Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 11.06.2010, Az. 1 BvR 170/06

1. Senat 3. Kammer | REWIS RS 2010, 5937

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Keine rückwirkende Einbeziehung nichtehelicher Lebensgemeinschaften in den Anwendungsbereich des § 46 SGB 6 (Gewährung von Hinterbliebenenrente) in der bis 31.12.2004 geltenden Fassung - Unerreichbarkeit des verfolgten Begehrens selbst bei Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Norm


Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Nichtgewährung von Hinterbliebenenrente an einen überlebenden eingetragenen Lebenspartner aus der gesetzlichen Rentenversicherung für die [X.] vor dem 1. Januar 2005.

I.

2

Der Beschwerdeführer schloss am 5. Oktober 2001 eine eingetragene Lebenspartnerschaft. Das andere Mitglied der Lebenspartnerschaft gilt als am 22. Juni 2002 verstorben. Der Beschwerdeführer beantragte darauf hin die Gewährung einer Hinterbliebenenrente bei dem für den verstorbenen Versicherten zuständigen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung, der den Antrag ablehnte. Voraussetzung für die Zahlung einer Hinterbliebenenrente sei unter anderem das Bestehen einer gültigen Ehe zur [X.] des Versicherten. Eine eingetragene Lebenspartnerschaft erfülle diese Voraussetzung nicht.

3

Das Widerspruchsverfahren blieb erfolglos. Die Klage hiergegen wurde vom Sozialgericht abgewiesen. Der Beschwerdeführer legte die dagegen zugelassene Sprungrevision ein.

4

Während des Revisionsverfahrens stellte der Gesetzgeber mit Wirkung zum 1. Januar 2005 durch das Gesetz zur Überarbeitung des Lebenspartnerschaftsrechts vom 15. Dezember 2004 ([X.]) die hinterbliebenen Lebenspartner bezüglich der Hinterbliebenenversorgung in der gesetzlichen Rentenversicherung dem verwitweten Ehegatten durch die Einfügung des § 46 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch ([X.]) gleich. Der Rentenversicherungsträger erkannte darauf hin den vom Beschwerdeführer geltend gemachten Anspruch für die [X.] ab dem 1. Januar 2005 an. Der Beschwerdeführer nahm dieses Teilanerkenntnis an, führte den Rechtsstreit aber für die [X.] vom 22. Juni 2002 bis zum 31. Dezember 2004 weiter.

5

Das [X.] wies die Revision zurück. Für den noch streitigen [X.]raum habe der Beschwerdeführer keinen Anspruch auf Hinterbliebenenrente. Die bis zum 31. Dezember 2004 geltende Fassung des § 46 [X.] erfasse nur Ehegatten, nicht aber die Mitglieder einer eingetragenen Lebenspartnerschaft. Der Ausschluss von eingetragenen Lebenspartnern aus dem Anwendungsbereich der gesetzlichen Rentenversicherung sei nicht verfassungswidrig. Das [X.] habe in seinem Urteil vom 17. Juli 2002 ([X.] 105, 313 ff.) festgestellt, dass das Gesetz zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften : Lebenspartnerschaften vom 16. Februar 2001 in der Fassung des [X.] mit dem Grundgesetz vereinbar sei. In einem derartigen Verfahren der abstrakten Normenkontrolle prüfe das [X.] die Gültigkeit des ganzen Gesetzes und jeder einzelnen seiner Bestimmungen unter allen rechtlichen Gesichtspunkten. Somit bedeute das Urteil vom 17. Juli 2002, dass das Gesetz mit dem Grundgesetz, und zwar auch mit Art. 3 Abs. 1 und 3 GG, vereinbar sei. Somit stehe fest, dass die Nichteinbeziehung eingetragener Lebenspartnerschaften in die gesetzliche Hinterbliebenenversorgung während des [X.]raums bis zum 31. Dezember 2004 nicht verfassungswidrig sei. Denn das [X.] habe nicht entschieden, dass der [X.] verfassungsrechtlich verpflichtet gewesen wäre, eine Hinterbliebenenrente auch für eingetragene Lebenspartnerschaft einzuführen. Vielmehr habe es ausdrücklich bestätigt, dass der [X.] die Ehe gegenüber anderen Lebensformen begünstigen dürfe. Daran sei das [X.] gemäß § 31 Abs. 1 [X.] gebunden.

