Bundesgerichtshof, Urteil vom 27.09.2011, Az. II ZR 279/09

2. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 2987

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Gegenstand

Gesellschaftsvertrag einer GmbH: Auslegung einer Bestimmung über die Abfindung eines ausscheidenden Gesellschafters


Leitsatz

Bei der Auslegung der Bestimmungen über die Abfindung eines ausscheidenden Gesellschafters im Gesellschaftsvertrag einer GmbH ist zu berücksichtigen, dass die am Gesellschaftsvertrag beteiligten Personen im Zweifel eine auf Dauer wirksame und die Gesellschafter gleichbehandelnde Berechnung der Abfindung gewollt haben .

Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des 23. Zivilsenats des [X.] vom 3. Dezember 2009 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger war seit 1994 zuletzt mit einem Kapitalanteil von 28 % (14.000 DM) [X.]er und seit 1997 Geschäftsführer der beklagten GmbH. In der [X.]erversammlung vom 20. September 2007 und erneut in der [X.]erversammlung vom 9. November 2007 wurde beschlossen, den Kläger als Geschäftsführer abzuberufen, den Geschäftsführeranstellungsvertrag mit ihm zu kündigen und seinen Geschäftsanteil unter Berufung auf § 11 des [X.]svertrags der [X.] einzuziehen. In § 11 des [X.]svertrags ist die Einziehung eines Geschäftsanteils ohne Zustimmung des [X.]ers unter anderem dann vorgesehen, wenn dieser aus der Geschäftsführung oder aus der auf einer gesonderten Vereinbarung beruhenden Mitarbeit in der [X.] ausscheidet. Die Parteien streiten um die Höhe der Abfindung des [X.].

2

§ 12 des am 23. März 1998 neu gefassten [X.]svertrags der [X.] vom 14. September 1982 (im Folgenden: GV) enthält zur Abfindung des ausgeschiedenen [X.]ers folgende Regelung:

„(1) Ein nach § 11 der Satzung ausscheidender [X.]er wird für seine Ansprüche in Geld abgefunden. Die Abfindung des ausscheidenden [X.]ers besteht in einem nach dem Verhältnis der Stammeinlagen zu berechnenden Anteil am nominellen Eigenkapital der [X.] im Sinne von § 266 Abs. 3 lit. A HGB i. V. m. § 272 HGB, soweit dies gesetzlich zulässig ist. Maßgebend ist das nominelle Eigenkapital am letzten Bilanzstichtag vor dem Ausscheiden des betreffenden [X.]ers.

(2) In den Fällen, in denen die Anwendbarkeit der Bestimmung des Absatzes 1 Satz 2 gesetzlich nicht zulässig ist, bemisst sich die Abfindung des ausscheidenden [X.]ers nach dem gemeinen Wert seines Anteils, der sich unter Anwendung des sog. [X.] Verfahrens nach den Bestimmungen der Abschnitte 76 f Vermögenssteuerrichtlinien zum letzten vor dem Ausscheiden liegenden Bilanzstichtag errechnet.“

3

Der Kläger hat eine Abfindung nach § 12 Abs. 1 GV in Höhe von 7.158,09 € erhalten. Er verlangt Zahlung einer weiteren Abfindung nach § 12 Abs. 2 GV in Höhe von 298.602 € in vier Jahresraten.

4

Das [X.] hat die Verpflichtung der [X.] zur Zahlung eines weiteren Abfindungsbetrages nach § 12 Abs. 2 GV nach dem [X.] Verfahren dem Grunde nach festgestellt. Das Berufungsgericht hat auf die Berufung der [X.] die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die vom erkennenden Senat zugelassene Revision des [X.].

