last gelegten Taten scheidetaus. In Fällen systematischer Vergabe schädlicher Dopingmittel an uneinge-weihte minderjährige Sportler hat die Verjährung in der [X.] aufgrund einesquasigesetzlichen Verfolgungshindernisses geruht.1. Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] hatte [X.] der [X.], Straftaten aus politischen oder sonst mit wesentlichenGrundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung [X.] generell nicht zu verfolgen, grundsätzlich die Wirkung eines gesetz-lichen Verfolgungshindernisses im Sinne des § 83 Nr. 2 StGB-[X.] (vgl.[X.] deklaratorisch [X.] Art. 1 des [1.] [X.] vom 26. März 1993,BGBl I 392).Entsprechend wird das Ruhen der Verjährung angenommen für [X.] bei Schüssen an der [X.] ([X.]St 40, [X.], 113), für von Angehörigen der [X.]-Justiz in politischen Strafsachen be-gangene Rechtsbeugungen und damit tateinheitlich zusammentreffende [X.] 5 -likte ([X.]St 41, 247, 248; 41, 317, 320), für vom [X.] veranlaßte Verschlep-pungen von Bundesbürgern in die [X.] ([X.]St 42, 332, 336 ff.) und [X.] durch politische Denunziationen (vgl. [X.] NStZ-RR1997, 100, 101). Gemeinsam ist diesen Fallgruppen, daß sich das Erforder-nis eines sicher feststehenden Willens der Staatsführung der [X.] zur Nicht-verfolgung ([X.]St 23, 137; 40, 113, 118) aus dem Umstand ergab, daß [X.] Straftaten bereits generell auf Veranlassung oder wenigstens mit [X.] politischen Führung verübt worden waren (vgl. die Begründung zum [X.] zum [1.] Verjährungsgesetz, [X.]. 12/3080,S. 8). Ferner wird ein Ruhen der Verjährung auch angenommen für Körper-verletzungen an Gefangenen durch Strafvollzugsbedienstete der [X.], [X.] im Interesse des staatlichen Ansehens als geheimhaltungsbedürf-tig angesehen wurden ([X.]R StGB § 78b Abs. 1 [X.] Ruhen 2 und 6).Gemäß diesen Grundsätzen hat die Verjährung nicht nur bei Strafta-ten geruht, die sich als schwerste Menschenrechtsverletzungen darstellen[X.] wie etwa die Todesschüsse an der [X.] [X.], bei [X.] auch nach § 84 StGB-[X.] zu erwägen wäre (vgl.[X.]St 40, 113, 119); vielmehr kommt ein quasigesetzliches Verfolgungshin-dernis auch für weniger schwerwiegende Taten in Betracht, wenn diese inder [X.] aus politischen Gründen oder sonst rechtsstaatswidrigen [X.] nicht verfolgt [X.] Rechtsfehlerfrei ist das Landgericht davon ausgegangen, daß diedem Angeklagten zur Last gelegten Taten in der [X.] aus politischen Grün-den systematisch nicht verfolgt worden sind. Dafür kommt es auf spezifischpolitisch-weltanschauliche Zielrichtungen der [X.]-Staatsführung in Verbin-dung mit der Sportförderung, wie sie im Urteil vorausgesetzt werden ([X.]. 7), nicht einmal entscheidend an. [X.] ganz unter-schiedlich ausgerichtete [X.], die sich die Förderung des [X.] zum Ziel setzen, sehen unabhängig vom politischen System im inter-- 6 -nationalen Erfolg ihrer Sportler eine im staatlichen Interesse liegende Ange-legenheit.Ausschlaggebend ist zunächst, daß die Förderung des [X.] in der [X.] [X.] in Konsequenz zu ihrer sonstigen Staatsstruktur [X.] alsunmittelbar staatlich zu regelnde Angelegenheit zentral und straff [X.]