6

Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG durch die angegriffenen Entscheidungen und durch § 46 [X.] in der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Fassung. Über die Verfassungsmäßigkeit dieser Norm sei durch das [X.] in seinem Urteil vom 17. Juli 2002 nicht entschieden worden. Die Frage, ob der Gesetzgeber verfassungsrechtlich verpflichtet gewesen sei, eingetragene Lebenspartnerschaften in die gesetzliche Rentenversicherung einzubeziehen, sei keine Frage der Verfassungsmäßigkeit des [X.] : Lebenspartnerschaften, sondern der Verfassungsmäßigkeit des Rechts der Hinterbliebenenversorgung. Im Übrigen unterliege der Gesetzgeber bei der Regelung der Hinterbliebenenversorgung nicht bloß einem Willkürverbot, sondern einer strengen Bindung an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Zwar sei der Gesetzgeber aufgrund von Art. 6 Abs. 1 GG berechtigt, Ehepaare gegenüber eingetragenen Lebenspartnerschaften zu begünstigen. Jedoch wäre neben dem völligen Ausschluss eingetragener Lebenspartnerschaften von der Hinterbliebenenrente auch eine abgestufte Regelung, etwa mit einem unterschiedlichen Rentenartfaktor, möglich gewesen.

II.

7

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die [X.]en des § 93a Abs. 2 [X.] nicht vorliegen.

8

1. Die [X.] des § 93a Abs. 2 lit. a [X.] liegt nicht vor, weil der aufgeworfenen Frage keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zukommt. Für nicht mehr geltendes Recht besteht in der Regel kein über den Einzelfall hinausgreifendes Interesse, seine Verfassungsmäßigkeit auch noch nach seinem Außerkrafttreten zu klären (vgl. [X.] 91, 186 <200>; [X.], 283 <295>; [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 13. Dezember 1996 - 1 BvR 1474/88 -, juris, Rn. 6; [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 8. Januar 1998 - 1 BvR 1872/94 -, NJW 1998, [X.] <2044>; [X.], Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 1. April 1998 - 2 BvR 1478/97 -, NJW 1998, [X.]; [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 11. Juli 1999 - 2 BvR 1313/93 -, juris, Rn. 3; [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 19. November 1999 - 2 BvR 1167/96 -, [X.], S. 797 <798>).

9

Dies ist auch hier der Fall, weil § 46 [X.] in der vom Beschwerdeführer angegriffenen Fassung seit dem 1. Januar 2005 nicht mehr in [X.], sondern inzwischen durch § 46 Abs. 4 [X.] ergänzt worden ist.

2. Auch die [X.] des § 93a Abs. 2 lit. b [X.] ist nicht erfüllt. Die Annahme einer Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 [X.] genannten Rechte nicht angezeigt, wenn der Beschwerdeführer sein vor den Fachgerichten verfolgtes Begehren nicht erreichen kann (vgl. [X.] 90, 22 <25 f.>; 119, 292 <301 f.>; [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 11. März 2010 - 1 BvR 290/10 u. a. -, juris, Rn. 24).

Dies ist hier der Fall, weil der Beschwerdeführer mit seinem zuletzt noch verfolgten Begehren - der Gewährung von Hinterbliebenenrente für die [X.] vor dem 1. Januar 2005 - keinen Erfolg mehr haben kann. Dabei kann dahinstehen, ob § 46 [X.] in der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Fassung mit dem Grundgesetz, insbesondere mit Art. 3 Abs. 1 GG, vereinbar war. Selbst wenn man die Verfassungswidrigkeit der Norm unterstellt, könnte dies nicht dazu führen, dass der Beschwerdeführer für die [X.] vor dem 1. Januar 2005 Hinterbliebenenrente erhält. Das [X.] könnte allenfalls die Verfassungswidrigkeit von § 46 [X.] in der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Fassung feststellen, ohne den Gesetzgeber zu einer rückwirkenden Neuregelung zu verpflichten.

a) Steht eine Norm mit dem Grundgesetz nicht in Einklang, so ist sie grundsätzlich für nichtig zu erklären ([ref=3c08b64c-3334-490b-8caa-9b9b421a7487]§ 95 Abs. 3 Satz 1 [X.][/ref]). Beruht die Verfassungswidrigkeit ausschließlich auf einem Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, so ist jedoch die Unvereinbarkeit die Regelfolge, während die Nichtigkeit die Ausnahme darstellt ([X.] 110, 94 <138>). Die bloße Unvereinbarkeitserklärung erfolgt namentlich dann, wenn eine Personen- oder Fallgruppe in eine begünstigende Regelung nicht einbezogen worden ist (vgl. [X.] 92, 158 <186>; 101, 397 <409>).