Entscheidungsgründe

5

Die Revision hat Erfolg und führt zur Aufhebung des Berufungsurteils sowie zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

6

I. Das Berufungsgericht ([X.], Urteil vom 3. Dezember 2009  23 U 2863/09, juris) hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: Der Abfindungsanspruch des [X.] errechne sich nach § 12 Abs. 1 GV, bestehe also in einem nach dem Verhältnis der Stammeinlage zu berechnenden Anteil am nominellen Eigenkapital. Die Auslegung der Satzung ergebe, dass eine Abfindung nach dem [X.] Verfahren nach § 12 Abs. 2 GV eine [X.] schließen solle, falls sich die Klausel nach § 12 Abs. 1 GV als gesetzlich unzulässig darstelle. Dies sei jedoch nicht der Fall, weil eine eventuelle Unwirksamkeit entsprechend § 242 Abs. 2 AktG geheilt sei. Eine Vertragsanpassung von § 12 Abs. 1 GV und daraus folgend eine Abfindung nach dem Verkehrswert komme nicht in Betracht. Zwar behaupte der Kläger in der Berufungsinstanz, dass sich das grobe Missverhältnis zwischen Nennwert und Verkehrswert erst nach seinem Beitritt ergeben habe. Das insoweit neue Vorbringen könne aber nach § 531 Abs. 2 ZPO nicht zugelassen werden, weil der Kläger in erster Instanz das Gegenteil behauptet habe.

7

II. Diese Ausführungen halten revisionsgerichtlicher Nachprüfung nicht stand. Sie beruhen auf einer fehlerhaften Auslegung der in § 12 GV enthaltenen Abfindungsregel.

8

1. Das Recht eines [X.]ers, bei Ausscheiden aus der [X.] eine Abfindung zu erhalten, gehört zu seinen Grundmitgliedsrechten. Da es die gegenwärtigen und künftigen [X.]er betrifft und auch für [X.]sgläubiger von Bedeutung ist, kommt ihm körperschaftsrechtlicher Charakter zu. Die Auslegung von [X.] ist daher anhand objektiver Umstände vorzunehmen und unterliegt der freien Nachprüfung durch das Revisionsgericht ([X.], Urteil vom 16. Dezember 1991  [X.], [X.]Z 116, 359, 364).

9

2. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts durfte nicht offen bleiben, ob die nach § 12 Abs. 1 GV bemessene Abfindung in einem groben Missverhältnis zum Verkehrswert des Anteils des [X.] im [X.]punkt seines Ausscheidens aus der Beklagten steht. Denn der [X.]svertrag der Beklagten ist dahin auszulegen, dass in diesem Fall die Regelung des § 12 Abs. 2 GV zur Anwendung kommen soll.

a) Der zweite Absatz des § 12 GV ist, wie sich aus der Regelung in einem Paragrafen und dem einleitenden Wortlaut des Absatzes „In den Fällen, in denen die Anwendbarkeit der Bestimmung des Absatzes 1 Satz 2 gesetzlich nicht zulässig ist“ ergibt, als Auffangtatbestand konzipiert. Er erfasst aber nicht nur  wie das Berufungsgericht wohl meint  den Fall, dass sich die Bemessung der Abfindung nach Absatz 1 von Anfang an als unzulässig erweist. Absatz 2 soll vielmehr eine Berechnungsmöglichkeit für alle Fälle bieten, in denen sich die nach Absatz 1 berechnete Abfindung im Einzelfall als gesetzlich unzulässig erweist und zwar unabhängig davon, ob die Abfindung zum Nominalwert von Anfang an sittenwidrig zu gering ist oder ob sie aufgrund der Geschäftsentwicklung der Beklagten mit der [X.] in gesetzwidriger Weise unangemessen wird. Für diese Auslegung spricht die in beiden Absätzen verwendete Formulierung „gesetzlich zulässig“, in der eine dauerhafte Verknüpfung der [X.] zum Ausdruck kommt. Nach § 12 Abs. 1 Satz 2 GV erhält der ausscheidende [X.]er eine nach dem Verhältnis seiner Stammeinlage am nominellen Eigenkapital der [X.] berechnete Abfindung, soweit dies gesetzlich zulässig ist. In den Fällen, in denen die so berechnete Abfindung gesetzlich nicht zulässig ist, ordnet § 12 Abs. 2 GV eine Abfindung nach dem [X.] Verfahren an. Die aufeinander bezogenen Bestimmungen der Absätze 1 und 2 des § 12 GV stellen ersichtlich eine einheitliche Regelung der Abfindung dar, die als Gesamtregelung rechtlich unbedenklich ist, so dass schon aus diesem Grunde eine entsprechende Anwendung von § 242 Abs. 2 AktG nicht in Betracht kommt. Dadurch, dass das Berufungsgericht den Anwendungsbereich des § 12 Abs. 2 GV nur dann eröffnet sieht, wenn sich die Regelung in Absatz 1 isoliert betrachtet und von Anfang an in jedem Fall als gesetzlich unzulässig erweist, haftet es in unzulässiger Weise zu sehr am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks „Anwendbarkeit der Bestimmung des Absatzes 1 Satz 2“ und verkennt die Verknüpfung der beiden Absätze zu einer einheitlichen Regelung der Bemessung der Abfindung des ausscheidenden [X.]ers.

