Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 14.07.2005, Az. IX ZR 142/02

IX. Zivilsenat | REWIS RS 2005, 2554

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[X.]IM NAMEN DES VOLKES URTEIL [X.]
Verkündet am: 14. Juli 2005 [X.] Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk: ja [X.]: nein [X.]R: ja

BGB § 250; [X.] §§ 94, 95 Abs. 1; [X.] § 28e Abs. 2 Sätze 1, 2
Hat der Verleiher von Arbeitnehmern seine vertragliche Pflicht, die Lohnnebenkos-ten an die Einzugsstelle abzuführen, schuldhaft verletzt, steht dem Entleiher, der entsprechende Beiträge nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens an die Einzugs-stelle zu entrichten hat, in der Insolvenz des Verleihers keine Aufrechnungsmöglich-keit zu (Fortführung von [X.], 82).

[X.], Urteil vom 14. Juli 2005 - [X.] - OLG Zweibrücken

LG Frankenthal - 2 - Der [X.]. Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 14. Juli 2005 durch [X.] [X.] und [X.] Ganter, [X.], [X.] und [X.]

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 1. Zivilsenats des [X.] vom 28. November 2001 aufgehoben.

Die Berufung der [X.] gegen das Urteil der 3. Zivilkammer des [X.] ([X.]) vom 8. Februar 2001 wird zurückgewiesen.

Die [X.] hat die Kosten beider Rechtsmittelzüge zu tragen. Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin ist Verwalterin in dem Insolvenzverfahren über das Vermö-gen einer Personalüberlassungsgesellschaft (fortan: Schuldnerin), das am 11. August 1999 eröffnet worden ist. Die Schuldnerin hatte mit der [X.] am 8. April 1997 einen Arbeitnehmerüberlassungsvertrag geschlossen. Nach § 7 des Vertrages hat der Entleiher Rechnungen innerhalb von 30 Tagen nach Erhalt zu bezahlen. Für die Überlassung von Arbeitskräften im Juni 1999 stellte - 3 - die Schuldnerin der [X.] zwischen dem 23. Juni 1999 und dem 8. Juli 1999 einen Betrag von insgesamt 177.818,87 DM in Rechnung, den die [X.] bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht ausglich. Gegenüber der klagenden Insolvenzverwalterin lehnte sie die Zahlung mit der Begründung ab, daß sie von der [X.] (fortan nur [X.]) wegen rückständiger Sozial-versicherungsbeiträge der Schuldnerin in Höhe von insgesamt 206.880,32 DM in Anspruch genommen werde. Am 11. November 1999 rechnete die [X.] gegen die streitgegenständliche Forderung mit einem Anspruch auf Schadens-ersatz wegen der an die [X.] zu zahlenden Beträge auf. Die [X.] ermäßigte mit Bescheid vom 7. Februar 2000 ihre Forderung gegen die [X.] auf 177.818,87 DM.

Das [X.] hat der Klage zuzüglich 4 v.H. Zinsen ab dem [X.] 1999 entsprochen, das Berufungsgericht hat sie abgewiesen. Mit der [X.] erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:

Die Revision hat Erfolg (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO a.F.).

[X.]
Das Berufungsgericht hält die nach Grund und Höhe unstreitige Klage-forderung, die im November 1999 jedenfalls erfüllbar gewesen sei, für durch Aufrechnung erloschen (§§ 387, 389 BGB). Als aufrechenbare Gegenforderung - 4 - scheide zwar sowohl der Anspruch der [X.] gegen die Schuldnerin als auch der Befreiungsanspruch des Bürgen aus. Ein Übergang des Anspruchs der [X.] auf die [X.] nach § 774 Abs. 1 BGB habe nicht stattgefunden, weil die [X.] auf die Bürgschaft bislang nichts gezahlt habe. Der [X.] aus § 775 BGB sei mit dem Vergütungsanspruch nicht gleichartig im Sinne des § 387 BGB. Die Schuldnerin habe jedoch durch die Nichtzahlung des [X.] für die der [X.] überlassenen Arbeitnehmer eine vertragliche Nebenpflicht aus dem [X.] verletzt. Daraus ergebe sich ein Schadensersatz-anspruch, der zunächst darauf gerichtet gewesen sei, die [X.] im Wege der Naturalrestitution von der Schuld freizustellen. Dieser Anspruch habe sich mit Eintritt der (materiellen) Insolvenz, ohne daß es der Bestimmung einer Frist bedurft hätte, in einen Zahlungsanspruch umgewandelt (vgl. § 250 BGB). Somit sei die Aufrechnungslage schon vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens ent-standen. Die spätere Verfahrenseröffnung habe das Recht der [X.] zur Aufrechnung nicht mehr berührt (§ 94 [X.]).

