BT-Drucksache 14/9917

Abzug der belgischen Streitkräfte aus der Bundesrepublik Deutschland - Wohnugsproblematik

Vom 2. September 2002


Deutscher Bundestag Drucksache 14/9917
14. Wahlperiode 02. 09. 2002

Antrag
der Abgeordneten UweGöllner, Ursula Heinen, Bernhard Brinkmann (Hildesheim),
Lilo Friedrich (Mettmann), Ulrike Merten, Martin Hohmann, Rolf Stöckel, Erika
Reinhardt, Dr. Werner Hoyer, Klaus Brähmig, Georg Girisch, Dietmar Nietan,
Dr. Hans-Peter Bartels, Ursula Mogg, Helmut Heiderich, Ewald Schurer, Karl
Lamers, Friedhelm Ost, Günter Oesinghaus, Wolfgang Dehnel, Reinhard Schultz
(Everswinkel), Siegfried Helias, Andrea Nahles, Lothar Mark, Dr. Angelica Schwall-
Düren, Ursula Lietz, Rainer Eppelmann, Dietrich Austermann, Dr. KlausW. Lippold
(Offenbach), Ulrich Kelber, Ingrid Holzhüter, Manfred Opel, Rainer Arnold, Volker
Beck (Köln), Winfried Nachtwei, Gabriele Iwersen, Dr. Michael Luther, Johannes
Kahrs, Helmut Rauber, Ernst Küchler, Albrecht Feibel

Abzug der belgischen Streitkräfte aus der Bundesrepublik Deutschland –
Wohnungsproblematik

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Am 7. Juni dieses Jahres verabschiedeten sich die belgischen Streitkräfte unter
Anwesenheit des Bundespräsidenten, des Belgischen Königs und der Verteidi-
gungsminister beider Länder feierlich aus der Bundesrepublik Deutschland.
Mit dem 1. Belgischen Armeekorps waren sie seit Anfang 1946 im südlichen
Teil der britischen Besatzungszone (von Köln bis Bonn, von Aachen bis Soest)
als Besatzungsmacht stationiert. Ursprünglich kamen die Soldaten nach
Deutschland in der Annahme, dass ihr Aufenthalt nur von kurzer Dauer sein
würde. Nachdem die Bundesrepublik Deutschland 1955 vollwertiger NATO-
Partner wurde, blieben die belgischen Truppen im Rahmen der NATO-Verein-
barungen in einem noch ausgeweiteten Sektor und mit zeitlich unbefristetem
Auftrag. Ein Teil der heute noch aktiven Soldaten hat so inzwischen mehr als
30 Jahre Dienst in der und für die Bundesrepublik Deutschland geleistet. Die
Wende im Osten und die deutsche Vereinigung führten auch in den belgischen
Streitkräften zu drastischen Strukturänderungen. Mit den Operationen
REFORBEL ’93 und BEAR ’97 reagierte die belgische Regierung und verlegte
den größten Teil der Verbände zurück nach Belgien.
Im Rahmen des strategischen Plans zur Modernisierung der „belgischen Armee
2000 bis 2015“ beschloss die belgische Regierung von 2002 bis 2004 die noch
verbliebenen Truppenteile (6 686 Streitkräfteangehörige, davon 1 976 Solda-
ten) nach Belgien abzuziehen. Aber nicht alle Streitkräfteangehörigen wollen
zurück nach Belgien, sondern dauerhaft in Deutschland leben. Seit Bekannt-
gabe des Truppenabzuges haben sich 432 belgische und deutsch-belgische Fa-
milien zum Bleiben entschlossen. Um die Interessen dieser Familien zu vertre-
ten, gründete sich im April 2001 die „Vereinigung der Belgier, die sich familiär