b) Der Auslegung des Berufungsgerichts steht weiter entgegen, dass sie zu einer unpraktikablen [X.] und zu einer nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung ausscheidender [X.]er führt. Der ausscheidende [X.]er wird bei Anwendung des vom Berufungsgericht zugrunde gelegten Verständnisses der [X.] entweder mit einem sittenwidrig zu geringen, einem nach allgemeinen Bedingungen angemessenen oder einem nach dem [X.] Verfahren berechneten Betrag abgefunden, je nachdem, wie sich zum [X.]punkt seines Ausscheidens die Geschäftsentwicklung des Unternehmens der Beklagten darstellt.

aa) Wäre die Abfindung nach § 12 Abs. 1 GV bereits bei Errichtung der Satzung oder im [X.]punkt ihrer Neufassung sittenwidrig gewesen, wäre die Satzungsbestimmung entsprechend § 241 Nr. 4 AktG oder nach § 138 BGB nichtig. Der [X.]er ist dann grundsätzlich zum vollen wirtschaftlichen Wert seines Geschäftsanteils (Verkehrswert) abzufinden (vgl. nur [X.], Urteil vom 16. Dezember 1991  [X.], [X.]Z 116, 359, 368 f.; MünchKomm-GmbHG/[X.], § 34 Rn. 236 f.). Nach der Auslegung des Berufungsgerichts erhält ein ausscheidender [X.]er aber immer dann eine sittenwidrig zu niedrige Abfindung, wenn er später als drei Jahre nach Eintragung der  unterstellt  sittenwidrigen Satzungsbestimmung ins Handelsregister aus der [X.] ausscheidet und die Nichtigkeit bis dahin nicht geltend gemacht hat (§ 242 Abs. 2 AktG; zur Anwendbarkeit [X.], Urteil vom 16. Dezember 1991  [X.], [X.]Z 116, 359, 368; Urteil vom 19. Juni 2000  II ZR 73/99, [X.]Z 144, 365, 368). [X.] der [X.]er bereits nach zwei Jahren aus, erhält er eine Abfindung nach § 12 Abs. 2 GV nach dem [X.] Verfahren.

Anders ist die Lage, wenn der nach § 12 Abs. 1 GV zu bestimmende [X.] und der wirkliche Wert des Geschäftsanteils nicht von Anfang an, sondern erst infolge der Geschäftsentwicklung der [X.] auseinander fallen. Ist in diesem Fall der [X.] unangemessen gering, kann die [X.] im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung an die neuen Verhältnisse angepasst werden (vgl. [X.], Urteil vom 20. September 1993  II ZR 104/92, [X.]Z 123, 281, 284 f.; Urteil vom 19. Juni 2000  II ZR 73/99, [X.]Z 144, 365, 369; Urteil vom 24. Mai 1993  II ZR 36/92, [X.], 1160, 1161; MünchKomm-GmbHG/[X.], § 34 Rn. 241). Weil die [X.] nicht nach § 12 Abs. 1 GV unwirksam ist, käme § 12 Abs. 2 GV nicht zur Anwendung.