. Dabei war das im staatlichen Interesse verfolgte Streben nach dem Ge-winn von internationalem Ansehen durch hochrangige sportliche Erfolge sostark ausgeprägt, daß dieses Ziel nicht nur durch beträchtlichen personellenund sachlichen Aufwand bei der staatlichen Organisation fairer Trainingsför-derung von Hochleistungssportlern verfolgt wurde, sondern auch mittels sy-stematischen Dopings, das jedenfalls seit 1974 [X.] insbesondere auch in [X.] hier in Rede stehenden Vergabe anaboler Steroide [X.] staatlich zentralgesteuert eingesetzt wurde. Nur so hielt man die erstrebten großen und viel-fältigen Erfolge für realisierbar.Zudem unterlag dieses staatlich organisierte Doping strengster Ge-heimhaltung. Die Aufdeckung der international als unfair geächteten Praxis,im Hochleistungssport verbotene Dopingsubstanzen einzusetzen, hätte [X.] —stets auf internationale Anerkennung bedachte Partei- und Staatsfüh-rung der [X.]fl einen —nicht wiedergutzumachenden Prestigeverlustfl bedeutet([X.]); die Anerkennung der erstrebten und erzielten Erfolge des [X.]s wäre grundlegend in Frage gestellt worden.So wurden das Doping selbst und dessen Geheimhaltung als zentralestaatliche Aufgaben verfolgt. Die gesundheitlichen Belange der betroffenenSportler wurden dabei den mit der [X.] verfolgtenpolitischen Zielsetzungen untergeordnet. Bei minderjährigen Sportlern warderen Nichtinformation [X.] wie die ihrer Eltern [X.] gerade auch zum Zweck mög-lichst effektiver Geheimhaltung vorgesehen. Jedenfalls war ein solches [X.] gegenüber gedopten minderjährigen [X.], wie- 7 -vom Landgericht rechtsfehlerfrei festgestellt, zentral vorgegeben und gere-gelt.Aus der Gesamtheit dieses systematischen staatlichen Vorgehens [X.] sich ohne weiteres, daß die [X.] durch geheime Verabreichung anabolerSteroide an minderjährige Sportlerinnen [X.] begangenen Körperverletzungen,die aus politischen Gründen begangen und geheimgehalten wurden, konse-quent ebenso bewußt nicht verfolgt werden [X.] Danach handelt es sich auch bei Fällen der vorliegenden Art umschwerwiegende Rechtsbrüche, welche die Anwendung der Grundsätze überdas Ruhen der Verjährung rechtfertigen. Die betroffenen minderjährigenSportlerinnen wurden von Staats wegen unter Hintanstellung wesentlicherpersönlicher Belange für staatliche Zwecke instrumentalisiert. Obgleich [X.] als Systemgegner angesehen wurden, vielmehr vom System als [X.] förderungswürdig anerkannt waren, wurden auch sie zu Opfern [X.], da ihnen ohne Rücksicht auf ihren Willen eine sogar ihrem Wissenvorenthaltene Aufopferung ihrer Gesundheit durch Hinnahme beträchtlichergesundheitlicher Gefährdung abverlangt wurde. Dabei konnte das Ausmaßihrer Rechtsbeeinträchtigung infolge derartigen Systemunrechts namentlichin [X.] nicht trennscharf auszugrenzenden [X.] Fällen irreversibler Schädigungdas Ausmaß möglicher Rechtsgutsverletzungen in anerkannten Fällen [X.] der Verjährung deutlich übertreffen.4. Das festgestellte Ausmaß organisierter gesundheitlicher Gefähr-dung bis hin zu konkreter Schädigung, an dem der Angeklagte nicht nur un-wesentlich, seinen Funktionen und seinem Einfluß nach vielmehr bedeutsambeteiligt war, verbietet es [X.] entgegen der Auffassung der Revision [X.] vonvornherein zu erwägen, die hier in Frage stehenden Fälle einer Fallgruppeminderer Kriminalität zuzurechnen, für welche die Rechtsprechung des Bun-desgerichtshofs [X.] bislang nicht tragend (vgl. aber [X.] 1997, 267) [X.]eine Ausnahme von den Grundsätzen des Ruhens