I[X.]
Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die [X.] konnte nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit einer Schadensersatzforderung gegen die Schuldnerin nicht mehr aufrechnen (§ 95 Abs. 1 Sätze 1 und 3 [X.]).

1. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des [X.] ([X.] 140, 270, 273 f) hat das Berufungsgericht angenommen, daß mit dem Freistellungsanspruch des Bürgen gemäß § 775 Abs. 1 Nr. 1 BGB gegen den - 5 - Hauptschuldner, dessen Vermögensverhältnisse sich wesentlich verschlechtert haben, mangels Gleichartigkeit der Ansprüche (§ 387 BGB) nicht aufgerechnet werden kann. Dies hat der Senat in der nach Erlaß des Berufungsurteils er-gangenen Entscheidung vom 2. Dezember 2004 ([X.] ZR 200/03, [X.], 82, 85, zur Veröffentlichung in [X.] vorgesehen) nochmals bekräftigt. Daran wird festgehalten.

2. Dieses Urteil betrifft einen dem vorliegenden Fall vergleichbaren Sachverhalt. Die dort entwickelten insolvenzrechtlichen Grundsätze lassen sich auf den Streitfall übertragen.

a) Danach kann den Verleiher neben der gesetzlichen Pflicht zur Abfüh-rung des [X.] (vgl. § 28e Abs. 1 Satz 1 [X.], § 1 Abs. 1 Satz 1 [X.]) auch die vertragliche (Neben-)Pflicht gegenüber dem Entleiher treffen, den Gesamtsozialversicherungsbeitrag an die Einzugsstelle (§ 28h Abs. 1 Satz 1 [X.]) abzuführen, weil andernfalls die [X.] des [X.] gefährdet wäre ([X.], Urt. v. 2. Dezember 2004, aaO [X.]; siehe ferner [X.]/[X.], [X.]. § 12 Rn. 32; [X.] in [X.] Kommentar zum Arbeitsrecht, 5. Aufl. § 12 [X.] Rn. 8).

b) Hat der Verleiher seine vertragliche Pflicht, die Lohnnebenkosten an die Einzugsstelle abzuführen, schuldhaft verletzt, der Entleiher jedoch vor Er-öffnung des Insolvenzverfahrens an die Einzugsstelle noch keine Zahlung er-bracht, steht ihm in der Insolvenz des Verleihers weder ein insolvenzfestes Lei-stungsverweigerungsrecht (§ 51 Nrn. 2 und 3 [X.]) noch eine insolvenzbe-ständige Aufrechnungs- oder Verrechnungsposition (§§ 94 bis 96 [X.]) zu (vgl. - 6 - [X.], Urt. v. 2. Dezember 2004, aaO [X.]). Auch hieran ist festzuhalten. Die von dem Berufungsgericht demgegenüber angenommene Umwandlung gemäß § 250 BGB des auf Befreiung von einer Verbindlichkeit gerichteten Schadens-ersatzanspruchs vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens in einen Zahlungsan-spruch, mit dem die [X.] nach Eröffnung des Verfahrens gemäß § 94 [X.] noch aufrechnen kann, widerspricht schuldrechtlichen und insolvenzrechtlichen Grundsätzen.

aa) Eine Aufrechnung setzt gemäß § 387 BGB voraus, daß dem [X.] gegen den Gläubiger der Hauptforderung eine durchsetzbare Ge-genforderung zusteht. Die Gegenforderung muß nach allgemeinen Grundsät-zen voll wirksam, d.h. frei von Einwendungen oder Einreden sein (§ 390 BGB; vgl. [X.] 2, 300, 302). Nicht aufgerechnet werden kann insbesondere mit [X.] Forderung, der ein Leistungsverweigerungsrecht entgegensteht; es genügt seine bloße Existenz (vgl. [X.], Urt. v. 9. Oktober 2000 - [X.], [X.], 2384, 2385).