bb) Im Zweifel haben die am [X.]svertrag beteiligten Personen aber etwas Vernünftiges gewollt, nämlich eine auf Dauer wirksame und die [X.]er gleichbehandelnde Berechnung der Abfindung. Die Regelung baut nicht auf der Nichtigkeit wegen gesetzlicher Unzulässigkeit von § 12 Abs. 1 GV auf, sondern auf der Unanwendbarkeit der grundsätzlich vereinbarten, aber im konkreten Fall gesetzlich nicht zulässigen Berechnungsmethode. Immer dann, wenn sich die nach § 12 Abs. 1 GV berechnete Abfindung zum Nominalwert nach den soeben dargestellten Grundsätzen der Senatsrechtsprechung im [X.]punkt der Abfindung als unzulässig erweist, hat der [X.]er Anspruch auf eine Abfindung nach § 12 Abs. 2 GV nach dem [X.] Verfahren. Bei einem solchen Verständnis kann flexibel auf Schwankungen im Wert des Geschäftsanteils reagiert werden und es wird der Gleichbehandlung aller [X.]er Rechnung getragen, die unabhängig vom [X.]punkt ihres Ausscheidens nach den gleichen Grundsätzen abgefunden werden.

III. [X.] ist nicht zur Endentscheidung reif. Das Berufungsgericht wird zu prüfen haben, ob der Kläger nach dem Nominalwert nach § 12 Abs. 1 GV abgefunden werden darf oder ob ihm das Festhalten an der vertraglichen Regelung auch unter Berücksichtigung des berechtigten Interesses der Mitgesellschafter nicht mehr zugemutet werden kann. Hierbei sind die gesamten Umstände des konkreten Falles in Betracht zu ziehen ([X.], Urteil vom 20. September 1993  II ZR 104/92, [X.]Z 123, 281, 284 f.; Urteil vom 19. Juni 2000  II ZR 73/99, [X.]Z 144, 365, 369; Urteil vom 24. Mai 1993  II ZR 36/92, [X.], 1160, 1161).

Das Berufungsgericht hat keine Feststellungen zur Entwicklung des Werts des Geschäftsanteils des [X.] getroffen. Nach dem Vortrag des [X.] in zweiter Instanz überstieg der nach § 12 Abs. 2 GV berechnete Wert des Unternehmens der Beklagten am 31. Dezember 2007 den Nominalwert um 4.000 %, der Verkehrswert lag sogar um 13.800 % über dem Nominalwert. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts war das Vorbringen des [X.] zur Höhe des Unternehmenswerts zulässig. Es kann dahinstehen, ob es sich bei den Darlegungen des [X.]  wie die Revision meint  nur um eine zulässige Konkretisierung erstinstanzlichen Vorbringens handelt. Selbst wenn es neu im Sinne des § 531 Abs. 2 ZPO gewesen wäre, war es gemäß § 531 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2 ZPO zuzulassen. Der Kläger hatte erstinstanzlich keine Veranlassung, zum Wert seines Geschäftsanteils bei seinem Ausscheiden vorzutragen, weil das [X.] diesen Umstand erkennbar für unerheblich gehalten hat. Das [X.] hat eine Abfindungsbeschränkung auf den Nominalwert nach § 12 Abs. 1 GV unabhängig vom Wert im [X.]punkt des Ausscheidens für unzulässig erachtet.

Bergmann                                            [X.]                                             Reichart

                             Drescher                                             Born

Meta

II ZR 279/09

27.09.2011

Bundesgerichtshof 2. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG München, 3. Dezember 2009, Az: 23 U 2863/09, Urteil

§ 133 BGB, § 157 BGB, § 3 GmbHG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 27.09.2011, Az. II ZR 279/09 (REWIS RS 2011, 2987)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 2987

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