der Verjährung erwogen- 8 -hat. Auf das Ausmaß der Rechtsgutsverletzung in jedem Einzelfall kann [X.] nicht ankommen. Eine abweichende Beurteilung drängt sich indes [X.] als strafbar anzusehende Dopingfälle auf, die erwachsene, nicht unin-formierte Sportler betrafen.Der [X.] verkennt nicht, daß der Einsatz von Dopingmitteln [X.] keine Besonderheit ist, die ausschließlich für totalitäreUnrechtssysteme kennzeichnend wäre (vgl. nur [X.], Doping Doku-mente 1991 S. 228 ff.). Für die Frage eines das Ruhen der Verjährung bei inder [X.] begangenen Fällen dieser Art ist dies indes nicht unmittelbar rele-vant.[X.] hat in einer als —therapeutisch wirksamfl angesehenenzyklischen Mittelvergabe, durch welche Hormonhaushalt und Fettstoffwech-sel somatisch faßbar verändert, zudem Risikofaktoren für Folgeschäden ge-schaffen wurden, eine Gesundheitsschädigung im Sinne des [X.] Körperverletzung gesehen. Das ist [X.] auch im Blick auf § 115 Abs. 1StGB-[X.], der insoweit keine maßgeblich unterschiedlichen Anforderungenhat [X.] rechtsfehlerfrei (vgl. auch [X.]St 43, 306; 346). Die [X.], insbesondere zur Verantwortlichkeit des Angeklagten [X.] ihm angelasteten Beihilfehandlungen und zu den auch auf der [X.] festgestellten Auswirkungen der ihm angelaste-ten Dopingvergabe, ist nicht zu beanstanden.Ebenso rechtsfehlerfrei ist die Betrachtungsweise des [X.], ineiner Mittelvergabe an dieselbe Sportlerin in weiteren Zyklen, wodurch einebegonnene Gesundheitsbeeinträchtigung und -gefährdung aufrechterhaltenbzw. verstärkt wurde, jeweils die Fortführung einer einheitlichen Tat der Kör-perverletzung zu sehen (vgl. [X.] NStZ 2000, 25). Daß das [X.] erwogen hat, durch eine vom Angeklagten gleichzeitig vorgenommene- 9 -Genehmigung der Mittelvergabe an mehrere Sportlerinnen eine Verbindungzu gleichartiger Idealkonkurrenz anzunehmen, beschwert den [X.]. Eine derartige Betrachtungsweise läge freilich nahe; sie könnte hier [X.] einer einheitlichen Beihilfe zur Körperverletzung an neun Men-schen führen. Der als einheitliche Hauptstrafe ausgesprochenen Geldstrafe(§ 64 StGB-[X.] i.V.m. Art. 315 Abs. 2 EGStGB) lag indes ein zutreffendbestimmter Schuldumfang zugrunde, der von der Beurteilung der Konkurren-zen nicht abhängt. Daß dem Angeklagten ein umfassender Strafklagever-brauch auch für etwaige weitere Vorwürfe strafbarer Mitwirkung an der [X.] von Dopingmitteln an andere Sportlerinnen zugute kommen muß, wennein solcher Tatvorwurf mit der Mittelvergabe an eine der hier Geschädigtenmöglicherweise zusammentraf, steht außer Frage. Auch hierfür bedarf esnicht eines Schuldspruchs wegen tateinheitlicher Begehungsweise.[X.] [X.]:nein[X.]St:neinVeröffentlichung:ja[X.]R:jaStGB § 78bIn Fällen staatlich zentral gelenkter Vergabe schädlicher Dopingmittel an un-eingeweihte minderjährige Sportler hat die Verjährung in der [X.] aufgrundeines quasigesetzlichen Verfolgungshindernisses geruht (im Anschluß an[X.]St 40, 113; [X.]R StGB § 78b Abs. 1 [X.] Ruhen 6).[X.], Beschluß vom 9. Februar 2000 [X.] 5 [X.]/99 [X.] LG [X.]

Meta

5 StR 451/99

09.02.2000

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 09.02.2000, Az. 5 StR 451/99 (REWIS RS 2000, 3204)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2000, 3204

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