Im Streitfall hätte die Schuldnerin vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens einem Zahlungsbegehren der [X.] entgegenhalten können, daß diese keinem durchsetzbaren Anspruch der [X.] ausgesetzt sei. Es ist nämlich un-streitig, daß die [X.] die rückständigen Sozialversicherungsbeiträge, die sie nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf 206.880,32 DM beziffert hat, vor Verfahrenseröffnung von der Schuldnerin nicht unter Fristsetzung eingefordert oder gar angemahnt hat. Der Entleiher haftet nach § 28e Abs. 2 [X.] zwar für die Erfüllung der Zahlungspflicht des Arbeitgebers, also des Verleihers (vgl. § 1 Abs. 1 [X.]), bei einem wirksamen Vertrag wie ein selbstschuldnerischer Bürge, soweit ihm die Arbeitnehmer gegen Vergütung überlassen worden sind. - 7 - Er kann jedoch die Zahlung verweigern, solange die Einzugsstelle den [X.] nicht gemahnt hat und die [X.] nicht abgelaufen ist (§ 28e Abs. 2 Satz 2 [X.]). Danach bestand zum [X.]punkt der Insolvenzeröffnung hin-sichtlich der der [X.] überlassenen Arbeitnehmer ein [X.] der [X.] auf die Gesamtsozialversicherungsbeiträge nur gegen die Schuldnerin, nicht aber gegen die [X.]. Ohne eine durchsetzbare Bürg-schaftsschuld der [X.] besteht kein Rückgriffsanspruch gegenüber der Haupt-schuldnerin.

Etwas anderes ergibt sich zugunsten der [X.] auch nicht aus § 250 Satz 2 BGB. Nach dieser Vorschrift geht ein Befreiungsanspruch in ei-nen Geldanspruch erst dann über, wenn der Geschädigte dem Schädiger er-folglos eine Frist zur Herstellung, im Streitfall also auf Haftungsfreistellung, ge-setzt hat. Dem steht es nach der Rechtsprechung des [X.] gleich, wenn der Schuldner die Herstellung oder überhaupt jeden Schadenser-satz ernsthaft und endgültig verweigert (vgl. [X.], Urt. v. 29. April 1992 - [X.], [X.], 1074, 1076; [X.]/[X.], [X.]. (1998) § 249 Rn. 202). Im Streitfall hat die [X.] der Schuldnerin vor Insol-venzeröffnung weder eine Frist mit Ablehnungsandrohung gesetzt noch hat die Schuldnerin eine ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung bekundet. Dies ist aus der damaligen Sicht der [X.] zu beurteilen (vgl. [X.] 40, 345, 352; [X.]/[X.], 4. Aufl. § 250 Rn. 6).

[X.]) Die Auffassung des Berufungsgerichts, der auf Befreiung von einer Verbindlichkeit gerichtete Schadensersatzanspruch der [X.] habe sich mit Eintritt der materiellen Insolvenz der Schuldnerin nach § 250 BGB in einen - 8 - gegen sie gerichteten Zahlungsanspruch umgewandelt, ist auch aus insolvenz-rechtlichen Gründen unzutreffend.