Drucksache 14/9917 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

und kulturell an Deutschland gebunden fühlen“. In Zusammenarbeit mit dem
Kommandierenden der Belgischen Streitkräfte in Deutschland sowie den Ver-
tretern der Städte und Behörden (BMF, OFD, BVA) hat er es sich zur vor-
dringlichsten Aufgabe gemacht, die Wohnungsfrage für jene Familien zu
klären. Momentan nutzen die belgischen Streitkräfte noch mehr als 2 000 bun-
deseigene Wohnungen; rd. 1 150 Wohnungen davon entfallen auf Einfamilien-
häuser. Alle Häuser und Wohnungen müssen gemäß der vertraglichen Verein-
barungen bis Mitte 2003 geräumt und an das Bundesvermögensamt (BVA)
übergeben werden. Für 376 von den bleibewilligen 432 Familien wurde noch
keine Lösung der Wohnungsfrage gefunden. Die Absicht des Bundes, aus
finanziellen Erwägungen bundeseigene Wohnungen und Häuser verstärkt zu
veräußern, und ein angespannter Wohnungsmarkt im RaumMittelrhein machen
es schwer, den betreffenden Familien unkompliziert bezahlbaren Wohnraum
zur Verfügung zu stellen.
Hinzu kommt, dass die belgischen Gehälter gegenüber denen vergleichbarer
Soldaten der Bundeswehr niedriger sind. Entsprechend geringer fallen dem-
nach auch die Pensionen aus. Mit dem Truppenabzug verlieren die Familien zu-
dem den NATO-Truppenstatus, wodurch ab August 2003 u. a. steuerliche Ver-
günstigungen und mietfreies Wohnen entfallen. Zusätzliche Belastung entsteht
durch berufsbedingtes Pendeln nach Belgien für die Soldaten, die das Pensions-
alter noch nicht erreicht haben.
Vor dem Hintergrund kann nicht gewollt sein, dass die bleibewilligen Familien
allein deshalb zum Sozialfall werden, weil sie sich nach Jahrzehnten in ihrer
Umgebung eingelebt haben und dort bleiben wollen. Deutschland ist für viele
nicht nur zur zweiten, sondern zur ersten Heimat geworden. Die belgischen
Soldaten sind längst keine Fremden, belgisch-deutsche Familien längst keine
Ausnahme mehr. Mitgliedschaften in Vereinen und Feuerwehren die Über-
nahme von Funktionen und Ämtern sind wichtige Indikatoren dafür, wie ver-
wurzelt die belgischen und belgisch-deutschen Familien im Gemeinwesen die-
ser Kommunen und damit in unserem Land sind.
Unser Verhalten den Belgiern gegenüber ist von besonderer Bedeutung. Zwei-
mal hat Deutschland im vergangenen Jahrhundert Belgien überfallen, zweimal
haben die Belgier unter deutscher Besatzung gelitten, aber nicht einmal haben
sie das als Mitbürgerinnen und Mitbürger in den Gemeinden, in denen sie leb-
ten und leben, uns Deutsche spüren lassen. Vielmehr haben wir eine Verpflich-
tung allen unseren belgischen Nachbarn gegenüber, uns für den jahrelangen
Schutz in den Zeiten des Kalten Krieges und für viele Jahrzehnte eines freund-
schaftlichen Miteinanders dankbar zu erweisen. Aus einer Besatzungsmacht
sind über die Jahre Freunde und sogar Familienmitglieder geworden. Da ist es
angemessen, diese Solidarität stellvertretend den etwa 432 belgischen und bel-
gisch-deutschen Familien zurückzugeben, die hier auch weiterhin leben wollen.
Deutschland hat Gelegenheit, seine Freundschaft durch einen vergleichsweise
kleinen Beitrag zu zeigen, der den Familien das Hierbleiben aber unkompliziert
und sozial verträglich ermöglicht. Mit einem überschaubaren finanziellen Auf-
wand kann Völkerfreundschaft verfestigt werden.
Die Familien sollen nicht gezwungen sein, ein selbst bewohntes Einfamilien-
haus käuflich zu erwerben, um darin wohnen bleiben zu können. Denn selbst
bei zugebilligten Sonderkonditionen werden einige Familien materiell nicht in
der Lage oder in persönlicher Entscheidung nicht bereit sein, das von ihnen be-
wohnte Haus zu kaufen.
Trotz der klar formulierten Zusicherung seitens der Bundesregierung, den Fa-
milien – ihre Wohnsituation betreffend – Planungssicherheit zu geben, liegt bis
heute keine Verwertungskonzeption vor (u. a. Anzahl der Wohnungen in Ein-
und Mehrfamilienhäusern, Größe der Gebäude und Wohnungen, baulicher Zu-
stand der Häuser, Kosten für Sanierungsaufwand). Die Planung der Oberfi-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/9917

nanzdirektion (OFD) Köln, die Familien sollten sich bei Mietinteresse beim
Bundesvermögensamt um eine Bundesmietwohnung bewerben, ist bereits des-
halb nicht realisierbar, weil das Bundesvermögensamt Köln über keinen ent-
sprechenden Wohnraum verfügt. Eine alternative Unterbringung der Familien
in Wohnungen des sozialen Wohnungsbaus ist in den betroffenen Kommunen
rein zahlenmäßig nicht möglich.
Gemeinsam mit dem o. a. Verein und dem Belgischen Botschafter ringen Bun-
destagsabgeordnete sowie die jeweiligen Bürgermeister und Landräte um eine
Ausgestaltung dieser sozial verträglichen Lösung. Es ist unsere Aufgabe, alles
zu tun, das augenblicklich in den Siedlungen bestehende Klima der Unsicher-
heit zu verhindern.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung deshalb auf,
mit bleibewilligen Angehörigen der belgischen Streitkräfte reguläre Mietver-
hältnisse in selbst bewohnten bundeseigenen Einfamilienhäusern zu begründen.

Berlin, den 2. September 2002

Begründung
Die Bundesregierung hat im Verlauf der Verhandlungen um die künftige Wohn-
situation bleibewilliger belgischer resp. belgisch-deutscher Familien mehrfach
ihren Willen ausgedrückt, Planungssicherheit zu gewähren sowie sozial ver-
trägliche und individuelle Lösungen zu finden. Wegen der vorgenannten Fristen
ist schnellstmögliches Handeln erforderlich. Aus den Verkaufserlösen von etwa
2 000 zurückzugebenden Wohnungen und Häusern sollte es der Bundesrepub-
lik Deutschland möglich sein, diesen Familien selbst bewohnte Einfamilien-
häuser zu vermieten.

Uwe Göllner
Ursula Heinen
Bernhard Brinkmann (Hildesheim)
Lilo Friedrich (Mettmann)
Ulrike Merten
Martin Hohmann
Rolf Stöckel
Erika Reinhard
Dr. Werner Hoyer
Klaus Brähmig
Georg Girisch
Dietmar Nietan
Dr. Hans-Peter Bartels
Ursula Mogg
Helmut Heiderich
Ewald Schurer
Karl Lamers
Friedhelm Ost
Günter Oesinghaus
Wolfgang Dehnel
Reinhard Schultz (Everswinkel)

Siegfried Helias
Andrea Nahles
Lothar Mark
Dr. Angelica Schwall-Düren
Ursula Lietz
Rainer Eppelmann
Dietrich Austermann
Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach)
Ulrich Kelber
Ingrid Holzhüter
Manfred Opel
Rainer Arnold
Volker Beck (Köln)
Winfried Nachtwei
Gabriele Iwersen
Dr. Michael Luther
Johannes Kahrs
Helmut Rauber
Ernst Küchler
Albrecht Feibel

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