So verhält es sich hier, weil in § 46 [X.] in der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Fassung eingetragene Lebenspartnerschaften nicht einbezogen waren. In diesem Fall würde die Nichtigkeitserklärung die Rechtsgrundlage für die gewährte Begünstigung insgesamt entfallen lassen. Es würde nicht zuletzt an einer Ansprüche des Beschwerdeführers begründenden Norm fehlen (vgl. [X.] 18, 288 <301>) und damit eine Rechtslage eintreten, für dessen Erreichen der Beschwerdeführer kein Rechtsschutzbedürfnis hat (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 2. September 2009 - 1 BvR 1997/08 -, juris, Rn. 8).

Das [X.] wäre daher - einen Verfassungsverstoß im vorliegenden Fall unterstellt - darauf beschränkt, die Unvereinbarkeit des § 46 [X.] in der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Fassung mit dem Grundgesetz festzustellen und dem Gesetzgeber die Neuregelung der Norm aufzuerlegen (vgl. [X.] 18, 288 <301>; 22, 349 <360 f.>). Liegt die Verfassungswidrigkeit in einem gesetzgeberischen Unterlassen, ist grundsätzlich nur eine Unvereinbarkeitserklärung möglich (vgl. [X.] 116, 96 <135>).

b) Im vorliegenden Fall käme jedoch ein Neuregelungsauftrag an den Gesetzgeber allenfalls für die [X.] ab der Entscheidung des [X.]s in Betracht und damit für einen [X.]raum, der zwischen den Beteiligten des Ausgangsverfahrens nicht mehr streitig ist.

Eine Pflicht des Gesetzgebers zur rückwirkenden Beseitigung eines mit dem Grundgesetz nicht zu vereinbarenden [X.]hat das [X.] unter anderem in Fällen verneint, in denen die [X.] bisher nicht hinreichend geklärt war (vgl. [X.] 84, 239 <284>; 120, 125 <168>; [X.], Urteil des [X.] vom 9. Februar 2010 - 1 BvL 1/09 u.a. -, NJW 2010, S. 505 <518>, Rn. 217).

So verhält es sich hier. Denn bislang ist verfassungsrechtlich ungeklärt, ob der Gesetzgeber verpflichtet gewesen war, die Hinterbliebenenversorgung der gesetzlichen Rentenversicherung in der [X.] vor dem 1. Januar 2005 auf eingetragene Lebenspartnerschaften zu erstrecken. Auch die Entscheidung des [X.]s zur Gleichstellung von Lebenspartnerschaft und Ehe in der betrieblichen Altersversorgung bezieht sich nur auf den [X.]raum seit dem 1. Januar 2005 (vgl. [X.], Beschluss des [X.] vom 7. Juli 2009 - 1 BvR 1164/07 -, NJW 2010, S. 1439 ff.). Einer Klärung bedarf dies angesichts des zum 1. Januar 2005 in [X.] getretenen § 46 Abs. 4 [X.] indes nicht mehr. Aus dem gleichen Grund ginge auch ein Neuregelungsauftrag an den Gesetzgeber ins Leere.

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.] abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 170/06

11.06.2010

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 3. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend BSG, 13. Dezember 2005, Az: B 4 RA 14/05 R, Urteil

Art 3 Abs 1 GG, § 31 Abs 2 S 2 BVerfGG, § 93a Abs 2 Buchst a BVerfGG, § 93a Abs 2 Buchst b BVerfGG, § 46 SGB 6 vom 19.02.2002, § 46 SGB 6 vom 21.03.2001, § 46 Abs 4 SGB 6 vom 15.12.2004

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 11.06.2010, Az. 1 BvR 170/06 (REWIS RS 2010, 5937)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 5937


Verfahrensgang

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Az. 1 BvR 170/06 - Vz 1/12

Bundesverfassungsgericht, 1 BvR 170/06 - Vz 1/12, 01.10.2012.


Az. 1 BvR 170/06

Bundesverfassungsgericht, 1 BvR 170/06, 11.06.2010.


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