Der Eintritt der materiellen Insolvenz des Schuldners des [X.] kann den in der Vorschrift genannten Voraussetzungen nicht gleichge-stellt werden. Eine solche Ausdehnung des § 250 BGB widerspricht Sinn und Zweck der §§ 94 bis 96 [X.]. Diese Bestimmungen regeln die Aufrechnung durch den Insolvenzgläubiger in der Weise, daß ihm ein zur [X.] - anfechtungsrechtlich unbedenklich (§ 96 Abs. 1 Nr. 3 [X.]) - begründetes Aufrechnungsrecht ebenso erhalten bleibt (§ 94 [X.]) wie [X.] aus der [X.] nach Verfahrenseröffnung, auf deren Eintritt der Insolvenzgläubiger aber ausnahmsweise vertrauen darf (§ 95 [X.]; vgl. [X.], Urt. v. 29. Juni 2004 - [X.] ZR 147/03, [X.], 1691, 1692, zur Veröffentli-chung in [X.] vorgesehen; MünchKomm-[X.]/[X.], § 94 Rn. 1). Dies trifft auf Fallgestaltungen nicht zu, in denen die Möglichkeit der Aufrechnung nach den Grundsätzen des Schuldrechts nicht besteht und maßgebend gerade mit der Insolvenz des Schuldners der Gegenforderung "künstlich" begründet wer-den soll (vgl. [X.], Urt. v. 29. Juni 2004, aaO S. 1692). Eine solche Auswei-tung der Aufrechnungsmöglichkeit verstößt gegen den [X.] und ist schon deshalb abzulehnen. Der Gläubiger des [X.] ist vielmehr darauf zu verweisen, seinen Anspruch nach [X.] der §§ 87, 44, 45 [X.] im Insolvenzverfahren geltend zu machen (vgl. [X.]/ Bitter in MünchKomm-[X.], § 44 Rn. 7 und § 45 Rn. 8 f).

Der Hinweis des Berufungsgerichts auf eine abweichende Literaturstelle ([X.]/[X.], aaO § 249 Rn. 202 a.E.) geht fehl. Dort werden [X.] 9 - setzung und Ablehnungsandrohung nicht in dem Fall für entbehrlich gehalten, daß es zur Insolvenz des Schädigers kommt, sondern für den Fall der Insol-venz des Geschädigten. Nur in diesem Fall entsteht aus dem [X.] der Zahlungsanspruch unmittelbar in der Hand des Insolvenzverwalters (vgl. [X.] 57, 78, 81; [X.], Urt. v. 18. Dezember 1980 - [X.], [X.] 1981, 131 f; v. 16. September 1993 - [X.] ZR 255/92, [X.] 1993, 1656, 1658). Maßgeblich hierfür ist die Überlegung, daß der Befreiungsanspruch zur [X.] gehört und daher zur Befriedigung sämtlicher Insolvenzgläubiger dienen muß (vgl. [X.] 57, 78, 82; [X.], Urt. v. 16. September 1993, aaO S. 1658).

Schließlich gebieten es auch Gründe der Billigkeit (§ 242 BGB) nicht, dem Entleiher die Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge auf Kosten der anderen Insolvenzgläubiger zu ermöglichen. Die Gefahr der "doppelten Inan-spruchnahme", gegen die sich die Revisionserwiderung auch im vorliegenden Fall wendet, beruht auf der gesetzgeberischen Entscheidung, das [X.] für den Gesamtsozialversicherungsbeitrag in den Fällen entgeltlicher Ar-beitnehmerüberlassung auf den Entleiher zu verlagern (vgl. [X.], Urt. v. 2. Dezember 2004, aaO S. 86). Der von der Revisionserwiderung vorgenom-mene Vermögensvergleich mit dem Fall, daß die Schuldnerin ihren [X.] gegenüber der [X.] rechtzeitig nachgekommen wäre, verkennt das Grundprinzip des Insolvenzrechts: Im Insolvenzfall soll die gleichmäßige Be-friedigung der Gesamtheit der Gläubiger Vorrang haben vor [X.] für
- 10 - einzelne von ihnen, soweit diese gesetzlich nicht besonders geschützt werden (vgl. [X.], Urt. v. 16. September 1993, aaO S. 1658). Auf fiktive Betrachtungen kommt es hierbei nicht an.

[X.] Ganter [X.]

[X.] [X.]

Meta

IX ZR 142/02

14.07.2005

Bundesgerichtshof IX. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 14.07.2005, Az. IX ZR 142/02 (REWIS RS 2005, 2554)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2005, 2554

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